Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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14

Isabel Longden verriet weder Schreck noch Furcht oder Entrüstung. Und sie machte auch keine Miene, sich gegen diese Überrumpelung zur Wehr zu setzen. Gegen das, was geschehen war, war alles, was noch geschehen mochte, bedeutungslos.

Das plötzliche Auftauchen des Mannes überraschte sie bloß, weil sie sich nicht erklären konnte, wie er ihre Spur gefunden hatte und wie es ihm gelungen war, bis hierher zu dringen.

Alf Duncan las diese Fragen in den verwundert geweiteten braunen Augen, die unverwandt an ihm hingen, und er lächelte so unbefangen zurück, als ob sein Hiersein die selbstverständlichste Sache von der Welt wäre.

»Ja«, flüsterte er mit einem warnenden Blick nach der Tür, »es war etwas umständlich, aber ich hatte Glück. Besonders, daß Sie Ihre Zimmertür offen gelassen hatten, kam mir sehr gelegen. In Zukunft dürfen Sie das aber nicht mehr tun, Miss Longden.«

»Wollen Sie mir kurz sagen, was Ihr Eindringen zu bedeuten hat?« Über Isabel war eine starre Ruhe gekommen, und sie hatte sich so in der Gewalt, daß sie ebenso gedämpft sprach wie er. »Es ist so ungewöhnlich, daß . . .«

Duncan hob leicht die Hand, mit der er kritisch an seiner etwas mitgenommenen Eleganz herumgestäubt hatte.

»Nicht ungewöhnlicher als Ihr Hiersein, Miss Longden, glauben Sie mir«, erwiderte er unverfroren. »Und eins hängt mit dem andern zusammen. Weil Sie auf dieses Alderscourt verfallen sind, wollte ich mich hier auch ein bißchen umsehen. – Ich dachte mir nämlich, daß ich Ihnen vielleicht irgendwie behilflich sein könnte.«

Sie sah ihn einen Augenblick betroffen an, dann aber erschien in ihrem feinen Gesicht, das über Nacht blaß und schmal geworden war, ein verächtlicher Zug.

»Danke, ich bedarf keiner Hilfe«, sagte sie kalt. »Es ist mir völlig unverständlich, wie Sie auf diesen Einfall kommen konnten. Auch hätte ich es nie für möglich gehalten, daß Sie die Aufmerksamkeit, die Sie mir bereits in Paris und dann in London schenkten, je soweit treiben würden. – Ich hielt Sie für einen Gentleman . . .

Der junge Mann räusperte sich.

»Gentleman ist etwas viel gesagt, Miss Longden«, meinte er bescheiden, »aber das mit der Aufmerksamkeit stimmt. Und ich bedauere nun aufrichtig, daß ich nicht schon damals auf den Einfall gekommen bin, Ihnen einen Besuch abzustatten. Erstens hätte ich zu einer schicklicheren Stunde und in tadelloser Verfassung bei Ihnen erscheinen können, und zweitens wäre Ihnen dann wohl der Aufenthalt in diesem schauderhaften Rattennest erspart geblieben.«

Der bestimmte Ton seiner letzten Worte ließ Isabel aufschrecken.

»Was wissen Sie davon?« stieß sie hervor. »Haben Sie mir die ganze Zeit über nachspioniert? – Stehen Sie – mit der Polizei in Verbindung?«

Mr. Alf Duncan schnitt eine säuerliche Grimasse.

»Ja«, gab er nach einigem Zögern zu, »ich stehe mit der Polizei in Verbindung. Das bringt jedoch nur mich zuweilen in Ungelegenheiten. Ich sage Ihnen das ganz offen, damit Sie nicht das Vertrauen verlieren, wenn Sie von mir eines Tages ganz schreckliche Dinge hören oder auch sehen sollten. – Was aber Ihre Sache betrifft, so weiß ich darüber vielleicht etwas mehr, als Sie wissen, und deshalb bin ich gekommen. – Haben Sie eine Waffe bei sich?«

Isabel war von dem, was der korrekte, junge Mann mit solcher Leichtigkeit durcheinander plauderte, so verwirrt und bestürzt, daß sie kein Wort hervorzubringen vermochte. Sie schüttelte nur mit einem ängstlichen Blick den Kopf.

»Sehen Sie«, sagte Duncan befriedigt, indem er die Hand in die Tasche versenkte, »ich kann Ihnen also doch dienlich sein.« Er prüfte sorgfältig, ob der Browning gesichert sei, und legte ihn dann auf den Tisch. »So ein Ding ist für einen Aufenthalt in einem einsamen Landhaus wichtiger als eine Zahnbürste«, erklärte er dabei harmlos, »und ich bin überzeugt, daß Sie damit umzugehen wissen. Machen Sie auch ohne weiteres davon Gebrauch, wenn Sie in irgendeinem Augenblick wünschen sollten, so etwas bei der Hand zu haben. – Und auf keinen Fall, Miss Longden« – die Stimme des jungen Mannes wurde so eindringlich, daß es fast wie ein Befehl klang – »lassen Sie sich in den nächsten Tagen bewegen, mit Ihrem Wagen noch einmal den Weg zu nehmen, den Sie gekommen sind. Wenn Sie aber irgend jemand dazu zwingen sollte, so jagen Sie ihm ohne Bedenken eine Kugel in den eigensinnigen Kopf. Im übrigen werde ich mich schon selbst darum kümmern, was hier vorgeht. – So, das wäre alles. Und nun entschuldigen Sie, bitte – in fünf Minuten können Sie wieder anzünden.«

Alf Duncan machte einen raschen Schritt zum Tisch, die Lampe blakte auf, und im nächsten Augenblick lag das Zimmer in tiefem Dunkel.


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