Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Auch Einer

In der Pampa lebt einer, der ein großer freier Läufer ist und ein unabhängiges und stolzes Gemüt hat wie die Pferde. Ho, mit diesen Burschen um die Wette laufen, das ist zuzeiten ein guter Spaß. Sie sind verwandte Seelen, die hohen schlanken klugen Strauße und die edlen Pferde. Sie vertragen sich gut, wenn sie auf der unermeßlichen Bühne einmal zusammentreffen; und dann begibt es sich, daß sie tagelang miteinander die Welt durchstreifen.

Es ist tief im Herbst; die Dürre und Senge sind groß. Da taucht eines Tags ein hoher schlanker Hals aus dem raschelnden Gras. Auf dem hohen Hals sitzt ein kleiner, fast kahler Vogelkopf. Lange hat der Leithengst das Heranrascheln gehört, hat aufgeworfen und sich versammelt. Als er den klugen perlgrauen Augen begegnet, die ihn neugierig, gutmütig und selbstbewußt anschauen, weiß der Hengst gleich, wen er da vor sich hat. Eine Weile beäugen sich die beiden Tiere ohne Mißtrauen. Der Hengst schnaubt, und der Strauß 300 kollert halblaut, wiegt den Hals ein wenig und äugt von der Seite. Das ist freundlichstes Wohlwollen. Der Hengst hat schon wieder zu weiden begonnen. Der Strauß schlägt einen kleinen Bogen und gelangt wiegenden Gangs zu den Stuten. Ach, die kennen den Mann gut! So? Ist wieder einer da? Wird er vielleicht eine Weile mit uns leben wollen? Ja, gut! Soll er nur! . . . Die Milchfohlen bocken vor dem Riesigen davon. Aber weil die Mütter nichts dergleichen tun, kommen sie wieder heran, stehen in steifer Grätsche und starren aus blanken Augen auf die Erscheinung.

Der Übeltäter nimmt keine Notiz von dem Fremden. Wahrscheinlich kennt er diese Leute.

Mannsräuschlin, das beim Menschen die Scheu vor fremden Geschöpfen verloren hat – oh, was hatte der Mensch für vielerlei Lebendige in seinem Bann! –, schreitet auf den Strauß zu und beschnuppert ihn. Ja, das ist natürlich und freimütig und wohlwollend gemeint. Der große Kerl versteht es auch so. Weil er aber nicht schnuppern kann und die Freundlichkeit erwidern will, kollert er laut und herzlich und lüftet dabei ein wenig die bunten buschigen Flügel. Hallo! Das ist unerwartet! Das hat man dem Fremden nicht angesehen! Galopp! Fort sind die Fohlen! Auch Mannsräuschlin tut vor dem Ereignis einen Satz zur 301 Seite. Weil aber nichts weiter passiert, beginnt man zu weiden, äugt nur dabei auf den Spaßvogel. Der futtert auf seine Weise. Er hat die Absicht, eine Weile bei den Pferden zu bleiben. Er hat seine Gründe . . . Ja, gut! Einverstanden! . . .

Der Fremdling ist ein alter Einzelgänger, gewiß einen guten Pferdekopf höher als der Leithengst, und er hat vielerfahrene Augen. Er ist vielleicht an fünfzehn Jahre alt, und das heißt in seiner Sippe: nahe am Tod. Er hat sich von den Seinen davongemacht. Sie sind nicht mehr wichtig. Er will Ruhe haben. Er ist auf der Wanderung in die Disteldickichte, die er jährlich mit den Sippen im Herbst aufgesucht hat. Die dünken ihn ein guter Platz zum Sterben. Er hält nichts vom Hinschwächen in der freien Weite. Er hat zuviel gesehen, und er haßt die schwarzen Leute. In das Distelgestrüpp können sie nicht einflügeln. Aber noch ist das Leben lebenswert. Nur nicht ganz allein. Man ist schließlich ein Sippengemüt, und die Pferde wollen nichts von einem. Man hat Ruhe.

Er hat ein schönes volles Leben gelebt, der alte Einzelgänger. Viele Söhne und Töchter hat er gehabt und hat stets allein dafür gesorgt, daß sie aus den Eiern schlüpften und ihre ersten Wochen sicher lebten. Seinen Frauen hat er keineswegs die Sorge um die 302 Brut gestattet. Oh, das flüchtige Geschlecht! Er mißtraute ihnen, die sich oft nicht Zeit nahmen, ihre Eier genau ins flache Nest zu legen, das er, oh, natürlich er, ausgescharrt hatte. Was war das oft für eine Arbeit, die Eier von sechs, sieben flüchtigen Frauen in die Mulde zusammenzubringen! Mit dem Schnabel ging es hart, der ist zu heftig dazu; unter den riesigen Füßen zerbrachen sie leicht. In jenen Zeiten haßte er seine Frauen und war voll großen Mißtrauens. Keine durfte es wagen, in die Nähe des Nestes zu kommen. Hoho! Er brütete selber. Jawohl! Was er dabei erlebte! Wenn er jetzt, alt und abgelaufen, von seinem hohen Hals über die weite Pampa äugt, dann kreist in seinem Gemüt das lange mühselige und immer herrliche Dasein ins Unsichtige hinweg. Jetzt ist er ein Einzelgänger geworden.

Wenn der Nandu auf die neben ihm friedlich weidende Stute äugt und die Witterung der Herde im heißen Dunst dicht herankommt, dann weiß er genau, daß die Pferde ihn nie hetzen. Nur das fremdfremde Wesen auf ihrem Rücken hetzte ihn. Er scheute die Pferde nie und war ihnen nie gram. Zwar der braune Einaug, der beim Menschen geboren war und die Straußensippe nicht kannte, der ist – ja, es war im Frühling! – schnaubend herangaloppiert, als er den 303 Alten gewahrt hat. Der hat hochaufgerichtet verhalten und ist keineswegs vor dem Herrischen davon. Schließlich hat man ein paar so gewaltige Läufe, daß man es gern und gut mit dem Hengst aufnähme. Ein Flankenhieb mit dem bekrallten Fuß . . . Gott befohlen! Oh, wie viele Hunde, die der Mensch hinter ihm her hetzte, hat er aus dem Leben gefeuert! Aber der Einaug hat nach kurzem grollendem Geschnupper dem Alten die Kruppe gezeigt und ist davongepoltert . . . Wenn es dem Federkerl bei uns gefällt . . . meinetwegen! . . . Staub und Fliegen hüllten den Fortgaloppierenden ein.

Und es gefiel ihm. Der versammelte wache Sinn so vieler kluger Leute gab dem Alten ein gutes sicheres Gefühl. Er hört nicht mehr gut, und von weitem Laufen hält er auch nichts mehr. Fremde Gesellschaft, in der man ein einzelner bleiben kann, die nichts von einem will . . . ja das ist im Alter auch recht schön und kurzweilig. Ja, jetzt ist er bei einer neuen Herde, die er bisher noch nicht angetroffen hat, gelandet.

Ach, bei der eigenen Sippe kann man nicht für sich sein. Man ist ja wohl immer noch ein stolzer Hahn! Jawohl! Besser ganz aus dem Weg, weil man doch nimmer mitkann in allen Dingen des Lebens. Jawohl, ein stolzer Hahn! Hat er sich nicht alle Jahre schöne 304 und zahlreiche Frauen erkämpft? Hat er nicht mit ihnen ein langes und herrliches Leben gelebt? Waren nicht seine Tage, und wie oft auch die Nächte, voll Sorge, Hegnis und natürlich auch voll Herrschsucht?

Jetzt hat er dem allem entsagt. Neugier und Lebensgier, die großen Beweger seines Daseins, sind flach und unwichtig geworden. Nur daß er keinen fremden Gewalttod leide, kümmert ihn. Darum hat er sich zu den wachsamen Pferden gemacht.

Gut kennt der Alte die Räuber auf der Welt und wohl auch den Menschen. Wie oft hat er den anreitenden Menschen erschreckt, wenn er plötzlich vom Gelege aufsprang. Aber der Mensch hatte wohl Kenntnis, warum der große Vogel solange geduckt saß. Und der Mensch liebt Straußeneier. Jawohl! Was half's, als den listigen Menschen zu überlisten? Könnte der Nandu lachen, er lachte in sich hinein, über den Spaß, den er sich fast jeden Frühling mit dem Menschen gemacht hatte. Freilich: hinter dem Spaß war die Gefahr für das Gelege und der große magische Schrecken vor der Erscheinung des Menschenwesens. Aber er überlistete den Herrn der Erde doch, der kluge Nandu. Er stellte sich zuerst mutig dem Pferd, das den Menschen trug, und kollerte und schrie es an. Natürlich scheute es; aber der Mensch hatte es in der Kandare, 305 und das war gut. Denn es folgte also dem Menschen, und der Mensch folgte dem schlauen Nandu. Ha, man stellte sich lahm, hinkte immer gerade ein paar Längen vor dem Traber her und hatte ihn endlich weit vom Nest gelockt. Sasa! Jetzt ließ man die List fahren, warf seine hohen Beine, flügelte dazu mit den schönen krausen Fächern und kollerte vor Vergnügen, weil der Mensch immer weiter hinten blieb. Denn man springt vier Ellen mit einem einzigen Satz, und man satzte so gut, daß kein Auge die langen Stelzen etwa hätte auseinander schauen können. Uff! Dann tat man sich nieder, hörte geduckt im hohen Gras, daß das Menschenroß sich entfernte. Weil man seinen Lauf so eingerichtet hatte, daß man in weitem Bogen, den der Mensch wahrscheinlich für einen geraden Weg auf der baumarmen Welt gehalten hatte, wieder nahe ans Gelege kam, so war man in ein paar vorsichtigen geduckten Schritten gleich dabei, tat sich behaglich nieder, verschnaufte, zählte wohl schnell die Eier und hatte das Menschenwesen und seine Hatz wieder einmal gut hinter sich.

Ach, das alles hat der Alte sich abgewöhnt. Oh, er wird nicht mehr so verwegen und neugierig sein, etwa auf einen Schuß hin, den der Mensch, weiß Gott wo und weiß Gott auf wen losläßt, heranzulaufen und 306 nachzusehen, was es da wohl für einen neuen und fremden Lärm gab. Ach, in seiner Jugend, als er die ersten Frauen sich erstritten hatte, fiel einmal nahe ein Schuß. Eine Henne lag plötzlich verquer und gegen jede Sitte am Boden. Lief er etwa davon? Keineswegs! Blieb er, um zu helfen? Vielleicht nicht! Was das war, mußte er wissen! Mit seinen Frauen umtänzelte er damals die Getroffene, lockte, kollerte, und sie alle machten die seltsamen und neuen Gebärden nach, die die Auszuckende da im Sand tat; und er verstand nichts, gar nichts. Bis der Knall sich wiederholte und ein sausender Schlag seinen linken Flügel traf. Jetzt war doch vielleicht Feindseligkeit um ihn? . . . Er lief davon, die Frauen vor sich her treibend. Der Flügel schmerzte ein paar Wochen und half ihm dann wenig beim Laufen. Oh, es war seltsam, unergründlich!

Weit draußen in der dunstigen Steppe bei seinem voll gelebten Leben liegen alle diese Erlebnisse. Bald kommen die Winterregen, und die wird der alte Einzelgänger nicht mehr überleben. 307

 


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