Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Der Ahn

Aus seinem Hindösen unter der heiß aufsteigenden Sonne schreckt den roten Hengst der Laut und das Zittern des Bodens unter dem langsamen Gang eines gemächlich hertrabenden Jungpferdes. Unmutig schnaubt er auf, und keineswegs wird er aufstehen. Ruhe will er haben und ungesehen von der Herde gesund werden.

Dann teilt das raschelnde Gras sich, und aus den Halmen taucht Mannsräuschlins feiner Kopf. Wie es den Hengst gewahrt, tut es einen erschrockenen Satz und steht dann in steifer Grätsche, im rechten Winkel zu dem Daliegenden. Den schmalen Hals, überbuscht von der verwegenen struppigen Kindermähne, hat es nach dem Hengst hingedreht. Der Schreck hält es gebannt und sprungbereit zugleich. Die sanften braunen Augen blicken mißtrauisch, neugierig und ängstlich auf den gefürchteten Führer. Wird er es davonjagen? Wird er es anschreien? Oh, vielleicht beachtet er nichts, und man kann sich heimlich davonmachen? – 89

Das Fohlen dreht den Kopf weg, starrt ins Weite und schnauft. Dann tut es ein paar kleine Schritte. Gleich wird es davongaloppieren.

»Stehn!« schnaubt der Hengst.

Mannsräuschlin bäumt vor Schreck, wirft sich auf den Hinterbeinen herum und steht steif und vergrätscht vor dem Liegenden.

Der Hengst kollert vor sich hin. Das Fohlen schnauft und schüttelt den schmalen Kopf. Dann wagt es schüchtern ein wenig zu weiden; dabei äugt es von der Seite auf den Hengst. Der betrachtet das Dürre, dessen Mutter besonders an ihm gehangen hatte und die er hatte sterben gesehen. Er weiß, daß noch zwei Regenzeiten vergehen müssen, ehe es eine anhängliche Stute werden wird; und er weiß es fast sicher, daß ein Jungkerl ihm die Feine dann verlocken wird. Schwermut des Alters und die Bängnis über das gelähmte Bein wallen durch sein Gemüt. Er schnauft und legt den Kopf in den Sand.

Mannsräuschlin, das den Hengst nicht aus den Augen gelassen hat, wirft auf und dreht steif bei. Die beiden Tiere sind Aug in Aug gegenüber. Dann tut das Fohlen ein paar vorsichtige Schritte und, wie es von seiner Mutter her gewohnt ist, schnuppert es die Nüstern des Hengstes ab. Der läßt sich diese selten 90 gewagte, behutsame Liebkosung gefallen. Sein wildes herrisches Herz ist sanfter; angesichts der jungen Stute und im Gefühl seiner Hinfälligkeit sind Poltern und Galoppieren und Herrscherschreie seiner Seele abhanden. Das Leben beginnt den durchstürmten Kreis sacht zu schließen.

Oh, keinen Deut weiß das Fohlen, daß es seinen Ahn abschnuppert. Aber ein Gefühl tiefer Zugehörigkeit und Hörigkeit ist in seinem Gemüt. Jetzt hat es den Gefürchteten einmal ganz nahe vor sich; und daß der die schüchterne Liebkosung sich gefallen läßt, macht die furchtsame und leicht schwingende Seele des jungen Tiers stolz und vertraut. Aufmerksam betrachtet es aus sanften braunen Augen den groß hinliegenden Leib des Hengstes, seine breiten Flanken, die mächtige rostrote Kruppe. Neugierig schnuppert es den Rücken hinab, wie es das bei der liegenden Mutter getan hat; und als ihm der lange Schweif übers Milchgesicht fegt, tut es einen kleinen Satz zur Seite, schreitet dann ernsthaft um den Daliegenden und vorsichtig über die lang ausgestreckten sehnigen Hinterbeine des Hengstes. In seiner Ratlosigkeit über dieses große Erlebnis weiß es nichts Besseres und Schicklicheres, als sich zwischen den Vorder- und Hinterbeinen des Hengstes niederzutun. Der läßt es sich gefallen. In der Bedrängnis 91 seines Gemüts tut ihm die Nähe der jungen Stute wohl, und sein feines Gefühl empfängt die magischen Ströme der Zuneigung und willigen Hörigkeit des sanften Geschöpfs wie eine neue Kraft. Er reckt sich lang aus. Behagen fast entspannt den allzeit Versammelten, der durchs Leben gestürmt ist, auf nichts bedacht als Macht und Herrenstolz; sorgend nur aus Herrscherlust und Unbeugsamkeit für die erkämpfte und eifersüchtig gehütete Herde; allzeit, seit dem Tag, da er als Mann sich erkannte, nur ein trotziges, selbstbewußtes, sich und niemand sonst in aller Weite untertanes herrliches Tier, das sein: Ich! Ich! Nur Ich! hinausschrie in die unübersehbare Pampa.

 

Es ist tiefer Nachmittag geworden. Mannsräuschlin hat geweidet, ist dann immer wieder zu dem Hengst zurück und hat sich neben oder hinter ihm niedergetan. Einmal springt es erschrocken auf, als der Hengst schnaubend sich auf den Rücken wälzt und die gewaltigen Beine gegen den Himmel schleudert. Dabei gewahrt er, daß der lahmende Hinterfuß deutlich zu gehorchen beginnt. Das macht ihn froh, und er wiehert einmal hell und mächtig. Das Fohlen erzittert vor dem hallenden Schrei, tut einen steifen Galopp, verhält mißtrauisch äugend, was nun werden soll. Aber der Hengst 92 legt sich auf die andere Seite und schnaubt freundlich. Da trabt das Fohlen heran und schnuppert ihm die weiten Nüstern ab.

Der hallende Schrei hat die zerstreute Herde erreicht. Die Stuten haben gleich aufgeworfen und gewartet, daß er nochmals herkomme, oder der Führer selber. Sie haben den Hengst wohl vermißt; aber da es noch eine Weile bis zur Dämmerung dauert, haben sie sich keine Sorgen gemacht. Das Gras ist nach dem Regen schmackhafter, und wenn man sich niedertat, gab es da und dort noch feuchte Stellen, auf denen man stundenlang döste und den schmachtenden struppigen Leib kühlte und pflegte.

Die Junghengste haben sich nicht gerührt ob des Herrenrufs. Sie haben mit den Ohren in die Richtung gespielt und die Mähnen geschüttelt. Mochte er bleiben, der Alte. Sie stehen allein für ihr Leben gut. Es ist vergnüglich, ohne Aufsicht sich unter den Stuten zu tummeln, denen Mut und Herrentum vorzugaloppieren. Aber die Stuten kümmern sich nicht um diese hoffärtigen Jungkerle. Es ist Herbst. Weit sind Liebe und Herrenspiel und Frauengunst. Noch ist Regenzeit, und ihre ruhigen Seelen haben keinen Raum für Abenteuer . . . Pack dich, Jungkerl! Wenn deine Hufe noch einmal über meine Kruppe preschen, dann nimm dich 93 in acht! Meine Zähne sind gelb und groß, und es wäre vielleicht schade um deinen Hals! Pack dich! . . . Fort stürmt der Junghengst, feuert mächtig aus, daß der aufbäumenden Stute Grasbüschel und Erdbrocken um die Mähne fliegen. Unwillig wirft sie sich herum und trabt in kurzem Gang davon. Ein Jährlingsfohlen folgt ihr. Im dichteren Gras tut sie sich nieder.

Mannsräuschlins Stiefmutter ist dem Ruf des Leithengstes nachgegangen. Sie läßt sich Zeit. Genau hat sie die Richtung aufgenommen und ihr abgehört, daß der Hengst sich niedergetan hat. Mit den Ohren spielt sie in jene Richtung, während sie gemächlich weidend vorwärts schreitet. Ihr feines Ohr hat den Ruf keineswegs als Befehl oder Warnung erkannt. Nur wie eine Meldung: ich bin da! Nicht daß sie eigentlich Gehorsam fühlte. Nur: er ist da, und also muß wohl auch sie da sein. Seit o wie vielen Regenzeiten ist sie ihm untertan! Als zweijähriges Fohlen hat sie es erlebt, wie der fremde rostrote Mann eines regnichten Frühlingstages aus der weiten Steppe herangepoltert war. Der Boden hatte gezittert, und das hohe Gras war rauschend auseinander gefurcht. Eng an ihre Mutter gedrängt, hatte sie dem grimmigen Zweikampf zugeschaut, der dem Herrn ihrer Mutter und also dem eigenen Vater fast das Leben gekostet hätte; denn der 94 hatte sich wild gewehrt. Als er dann blutend und lahmend im hohen Gras verschwunden und nur sein zorniger Schrei immer dürftiger und ferner hergeschollen war, da war der Rote aufschnaubend und wild scharrend, aus riesigen Augen feuernd, in kurzen harten Gängen die Flanken ihrer Mutter hingeprescht und hatte um sie geworben. Entsetzt in ihrem Kindergemüt, hatte sie sich von dem wildschnaufenden polternden Ereignis davongemacht, unter die ängstlich gescharten Jungpferde, die sich um die neugierigen und staunenden und wilderregten Stuten gedrängt hatten. Im nächsten Frühling hatte sie selber, sehr jung noch und in ihrem ganzen Wesen überwältigt, die wilde Werbung des roten Hengstes erlebt, dem sie in vielen Jahren Söhne und Töchter geboren hat, und dem sie in großer Treue anhängt.

Jetzt steht sie vor dem Daliegenden und gewahrt die sorglose Kühnheit, mit der Mannsräuschlin sich neben ihn gelagert hat. Von keinem Junghengst hätte er solche Vertraulichkeit geduldet. Die Stute weiß, daß er in seinem Gemüt schon um das feine Stutenfohlen mit dem weißen Stirnfleck wirbt. Aber es ist an dem: der Hengst altert. Sie ist eine vielerfahrene Frau, und der heurige Frühling hat ihr kein Fohlen gebracht. Das Aufbegehren der Junghengste gegen den Führer 95 ist häufiger geworden in der Herde, und er hat es nicht mehr im ersten Auftrotzen niedergeschlagen. Er hat es an sich herankommen lassen. Er ließ seit einiger Zeit überhaupt das Leben herankommen und forderte es nicht mehr, nach allen Seiten hinhöhnend, heraus. Öfter tat er sich abseits der Herde nieder und döste länger als sonst. Er war nachsichtiger geworden gegen Ungehorsam und Eigenwillen. Wenn er herangaloppierte, war sein Gang nicht mehr gleichmäßig, und der rote Rücken wogte nicht mehr rund und ausgeglichen durchs Gras her. Er eckte scharf zuzeiten, und die Hufe warfen sich hart und nicht mehr elastisch auf. Der Glanz des Felles, den er sich bei aller Struppigkeit bewahrt hat, ist vergangen, und da und dort, an Flanken und Kruppe erscheint die graue haarlose Haut in großen Malen. Sein Schweif ward dünn, und die Mähne flattert dürftig, wenn er sie schüttelt. Die großen braunen Augen liegen tief in den Höhlen, und die Haut faltet sich in schmalen Säcken um sie. Das gibt seinem Herrengesicht einen finstern und traurigen Ausdruck, der die Junghengste zu Hohn und Übermut reizt. Öfter tränen die Augen, und wie er jetzt groß und dunkelbraun die Stute anstarrt, merkt die genau, daß er sie nicht fest im Blick hat und etwas Hilfloses und zugleich Entferntes in seinem Gemüt spürt. Als sie aus dem 96 Gras getaucht ist, hat er den Hals aufgereckt und unwillig geschnaubt. Jetzt legt er den Kopf hin und starrt sie an und ins Weite.

Im ersten Schrecken, als es das Gras sich teilen sah, wollte das Fohlen aufspringen. Lange hatte es den Schritt der Kommenden gehört, hatte mit spielenden Ohren gewartet und genau gefühlt, daß es bekannte Hufe waren, und war doch vor der hohen Stute dann in seinem Milchgemüt erschrocken. Aber als Mannsräuschlin das gute Gesicht der Stiefmutter erkannte, wedelte es nur freundlich und streckte sich gleich behaglich, ja noch behaglicher aus, weil es sich nun zwiefach behütet fühlte.

Die Stute beschnuppert das Fohlen und schnaubt den breiten Rücken des Hengstes hin, von dem eine Fliegenwolke aufsteigt. Dann tut sie sich nieder, und es ist ein großer Friede um die drei ernsthaften und guten Tiere. 97

 


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