Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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51

Der Schlag kam aus einem lautlosen Dunkel, und in Minuten war alles vorbei.

Es war kurz vor Mitternacht, als vom Golfhaus her ein Schatten gegen den Hang glitt und dort mit dem Buschwerk verschwamm. In diesem Augenblick folgte aus der gleichen Richtung ebenso flüchtig ein zweiter.

Und nach einer Weile gab es oben gegen den Kamm zu, wo das Gestrüpp etwas lichter wurde, ein lebhaftes Schattenspiel: In verschwommenen Umrissen zeichneten sich zwei Gestalten ab. Plötzlich fiel die eine in sich zusammen, und dann schien auch die andere langsam in den Boden zu versinken. Aber auf einmal wuchs sie ebenso langsam wieder empor und war nun seltsam breit und unförmig.

Der Mann, der mit der schweren Last auf der Schulter das letzte Stück aufwärts keuchte, mußte Riesenkräfte haben. Er kletterte sicheren Fußes und machte auch nicht die kleinste Atempause. Erst bei der Felsplatte ließ er den leblosen Körper zu Boden gleiten. Die Explosion der verflossenen Nacht hatte auch hier gehaust und den schmalen Saum, der zum Buschhaus hinunterführte, weggerissen. Es ging nun von hier direkt auf den Grund des Steinbruchs hinunter.

Der Mann faßte wieder an, um das Letzte zu vollbringen, und es konnte über seine Absicht keinen Zweifel mehr geben.

Deshalb sprang Chefinspektor Perkins mit einem gewaltigen Satz endlich zu, aber der andere besaß nicht nur erstaunliche Kräfte, sondern auch eine unheimliche Geschmeidigkeit. So überraschend ihm der Angriff gekommen sein mußte, er wich ihm in der gleichen Sekunde geschickt aus und entglitt den zugreifenden Armen.

Perkins knallte fluchend zweimal in die Luft, und in dem gleichen Augenblick war es, als ob auf dem ganzen Hang ungezählte Rudel starken Wildes aufgestört worden wären.

»Er kann nicht durch, und wenn er mit dem Teufel im Bunde ist«, sagte Perkins zuversichtlich, indem er sich die nasse Stirn wischte und hinunter in das brechende und tobende Gestrüpp lauschte.

Und dann leuchtete er mit seiner starken Taschenlampe nach dem Körper am Boden. Was er sah, ließ ihn betroffen auf Duncan und den Arzt starren, die an seiner Seite standen.

»Der Mann mit dem Bart . . .«

Der Arzt beugte sich rasch nieder, und dann klang auch in seiner Stimme lebhafte Überraschung.

»Der Komödiant . . .«

Auf Alf Duncan aber machte diese Entdeckung keinen Eindruck.

»Ich hatte Ihnen doch gesagt, daß Sie auf Gwynne aufpassen sollten. Darauf war doch alles aufgebaut, und das war das letzte Glied, das noch fehlte. Alle, die von James Marwel etwas wußten oder ahnten, waren bereits denselben Weg gegangen, nur der große Künstler fehlte noch. Und außerdem hatte er auch noch eine andere Sache auf dem Kerbholz. – Bloß das mit dem Bart hatte ich nicht erwartet, aber es war kein schlechter Einfall. Denken Sie doch einmal ein bißchen darüber nach, Perkins, welch ein friedliches Ende des ganzen Rummels es gegeben hätte, wenn der so lange gesuchte Mann morgen dort unten gefunden worden wäre . . .«

Der Chefinspektor war nicht in der Verfassung, nachzudenken, sondern horchte immer besorgter auf den Lärm, der von allen Seiten heraufschallte. Wenn der Bursche ihm wirklich abermals entwischt war.

Aber plötzlich brach sich etwas besonders laut und gewaltsam Bahn, und Perkins sprang der auftauchenden Gruppe entgegen.

Vier starke Männer hatten einen fünften in ihrer Mitte, und es gab für diesen kein Entrinnen, so verzweifelt auch seine unsteten Augen nach einem Ausweg zu suchen schienen.

Wieder ließ Perkins seine Lampe spielen, aber diesmal war er mehr befriedigt als überrascht.

»Oh, William . . .«, sagte er, und um seinen Mund zeigte sich sein bösartiges Feixen. »Das ist etwas anderes. Diesmal sind Sie mir zur unrechten Stunde in den Weg gelaufen.«

Der Geschäftsführer erwiderte nur mit einem finsteren Blick. Er hatte offenbar alle seine Kräfte ausgegeben. Sein Gesicht war von leichenhafter Blässe, sein Atem ging keuchend, und er vermochte sich kaum auf den Beinen zu halten.

Trotzdem war Alf Duncan so mitleidlos, ihn freundlich anzulächeln.

»Nun, sehen Sie, das kommt davon. Ich hatte Sie doch gewarnt . . .«

In diesem Augenblick waren von unten irgendwo zur Rechten schrille Pfiffe zu hören, und der Chefinspektor wurde sehr lebendig.

»Das ist Bell, den wir drüben hinter dem Golfplatz gelassen haben, wie Sie es wünschten«, sagte er zu Duncan. »Er weiß natürlich nicht, was los ist, und wird ungeduldig. – Also, den andern ins Krankenhaus und dem da Handschellen«, wandte er sich an seine Leute, die mittlerweile zu einem Aufgebot von vierzig Mann angewachsen waren. »Und scharf auf ihn aufgepaßt, denn der Bursche ist kostbar.«

»Ja«, stimmte der junge Gentleman in seiner meist unverständlichen Art bei, »gut für tausend Dollar und fünfhundert Pfund.«

Aber Mr. Perkins hörte nicht darauf, denn sein endlicher Erfolg machte ihm den Kopf wirbeln.

Sie stiegen bei dem Schein der zahlreichen Lichter nicht in der Richtung zum Golfhaus ab, sondern mehr nach rechts, dem Golfplatz zu. Dann wandten sie sich noch mehr nach rechts, bis sie auf einen Waldstreifen stießen, und dann auf einen Feldweg, der zwischen Hecken verlief.

Hier kam ihnen Bell mit langen Schritten entgegen und deutete mit seinem gewaltigen Daumen über die Schulter.

»Wir haben ihn, Sir«, meldete er. »Zehn Minuten nachdem oben die Schüsse gefallen waren, kam er angesprengt und flog auf die Bäume dort drüben zu. Er hatte seinen Wagen dort gehabt und saß auch schon drinnen, aber wir haben ihn wieder herausgeholt. Es war eine wilde Sache, und Owen hat drei Zähne dabei verloren. Aber dann war ich schon dazwischen« – Ajax der Andere lächelte kindlich – »und habe ihn zur Ruhe gebracht.«

Der Chefinspektor stand mit offenem Mund, und seine Augen hingen geradezu verstört an Alf Duncan. Aber der junge Gentleman stäubte an seinem Mantel herum, und Perkins machte verzweifelt wieder einmal »Hi . . .« und stürzte vorwärts.

Mr. Guy Fielder, der so sorgfältig verschnürt wie ein Überseeballen am Wegrand lag, glich nun völlig einem toten Fisch. Sein Gesicht war von einem stumpfen Grau, seine hervorgequollenen Augen schienen aus trübem Glas, und nur um seine bläulichen Lippen, auf denen noch der Schaum des schweren Kampfes stand, zuckte es zuweilen.

»Also«, sagte Alf Duncan plötzlich, »hier haben Sie den Mann vom Schwarzen Meilenstein – und den Hauptagenten der langgesuchten Dollarfälscher. Das Nest ist in Paris vor ein paar Stunden ausgehoben worden. Aber das gehört nicht zu Ihrer Sache. Zu Ihrer Sache gehört bloß das, was ich Ihnen schon angedeutet habe. Es war dieser kleine verschlagene Mr. Fielder, an den Marwel bei dem Versuch, seine Erfindungen zu Geld zu machen, geraten war. Ob es sich bei dem Ergebnis der ersten praktischen Erprobung bereits um ein beabsichtigtes Verbrechen oder um einen Zufall handelte, kann ich nicht sagen, aber jedenfalls kam der Tod Marwels dem andern sehr zu statten. Er war nun im Besitz der Apparate, und wenn er auch zu wenig wußte, um die wertvollen Erfindungen weitergeben zu können, so verstand er doch, sie zu handhaben. Und das erste Unglück beim Schwarzen Meilenstein hatte ihm auch einen Weg zu ihrer praktischen Verwertung gewiesen. In einem augenblicklichen Instinkt hat er zunächst die Identifizierung der Leiche Marwels unmöglich gemacht, und dann ist er auf die Idee mit dem Dollarhandel verfallen. Er war zu schlau, um daran zu denken, die Scheine in England wirklich in Umlauf zu setzen, sondern sie sollten ihm nur als Lockmittel dienen. Und während die Leute auf dem Golfplatz mit dem ahnungslosen Gwynne verhandelten, hat sich Fielder in der Garage mit ihren Autos beschäftigt. Es war dies kein sonderliches Wagnis, denn man kann von der rückwärtigen Front völlig unbemerkt in den Raum gelangen. So folgte Unfall auf Unfall, bis der Posten aufgestellt wurde. Und dann nahte mit Dan Kaye das Verhängnis. Der Mann, der von James Marwel wußte, war eine Gefahr. Für Fielder – und für Miss Reid, die hinter den Geheimnissen ihres Chefs her war und wahrscheinlich auch von dieser Sache etwas ahnte. Der Mann konnte alles verderben, und deshalb kam wohl Barres heraus. Aber auch Fielder war zur Stelle und hat ihn und Kaye aus dem Weg geräumt. Der kleine graue Schurke hat in den letzten Tagen ganz Unglaubliches geleistet. Er ist mit seinem ›Zwanzigmeilentempo‹ einer der wildesten Fahrer, die ich je kennengelernt habe. Während Sie ihn noch auf dem Heimweg wähnten, war er immer schon längst wieder zurück und lag um das Golfhaus auf der Lauer. Gestern nacht kam er allerdings zunächst nach Alderscourt, um dort eine Abrechnung zu halten, und dabei hätte ich ihn Ihnen fast lädiert, weil ich mir über seine Absichten nicht ganz im klaren war. Aber es gibt eine gerechte Vorsehung, und die Kugel hat Mr. Gwynne erwischt. Im übrigen ist der Bursche zwar verschlagen, aber nicht intelligent. Die Art, wie er Dan Kaye erledigt hat, war ein arger Fehler, denn sie lieferte mir die erste Spur zum Geheimnis des Schwarzen Meilensteins. Und der Autounfall, den er vortäuschte, war geradezu albern. Aber ich hatte von unserem lieben Mr. Fielder so etwas Ähnliches erwartet.«

»Ja«, stimmte der aufgeregte Perkins lebhaft bei und war schon wieder so auf der Höhe, daß er das Bündel am Boden höhnisch anfeixen konnte. »Habe ich Ihnen nicht gesagt: ›Nur nicht zu hoch hinaus‹? – Nun, in ein paar Wochen wird es so weit sein . . .«

Der gefesselte Mann bäumte sich mit einem tierischen Schrei auf, aber kräftige Fäuste drückten ihn wieder nieder. Und nun erinnerte sich der Chefinspektor plötzlich an etwas anderes und zog Duncan beiseite.

»Und was ist's mit dem dort?« fragte er unsicher, indem er auf die Gruppe mit William in der Mitte wies.

Der junge Gentleman zeigte seine Zähne.

»Den können Sie jetzt laufen lassen. Er bedeutet für Sie keine Gefahr mehr. – Mr. William . . .«, rief er hinüber.

Der Gefangene wurde vorwärts gestoßen, aber als Duncan die Hand hob, machte die Begleitung halt.

»Es tut mir leid, daß Sie solche Unannehmlichkeiten hatten«, empfing ihn Alf mit launiger Höflichkeit, »aber es war für Sie ein gefährliches Spiel, und Sie können von Glück sagen, daß Sie dabei so glimpflich weggekommen sind. – Mr. Perkins, gestatten Sie, daß ich Ihnen einen Kollegen vorstelle: Mr. William Sayer, Privatdetektiv im Dienste der American Automobile Association. Ich habe mich nach dem gewissen Schuß ein bißchen im Zimmer Mr. Williams umgesehen. Die Gesellschaft war bei den englischen Automobilversicherungen stark engagiert, und der Schwarze Meilenstein hat sie einiges Geld gekostet. Und außerdem hätte Mr. William auch die ausgesetzten Prämien unserer Klubs gern eingesteckt. Das durfte ich um Ihretwillen nicht zulassen, lieber Mr. Perkins. – Übrigens hat ja, wie ich hoffe, Mr. Sayer bei der Sache ein anderes großes Los gezogen.«

Dem Chefinspektor wirbelte noch einmal der Kopf, aber das hinderte ihn nicht, William persönlich die Handschellen abzunehmen. Einem so schmählich geschlagenen Konkurrenten, der dabei so schrecklich viel Geld verlor, mußte man doch einige Artigkeit erweisen.

William war so abgehetzt und müde, daß er keinen Laut hervorbrachte und nur den einen Wunsch hatte, so rasch wie möglich davonzukommen. Aber Alf Duncan hielt ihn zurück und winkte den Arzt herbei.

»Doktor«, sagte er förmlich, »nehmen Sie sich dieses Herrn ein wenig an. Ich glaube, er ist gestern in Alderscourt von einem Hund etwas übel zugerichtet worden.«

»Oh«, meinte der Arzt, indem er bedenklich die strohblonden Brauen hochzog, »eine böse Sache. Jedenfalls einige Wochen Pasteurinstitut . . .«

»Das wird Mrs. Hingley sehr unangenehm sein, aber Sie können sich wenigstens von den Strapazen beim Schwarzen Meilenstein erholen«, tröstete der immer liebenswürdige Mr. Duncan den erschrockenen Mann.

Die Polizeiautos hielten eine halbe Wegstunde weiter.

»Nun«, sagte Chefinspektor Perkins befriedigt, »das wäre also erledigt. Und es ist wie am Schnürchen gegangen.«

»Ja – wie wenn Sie auch in Cambridge gewesen wären«, gab der junge Gentleman zu, und diesmal faßte Mr. Perkins dies wirklich als besondere Anerkennung auf und nickte lebhaft.


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