Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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13

Der Herr von Alderscourt fand dieses Gehabe schließlich auffällig, und hinter der dicken Portiere wurde unruhig ein Stuhl gerückt.

»Zum Teufel, was hat denn das Tier?« fragte die krächzende Stimme mißtrauisch.

Mrs. Drew saß mit ihrer Laterne wieder im Nebenzimmer und schnaufte und schwitzte.

»Die Fremde, Sir«, erklärte sie eifrig. »Wenn sie heruntergekommen wäre und er sie hätte abschnuppern können, wäre er sicher schon längst ruhig. Aber sie zeigt sich ja nicht und spricht auch nicht ein Wort mit unsereinem. Wie soll ich da dazukommen . . .«

Mrs. Drew wollte sich ihren Kummer von der Seele reden, aber der Herr schnitt ihr kurz den Faden ab.

»Glauben Sie, daß die Dame noch auf ist?«

»Sicher ist sie noch auf. Als ich heraufkam, habe ich sie ganz deutlich auf und ab gehen hören.«

»Dann bringen Sie sie herüber. Sobald sie hier ist, verschwinden Sie schleunigst. Wenn ich Sie wieder brauche, werde ich klingeln.«

Die Frau setzte sich bereits mit dem Geräusch einer schweren Maschine in Bewegung und schlürfte geschäftig über den Gang zu Isabels Tür, wo sie ihre Botschaft keuchend hervortuschelte . . .

Diesmal öffnete Isabel Longden ohne weiteres und trat über die Schwelle. Sie war so erregt, daß sie genau so willig gehorchte, wie sie am gestrigen Abend gehorcht hatte. Nicht einmal die Berührung der plumpen, feuchten Hand, die nach der ihren faßte, wehrte sie ab. Sie ließ sich widerstandslos durch den stockdunklen Gang ziehen, und erst als sie allein in dem düsteren Raum vor der flackernden Laterne saß, und die unangenehme Stimme ertönte, schrak sie zusammen.

Die ersten Worte klangen an ihrem Ohr vorbei, aber nach einigen Sekunden war sie soweit, den Sinn dessen, was sie hörte, fassen zu können.

»Ich will Ihnen offen sagen, Miss Longden, daß ich Sie hier nicht gerne aufgenommen habe, denn die Sache kann schlimm ausfallen. Aber ich bin dem Mann, der mich darum gebeten hat, verpflichtet, und er hat mir versprochen, daß ich auf keinen Fall hineingezogen werde.«

Das klang so bedenklich, daß Isabel für einen Augenblick der Herzschlag stockte. Aber noch beklemmender als die Gefahr, empfand sie die Ungewißheit über etwas anderes.

»Ist das Schlimmste geschehen?« kam es stoßweise und tonlos über ihre Lippen.

»Ja«, erklärte der Unsichtbare nach kurzem Zögern, und das junge Mädchen barg mit einem verzweifelten Wehlaut das Gesicht in den Händen. »Das erschwert natürlich den Fall, denn es hat sehr viel Lärm gegeben. Aber unser Freund will trotzdem alles versuchen. Es wird nun davon abhängen, wie sich die Leute zu seinen Vorschlägen stellen. Gehen sie darauf ein, so kann Ihnen durch ihre Aussagen das Ärgste erspart werden. Aber ich fürchte, man wird so unverschämte Forderungen stellen, daß sich darüber nicht reden läßt.«

Isabel nahm die Bemerkung mit fieberhafter Lebhaftigkeit auf.

»Geld? Meinen Sie Geld? – Oh, bitte, geben Sie ihnen, was immer sie auch verlangen. Darauf kommt es ja nicht an. Ich würde gerne alles opfern, wenn . . .«

Das Weitere ging in einem neuerlichen krampfhaften Aufschluchzen unter, und die Fassungslosigkeit des jungen Mädchens schien sogar auf den Herrn von Alderscourt Eindruck zu machen. Er räusperte sich, und dann klang seine Stimme plötzlich viel sanfter und teilnahmsvoller als bisher.

»Nun, nun, beruhigen Sie sich, Miss Longden«, sagte er. »Wenn es Ihnen auf Geld nicht ankommt, wird sich ja das Schlimmste vielleicht doch noch irgendwie abwenden lassen. Aber dann muß rasch gehandelt werden, damit die Leute keine allzu klaren und bestimmten Aussagen machen und damit etwas Zeit gewonnen wird. Mittlerweile können Sie England rasch verlassen. Unsere Gesetze sind in diesen Dingen sehr streng, und Gott behüte Sie davor, daß Sie das zu spüren bekommen. – Über welchen Betrag können Sie also sofort und ohne besondere Umständlichkeiten verfügen?«

Die geschäftsmäßige Frage kam ganz unvermittelt, brachte aber das junge Mädchen wieder etwas ins Gleichgewicht.

»Ich habe in London noch einen Kredit von ungefähr fünfzehntausend Dollar. Wenn das aber nicht genügen sollte . . .«

»Fünfzehntausend Dollar . . .«, wiederholte der Mann nebenan überlegend. »Nun, wir werden ja sehen. Das ist für diese Leute gewiß sündhaft viel Geld, aber Sie können sich wohl denken, daß sie trachten werden, die Gelegenheit auszunützen. Bereiten Sie aber jedenfalls einen Scheck auf diese Summe vor, und ich werde unseren Freund wissen lassen, daß er bis zu diesem Betrage gehen darf. Vielleicht hören Sie dann schon in zwei oder drei Tagen weiteres.«

Damit war Isabel Longden entlassen, und fügsam, wie auf dem Herwege, überließ sie der prustenden Mrs. Drew abermals die Hand, um sich durch den stockdunklen Korridor wieder zu ihren Zimmern ziehen zu lassen. Dort aber machte sie sich durch eine rasche Bewegung frei und schlug der enttäuschten Frau die Tür vor der Nase zu. Dann schob sie den Riegel vor und trat zum Fenster, um wieder in die Nacht zu starren . . .

Die Unterredung hatte ihre letzte schwache Hoffnung zerstört. Was sie bekümmerte, war nicht mehr ihre Sicherheit, sondern die furchtbare Schuld, die auf ihr lastete, und die durch nichts wieder gutgemacht werden konnte. Sie würde sie durch ihr ganzes Leben verfolgen, ihr jede Stunde vergällen, weil sie alle Tage und Nächte das erschütternde Bild vor Augen haben würde . . .

Wie es sich eben jetzt wieder draußen im Dunkel formte . . .

Isabel wandte sich fluchtartig ab, um nach dem ersten Schritt wie versteinert haltzumachen . . .

In der Mitte des Zimmers stand ein Mann, und so spärlich die Beleuchtung auch war, sie erkannte ihn sofort wieder.


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