Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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46

Es geschah, als sich unten im Buschhaus wieder einmal der verräterische Lichtschein durch die rissigen Türen stahl.

Er war noch nicht erloschen, als plötzlich ein dumpfer Schlag in die Stille der Nacht fuhr und sich grollend an den Hängen des Kessels brach. Viel weiter kam er nicht.

Durch die Luft ging ein Sausen und Pfeifen, und dann prasselte es wohl eine halbe Minute lang gegen die steinigen Hänge und auf den weichen Wiesenboden.

Der Wunsch des Maklers war in Erfüllung gegangen: von der alten Unglückshütte standen nur mehr ein paar winzige Mauerreste, und selbst das dichte Buschwerk ringsherum war vollständig wegrasiert.

Nach geraumer Zeit fiel auf einen der Felsblöcke an der steilen Wand ein Schatten und schob sich dann langsam den umfriedeten Hang herunter.

In den drei Männern, die seit vielen Stunden reglos, aber sprungbereit um das Buschhaus lagen, spannte sich jeder Muskel, denn ihre Ausdauer war nicht vergeblich gewesen. Chefinspektor Perkins zweifelte nicht einen Augenblick, daß er in der Gestalt in dem langen Mantel und mit der breitschirmigen Mütze den Mann vor sich hatte, den er brauchte. Wenn auch in den nächsten Minuten alles klappte, würde wohl das Rätsel vom Schwarzen Meilenstein und alles, was damit zusammenhing, endlich seine Lösung finden.

Dieser James Marwel schien aber ein verdammt scheuer und gerissener Bursche zu sein, denn er tat nur Schritt für Schritt vorwärts und sicherte dabei wie ein arg vergrämtes Stück Wild. Und als er etwa in die Mitte des Hofes gekommen war, machte er überhaupt halt. Es genügte ihm offenbar, sich von hier aus anzusehen, was vom Buschhaus übrig geblieben war.

Plötzlich schnellte der Chefinspektor auf, denn der Mann hatte eine blitzartige Wendung gemacht und sich auch schon zur Flucht gewandt.

Ajax der Rasende war in seiner Ungeduld beim Anschleichen auf einen Ast getreten und suchte nun seine Ungeschicklichkeit dadurch wieder gutzumachen, daß er mit geradezu halsbrecherischen Sätzen von links heranstürmte. Die geheimnisvolle Gestalt hatte sich wieder hangaufwärts geschlagen, und vielleicht gelang es ihm wirklich, ihr den Weg abzuschneiden. Da Bell auch schon von der anderen Seite heranstapfte, hatten sie dann den Flüchtenden glücklich in der Mitte.

Perkins stolperte geradeaus durch die Büsche und über die Geröllhaufen und mußte dabei so auf den Weg achten, daß er den Verlauf der Jagd nicht verfolgen konnte. Er vernahm nur das Brechen von Zweigen und das Kollern von Steinen, und erst als er bereits ziemlich hoch oben mit Bell zusammenstieß, sah er sich endlich suchend um.

Und dann heftete er den bestürzten Blick auf Ajax den Andern, der ihn mit offenem Munde ebenso betroffen angaffte.

»Wohin, zum Teufel, können sie denn verschwunden sein?« murmelte der Chefinspektor, indem er angestrengt in die Nacht lauschte. »Man müßte sie doch wenigstens hören.«

Aber man hörte gar nichts, und Bell schüttelte ratlos den mächtigen Schädel.

»Als ich dort hinter dem Strauch war« – er wies etwa zehn Schritte zur Seite – »habe ich sie noch gesehen. Mr. Hunter hatte den Mann fast schon eingeholt.«

»Vielleicht sind sie den Pfad beim Steinbruch hinauf.«

»Nein«, erklärte Bell entschieden, »da hätten sie ja bei mir vorbeikommen müssen. Sie sind direkt auf die Wand hier vor uns zugerannt.«

Perkins warf einen raschen Blick nach den drei mannshohen wuchtigen Blöcken, die dort lehnten, und setzte sich plötzlich wieder in Bewegung.

Aber er kam nicht weit. Etwa zehn Schritte vor den Steinen lag Ajax der Rasende mit grauem Gesicht und verglasten Augen auf dem Rücken, und es schien kein Funken Leben mehr in ihm zu sein.

Aber dann fühlte der Chefinspektor doch noch einen schwachen Pulsschlag, und das war die Rettung.

»Fassen Sie an«, stieß er zwischen den verbissenen Zähnen hervor, »und dann los, so rasch es geht. Vielleicht ist doch noch etwas zu machen.«

Er packte auch schon zu, aber Ajax der Andere wehrte mit seiner großen Hand leicht ab und nahm den temperamentvollen kleinen Mr. Hunter wieder einmal wie ein Wickelkind in seine fürsorglichen Arme.

Und dann rannten sie den Hang hinunter, über die Trümmerstätte des Buschhauses, über den Wiesengrund und dann vorn die Lehne hinauf.

Plötzlich wankte der Boden unter ihren Füßen, und vom Steinbruch her kam ein donnerndes Getöse, als ob die ganze Felsenmasse in sich zusammenstürzte.

Trotzdem stürmten sie ohne Aufenthalt weiter, aber sie kamen doch einige Minuten zu spät, um den Radfahrer zu bemerken, der auf der Chaussee dem Golfhaus zuraste.

»Und jetzt den Arzt«, befahl Perkins, als sie Hunter in sein Zimmer gebracht hatten. »Wenn Sie ordentlich loslegen, können Sie in einer halben Stunde mit ihm zurück sein. – Und wecken Sie die Leute, denn wir werden sie brauchen.«

Sergeant Bell nickte, und gleich darauf scholl auch schon seine gewaltige Stimme durch das Golfhaus.

Der ewig gehetzte William hatte eben noch Zeit gehabt, den Overall abzustreifen, aber für eine Behandlung seines übel zugerichteten Beines reichte es nicht mehr. Er mußte sich damit begnügen, hastig die dicke Blutkruste von den bedenklich aussehenden Wunden zu waschen und ein Handtuch darum zu schlingen. Dann säuberte er eilig das Becken und barg verschiedene Dinge, die man nicht auf den ersten Blick sehen mußte, in der Polsterung des alten Sofas, auf dem Mrs. Hingley wahrscheinlich ihre verschiedenen Flitterwochen verbracht hatte.

Seitdem dieser verwünschte Mr. Alf Duncan die Andeutung von »den drei A« gemacht hatte, wußte er, daß er äußerst vorsichtig sein mußte, wenn sein hohes Spiel nicht verloren sein sollte.

Als der Geschäftsführer im nächsten Augenblick aus dem Zimmer stürzte, um nach dem Lärm zu sehen, bot er mit seinem abgespannten, fahlen Gesicht und den tief umränderten Augen einen so bedauernswerten Anblick, daß ihn der Chefinspektor fast wieder ins Bett geschickt hätte. Aber dann überlegte er sich's und jagte den müden Mann nach einer großen Kanne starken schwarzen Kaffees.


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