Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Die Bresche

Als man nach Tagen den Schimmelhengst aus der Hürde brachte, gab es einen harten Kampf, ehe die leidenschaftlichen Tiere voneinander ließen. Schließlich half nur der Lasso den Lippizaner bändigen. Mannsräuschlin scheute vor dem Knecht, der die Stute mit lauten Rufen und mit erhobenen Armen in einen Winkel der Hürde jagte, während der Hengst im Lasso des Menschen hindonnerte, bis hinter dem endlich Bezwungenen die Hürdentür sich schloß. Fletschend und kollernd stampfte er an der Hand des Menschen und war keiner Liebkosung, keinem beruhigenden Wort zugänglich. Immer wieder verkehrte er, wieherte gell zurück und empfing die gehorsame und leidenschaftliche Antwort der jungen Stute. Die begriff nicht, daß ihr großer Gehorsam, ihre tiefe und wilde Hörigkeit, die sie in ihrem Gemüt als das große Gesetz ihres Lebens fühlt, vom Menschen nicht gewollt ward. Tagelang galoppiert sie dann in der Hürde hin, verhofft mit 261 spitzen Ohren nach allen Richtungen, kollert dumpf, wiehert hell; und weil nur fremde Antwort kommt – oh, sie hat in den wenigen Tagen die Stimme ihres Überwältigers genau und fürs ganze Leben ins Gedächtnis genommen! – ruft sie seltener und wird nach vielen Tagen ruhiger. Wenn der Mensch kommt, scheut sie vor ihm. Weil er immer gleichmäßig gut, freundlich und ruhig ist, faßt sie wieder Vertrauen. Mählich dann nimmt in ihrem Gemüt der Mensch die Stelle des unbedingten Herrn, dem man hörig ist, ein.

Man hat einen alten Wallachen zu Mannsräuschlin in die Hürde gelassen, der nach einem langen Leben im Dienst der Menschen, von einem bösen Rheumatismus gepeinigt, sein Alter verdöst.

Wie die Stute das müde Pferd abschnuppert, erwiedert dieses die Liebkosung nicht, beachtet sie nicht.

Der Wallach hat für solche Dinge des Lebens kein Gefühl. Lange ehe Leib und Leben ihm deutlich wurden, hat der Mensch ihn seiner Mannheit beraubt. Das hat ihm nicht jedes Feuer von Leidenschaft ausgelöscht; aber seine Lüste wurden zahm, leicht vom Menschen zu bändigen. In den Wochen nach der Widderwende und Regenzeit überfiel ihn jährlich eine große Unrast, und er ging ungern im Gesträng und unter dem Sattel. Dann kam es vor, daß er einer 262 Stute nachhetzte und ein unbändiges Gelächter der Knechte hinter ihm herscholl. Die hatten ihn bald eingefangen, denn völlig Ernst war es ihm nicht gewesen mit seiner Werbung. Eine Weile verdrehte er noch die Augen, stierte gereckten Halses, wie zurückgesunken in eine gigantische ungeformte Lebensform, aus weißen Augenwinkeln ins Leere, zog stumm die Lefzen vom nackten Gebiß; der Atem ging in großen Stößen, und dann stand er wieder im Gestränge der Menschen, vor einem Wagen oder vor dem Pflug, und vergaß beim Menschendienst, daß er als Hengst geschaffen ward. Jetzt ist er ein alter Mann, und das Leben hat in seinem Gedächtnis die Gestalt eines unendlichen Leitseils, das er durch fast zwanzig Jahre geschleift hat, an dessen Ende der Mensch oder dessen Gemäch hingen. Jetzt ist ihm, wenn die Schmerzen ihn nicht plagen, behaglich und fernwärts zumute, und er liebt den warmen Stall und das Halbdunkel oder die Sonne in der stillen Hürde und die gute Stimme des Menschen, der ihm das Altersbrot reicht.

Die große Dürre ist wieder da. Mannsräuschlin verdöst die heißen Stunden im Schatten des Futterschuppens.

Der Wallach läßt stundenlang die Sonne über seinen steifen müden Leib scheinen. 263

Die Tage glänzen hin, und die funkelnden Nächte rollen ihnen nach. Es geht ein stetes und leises Knistern über die Erde. Selten weht der Wind.

Dann ist eines ruhigen heißen Abends der Nordwind da. Er kommt trocken, heiß und fast unhörbar. In der Weite, aus der er herkommt, flammt der Horizont von fernen Blitzen auf. Man hört den Wind nicht, und kein fernster Donner rollt über das grün funkelnde Firmament. Die Stille unter dem ziehenden Wind und vor der flammenden Ferne ist groß. Gegen die Mitternacht löschen die Sterne aus, und jetzt kommt der Wind in heftigeren Stößen und heult kurz auf. Dann prasselt jäh ein dicker Regen nieder und hört so plötzlich auf, wie er gekommen ist. Die Stille nach dem Geprassel ist wie eine stumme Drohung. Der nördliche Horizont ist eine gelb flammende zuckende Wand, stumm und riesig. Dann schwillt der Wind an und stürmt heulend und ohne Aufhören vom Norden her. Kältere Böen fahren aus Nordwest in den heißen Nord. Es heult aus allen Richtungen der riesigen Nacht. Nach Mitternacht dreht der Sturm plötzlich und fährt aus dem Westen heran. Er fegt über die ungeheure Grasöde hin, und es ist, als entstürzte er heulend dem Feuer, das hinter ihm über den lotrechten Himmel flackert. Die Blitze haben jetzt 264 Gestalt, lecken den Zenit hinan und funkeln blau. Aber ihr Glanz ertrinkt in dem Meer von gelbem Licht, das aus jeder Weite blackt und das Land in farblose gespenstische Helle bringt. Das Gedröhn des Sturms überschwillt den rollenden Donner.

Mannsräuschlin trabt in gestreckten unruhigen Gängen den Zaun der Hürde hin. Es hatte sich schon niedergetan und war eingeschlafen. Da weckte es der Regen. Ho, Regen! Welche Freude ist diese Abschwemme über den heißen Leib! Aber die Blitze! Nie wird man sich an das jähe schneidende Licht gewöhnen. Bis in den Tod wird man Blitz und Donner und Hagel für eine böse Feindseligkeit halten, der man sich mit allen Kräften entziehen muß. Vor den riesigen Flächen des aufbrandenden Lichtes galoppiert die Stute schnaubend mit flatternder Mähne hin und sucht dumpf wiehernd einen Fluchtweg.

Der Wallach ist langsam an die Futterscheuer geschritten und steht dort hängenden Halses mit geschlossenen Augen. Seit Jahren legt er sich nicht mehr auf die Erde. Er kann die Beine nicht genug biegen, sie schmerzen ihn. Vielleicht fürchtet er, daß er nicht mehr aufstehen kann. Seit Jahren schläft er stehend. Die dünne verblaßte Mähne flattert im Sturm, und wenn ein besonders wilder Stoß herfährt, wankt das müde 265 Tier, öffnet die Augen, versammelt sich ein wenig und kollert dumpf. Im Geleucht naher Blitze liegt sein Schatten sekundenlang groß auf der Erde.

Der Mensch hat anfänglich dem heraufziehenden Gewitter wenig Acht geschenkt. Er kennt die Wildheit dieser Zonen und weiß sich ausgesetzt. Er hofft, daß das Gewaltige, rasch wie es gekommen ist, vorüberbrausen wird. Als aber der Nordost plötzlich dreht und, ganz gegen alle Erfahrung in dieser Jahreszeit, der Sturm von Westen her losbricht, da ist vielleicht etwas Ungeheures im Schwang, etwas, das außerhalb des gewohnten Gesetzes dieser Landschaft sich begibt? Man mußte wohl die Tiere abhalftern und aus den Ställen bringen? Es war ungewiß, was kommen konnte.

Plötzlich eine Windstille, über die laut die Donner herrollen. Dann schweigen die, und auch das Geleucht hört nah und fern auf. Das dauert mehrere Minuten, die sehr lang sind. Geschrei von Mensch und Vieh über die Höfe der Siedlung. Die Finsternis ist vollkommen und von stummer Tücke. Wie ein abgründiger Hohn über der geduckten Erde. Fern blacken dumpfe Windstöße. Lautlos und grell geschwänzt fallen plötzlich Sternschnuppen, kreuzen gelbe und grüne Funkenbahnen über den schwarzen 266 Himmelsraum. Das ist absonderlich und unheimlich. Jetzt kommt es aus der fernen Nacht her wie ein majestätisches Gemurmel, als stünden dort Tausende zu irgendeinem Gebet versammelt; die Blitze beginnen wieder zwischen Himmel und Erde einherzufahren. Aus ihrem Bereich sinkt eine schwefelfarbene Dunstwolke, berührt die Kronen der schwankenden Bäume, schiebt sich gegen die Siedlung heran. Aus ihr fahren breite Flammen nieder, und von der Erde fahren sie aufwärts.

Dann bricht es los. Aus Westen, aus dem majestätischen Gemurmel bricht es hervor mit aller irdischen Gewalt. Eine Phalanx von Ästen, Stangen, Brettern, Grasfahnen, abgedrehten Bäumen, ausgerissenen Büschen fährt schmetternd und splitternd vorn her, gleichsam von apokalyptischen Reitern geschleuderte Wurfgeschosse. Weithin schüttert die Erde. Gebrüll der Tiere und Menschengeschrei schallen schwach und sinnlos da und dort aus der Finsternis. In das Krachen zusammenstürzender Dächer, berstender Mauern schwillt das Rauschen einer Sintflut und steht viertelstundenlang über dem verwüsteten Land, indes das Splittern und Bersten hinausfährt in die schwarze Weite und dann in einem majestätischen Gemurmel erstickt. Das war der Tornado.

Eine Stunde später rollt der weiß glänzende 267 Sonnenschild im Osten herauf und schwimmt im blauesten Himmel, über den da und dort lange weiße Wolken schiffen. Aus der mißhandelten Erde steigen Nebel auf und ziehen gelb und zerfetzt über die verwüsteten Gründe.

Es steht nicht mehr viel von der Menschensiedlung. Rinder und Pferde, Schafe und Ziegen schweifen ziellos durch die Ebene. Sie traben und laufen in einem großen Kreis und suchen die Ställe. Da und dort beschnuppern sie sich mit liegenden Tieren, die der Sturm und seine Geschosse niedergestreckt haben. Dann heben sie zu grasen an, als wäre nichts geschehen, und sind mit dem hellen und kühlen Morgen sehr zufrieden.

Von der Futterscheuer an der Hürde stechen wenige Sparren sinnlos in die Luft. Der Wallach liegt erschlagen unter Brettern und Pfosten.

Mannsräuschlin ist fort. Durch eine Bresche ist die Stute ausgebrochen und ist in wildem Galopp, im Geleucht der Blitze ziellos in die Pampa gestürmt. Als der Tag kam, war sie fern dem Bereich aller bekannten Stimmen und gewohnten Wege.

In langen Gängen trabt Mannsräuschlin unterm blauen Himmel in die große Freiheit. 268

 


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