Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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42

Mr. Fielder war noch fahler als sonst, und der große Künstler Mr. Gwynne gebärdete sich noch furchtsamer und zappeliger.

Sie hatten einander kurz nach der lärmenden Abfahrt des Chefinspektors wieder in aller Heimlichkeit am Rande des Golfplatzes getroffen, und in den rollenden Augen des Mimen lag eine verzweifelte Anklage.

»Was habe ich Ihnen gesagt?« stöhnte er pathetisch. »Man ist hier seines Lebens nicht mehr sicher. Und Sie haben mich trotzdem gezwungen, auf diesem gefährlichen Posten auszuharren. Aber nun werden Sie mir wohl glauben. Dieser Marwel ist ein Teufel. Er wird uns noch alle umbringen.« Er zog plötzlich scheu den Kopf ein und ging in ein gehetztes Wispern über. »Ich habe ihn endlich wieder gesehen. Heute nacht – er strich um das Golfhaus herum. Und ich bin nun überzeugt, daß er mit dem Geschäftsführer irgendwie in Verbindung steht . . .«

Mr. Gwynne atmete tief und schwer auf, und auch der kleine Mr. Fielder war diesmal kleinlauter als bei ihrer letzten Unterredung.

»Sie haben ihn gesehen?« wisperte er zurück. »Weshalb sind Sie ihm nicht gefolgt?«

»Ich bin ihm gefolgt«, erklärte der Künstler stolz.

»Und ich habe dabei sogar den Hals riskiert, denn ich mußte auf der Strickleiter hinunter. Man kommt ja sonst nicht mehr unbemerkt aus dem Haus. Überall sind jetzt neugierige und gefährliche Augen. Leider war das Wagnis umsonst, denn als ich unten ankam, war von dem hinkenden Mann mit dem Bart nichts mehr zu sehen. Nur auf William bin ich gestoßen, der mit seinem verstauchten Fuß doch eigentlich im Bett liegen sollte. – Was sagen Sie dazu? Der Bursche ist mir aber schon längst verdächtig gewesen, und ich wollte mir endlich Gewißheit verschaffen. Da erfolgte jedoch plötzlich der schreckliche Knall, und ich mußte sehen, rasch wieder in mein Zimmer zu kommen. Ich war noch nicht ganz beim Fenster, als Perkins bereits an meine Tür trommelte. Es war ein furchtbarer Augenblick . . .«

Er mußte dies nicht erst ausdrücklich bemerken, denn man sah es ihm an, wie ihn selbst die Erinnerung noch mitnahm. Fielder nagte an den bläulichen Lippen, daß sie ganz weiß wurden, und schüttelte den Kopf.

»Ich hoffe, daß Sie darüber nicht reden werden«, sagte er endlich. »Wenn die Polizei Marwel fängt, bevor wir uns mit ihm geeinigt haben, ist nicht nur mein Geld verloren, sondern alles. Wie es mit dem anderen Geschäft steht, wissen Sie ja. Ich habe bereits mehrere Telegramme erhalten, daß die Leute mit den Dollarscheinen plötzlich herausrücken, und da dürfte es vielleicht schon in den allernächsten Tagen großen Lärm geben. – Es schlägt auf einmal alles fehl«, schloß der bekümmerte Mann seine unerfreulichen Mitteilungen und heftete dann wieder einmal die ausdruckslosen Augen starr auf den schlotternden Komödianten. »Wenn mir die Sache mit Miss Longden gelungen wäre, hätten wir uns für eine Weile irgendwohin zurückziehen können.«

Gwynne räusperte sich und hielt sehr angelegentlich nach allen Seiten Umschau.

»Was hatten Sie mit ihr vor?«

»Ein Geschäft«, erklärte Fielder etwas allgemein. »Nicht in Dollar, sondern in Pfunden. Ich hatte mit ihr bereits darüber gesprochen, und sie war nicht abgeneigt. Aber dann ist sie ganz plötzlich abgereist. – Seltsam, sehr seltsam . . .«

Alle diese Dinge beschäftigten Mr. Fielder so, daß er auch auf dem Rückweg zum Golfhaus aus dem Kopfschütteln nicht herauskam. Und als er auf dem Parkplatz einen Blick auf seinen Wagen warf, hatte er neuerlich Veranlassung, den Kopf zu schütteln, denn die Bereifung eines Hinterrades war völlig platt. Er konnte sich das nicht erklären, da er doch ohne Defekt angekommen war, aber jedenfalls mußte der Schaden sofort behoben werden. Er gedachte unbedingt noch vor Eintritt der Dunkelheit die Heimfahrt anzutreten. Selbst Perkins konnte ihm ja nicht zumuten, in der Nacht den schrecklichen Meilenstein zu passieren. Und hier bleiben konnte er auch nicht, da er ja nicht darauf vorbereitet war und außerdem früh im Geschäft sein mußte, in dem er nun keine Hilfe mehr hatte.

William tauchte wie gerufen in der Küchentür« auf, und Fielder winkte ihn heran. Der Geschäftsführer hatte heute seinen ruhigsten Tag im »Reitenden Postillon« gehabt, denn Mrs. Hingley hatte ihn seit dem letzten Schreck nicht mehr von ihrer Seite gelassen. Nun aber war sie endlich unter sicherer Bedeckung nach ihren Zimmern gewankt, um sich etwas zu erholen, und der kräftige Hausdiener mit der bläulichen Nase mußte vor ihrer Tür Wache halten.

Das dringende Ersuchen Fielders, seinen Wagen raschestens wieder instand zu setzen, begegnete daher einigen Schwierigkeiten, aber nachdem William sich die Sache besehen hatte, zeigte er sich bereitwilliger.

»Wenn es sich nur darum handelt, das Rad auszuwechseln«, meinte er mit einem bescheidenen Lächeln, »werde ich schon allein fertig. Das ist nämlich das einzige, was ich vom Auto verstehe.«

Er machte sich auch gleich an die Arbeit, aber sie ging ihm so langsam von der Hand, daß Fielder es vorzog, mittlerweile einen kleinen Spaziergang zu machen. Er mußte sich verschiedenes zurechtlegen und sah daher recht nachdenklich drein, als er mit dem Kopf im Nacken und den Händen auf dem Rücken würdevoll davonschritt.

Da William zwischendurch im Golfhaus einiges zu schaffen hatte, was ihn eine ziemliche Weile in Anspruch nahm, verging über eine Stunde, bevor das heue Rad endlich saß. Mr. Fielder sah bereits längst wieder mit sichtlicher Ungeduld zu, aber nun war es so weit, daß nur mehr der Heber entfernt werden mußte.

In diesem Augenblick tauchte der Wagen Alf Duncans auf der Straße vom Schwarzen Meilenstein her auf, und das verwirrte William so, daß er blitzschnell aufsprang und sich hastig die Flecke von den Knien putzte. Er schien sich zu schämen, daß ihn einer der Gäste bei einer so gewöhnlichen Arbeit betroffen hatte, und der verwunderte Fielder mußte sich schließlich dazu verstehen, das Letzte selbst zu besorgen.

Dafür kam aber für ihn eine Viertelstunde später eine viel raschere Erlösung, als er sie zu hoffen gewagt hatte.

Chefinspektor Perkins war kaum aus dem glühenden und gefährlich brummenden Ungetüm gesprungen, als er überrascht die Brauen hochzog und fast so etwas wie eine entschuldigende Grimasse schnitt.

»Sie haben doch hoffentlich nicht eigens auf mich gewartet, Mr. Fielder?« fragte er mit ungewohnter Höflichkeit. »Das täte mir leid, denn schließlich ist ja das, was ich von Ihnen noch wissen möchte, nicht so wichtig, daß es nicht noch bis morgen Zeit hätte. Wenn Sie also in der Stadt dringend zu tun haben, so fahren Sie ruhig heim.«

Der Vorschlag klang dem kleinen Manne sehr angenehm, und er griff ihn mit der gleichen Höflichkeit auf, mit der er gemacht worden war.

»Gewiß hätte ich dringend zu tun«, sagte er. »Sie können sich ja denken, daß mich das gewisse . . . hm . . . traurige Ereignis – von allem anderen abgesehen – in die größte Verlegenheit gebracht hat. Ich werde nun das Geschäft ganz allein leiten müssen. – Und außerdem« – Mr. Fielder zögerte etwas verlegen, aber dann hob er den Kopf und blinzelte unruhig mit den glasigen Augen – »möchte ich wirklich nicht gern allzu spät von hier wegfahren. Ich gestehe ganz offen, daß es mir unheimlich wäre, bei Nacht an der gewissen Stelle vorüber zu müssen. Es ist gewiß lächerlich, aber ich bin nun einmal nicht das, was man einen mutigen Mann nennt.«

Diese Offenheit stand Mr. Fielder sehr gut, und Perkins feixte beruhigend.

»Nun«, sagte er, indem er unwillkürlich nach der Uhr blickte, »wir haben ja erst Viertel acht und noch halbwegs Licht. Da wird es bei dem verhexten Stein wohl kaum spuken.«

Trotz dieses Zuspruchs war der kleine Mr. Fielder recht grau und unruhig, als er einige Minuten später mit seinem Wagen in langsamer Fahrt vom Parkplatz auf die Chaussee rollte.

Alf Duncan saß in einem Winkel der Terrasse und blickte dem Auto nach, bis es der Wald aufnahm. Dann zog er die Uhr und schien aus lauter Langeweile die Sekunden zu zählen.

Erst als vom Vorderhaus ein eiliger Schatten gegen die Bäume glitt, klappte der Gentleman den Deckel geräuschvoll zu und wartete . . .


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