Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Preis der Abkunft

Mannsräuschlins Ahnen sind andalusische Vollblüter. Spanische Konquistadoren haben sie im sechzehnten Jahrhundert übers Meer gebracht. Die verließen nach wenigen Jahrzehnten ihre Stadt, welche sie am Rand der ungeheuren Grasöde dürftig gebaut hatten, am Ufer des unübersehbaren Stroms, wo er träg ins Meer sich ausgießt. Waren es feindliche Überfälle, haben Erdbeben sie erschreckt, trat der Strom allzu breit aus seinen Ufern, waren sie der Unbarmherzigkeit des Lichts und seiner Senge nicht gewachsen: ihr Aufbruch und Wegzug gab einigen der stolzen spanischen Pferde die Freiheit.

Vielleicht hatte die kleine Herde sich zu weit entfernt, war durch irgendeinen Schrecken, durch den Jaguar, durch einen Grasbrand, durch herbrausende Staubhosen oder eine Herde brüllender Rinder versprengt worden. Sie waren es gewöhnt, daß in regelmäßigen Zeitfolgen der Mensch kam, der sie dann 15 zusammentrieb, ihre oft eiternden Wunden auswusch, die sie von blutsaugenden Insekten, von Fledermäusen, von scharfem Gedörn und den Stacheln der Kaktusse und nicht zuletzt von den Bissen streitsüchtiger Verwandter davontrugen. Sie waren es gewöhnt, daß der Mensch ihnen die überlangen Mähnen und Schweife stutzte. Sie liebten die Stimme des Menschen und verstanden seinen Willen. Sie hingen an seiner Witterung und waren eifersüchtig auf seine Hände, deren Liebkosungen sie stolz machten.

Als der Mensch nicht mehr kam, warteten die Pferde wochenlang an den gewohnten Weideplätzen. Dann nimmt der Hengst eines Tages die Richtung gegen die Stadt. Ein-, zweimal ist er hinter dem Menschen hergetrabt, an einem breiten Lasso. Oh, er würde noch im hohen Alter den Weg wiederfinden! Hinter ihm, gehorsam und des rechten Weges gläubig, in kurzem Trab, manchmal aufgaloppierend, in sicherem Gefühl wohin es geht, folgen sieben Stuten, neben denen fünf übermütige Jährlinge ihre Kapriolen treiben.

Durch hohes, welk raschelndes Gras, über aufstäubende Sanddünen führt der Weg. Dann geht eines Abends feuchte Luft vom Strom her, und die grauen Häuser tauchen auf. Der Hengst verhält, wiehert hell und schnauft vor Freude und stolzer Sicherheit. Die 16 Stuten und Jährlinge holen auf, und die kleine Herde der edlen Tiere sichert schnaubend und wiehernd gegen die Wohnungen des Menschen, der ihr Gemüt mit Stolz und Gehorsam erfüllt, der ihr Herr ist, wie er keines Geschöpfes Herr sonst sein kann, weil keines anderen Geschöpfs Gemüt Herrenlust so herrisch bewegt.

Langsam schreiten die Pferde durch die ausgestorbenen Gassen. Da und dort beschnuppern sie eine Tür. Durch leere Fenster recken sie die Hälse und treten zögernd in verlassene Hausflure. Dann wiehern sie kurz auf und schnauben heftig; sie haben die Witterung eines verlassenen Stalles bekommen. Eine Katze schnürt buckelnd und schnurrend her, miaut, reibt sich an den feinen Sprunggelenken und schlängelt sich zwischen den Hufen hin des Hengstes, der sich zu ihr hinabbeugt und sie freundlich abschnuppert. Das jüngste Fohlen bäumt und reißt aus. Die Witterung ist ihm von Urzeiten her verhaßt. Die großen Vettern der Katze, die es zwar noch nicht erlebt hat, riechen ebenso. Die anderen Jährlinge packt sofort der Schrecken, und ihre kleinen Hufe klappern die harte staubige Gasse hinaus. Die Stuten traben den Ausreißern nach. Kurzes Wiehern will sie beruhigen. Aber da ist aus Schrecken schon Übermut geworden, und die Fohlen verhalten erst, als 17 sie gewohnten Boden unter den Hufen fühlen. Gemächlich kommen die Stuten heran.

Der Hengst schreitet als letzter aus der verlassenen Stadt. Er begreift nicht, daß der Mensch nicht mehr da ist. Die Stuten, die ihm ergeben sind und sein Gemüt wohl kennen, merken ihm die Ratlosigkeit an. Auch sie begreifen es nicht, wohin der Mensch gegangen ist. Aber weil sie ihrem Führer ganz untertan sind, werden sie den Menschen bald vergessen. Lange verhält der Hengst unschlüssig vor der Stadt. Seine kurzen Ohren lauschen gespannt nach allen Seiten. Minutenlang richtet er die großen, dunkelbraunen Augen bald zur Stadt, bald ins Weite. Schnaubend holt er Witterung ein, wiehert unterdrückt, tut plötzlich einen kurzen ungestümen Galopp gegen den Fluß hin. Augenblicklich folgt die Herde. Aber der Hengst verhält sichernd aufs neue, wiederholt die beklommene Suche nach dem davongezogenen Herrn, der seine Seele ausfüllt, und wiehert dann hell und unbändig in alle Richtungen. Es ist, als habe er seine Familie vergessen. Er achtet ihrer nicht.

Die Stuten werden unruhig vor seiner Unentschlossenheit, weil sie in allen Fällen sich auf ihn verlassen können. Schnaubend umkreisen sie die Fohlen, treiben sie zusammen und nehmen den Weg zurück unter die 18 Hufe. Sie traben langsam und ohne Freude. Dann und wann bleibt eine stehen, dreht bei und verhofft nach dem Hengst, der unschlüssig kurze Gänge hin und wider tut, angesichts der verlassenen Stadt. Jetzt wirft er auf, schüttelt die Mähne, schnaubt herrisch, peitscht den langen dünnen Schweif um die Flanken und nimmt in gestrecktem Galopp die Fährte der Stuten, die aufwiehernd sich alsogleich in stolzen Gang bringen.

Die Katze, die den Pferden bis an den Rand der Stadt gefolgt ist und aus einem leeren Fenster ihnen nachglotzt, sieht in wenigen Minuten die Herde im Dunst des Horizonts verschwinden. Mannshohes Gras hat sie eingeschluckt. Nur die warme und gute Witterung der schönen Tiere ist noch eine kurze Weile in der leeren Gasse . . .

Die Tage steigen herauf aus den Niederungen der Küste, prunken in Herrschgier und Herrlichkeit über der ungeheuren Grasöde und sinken hinter aufflammenden Mimosen und Akaziengespenstern weit draußen in purpurne Dünste hinab. Hoch wölben die finsteren Nächte sich über der Pampa, und grüngolden hinstaunende Sterne bedrängen einander im schwingenden Raum

Den Tanz der Tage und Nächte, der Gestirne und 19 Gezeiten, der Jahre und Jahrhunderte erfüllt die Glückseligkeit tausendfachen Lebens, das Gesetz tausendfachen Todes und die Mühsal und Beschwerde auch alles Erschaffenen auf der hinstürmenden Erde.

Bald haben die Stuten den Menschen vergessen. Länger als ihnen bleibt er dem Hengst im Gedächtnis. Zuzeiten, wenn die schweifende Herde überwachsene Pfade kreuzt, auf denen der Mensch zu ihnen hinausgeritten kam, wirft der Hengst schnaubend sich herum und galoppiert aufwiehernd hin. Mählich aber schwindet auch ihm die Erinnerung an den Herrn, und ist nichts mehr in aller Weite, dem der Edeling sich untertan fühlt.

Größer wird die Herde, Jahr um Jahr. Junge Hengste werfen sich zu Herren auf über heranwachsende Stuten, trennen sich von den Alten und bilden neue Familien. Lange ist der alte Hengst in den Staub der Pampa eingegangen. Tagelang haben Rabengeier um den Verendenden sich gebalgt, der sich ihrer nicht erwehren konnte. Ein paar Jahre lagen die weißgebrannten Knochen umher und zerfielen mählich.

Fremde Pferde, versprengte und davongelaufene aus den Herden weit nördlich oder südlich hausender Indianerstämme vermischen sich mit den Andalusiern. Das edle arabische Blut der Stammväter wird 20 dünner und rollt nicht mehr so hoffärtig und herrscherlich durch die Abkömmlinge.

Jahrhunderte sind über die Pampa gegangen, und der immer herrlich wiederkehrende Tag sieht ein zahlreiches, verwildertes, struppiges Rossegeschlecht, das sich den harten Gesetzen der Steppe gefügt hat; in zäher Kraft die Gewalt und Herrschsucht der furchtbaren Sonne erträgt; in nassen Stürmen und monatelangen Regengüssen triefend, hungernd, frierend vor dem Ertrinken sich bewahrt; durch die im Überschwang reifende Welt hinstürmend, in unendlicher Weite die unter seinen Hufen dröhnende Erde besitzt; dessen Gewieher hell und kühn, von uraltem Stolz geschwellt und mutigen Lebens voll, den Erschaffer solch herrlichen Geschöpfs preist. 21

 


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