Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Terzett

Immer noch gibt es auf der großen Bühne Mitspieler, die ein junges Pferd zur Neugier reizen. Auch sind die Läufte des Jahres verschieden und nicht alle dazu angetan, Neugier zuzulassen. Wenn man hart um sein Leben kämpft, ist kein Raum für solche Süchte des Verstandes. Man braucht ihn dann zum nackten Leben.

Jetzt im Mai ist das Dasein sehr sorglos; Leib und Seele in schönem Einklang, daß der Verstand abenteuernd weiter marschiert, als die hohen Beine und ein hungriger Magen sonst von ihm fordern.

Welch eine Neuigkeit ist es für Mannsräuschlin, als es, durchs herrlich saftige und pralle Gras hinzottelnd, plötzlich eine unbekannte und widrige Witterung in die Nase bekommt. Zuerst tut es einen Seitensprung und wartet, was da aus der Witterung kommen würde. Weil nichts sich ereignet, nur ein eintöniges Gesaus und Gerassel hörbar ist, das natürlich den 196 Verstand reizt, schreitet das Fohlen sehr vorsichtig und überaus neugierig seiner Nase und den kurzen Ohren nach.

Dann gewahrt es auf einer Sandwelle, vom hohen Gras umbuscht, einen Knäuel Lebendiger, die diesen widrigen Geruch ausschicken und den seltsamen Lärm. Groß äugt das Fohlen und schnuppert gestreckten Halses und spielt erregt mit den Ohren. Es tut keinen Schritt weiter gegen das Seltsame. Unendliche Fremde ist zwischen ihm und diesen übelriechenden Mitspielern. Scheu und plötzliche Angst überfallen Mannsräuschlins Gemüt. Es wirft auf und trabt davon.

Und das war klug von dem Fohlen. Ein halbhundertfältiger Tod liegt da auf dem Sand, verknäuelt, glänzend gewandet, aus feurigen Augen funkelnd, tödlich lebendig, fürchterlich behend, jeden Augenblick bereit, sich loszulassen.

Die Klapperschlangen haben Hochzeit. Sie haben seit der Steinbockwende geschlafen. In schwarzen Schlüften, in Baumhöhlen, in Erdlöchern sind sie starr und kalt und wie tot gelegen, da eine, dort eine; denn sie sind selbstsüchtige einzelne. Dann hat die Sonne über ihren Schlafhöhlen geschienen, und vor der Wärme haben sie zu blinzeln angefangen. Bald haben sie sich lebendig gefühlt und haben begonnen, den 197 Schlaf sich aus dem Leib zu winden. Eines Morgens dann sind sie vor die Schlüffe gekommen, da eine, dort eine, und sind stundenlang in der Sonne gelegen. Dann ist ihnen gewesen, daß zum neuen Leben ein neues Gewand gehört. Das haben sie sich schon wintersüber angeschafft, und jetzt ziehen sie das alte aus. Damit haben sie ihr vorjähriges Dasein abgestreift und heben ein neues, herrlich-freies Leben an. Sie wissen sich klug und sicher und über die Maßen frei auf der großen Bühne. Sie haben fast keine Feinde, denn alles Lebendige flüchtet vor ihnen, wenn sie gemachsam sich herschlängeln. Sie sind weise und kennen ihre Gewalt über alles Lebendige. Der heimliche und fürchterliche Tod, den sie mit sich herumtragen, schafft ihnen kälteste und hoffärtigste Seelen. Viele Jahre sind ihnen zugemessen, und sie durchstreifen die Räume und Gezeiten des Jahres sicher und selbstbewußt.

Magische Ströme ihrer Seelen und Leiber leiten die einzelnen während der Liebeszeit zueinander. Dann begegnen sie einander und umschlingen sich, fauchen vor Hochzeitslust und rasseln mit den Hornschwänzen. Da und dort hören, wittern und fühlen sie andere, die auf Liebeswanderschaft sind, und kommen heran. Immer mehr, immer schöner gewandete und größere; denn die älteren der Sippe schlafen tiefer und winden sich 198 unfroher aus den alten Gewändern. Dann freilich sind sie besonders festlich geschmückt und tragen auf den braungelben Schabracken dunkle Male, die gelblich gesäumt sind und in der Sonne schillern. Ihre großen Rasseln gebrauchen sie heftig, und alles Getier entflieht vor diesem schaurigen Geräusch, das wie der Tod selber ist.

So verschlungen liegen sie tagelang, ein höllischer Knäuel, und recken die giftigen Köpfe nach außen, blicken aus bösen kaltfunkelnden Augen.

Das schnaubende Fohlen hat sie erbost. Ohnehin dauert ihre Hochzeit schon tagelang. Jetzt lassen sie, gereizt durch die Huftritte des Pferdes und in ihrer Heimlichkeit aufgestört, in einem Augenblick und wie auf Verabredung fast, einander los und fahren in alle Richtungen der Welt auseinander. Die eben noch leidenschaftlich Verschlungenen werden, wenn sie morgen einander begegnen, achtlos und kaltherzig und ohne zu fauchen und zu rasseln, stumm und fremd aneinander vorbei sich schlängeln. Aber sie begegnen einander wahrscheinlich erst im wiederkehrenden Mai. Sie sind Einzelgänger, und jede hat ihr Revier, dem die andere ausweicht.

Wenn Mannsräuschlin nachts um die Wege wäre, nicht in der Herde schliefe, gewahrte es seltsame 199 Szenen, die drei ganz verschiedene Komparsen unterm weißen Sternenlicht spielen.

Da sähe das Fohlen eine große Klapperschlange sich aus einer Hamsterhöhle schlängeln. Und wenn das Fohlen, das ja nun den allgegenwärtigen Mord und Tod in der weiten Steppe schon oftmals gesehen hat, meinte, daß die braune Schlange den Hamster getötet habe, hätte es eine falsche Merke in seinem Jährlingsverstand.

Die Klapperschlange hat sich in der Hamsterhöhle eingemietet. Es war bald nach der großen Hochzeit und an einem heiß aufsteigenden Maimorgen. Sie ist eine Nachtwandlerin und meidet das blitzende Licht. Die Erde war weit hinab schon warm und trocken. Da wanderte sie nach nahrhafter Jagd, auf der sie zwei Frösche und einen Junghasen getötet und verschlungen hatte – oh, sie tötet und wartet den Tod ab, ehe sie schlingt; der folgt freilich fast im Augenblick auf ihren Biß –, zwischen den unzähligen Hamsterlöchern umher, reckte den flachen Schädel in die Röhren, windete und wählte. Als ihr eines dieser Löcher gefiel, machte sie sich aus der Sonne. Da unten wird sie herrlich verdauen und den Tag und vielleicht mehrere Tage verschlafen.

Wie sie hinabschlurft, kommt ihr eine Eule entgegen, 200 die auf Jagd fahren will. Die Braune zischt ein wenig, und die Eule klappt mit dem Schnabel, starrt aus großen gelben Augen, macht schlank und schlüpft an der Schuppigen vorüber in den Tag hinaus.

Sie hat ihren Mann draußen, dem sie sehr anhänglich ist. Der ist auf Jagd nach Mistkäfern und Mäusen. Sie hat ein wenig gedöst und setzt sich jetzt vor der Röhre draußen in den Sand, blinzelt bald mit dem einen Auge, bald mit dem andern, überlegt die Begegnung mit der Schlange und tut dann einen sanften schönen Flötenruf, der traurig klingt und ernsthaft, wie ihr Gesicht und wie die Dämmerung über der weiten Grasöde. Oh, sie ist keineswegs ein trauriges Seelchen. Im Gegenteil! Sie liebt ihr vielfältiges und lebhaftes Leben sehr, und ist ein behendes und zierliches Geschöpf. Warum aber sollte in der weiten Pampa, neben dem stolzen Gewieher der Pferde, neben Mord- und Todschreien vieler Räuber, neben dem häßlichen Gekrächze der Leichenfresser, die schwermütige Ansicht dieser Landschaft, wie sie zuzeiten ist, nicht auch ihren Ton und feinen Ausdruck haben?

Auf den dunklen Ruf kommt der Eulenmann heran. Lautlos fliegt er und nicht hoch über dem Boden. Er hat eine Maus in den Fängen, die er vor die Eule 201 hinlegt. Die klappt mit dem Schnabel, rädert die großen Augen und schlingt langsam und behaglich. Er hat sich dicht neben sie gesetzt. Ihre schönen Federgewänder plustern sich fast ineinander. Sie haben die feinen Köpfe einander zugewendet, beäugen sich groß, klappen mit den Schnäbeln, schnäbeln sich ab, hocken breit auf gefiederten, scharf bekrallten Füßen und sind mit dem Dasein sehr zufrieden, sind heiter und lieben sich überaus.

Dann hören sie herankommende Huftritte. Wie die Grasbüschel über der Sanddüne sich teilen, steht Mannsräuschlin groß da, und der steile Schatten seines erhobenen Halses und Kopfes fällt scharf auf die gefiederten Leute. Sie klappen erstaunt mit den Schnäbeln, und sogleich spielen die feinen Ohren des Fohlens zu ihnen hin. Oh, sie haben sich keineswegs erschreckt; sie kennen diese hohen stampfenden Leute seit sie leben. Wie oft donnern die über ihre dunklen Verstecke, daß die Lehmwände zittern und Sandriesel und Geklumpe hinabkollern. Sie sind ihnen nicht gut und nicht böse, sie fürchten sie nicht und haben nichts mit ihnen.

Auf Halslänge läßt das Eulenpaar das Fohlen heran. Denn natürlich ist Mannsräuschlin dem feinen Laut der klappenden Schnäbel nachgegangen. Sein 202 scharfes Ohr sagt ihm nur: wo, nicht: was. Aber man muß bestimmt wissen, was da lärmt, damit man, wenn man es wieder hört, gleich die Merke aus dem Gedächtnis holen kann. Und das Fohlen schickt sich an, aus nächster Nähe zu beäugen, zu beschnuppern. Vor allem zu beschnuppern! Denn die Nase ist nächst dem feinen Ohr der sicherste Beistand eines Pferdeverstandes und Gedächtnisses.

Gott befohlen! So lange warten zwei behende und stolze Vögel nicht. Das tiefe Schnauben des riesigen Kerls, der warme Dunst und Atem sind unbehaglich. Man hat zwar wenig Feinde und hat ein friedliches Gemüt; aber man hat ein sehr empfindliches Selbstgefühl und gibt sich nicht so einfach der Neugier preis. Man treibt sich zwar stundenlang in der Nähe der Rosseherden umher, weil nirgends sonst die Mistkäfer so fett und schmackhaft sind. Aber man ist ein Lebendiges für sich, und die Rosse sind für sich, und allzu nahe und absichtliche Nähe empfindet man als Störung seines friedfertigen Daseins. Also flattert man mit klappendem Schnabel, mit rollenden Augen und lautlosen Flügeln auf und setzt sich ein wenig entfernt einträchtig wieder hin.

Mannsräuschlin hat aufgeworfen und äugt dem Paar nach. Oh, das Fohlen ist zu Spiel und Spaß 203 aufgelegt. Es trabt den Ausreißern nach. Die flöten kurz, klappen, stehen auf und tun sich in kleinem Abstand aufs neue nieder. Vielleicht macht es ihnen Spaß. Mit den Mäusen geht es ihnen manchmal ebenso. Nur daß sie dann die Verfolger sind, und daß das kein Spaß ist. Auch fliegen sie ungern weit und sind natürlich auch sehr neugierig.

Eine Weile treiben diese ungleichen Leute gemeinsamen Scherz. Dann fliegt unter den Hufen des Fohlens ein Lehmschöllchen auf und kollert über den Boden hin. Sogleich ist der Eulenmann darüber her. So heftig hat er steil mit beiden Fängen sich darauf gestürzt, daß er das Gleichgewicht verliert und flügelschlagend fast sich überschlägt. Mannsräuschlin stutzt und verhält; und jetzt kann es den Gierling wahrhaft beschnuppern. In seiner Jagdlust über den Lehmklump gebeugt, den er für einen herfliegenden Mistkäfer gehalten hat, merkt der die Nähe des schnuppernden Pferdes erst, als von dessen starkem Atem die Federn sich plustern. Da hat er auch den Betrug erkannt, und weil er unter der Pferdeschnauze nicht auffliegen kann, läuft er ein paar behende Gänge, flügelt dann auf und hört den feinen Flötenton seiner Frau ihn rufen. Die hat sich im Bogen nach rückwärts gemacht und hockt rollenden Auges neben dem Höhlenrand. Wie er lautlos 204 heranschaukelt, schlüpft sie in die Röhre hinab, und er folgt ihr. Die Erde hat das Paar eingeschluckt.

Als Mannsräuschlin, das mit ein paar Schritten heran ist, die Röhre hinabschnauft, kommt ihm eine seltsame Witterung in die Nase. Der Hamster dunstet in der warmen Höhle, das gefiederte Paar plustert sich an der ersten Gangbiegung, und die häßliche Ausdünstung der verdauenden Schlange ist stark und widrig. Das Fohlen vertrollt sich nach diesem spaßhaften Erlebnis zur nahen Herde.

Wenn der Hamster gegen Abend aufwacht, paßt es ihm schlecht, die Klapperschlange in der Familienwohnung zu gewahren. Aus oftmaliger Erfahrung aber weiß er, daß es Auflehnung gegen diese Leute nicht gibt. Auswandern könnte man. Das aber paßt ihm erst recht nicht. In großer Arbeit hat er den Bau hergestellt, ihn jahrweise immer erweitert und behaglich hergerichtet. Er ist absolut kein Freund von Neuerungen und Veränderungen in seinem fettglänzenden Leben. Er rutscht um die Dösende herum, schimpft und schnauzt sie an, daß die zu blinzeln anhebt und zu züngeln. Pah, das kennt er! Wie sie aber den flachen Schädel auf den Leibringen langsam aufreckt und ihn anfunkelt, macht er sich schnaufend davon. Schließlich, seine Kammer ist groß; Röhren hat er genug zum Aus- 205 und Einschlüpfen. Die Schlange will nichts von ihm, ist zufrieden, Dunkel und Wärme zu haben, macht sich gegen Abend meistens davon, kommt morgens wieder und liegt oft tagelang verknäuelt still in einem Winkel. Gewalt gegen sie wäre sinnlos, kostete das Leben, das feiste herrliche Hamsterleben.

Wenn der Hamster von seinem Weidegang, der ihn nicht sehr weit vom Bau hinwegführt, zurückkehrt und schwatzend und spielend in der Nähe der Schliefröhre mit den Sippen sich des Lebens unter der hohen Sommernacht freut, stört ihn das gefiederte Paar, das im oberen Teil der Röhre bald emsig sein Nest bauen wird, keineswegs. Er hat noch immer Platz, daran vorbeizuschlüpfen, und schnauzt höchstens ärgerlich, wenn die Eulenfrau ihm quer im Weg hockt. Die macht sogleich schlank und läßt ihn vorbei.

Dann rasselt es vielleicht dumpf in der Höhle drunten. Die Klapperschlange ist munter und hungrig. Schlurfend kommt sie den Gang herauf, züngelt in die warme Nacht und hört die dünnen dunklen Flötentöne des Eulenpaares, das auf Jagd ist. Dann ist sie im Gehalm verschwunden.

So friedlich leben die drei so verschiedenen Seelen nebeneinander durch die hohen Läufte des Jahres. 206

 


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