Josef Wenter
Mannsräuschlin
Josef Wenter

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Übeltäter

Die schöne Erde rollt den Kreis wieder hinan. Es geht gegen die Widderwende, und die Regen werden dünner. Tagweise flaut der kalte Südost, und gegen Mittag kommt manchmal eine warme Bö mit einer schönen Verheißung aus Nordwest. Die Sonne geht als bleicher Schild hinter dünnerem Gewölk hin; sie ist wieder da, geheimnisvoll und fremd noch über dem sich fassenden, herauftauchenden Land. In wenigen Tagen ist der große Strom zurückgetreten und hat die Schwemmwasser hinter sich her ins riesige Bett gezogen. Feuchte Spiegel, tiefer Morast und Schlamm und die großen Lagunen schimmern im grauen Tag.

Die Pferde haben die höheren westlichen Bezirke verlassen, haben auf ihre Schwimmkünste vergessen und kehren in die Landschaft ihres Daseins zurück. Mannsräuschlin kann jeden Tag ein Fohlen bekommen. Die Stute hält sich zu den älteren Mutterstuten, 318 die auch trächtig sind. Man galoppiert nicht mehr, man trabt wenig; der zähe Schlamm ist im Schritt am leichtesten zu überwinden. Grünes Gehalm sticht da und dort, wo das Wasser schon länger abfloß, aus dem Boden. An solchen Orten verweilt die Herde länger. Man hat kein eigentliches Ziel. Der Kreis ist unendlich und herrlich und hat wieder einmal begonnen. Man schweift so hin, und der heraufkommende Frühling rührt Leib und Seele stark und freundlich an.

Der Übeltäter hat eine seltsame Zuneigung zu Mannsräuschlin gefaßt. Fast immer ist die struppige böse Stute in Mannsräuschlins nächster Nähe. Eifersüchtig beißt sie das Jungvolk von der Trächtigen fort. Besonders ergrimmt aber ist sie, wenn der braune Hengst heranpoltert und sich mit Mannsräuschlin abschnuppert. Wenn sie ihn herantraben sieht, fletscht sie das gelbe Gebiß und tut häßliche niederträchtige Schreie, daß der Braune ausbiegt und von der anderen Seite herankommt. Er ist ein guter Kerl, der braune Hengst. Der Einaug hätte kurzen Prozeß gemacht, und wahrscheinlich fehlte dem Übeltäter längst ein Ohr, und der Widerrist hätte tiefe Narben. Ho, da hätte die Stute wohl klein beigegeben? Keineswegs hätte sie das! Aber vielleicht wäre sie lange ein vergrimmter Einzelgänger geworden und zottelte nur in 319 Sichtweite hinter einer Herde her. Nun, es ist nicht sicher, was der Braune im Mai, wenn ihn die große Leidenschaft hat, tun wird. Natürlich wird er mit der bösen Struppigen kein Fohlen haben. Aber weil in jenen Läuften Haß und Herrschsucht sehr nahe bei den anderen großen Wallungen im Gemüt sind, ist es wohl möglich, daß der Übeltäter den Herrn der Herde zu spüren bekommt.

Die Pferde sind an die stundenweite hohe Uferböschung einer großen Lagune gelangt. Auf diesem Ufer steht grünes Gras schon dicht. Sie weiden nach den langen Wochen, in denen es nur kümmerliche halbverweste Halme oder verschlammtes Gezweig und Gebüsch gegeben hatte, in allem Behagen sich satt.

Ja, da weidet nun der Übeltäter friedlich und sanftmütig neben Mannsräuschlin und läßt die Trächtige nicht aus den Augen. Jetzt schreitet die Struppige auf Mannsräuschlin zu und schnuppert den braunen Widerrist hinab. Die wirft auf, und die beiden Tiere beäugen sich gutherzig und schnuppern sich ab. Aufmerksam betrachten die Mutterstuten das seltsame Ereignis. Der Übeltäter, die Bissige, die Heimtückische schnuppert freundlich! Was es alles gibt! . . . Ja, was alles! Und sehr geheimnisvoll! Was ist das für eine Verwandtschaft? Wo ist der blanke versteckte stille 320 Weiher in dieser struppigen Landschaft, in dem das Wesen Mannsräuschlins verwandt und geheimnisvoll sich spiegelt? Die Stuten haben es bald nach Mannsräuschlins Ankommen gesehen, daß die Böse mit dem Kömmling anders verfuhr. Ja warum? Nichts: warum! Es ist so, und ist geheimnisvoll. Und wahrscheinlich ist die Fremde auch eine Ausgesetzte wie die Böse? Nicht so behaglich versippt in den Verwandten? So ausgesetzt, wie es der Übeltäter war, als er ins Leben kam? . . . Jetzt hat Mannsräuschlin seinen Hals auf dem Widerrist der Struppigen liegen und kaut und starrt aus blanken Augen ins Weite; und der Übeltäter hält still und kollert zufrieden. Was es alles gibt!

Nein, sehr fein ist die Nase der Pferde nicht. Über ein Dutzend Galoppsprünge wittern sie nicht mehr genau; und wenn der Nordwest trocken und warm daherkommt und man ihm überdies die Kruppe zukehrt, kriegt man nicht einmal die scharfe und schreckliche Witterung des Jaguars in die Nase. Ja, und dann kommt es eben, wie es kommen kann.

Der schöne gelbhäutige Bursch, keineswegs ein alter Mann, oh, in den leidenschaftlichsten Herrenjahren, hat sich, als das Wasser zurücktrat, an die Lagunenufer gemacht. Nicht, daß er etwa wasserscheu wäre. Im Gegenteil! Er ist ein ausgezeichneter Schwimmer, 321 wenn es ihm darauf ankommt. Aber es kommt ihm jetzt nicht darauf an. Lagunenufer sind fröhliche und mühelose Jagdgründe. Schon eine Woche, seit der Strom sich zurückgezogen hatte, treibt der Mordkerl sich da im hohen Gras herum. Es gab in der langen Regenzeit viele Fasttage. Jetzt soll es Festtage geben, hat er sich vorgenommen. Jawohl! Oder ist das kein Festgericht, ein großer fetter schwärzlicher Fisch? Ho! Und diese Jagd braucht keineswegs größere Geduld als jede andere Pirsch. Nicht wahr? Man schlängelt das Ufer hin und kundschaftet die Wechsel aus, wo die großen Schwimmer hinziehen. Dort tut man sich nieder, kauert so geschickt, daß der Schatten nicht aufs Wasser fällt und man überhaupt möglichst nicht gesehen wird. Dann kommen sie heran. Vielleicht rutscht ein Lehmbröckchen ab? Hallo! Oh, die neugierigen, immer hungrigen Fische! Ach das Kleinzeug, das immer so wichtig tut! Aber jetzt kommen die Großen heran, die schon einiges von der Falschheit und Tücke des Daseins erfahren haben. Ja, auf die hat man gewartet, auf diese Burschen mit den kalten erfahrenen Augen. Da rudern sie heimlich und ohne Strudel heran und wollen dem Kleinzeug nicht geradezu ihre Neugier zeigen. Was hat es mit dem Hallo der Kleinen? Ho? . . . Tschack! Das hat es damit! Jawohl! Ein recht anderes 322 Hallo! Die Tatze des gelben Burschen war einem schwarzen Alten ins Rückgrat gefahren und hat ihn in schönem Bogen aufs Trockene gebracht. Eine famose, ein höchst vergnügliche Mahlzeit!

Eine Woche lang Fische essen ist eintönig. Es gibt noch andere Lebendige, die zwar ohne besondere Neugier leben, ihr Dasein einzeln und zu hohem Alter treiben, und nicht zu angeln sind. Man kennt sie gut, und vor der Regenzeit sind sie nicht sehr rar. Da schlurfen sie zu Hunderten durchs Land und legen Eier. Oh, welche Delikatesse sind diese Eier! Jetzt im März gehört schon Klugheit und natürlich Glück dazu, einer Schildkröte zu begegnen. Und der Mordkerl hat Glück.

Da drüben schwimmen ein paar von diesen Gepanzerten, die sich wahrscheinlich erst aus ihren Gräbern gewühlt haben und noch dumm und verschlafen, aber hungrig sein werden. Man müßte diese Leute doch nicht kennen, wenn sie nicht gegen Abend an Land stiegen, um Gras zu futtern. Ein Tag dauert lang, wenn man flach liegen muß und unentwegt auf einen flachen Schädel draußen im Wasser starrt, damit der einem nicht abhanden komme. Natürlich rudert sie gegen die Dämmerung ans Ufer. Ho, welche Leisetreterei! Wie er sich anpirscht, der gefleckte Kerl! Es plauscht ein wenig; nicht laut, denn auch die 323 Schildkröte ist eine Heimliche . . . Uff! . . . Jetzt ist sie aus dem Wasser. Das Gras rauscht und knickt unter dem Zentnergewicht. Die Halme stürzen ineinander, und es schleift und schlurft ganz nahe vor den glühenden gelben Lichtern des Jaguars.

Der gibt das Heimlichtun auf. Was kann noch geschehen? Nichts! Er ist schon über der Gepanzerten, hat sie mit den Vorderpranken umfaßt und liegt in aller Länge über dem großen Rückenschild. Er knurrt vor Jagdlust und Halali und peitscht den Schweif wie eine Siegesfahne.

Die Schildkröte ist eigentlich nicht mehr da. Nur ihr Gehäuse liegt ganz unberührt von dem Vorfall da. Darin kauert sie mit geschlossenen Augen und wartet, was kommen wird. Was sollte kommen? Nichts natürlich! Wozu ist man so gerüstet? Man hat allerhand Feindseligkeiten erlebt. Man lebt ja schon an hundert Jahre. Aber diese Feindseligkeiten ließen nach Stunden immer los. Es war nichts! Was es war, kümmert einen ja nicht. Vorbei! Gut! Leben wir weiter! . . . Recken wir uns wieder ins Leben hinaus! Plagen wir unseren Verstand nicht mit dem Abenteuer. Man ist dem Dasein blind ergeben und gläubig, und ein wenig Staunen und Kauern kann einem das Vertrauen nicht erschüttern . . . Mehr erschüttert wird 324 man von dem, was sich jetzt begibt. Wie ist das? Man ist doch aus dem Wasser gestiegen? Und trotzdem wird man um sich selber gedreht? Wie ist das? Jetzt liegt man auf dem Rücken, und der Umsturz hat einen gut durcheinandergeschüttelt. Das ist neu und gegen alle Erfahrung! Man reckt den Kopf aus dem Panzer. Ja, es ist so, und die Welt über einem ist unendlich und einförmig wie das graue Wasser.

Tschack! Mitten ins Gesicht. Man vergißt den Kopf einzuziehen. Wahrscheinlich hat man keinen mehr; alles dreht sich, und man gerät wohl auf Grund? Man weiß gar nichts mehr . . .

Und das ist gut! Wenn es dem Jaguar, nachdem er die Schildkröte auf den Rücken gewälzt hatte, eingefallen wäre, etwa von hinten her das Panzergehäus mit den Klauen auszuräumen . . . welch schreckliche Marter! Und es hätte ihm gut einfallen können, denn nicht wahr, schließlich ist es ja egal, wo man zu futtern beginnt, wenn das Wild nur nicht mehr davon kann. Deshalb legte man es doch auf den Rücken! Ho, man ist ein abgefeimter Nimrod! Ja, es war gut, daß sie neugierig den Kopf herausreckte, die Heimliche. Die gewaltige Ohrfeige half ihr rasch aus dem Leben.

Als der Jaguar nach einer guten Stunde das Geschäft beendigt hatte, lag der leere Panzer so sauber 325 ausgeraspelt da, daß die schwarzen Leute, die seit einer Viertelstunde in einem respektvollen Kreis herumhocken, nicht einmal mehr die Haftmuskeln finden, so weit sie auch ihre Gierhälse in das leere Gerüst recken. Sie krächzen erbittert und enttäuscht. Der Mordbursch beachtet sie gar nicht. Er tut sich unweit nieder und hält einen guten Verdauungsschlaf.

Gegen Morgen pirscht er sich das Ufer abwärts. Plötzlich verhält er und duckt sich. Der Tritt vieler Hufe ist überm Grasboden, und der bebt leise unter seinem weißen Bauch. Ho, Pferde! Zwar, noch hat er es nie gewagt! Aber heute? Warmblüter, nach so kalter Kost? Soll man es wagen oder sich davonmachen? Man wird rekognoszieren! Sie sind ja nicht besonders gescheit, diese hohen Stelzer mit der herrlichen Witterung. Wenn man den Hengst umgehen könnte . . . man gelangte vielleicht an ein Jungpferd? Aber den Hengst umgehen, ist ein Kunststück. Es ist einem noch nie gelungen. Natürlich, da klatschen die schwarzen Leute auf! Jetzt wird der Hengst mißtrauisch. Man tut sich sofort flach nieder und unterdrückt das kärgliche Knurren, das einem in der Kehle sitzt. So wartet man, wartet und horcht mit spielenden Ohren und achtet auf das leise Beben des Bodens und hat große gelb funkelnde Gieraugen. Kommen die Pferde? Wechseln sie die 326 Wegrichtung? Muß man ihnen wieder den Wind abgewinnen? . . . Nein, sie kommen da seitlings vorbei, etwa fünfzig tüchtige Sprünge weit. Natürlich gehen sie nicht in die Schwemme! Jetzt, nach dem langen Regen! Aber das frische Gras am Rand, das einem auch zuzeiten schmeckt, das suchen sie auf. Los also! Man muß ihnen in den Rücken kommen!

Oh, welch schöne und gefährliche und lustvolle Leisegängerei! Hat er es der Klapperschlange abgeschaut? Wie er sich um die Grasbüschel windet, daß die hohen Halme nicht verdächtig zu wanken beginnen! Oh, man hält nicht viel von der Klugheit der Pferde; zu oft schon hat man sie überlistet, ohne daß sie es gewahr wurden. Aber besser ist besser!

Jetzt nähert man sich gegenseitig. Die Pferde schreiten heran, und der Mordkerl pirscht flach überm Boden. Jetzt hört er schon den starken Atem und das Raufen im Gras, und da und dort kollert und schnaubt es. Aber noch sieht er nichts.

Vorsichtig schreitet die Herde fürbaß. Der Hengst ist um ein paar Längen voraus und sichert sorgfältig, verhält alle paar Gänge, äugt, horcht, schnuppert. Das Aufstehen der schwarzen Leute bedeutete wohl etwas? . . . Die Stuten sind sorgloser. Sie vertrauen dem Führer und haben wohl nichts im Sinn als das 327 buschige hellgrüne Riedgras dort drüben am Lagunenrand. Die Fohlenmütter freilich sind ängstlich, und sie lassen ihre ein- und zweijährigen Bürschchen nicht von der Flanke. Gehorsam zotteln diese Übermütigen in kleinem Schritt neben oder vor den Müttern her. Wie immer auf Wanderschaft gehen die Pferde in einer Reihe hintereinander. Die trächtigen Stuten, denen die Wanderschaft eine Mühsal ist, beschließen den Zug. Als letzte schreitet der Übeltäter hinter Mannsräuschlin her.

Der Jaguar hat sich auf Sichtweite durchs Gras gepirscht. Er hat Glück. Das Gras ist so naß, daß es nicht besonders raschelt. Es kann auch der Wind sein. Der blackt unregelmäßig, und er hat ihn jetzt mehrere Minuten herrlich vorne gehabt. Ha, da kommen sie! Niemand wittert ihn, niemand äugt genau; sie streben alle nach vorwärts. Ja, da hat er die Wahl, der schöne gelbe Mordkerl.

Der Hengst ist vorüber. Stuten kommen. Ha, Fohlen! Man rutscht bäuchlings vorwärts. Man hat Mühe, Kehle und Schweif im Zaum zu halten. Peitschen und knurren jetzt, das wäre ein schöner Jäger! Aber die Fohlen! Speichel trieft von den Lefzen. Herrlich ist die Witterung dieses Jungvolks! Aber mitten in den Zug einbrechen? Auch ist man noch nicht in 328 genauer Sprungweite. Zwei Sprünge wird man wohl daran wenden. Mehr aber ist gegen jedes Herkommen. Auf eine einzige Sprunglänge sich heranpirschen ist hingegen wieder unpraktisch. Man könnte doch gewittert werden, und es gibt vielleicht Tapfere unter diesen schlagkräftigen Leuten? . . . Man rutscht noch ein wenig vorwärts und ist nun nichts als ein einziges Sprunggelenk, ein Blitz aus einer geballten Wolke von Kraft und Gier.

Mannsräuschlin schreitet daher. Die Stute schnauft stark, und es ist wohl bald soweit, daß das Fohlen des weißen Hengstes seinen Auftritt haben soll auf der großen herrlichen Bühne. Hinter der Stute schreitet der Übeltäter. So knapp schreitet er, daß Mannsräuschlins Schweif über seine Nüstern fegt. Der Übeltäter hat sehr wache Sinne. Bösheit und Haß halten sie wach, und sein Mißtrauen ist groß. Was für ein argloses Gemüt hat Mannsräuschlin dagegen!

Jetzt ist es aber Zeit! Der Zug ist bald aus. Man hört keine Schritte mehr . . . Los also! . . . Oh, schöner, biegsamer, lautloser Sprung! Herrliche Schleuder! Schlankester Pfeil!

Ja! Aber im gleichen Augenblick, als drüben die Sehne schnellt, kriegt der Übeltäter den Wind und die scharfe Witterung in die Nase. Die Stute tut 329 einen gellenden Schrei, daß Mannsräuschlin mit einem erschrockenen Satz nach vorne prescht. Der Übeltäter tut einen Satz gegen den Jaguar, der zum zweiten Sprung aufschnellt. Hat sie ein Fohlen zu schützen, die böse Stute? Ist Mannsräuschlin etwa ein Fohlen? Wer weiß es?! . . .

Es geht so fürchterlich schnell, wie alles, was von Haß und Wildheit geschnellt wird.

Da rollen sie im Gras! Es ist ein Gebrüll und Gefauch, ein heiseres Kollern und haßerfülltes Gurgeln, daß die Pferde in riesigem Galopp davonfahren. Die schwarzen Leute horchen gespannt auf, und alles Lebendige macht sich geduckt hinter den Wind.

Der Sprung war unsicher, weil das Roß sich gebäumt hatte. Man war nicht auf dem Nacken gelandet und hatte eigentlich die andere Stute gemeint. Man hat sich zwar ordentlich in die Schulter verbissen, und die rechte Pranke hat die Halsader des Übeltäters aufgekrallt. Ein tapferer Kämpe, dieser Übeltäter! Jetzt wälzt er sein Gewicht auf den Mordkerl, daß der loslassen muß, wenn er nicht erdrückt werden will. Im Augenblick ist die Stute auf den Beinen, und wie die Katze sich wieder duckt, feuert sie einen schrecklichen Schlag gegen die Rippen, daß der Jaguar brüllend 330 einen Luftsprung tut. In einem gewaltigen Satz bricht der Übeltäter seitlings aus und galoppiert ins schützende Gras.

Da wäre man also abgeschlagen! Eine Schande! Man duckt sich vor Scham, tut ein paar niederträchtige Schritte und äugt fauchend dem Gepolter nach, und ob wohl jemand sonst diese infame Abfuhr gesehen hat. Nichts! Stille! Da macht man sich in langen Sätzen ins Gehalm. Aber auf die andere Seite. Nein, es hat wohl keinen Zweck! Diese Stelzenleute sind einem zu groß, und an die Kleinen gelangt man nicht. Man wird es wahrscheinlich bei diesem Versuch bleibenlassen. Gott befohlen! Einstweilen! Man wird sich an den Strom machen. Wasserschweine sind ein famoses Wildbret, und sie teilen keine Schläge aus. Man überwältigt sie leicht. Auf dem Wege dahin kann übrigens alles mögliche passieren. Hirsche . . . Hamster . . . vielleicht ein Kalb . . .? Jetzt wird man den verzausten Pelz herrichten, denn man hält viel auf sein Äußeres. Man glotzt ein wenig verdutzt vor sich hin, denn der Schlag in die Rippen war keine Kleinigkeit. Es ist gut, daß man unter dem Fell elastisch ist, wie eine Klapperschlange beinahe. Wenn man an den verfehlten Sprung denkt und die starke Blutwitterung an den Pranken beriecht, knurrt man verdrießlich. Aber dann 331 legt man sich aufs Ohr, reckt und dehnt den schönen Leib und verschläft das mißlungene Abenteuer.

Die schwarzen Leute haben eine Vedette ausgestellt, die bei dem schlafenden Mordkerl wacht. Zwei Nackthälse hocken nahe und schweigsam auf einer Bodenwelle und beobachten ihn aus kalten Augen. Sie haben mit langen Hälsen dem Kampf zugeschaut. Dabei sind sie meistens die Gewinner. Vielleicht ist der Gelbe krank? Man kann nie wissen! Abwarten!

Die anderen sind dem Übeltäter gefolgt. Sie fliegen niedrig, aber sie gewahren gut, daß die Herde weit draußen im Dunst hinjagt. Gott befohlen! Viel wichtiger ist, daß da am Ufer der Lagune ein halblahmes, natürlich sehr krankes Pferd sich müht, ans Wasser zu gelangen.

Der Übeltäter hat Wundfieber, und das Blut pulst stürmisch aus der Halsader. Er versucht die Böschung hinabzuklimmen, denn der Durst ist groß. Aber die zerbissene Schulter, die im ersten Schreck und Haß noch gehorchte, ist jetzt lahm. Die Stute windet gegen den Wasserspiegel und hinkt die Böschung entlang. Aber das lehmige Ufer gibt nirgends Halt, um hinunterzusteigen. Wenn sie hinabrutscht, wird sie nicht mehr heraufgelangen. Das weiß sie.

Jetzt gleitet langsam und fast ohne Wellen der 332 Rücken eines Krokodils her. Nahe dem Ufer verhält es und glitzert gelb und kalt zu dem Pferd hinauf. Die schwarzen Leute haben sich niedergelassen und sind ganz still und rühren sich kaum und warten. Sie hocken in einem Halbkreis. Auch der Panzerkerl ist lautlos. Zikaden schleifen dünn.

Die Stute äugt in die weite Steppe hinaus, spielt mit den Ohren und wiehert ein-, zweimal. Nichts! Keine Antwort! Eine Weile steht sie dann mit hängendem Hals. Wenn ihr Schweif nach den Fliegen peitscht, die an der Schulterwunde sich versammeln, so ist das eigentlich eine fruchtlose und müde Handlung. Dann geht ein Zittern durch die hohen Beine. Schwäche überfällt sie. Sie schüttelt schwach die Mähne und kollert heiser vor sich hin. Dann tut sie sich schwerfällig nieder und schnaubt dabei, weil die Schulter schmerzt. Eine Weile liegt sie mit geschlossenen Augen. Es hat wohl keinen Zweck mehr?

Die schwarze Sippe fängt ungeduldig zu trippeln an. Sie haben gesehen, daß der Panzermann die Schnauze schon im trockenen Uferlehm liegen hat. Wenn er heraufschlurft, haben sie das Nachsehen. Und er schlurft sehr rasch, wenn er will. Sie krächzen und schlagen mit den Flügeln. Vielleicht werden sie ihn verscheuchen? Welche Torheit! . . . 333

Jetzt hat die Stute die Augen offen. Das Gekrächz! Sie ist wieder bei sich und dem Leben. Leben? . . . Im Hinsterben, und vielleicht weil die Stechfliegen wie eine Wolke über ihr sind, bewegt sie die Beine, als ob sie trabte. Vielleicht hat sie freundliche und schimmernde Bilder des Lebens im Gemüt? Vielleicht will sie nur aus der Gesellschaft der schwarzen Leute fort?

Dann liegt sie wieder still. Und jetzt wird der Kreis des Todes und seiner Trabanten eng und enger um den tapferen Übeltäter. 334

 


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