Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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24

Erst so gegen die achte Stunde erwiesen sich die umständlichen Vorbereitungen der immer aufgeregter harrenden und schaltenden Mrs. Hingley als nicht vergeblich, denn kurz nacheinander erschienen der Chefinspektor, dann Miss Reid und endlich Alf Duncan unten in dem gemütlichen kleinen Speisesaal.

Mr. Perkins in brummiger, kurz angebundener Laune, Miss Reid etwas blaß und nervös und für das kritisch prüfende Auge der Wirtin etwas zu sehr hergerichtet, der vornehme, junge Mann aber frisch, geschmeidig und mit einem so unwiderstehlichen Lächeln, daß die Perlenkette am Halse von Mrs. Hingley zu platzen drohte.

Die Gäste begrüßen einander höflich, aber fremd und hatten auch weiter kein Interesse für einander.

So verlief das Dinner in geradezu unheimlicher Stille. Sogar die sonst so laute Herrin des Hauses dirigierte den müden, abgehetzten William bloß mit den Augen, aber ihre Blicke waren so schrecklich, daß der Geschäftsführer immer kopfloser hin und her schoß.

Als endlich abserviert war, atmete Mrs. Hingley tief auf und puderte hinter einer Portiere rasch ihr vor Erregung glühendes Gesicht. Dann richtete sie zunächst an Miss Reid und hierauf an Mr. Perkins einige artige Fragen und war gar nicht gekränkt, als diese ziemlich einsilbig beantwortet wurden, denn um so früher kam sie an den dritten Tisch.

Fünf Minuten später befand sie sich dort in einer äußerst angeregten Unterhaltung. Das heißt, sie sprach, und Mr. Duncan hörte stumm zu. Aber mit Blicken, die auf die empfängliche Witwe wirkten, als ob sie in einem Verjüngungsbad säße. Sie plauderte und tuschelte, seufzte und kicherte wie ein kurzgeschürztes Mädchen und war krampfhaft bemüht, in dieser neckischen Vertraulichkeit keine ernüchternde Pause eintreten zu lassen.

Mr. Alf Duncan lächelte die strahlende Frau immer bestrickender an, aber er hörte ihr schon längst nicht mehr zu. Seine Gedanken waren mit ganz anderen Dingen beschäftigt, und auch seine seelenvollen Blicke hatten mit dem verschämten Mienenspiel der außer Rand und Band geratenen Frau nichts zu tun. Sie glitten von Zeit zu Zeit zu dem mürrischen Mann von Scotland Yard hinüber, hafteten dann wieder auf den unruhigen Händen von Miss Reid und folgten William, dessen Füße unsicher und ungeschickt über den Teppich schlürften. Sie nahmen wahr, wie Miss Reid plötzlich sehr angelegentlich auf die Uhr an ihrem Handgelenk blickte und dann mechanisch an der Feder drehte, und sie trafen auch auf den Polizeisergeanten, der plötzlich draußen auf der Veranda auftauchte und in strammer Haltung die Hand an den Helm legte.

Mr. Perkins erhob sich, nickte einen kurzen Gruß und marschierte breitbeinig ins Freie.

Miss Reid zog nochmals ihre Uhr zu Rate, dann neigte auch sie kühl den dunklen Kopf und verschwand durch die Tür zur Hall.

Mrs. Hingley aber schickte sich an, nun noch freier und angeregter als bisher weiter zu plaudern.

»Ich werde also jetzt einmal zum Buschhaus hinausschauen, Sir«, flüsterte draußen der Sergeant dem Chefinspektor zu. »Wenn Sie mich noch brauchen, bin ich in etwa einer Stunde wieder hier. Ich könnte es zwar viel kürzer machen, wenn ich gleich hier hinter dem Haus den Weg über die Lehne nähme, aber bei Nacht ist das zu gefährlich. Wenn man drüben auf der anderen Seite ausrutscht, kann man an die fünfzehn Meter tief abstürzen und sich den Hals brechen.«

»Das hat keinen Zweck«, sagte Perkins kurz. »Ich brauche Sie heute nicht mehr. – Morgen um sieben Uhr früh melden Sie sich wieder.

Der Sergeant salutierte und schlug in seinem gleichmäßigen Dienstschritt die Richtung zur Chaussee ein.


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