Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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20

Mr. Fielder spielte nicht Golf und hatte augenblicklich auch weit ernstere Gedanken im Kopf, als den Wunsch, es kennenzulernen, aber er besah sich den Platz doch mit großem Interesse.

Mr. Gwynne, der allein auf dem Gelände herumhackte, manövrierte sich unauffällig heran. Er hatte die Figur eines schwammigen Bonvivants, tief liegende lebhafte Augen und ein pathetisches Organ, das entweder überschwenglich klang, oder herzzerbrechend jammerte.

Jetzt, da er es ängstlich dämpfte, jammerte es.

»Welch eine Unvorsichtigkeit, verehrter Freund. Sie haben mir einen furchtbaren Schrecken eingejagt, als Sie telefonierten. – Und nun gar selbst zu kommen. Ich hatte gehofft, daß Sie es sich doch noch überlegen würden. Man wird ja hier auf Schritt und Tritt beobachtet. Sie sehen mich in einer entsetzlichen Aufregung. Ich habe leider die empfindsamen Nerven eines Künstlers . . .«

Mr. Gwynne trocknete sich mit zitternder Hand die niedrige Stirn, aber der kleine Mr. Fielder wackelte gereizt mit dem Kopf und war plötzlich ein völlig anderer. Er sprach zwar ebenso leise wie sonst, aber seine Ausdrucksweise war weniger gewählt und markiger.

»Spielen Sie mir keine Komödie vor«, sagte er, »und erzählen Sie mir nichts von Ihren Nerven. Das interessiert mich nicht. Ich möchte endlich von Ihnen hören, was los ist. Wozu sitzen Sie denn seit Monaten für mein Geld hier herum? Sie wissen sehr gut, was mich diese verwünschte Sache, in die Sie mich hineingeritten haben, schon gekostet hat. Aber wenn Sie diesmal wieder geschlafen haben sollten, ist es damit Schluß. Dann können Sie wieder auf dem Theater Ihre schrecklichen Gesichter schneiden und von den faulen Äpfeln leben, mit denen man Sie bewerfen wird.«

»Schreckliche Gesichter . . . faule Äpfel .«.«, heulte der gekränkte Mime auf und fuhr sich grimmig in das strähnige Haar. »Das mir . . . Und geschlafen. – Wo ich doch hier draußen überhaupt keine Ruhe mehr finde . . .«

Der arme Mr. Gwynne war nahe daran, in Tränen auszubrechen, aber das machte auf den übel gelaunten kleinen Mann keinen Eindruck.

»Nun, was wissen Sie also?« forschte er hartnäckig. »Es ist ja auch diesmal wieder vor Ihrer Nase geschehen, und Sie konnten sich denken, daß ich Sie nicht ohne Grund auf diesen Dan Kaye aufmerksam gemacht hatte. Als er bei mir erschien, um sich nach der Adresse zu erkundigen, ahnte ich sofort, daß es irgend etwas geben würde, und deshalb habe ich Sie angerufen. – Haben Sie sich um ihn gekümmert? War er im Buschhaus? Haben Sie den Mann mit dem Bart endlich wieder einmal zu Gesicht bekommen? – Und wie ist es dann zugegangen?«

Gwynne zappelte bei diesen hastigen, dringlichen Fragen verzweifelt mit den dünnen Beinen und arbeitete mit dem Golfschläger wild auf dem Boden herum. Dann ließ er seine unruhigen Augen scheu nach allen Seiten gehen.

»Ich habe auf ihn aufgepaßt«, flüsterte er. »Er ist im Buschhaus gewesen, aber Marwel habe ich nicht gesehen. Sie wissen ja, wie ich darüber denke. Der Mann hält sich versteckt, weil er uns betrogen hat.«

»Mich«, verbesserte ihn Fielder mit Nachdruck. »Um fünfhundert Pfund. – Und Sie hatten ihn mir gebracht.«

»Konnte ich das voraussehen?« verteidigte sich Gwynne. »Ich hielt ihn für einen Ehrenmann, und die Sache war doch gewiß ein Vermögen wert. Was hätte sich damit alles beginnen lassen. – Und nun wird sie zu so schrecklichen Zwecken mißbraucht.« Er schauerte zusammen, und sein Blick wurde noch ängstlicher. »Der Bursche ist zu allem fähig und verdammt schlau. Ich bin diesem Kaye auf Schritt und Tritt gefolgt, aber von dem Mann mit dem Bart war nichts zu entdecken. Er muß in der Nähe ein anderes Versteck gefunden haben, sonst könnte er nicht über alles unterrichtet sein und so blitzschnell auftauchen und wieder verschwinden. Sie wissen ja, wie es immer zuging: Sowie wir mit den Leuten einig waren, gab es ein Unglück bei dem Meilenstein. Vielleicht arbeitet er auch mit jemandem zusammen. – Dieser Geschäftsführer William gefällt mir nicht, und ich bin sehr besorgt. Wer weiß, was für eine Teufelei dieser Marwel ausheckt, wenn ich ihm eines Tages im Wege bin. – Sie verstehen mich? Ich fühle mich hier nicht mehr sicher und möchte es nicht darauf ankommen lassen . . .«

Noch deutlicher als aus seinen Worten, sprach die Angst aus Gwynnes unruhig zuckendem Gesicht, aber sein unansehnlicher Partner war mutiger.

»Sie werden bleiben«, sagte er bestimmt. »Wir müssen in dieser Sache zu einem Erfolg kommen, und die Gelegenheit war noch nie so günstig wie eben jetzt. Bisher hat sich die Polizei um die Vorfälle beim Schwarzen Meilenstein nicht gekümmert, aber nun ist Perkins aufgetaucht, und ich glaube, er wird den Mann aus dem Buschhaus arg in die Enge treiben.«

»Haben Sie etwas gehört?« fragte Gwynne aufgeregt.

»Nein, aber ich kenne Perkins. Er ist der geschickteste Spürhund von Scotland Yard. Das weiß auch Marwel ganz genau, und ich hoffe daher, daß er nun mit sich reden lassen wird. Wir wissen ja so viel, daß Scotland Yard sich nicht mehr sonderlich bemühen müßte. Deshalb ist es notwendig, daß Sie hier bleiben. Der Mann wird jetzt gern verhandeln, um sich zu sichern. Und wir werden ihm entgegenkommen, denn ich fürchte, wir haben nicht mehr viel Zeit zu verlieren. – Vor einer Viertelstunde ist mir hier eine Hundertdollarnote zum Wechseln angeboten worden. – Gerade mir – verstehen Sie? Seltsam, sehr seltsam . . .«

Fielder blinzelte irgendwohin ins Weite, Gwynne aber verfiel in einen argen Schreck.

»Eine Hundertdollarnote?« stammelte er. »Hier? – Wer?« Plötzlich kam ihm ein Gedanke, der ihn noch verstörter werden ließ. »Sie brauchen es mir nicht zu sagen«, stieß er hervor, »ich weiß es: Alf Duncan . . .«

»Kennen Sie ihn?« erkundigte sich Fielder vorsichtig.

»Ob ich ihn kenne.« Der Mime rollte wild mit den Augen und schwang den Golfschläger. »Ein gefährlicher, rücksichtsloser Bursche. Als ich ihn gestern hier erblickte, ahnte mir sofort Schlimmes. – Er hat mich in meinem Klub in gemeinster Weise bloßgestellt.«

»Hat er Sie beim Falschspiel ertappt?«

Gwynne überhörte diese taktlose Frage.

»Also Duncan«, wiederholte er bestürzt. »Wie ist das möglich?«

»Es muß drüben irgendeine Unvorsichtigkeit geschehen sein«, meinte Fielder, indem er mißbilligend mit dem Kopfe wackelte. »Hier ist ja bisher nicht eine einzige Note ausgegeben worden, da die gewissen Geschäfte nicht zustande gekommen sind. Man kann uns also nichts nachweisen, aber das unverschämte Auftreten dieses Hochstaplers gefällt mir nicht. Und auch Miss Reid gibt mir sehr zu denken. Sie hatte plötzlich den Wunsch, sich den Meilenstein anzusehen, und will einige Tage hier bleiben. – Das war es, worauf ich Sie vor allem aufmerksam machen wollte. Ich vermute, sie interessiert sich auch für Marwel und das Buschhaus.«

Der kleine Mann hatte die unangenehmen Neuigkeiten mit seinem gewöhnlichen Gleichmut vorgebracht, aber Gwynne war dabei in immer größere Aufregung geraten. Er zappelte, als ob er auf glühenden Steinen stünde, und reckte verzweifelt die Arme zum Himmel.

»Miss Reid – das auch noch«, stöhnte er. »Und ich hatte Sie doch damals gleich gewarnt. Aber Sie wollten nicht hören.«

»Sie brauchten mich nicht zu warnen«, bemerkte Fielder etwas ungeduldig. »Ich wußte ganz genau, woran ich mit der Frau war. Und eben darum schien es mir am geratensten, sie unter den Augen zu haben. Während sie glaubte, mir auf die Finger zu sehen, hatte ich Gelegenheit, auf sie acht zu geben. Sie ist heute so klug wie am ersten Tag, und sie wird auch hier nicht weiterkommen, wenn Sie keine Dummheiten begehen. – Wissen Sie, wer Charles Barres ist?«

»Charles Barres . . .?« Gwynne machte sich daran, mit großer Umständlichkeit seine Golfgeräte aufzuklauben. »Warten Sie einmal . . . Ja«, sagte er dann, »ich glaube, ich bin ihm schon begegnet.«

Der kleine Mr. Fielder nickte befriedigt.

»Das ist der Mann, mit dem sie zusammenarbeitet«, erklärte er. »Wahrscheinlich werden sie sich also hier treffen, und Sie müssen herauszubekommen trachten, was die beiden eigentlich vorhaben. Es dürfte nicht allzu schwer sein, da ja Miss Reid von unseren Beziehungen nichts ahnt und sich daher unbeobachtet glauben wird. Aber trotzdem müssen Sie es geschickt anstellen, denn sie ist sehr schlau und mißtrauisch. Und für Perkins und diesen Duncan gilt dasselbe. Jetzt können Sie endlich einmal zeigen, daß Sie das viele Geld wert sind, das Sie mich kosten.«

Gwynne deutete durch ein Achselzucken an, daß er diese Bemerkung höchst überflüssig und schäbig fand.

»Gut, ich werde mein Möglichstes tun«, sagte er frostig. »Aber dann können Sie natürlich bei der Sache mit der Amerikanerin nicht mit mir rechnen.«

»Nein«, erwiderte Fielder, indem er mit den schweren Augenlidern klapperte. »Übrigens dürfte daraus überhaupt nichts werden. Miss Longden ist nämlich bereits abgereist. Das wollte ich Ihnen auch noch sagen.«

Er beendete die Unterredung mit demselben kurzen Nicken, mit dem er sie begonnen hatte, und der nervöse Mr. Gwynne blieb mit dem unbehaglichen Gefühl zurück, daß dieser unscheinbare Mann ein weit vollendeterer Komödiant war als er selbst.

Mit dem Meilenstein und dem Golfplatz hatte Mr. Fielder alles gesehen, was es in Blackfield zu sehen gab, und kaum auf die Terrasse zurückgekehrt, rüstete er auch schon eilig zum Aufbruch. Miss Reid atmete endlich auf, ließ es sich aber nicht nehmen, den Chef bis zum Wagen zu geleiten.

Dort gab es noch einen kleinen, unvorhergesehenen Aufenthalt, da Fielder plötzlich den Chefinspektor gewahrte, der einige Schritte abseits den Sergeanten mit allerlei Fragen in der Arbeit hatte.

Der kleine Mann zögerte einen Augenblick unschlüssig, dann grüßte er höflich und schritt auf Perkins zu.

»Sie werden sich meiner vielleicht erinnern«, sagte er bescheiden. »Ich habe mit Parteifreunden, die im Parlament sitzen, bereits einige Male bei Ihnen vorgesprochen. Dabei handelte es sich allerdings nie um so wichtige und aufregende Dinge, wie sie Sie augenblicklich hier beschäftigen. Dieser Schwarze Meilenstein droht zu einem bedenklichen Schreckgespenst zu werden, und es wäre ein großes Verdienst um die Öffentlichkeit, wenn es Ihrer bekannten Tüchtigkeit gelänge, die Sache endlich aufzuklären.«

Mr. Fielder glotzte den Chefinspektor mit schmeichelhafter Zuversicht an, aber Perkins zeigte sich für die schönen Worte nicht sonderlich erkenntlich.

»Ach, Mr. Fielder.« Er kniff die Augen halb zu und ließ die breite Reihe seiner gelben Zähne sehen. »Ja, ich erinnere mich. Übrigens habe ich Ihnen auch schon einige Male im Hyde Park zugehört, wo Sie den Leuten immer erzählen, wie herrlich es auf dieser Jammerwelt aussehen wird, wenn Sie erst einmal dreinzureden haben werden. Meine Stimme kriegen Sie, wenn Sie kandidieren, denn Sie sind unbedingt ein Menschenfreund. Sogar für unsere ärgsten Galgenvögel haben Sie noch ein Herz, wie ich mir sagen ließ.« Er verzog den breiten Mund noch hämischer und liebäugelte mit dem kleinen Mann wie ein Fuchs mit einem Frosch. »Wahrscheinlich hat der arme Dan Kaye auch zu Ihren Kunden gehört?«

Fielder hatte ein zu sanftes und harmloses Gemüt, um sich durch den etwas ausfälligen Ton des Detektivs gekränkt zu fühlen.

»Dan Kaye?« wiederholte er verständnislos. Aber dann ging ihm ein Licht auf, und er wandte sich mit großer Lebhaftigkeit an seine Begleiterin, die etwas zurückgeblieben war.

»Bitte, liebe Miss Reid«, sagte er unbefangen, »Mr. Perkins von Scotland Yard interessiert sich dafür, ob wir einmal an einen Dan Kaye eine Unterstützung ausgezahlt haben. Sie führen ja die Aufzeichnungen und haben ein sehr gutes Gedächtnis, was ich leider von mir nicht behaupten kann.«

Miss Reid dachte einige Augenblicke nach.

»Nein«, erklärte sie dann mit ihrer angenehmen Altstimme ebenso unbefangen, »an diesen Namen erinnere ich mich nicht. Aber wir können ja die Liste durchsehen.«

Der kleine Mr. Fielder nickte bereitwilligst, aber der sprunghafte Chefinspektor wandte sich plötzlich mit einem flüchtigen Gruß ab. Nur der Sergeant bemerkte das tückische Grinsen in dem breiten Gesicht, und es wurde ihm nicht wohl dabei.


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