Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Allerhand Fährnis

Die hohe Stute ist trächtig und nahe am Gebären. Wenige in der Herde werden in diesem Frühling ein Fohlen haben. Der Hengst hat sich im letzten Frühjahr nicht sonderlich um die Stuten gekümmert. Er ist alt geworden. Die wenigen, die nahe vor dem Gebären sich fühlen, drängen vorwärts. Sie halten sich nahe an den vorausschreitenden Hengst und beißen die anderen fort. In einer genauen Reihe schreiten sie hinter dem Führer her; in genauer Reihe folgen die übrigen Stuten und Jährlinge. Sie dulden es, daß Mannsräuschlin eng hinter der hohen trächtigen Stute hertrabt. Es muß einen kleinen Zotteltrab einhalten, um den Schreitenden folgen zu können.

Dann geschieht es, daß der Hengst plötzlich bis an die Brust im Wasser watet. Eine breite Bodenmulde liegt quer in der Wanderstraße. Die folgende Stute watet hinterher. Das Fohlen aber verliert plötzlich Grund und Halt. Schnaubend bockt es zurück und prescht an die folgende Stute, die erschrocken aufwiehert. Die Reihe ist zerlöst und staut sich. An dem Fohlen vorbei schreiten die anderen Stuten, beäugen 149 das Scheue und schütteln die Hälse. Die letzte Stute verhält wenige Schritte vor Mannsräuschlin, das sich anschickt, einen Bogen nach rückwärts zu schlagen, zu den Jungpferden, weil es dort auch ängstliche Gemüter gibt. Groß starrt es auf die Stute, die langsam ins Tiefe tritt, dabei sich nach dem Fohlen umschaut und es lockt. Mannsräuschlin starrt, steht vergrätscht und schnaubend; und weil die Stute, die schon bis an die Brust im Wasser watet, es nochmals lockt, tut es einen unsinnigen Sprung mitten ins Tiefe und strebt der Stute nach.

Wenn die schmalen Gelenke der Pferde von plumpen weichen Püffen getroffen werden, so beachten sie dies nicht. Vielleicht eine stoßende Welle, ein herrollender Lehmklumpen vielleicht . . . Oh, keineswegs! Ein Lebendiger hat einen anderen Lebendigen verkostet. Aber die sehnigen Beine und das elastische Fell der Pferde versagen sich einem kostenden Fisch. Und überdies: der Lärm der schreitenden Pferde durch ihre Welt ist den Fischen so neu und schreckhaft auch, daß nur die Unentwegten und Stumpfen an die neue Witterung sich heranmachen.

Panzerleute, die da und dort wie treibende Hölzer, braungrün und halb überspült auf Seichten liegen, rutschen ins Wasser, wenn die Pferde heranwaten. 150

Mannsräuschlin hat sich nach vorne zu der trächtigen Stute gemacht. Deren Gang ist sehr vorsichtig, und ihr Wesen hat eine große Sorglichkeit. Sie ist in ihrem Gemüt ganz eingenommen von dem in ihrem Leib sich regenden Jungen. Mannsräuschlin fühlt eine mütterliche Hegnis, die sie gewiß auch für das neben ihr her zottelnde Fohlen hat. Sie verhält öfter. Das Gehen wird ihr schwer. Das Fohlen ist froh, mit ihr verschnaufen zu können. So geraten beide mählich ans Ende der hinschreitenden Herde und haben sogar die Jungpferde vor sich gelassen. Das Fohlen trottet dann vor der Stute.

Endlich steigt das Land sacht an, und die den Pferden bekannten großen Inseln treten sicher und grün wogend aus dem gelben Gewell. Noch aber ist eine breite Lagune dazwischen, die überquert werden muß. Am Rand der Lagune, der unsichtbar unter der trüben Fläche tief abfällt, verhalten die Pferde und nehmen die Jungen und Jüngsten in die Mitte. Die trächtige Stute hat sich zu dem Hengst gesellt, und Mannsräuschlin ist hart an ihrer Flanke. Angesichts der Inseln rastet die Herde länger und, bis an den Bauch die Jüngsten, weit übers hohe Sprunggelenk die Großen, weiden sie die Spitzen des im Wind und kräuselnden Wasser schwankenden Grases. Da und dort kollert eins dumpf in 151 Leibkrämpfen. Aber die Gestählten halten aus. Sie wissen gut: hier den Schmerzen nachgeben ist sicherer Tod.

Mit dem austretenden Strom kamen in großen Überschwemmungsjahren aus nördlichen und abseitigen Gebieten seiner Zuflüsse seltsame Kerle in die Bezirke der Landtiere.

Sie wandern in der großen Regenzeit von Lagune zu Lagune, kehren manchmal in den Strom zurück, halten ihre Hochzeiten und fressen ihre Kinder gerne auf. Es gibt keine Geschöpfe im ganzen weiten Lebenskreis, die sich etwa hinterlistig und mörderisch ihnen nähern würden. Sie haben einen gewissen und nie fehlenden Tod in ihren Leibern, den sie nach Laune und Lust weithin schleudern. Und sie sind frevelnde Seelen, die die Lust zu töten als große Lust ihres Lebens fühlen.

Es fällt den Pferden nicht auf, daß da und dort, alle Augenblicke kleine schwarze Schnauzen, kaum größer als kleine Luftblasen, über dem Wasser auftauchen und gleich wieder verschwinden. Im niederprasselnden Regen ist die ganze Oberfläche voll aufplatzender Luftblasen, und das feine Geräusch der auftauchenden Zitteraale ist im Tropfengerassel unhörbar. Was nützte es den Pferden auch, wenn sie an die Anwesenheit dieser zwei Meter langen schwarzgrünen Burschen sich erinnerten? Sie müßten doch hindurch, denn in 152 wenigen Tagen wird auch auf diesem Ufer das hohe Gras nicht mehr sichtbar sein.

Der Hengst rutscht den böschigen Rand hinunter und schwimmt hocherhobenen Halses hin. Die trächtige Stute folgt ihm. Mannsräuschlin scheut zurück und gerät wieder unter die Jungpferde. Ältere Stuten beschließen den Zug. Je nach dem Mut und der Gewandtheit der Schwimmenden gelangen sie, schneller oder langsamer, in gerader Richtung oder im Bogen steuernd vorwärts. Die Einzelreihe ist zerlöst; in kleinen Trupps streben die Pferde gegen die Mitte der Lagune.

Dann prescht der Hengst plötzlich das Wasser, daß es schäumend gischtet. Sein Schnaufen wird zu einem heiseren Schrei. Wilder noch schlägt die trächtige Stute um sich, liegt einen Augenblick schief, taucht wieder auf, dreht sich im Kreis. Eine große Verwirrung ist plötzlich in der schwimmenden Herde. Die Pferde schlagen um sich, weil sie davongaloppieren möchten. Weil sie keinen Grund unter den Hufen haben, verlieren sie durch die heftigen Bewegungen das Gleichgewicht, drehen sich wie in Strudeln, geraten mit den Köpfen unter Wasser, schlagen dabei einander gegen die Leiber, haben brausenden Gischt in den empfindlichen Ohren, die Augen sind ihnen dunkel 153 vom verschlammten Wasser. Es ist beinahe wie während des großen Schreckens unter der Augustsonne. Die Jungpferde brechen rückwärts aus und mühen sich, das Ufer wiederzugewinnen. Im weichen Lehm finden sie keinen Halt, rutschen zurück, überschlagen sich, stürzen mit Getöse ins Wasser zurück, kommen prustend und wild schnaufend wieder in die Höhe. Gewieher, rauhes Schreien, prasselndes Wasser und klatschende Schlammgischte wogen durcheinander im rauschenden Regen, daß weit hinab und hinauf die heimlichen Tiere der Lagune aufhorchen, sich gegen den Strudel hin langsam und lüstern in Bewegung setzen oder in stillere Bezirke davonfahren, je nach den Ordnungen ihrer Seelen.

Als der Hengst ins Wasser gestiegen und die Herde ihm gefolgt war, erzürnten sich die Zitteraale, die in Scharen hier hausen. Ihre todträchtigen Leiber gingen sogleich zum Angriff über. Weithin schleuderten sie den Blitz, und nahehin trafen sie sicher die Glieder der Pferde. In breiten Wellen sandte jeder einzelne die lähmenden Strahlen aus. Sie erregten ein solches Gewitter unter der Oberfläche, daß ein dichter tödlicher Ring im Wasser unsichtbar und schrecklich zitternd stand.

Fische und kleineres Getier treiben bald 154 bauchoberwärts zwischen den um sich schlagenden Pferden. In der großen Verwirrung schwemmen, morschen Bäumen gleich, Krokodile sich langsam heran. Rabengeier klatschen mit nassen Schwingen niedrig über der Lagune und schaukeln flügelschlagend und gell schreiend auf den wenigen Bäumen und Gebüschen, die auf dem unsichtbaren überschwemmten Ufer stehen.

Was hätten die Aale von den Pferden? Nichts! Die kleinen Sägemäuler begnügen sich mit geringen Bissen und wären nicht einmal geschickt, die Fesseln der Pferde anzunagen. Oh, was gefiel dem Leben, als es diese Kerle sich erzeugte? Quält es sie mit der großen Spannung? Gab es sie ihnen zum Schutz oder zur Erlangung der Beute? Ach keineswegs! Warum also? Kein Warum! Den Tod, den die Erde und die Lüfte zusammenballen, lüstete es, unter dem Wasser zu wesen. Und das Leben schuf ihm einen Kerl, in dem er tückisch und schrecklich bereit tödlich sich gebärdet. Und das Leben freut sich, daß es diesen Kerl hervorbrachte, und trug ihm auf, am Töten seine Lust zu haben, weil es für das Leben nur das Leben gibt und der Tod ihm der bereitwilligste Dienstmanne ist.

Oder ist er kein Dienstmanne, der Tod? Die Stute lahmte sofort, verlor das Gleichgewicht und geriet unter Wasser. Schnaubend tauchte sie wieder auf; aber die 155 großen Aale, die an ihren Flanken sich hinschlängelten, schickten Blitz um Blitz in den unbeholfenen Leib der Trächtigen. In ungeheurer frevelhafter Lust schlug der Tod auf das zwiefache Leben ein.

Nirgends war Land zu sehen. Die Nebel hingen dicht, flogen in Fetzen übers Wasser. Der Regen rauschte, kalter Wind kräuselte die Lagune. Die Herde schwamm schon im Unsichtigen drüben, und das Geschnauf und Geprassel der Rudernden kam undeutlich und fernher. Die Stute dreht sich im Kreis und schlägt wild um sich. Das Wasser steigt ihr an die breiten Wangen. Sie zieht die Lefzen hoch, wie um nicht zu ersticken. Die großen gelben Zähne blecken. Dann tut sie einen rauhen Schrei, der in dumpfem Gurgeln erstickt. Das Wasser schlägt über ihr zusammen.

Drei Panzerkerle haben gleichzeitig fast sich an ihre Hufe gehängt und sie hinabgezogen. Rabengeier klatschen heran und flügeln kreischend über dem Strudel.

Die schlanken schwarzgrünen Zitteraale haben, von aller Spannung erlöst, sich lange schon schlängelnd davongemacht und tauchen, weit vom Schauplatz, alle Augenblicke friedlich die kleinen Schnauzen in die obere Welt, um zu atmen. Sie haben keineswegs schlechtes Gewissen.

Ist er ein Dienstmanne des Lebens, der Tod? 156

 


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