Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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10

Um zur Station zu gelangen, mußte Dan Kaye wieder an dem Gasthaus vorüber, und sein Besuch bei James war so kurz verlaufen, daß noch immer für das eine oder das andere Glas Zeit blieb. Der Geschäftsführer war zwar ein aufgeblasener Affe, der nichts anderes zu tun zu haben schien, als fortwährend vor der Schenke herumzulungern, aber das Bier war gut, und er wollte dem Burschen schon zeigen, was für einen Gast er vor sich hatte.

Dan klebte daher zunächst einmal vor den schläfrigen Augen, die ihn nicht gerade freundlich empfingen, eine Pfundnote auf den Tisch und bestellte ein ausgiebiges Abendbrot, das er mit eisigem Schweigen, aber großem Appetit verzehrte. Dann entschied er sich für Pale Ale, und nach der dritten Flasche geriet er in eine so behagliche Stimmung, daß er leise vor sich hin zu summen begann. Es klang, wie wenn ein heiserer Kettenhund sich im Zwitschern versuchte, und Dan selbst empfand, daß es nicht das Richtige war. Deshalb legte er nach der fünften Flasche so frei und kräftig los, daß es wie ein wildes Dschungelkonzert in die zahme englische Landschaft schmetterte.

Kaye bildete sich nicht ein, daß seine Stimme gerade besonders schön sei, aber das lustige Lied konnte sich, so oder so, unter Männern wohl hören lassen. Es war daher gar kein Grund vorhanden, daß der lumpige Geschäftsführer sich so gewaltig aufspielte. Einen Augenblick dachte der empörte Dan daran, den Arm, der so patzig nach der Straße wies, für einige Wochen ins Schlenkern zu bringen, aber er war noch nüchtern genug, um sich die Sache zu überlegen. Mit drei Pfund in der Tasche wollte er sich wegen eines solchen albernen Laffen nicht einsperren lassen.

Er spuckte daher dem ekelhaften Kerl bloß vor die Füße, und erst im Walde nahm er einen Knüppel auf, um seiner grimmigen Wut durch kräftige Hiebe auf die Stämme am Wege gründlich Luft zu machen.

Bei dieser anregenden Beschäftigung, die er mit seinen schönsten Flüchen begleitete, fand Dan Kaye keine Zeit, auf anderes zu achten, und er erschrak daher fast ein bißchen, als er dicht neben sich eine Stimme vernahm.

»Ich habe einen Reifendefekt. Würden Sie mir bei der Auswechslung des Rades behilflich sein?«

Es war mittlerweile auf der Chaussee zwischen den hohen Kiefern so dunkel geworden, daß Dan von dem Sprecher kein deutlicheres Bild gewinnen konnte. Der mittelgroße Mann steckte in einem weiten Mantel, der ihm bis zu den Füßen reichte, und sein Gesicht war durch den breiten Schirm der Kappe in seiner ganzen oberen Hälfte verdeckt. Von der unteren Partie aber war bloß ein kurz gehaltener Bart zu sehen.

Der Wagen stand einige Schritte weiter am Straßenrand, und der eingesetzte Heber sowie die herumliegenden Werkzeuge bewiesen, daß der Fahrer sich bereits damit zu schaffen gemacht hatte.

Aber Dan war nicht in der Stimmung, jemandem gefällig zu sein.

»Ich muß zur Bahn«, erklärte er brummig. »Sonst versäume ich meinen letzten Zug zur Stadt.«

Der Fremde gab sich mit dieser kurzen Abfertigung nicht zufrieden.

»Wenn Sie mir behilflich sind, können Sie mit meinem Wagen viel rascher und bequemer in die Stadt kommen«, sagte er. »Die Montage dauert ja kaum eine Viertelstunde, aber mir ist die Arbeit etwas ungewohnt. Kennen Sie sich in der Sache ein bißchen aus?«

»Ein bißchen?« grunzte Dan lebhaft und überlegen, da die Geschichte jetzt ein ganz anderes Gesicht hatte. »Es war ja einmal mein Geschäft. Ich bin sechs Jahre gefahren, bis . . .«

Er verschluckte das weitere, da es völlig nebensächlich war, und machte sich auch schon mit großem Eifer und sichtlichem Geschick an die Arbeit. Daß er im Auto heimkehren und das Fahrgeld ersparen sollte, war für ihn der dritte unverhoffte Glücksfall an diesem geradezu märchenhaften Tag.

Der Fremde beschränkte sich darauf, ihm zuzusehen. Aber nach einigen Augenblicken zog er fröstelnd die Schultern hoch und begann etwas schwerfällig auf und ab zu humpeln.

»Ich bin gehörig in Schweiß geraten, und es ist empfindlich kühl hier unter den Bäumen«, sagte er. »Wenn Sie mich nicht brauchen, möchte ich ein Stück vorauslaufen. Sie könnten dann mit dem Wagen nachkommen. Sollten Sie mich nicht früher erreichen, so werde ich am Ausgang des Waldes warten.«

Dan war so beschäftigt, daß er auf den Vorschlag nur mit einem unverständlichen Murmeln und einem lebhaften Nicken antwortete, aber das genügte dem andern, um sich in Marsch zu setzen.

Nach etwa einer Viertelstunde war auch Dan Kaye fertig, und nachdem er sorgfältig das Werkzeug zusammengeklaubt hatte, besah er sich zunächst einmal den Wagen etwas näher. Es war ein älteres, aber ziemlich gut erhaltenes Ford-Modell, und Dan freute sich, daß er wieder einmal ein Steuer in die Hand bekommen sollte. Obwohl damit eigentlich das Pech in seinem Leben seinen Anfang genommen hatte. Als er wieder einmal so einen albernen Passanten auf den Kotflügel aufgeladen hatte, war ihm der Führerschein entzogen worden, und er war mit seinem sogenannten ehrlichen Beruf dagestanden . . .

Dan stieg mit einem gewissen feierlichen Gefühl ein, aber bevor er den Anlasser einschaltete, warf er noch einen Blick auf die Chaussee. Sie lag schnurgerade still und verlassen vor ihm. Nicht einmal der Besitzer des Wagens war mehr zu sehen, weil er wahrscheinlich bereits um die Biegung verschwunden war, hinter der dann die Straße aus dem Wald hinausführte. Dan war den Weg am Nachmittag hergetrottet und hatte ihn beiläufig in Erinnerung. Es war keine von den ekligen Kurven, die man haarscharf ausfahren mußte, sondern man konnte in aller Gemütlichkeit herumflitzen.

Und Dan Kaye tat es auch.

Vielleicht hätte er es nicht getan, und vielleicht hätte er überhaupt ganz anders gehandelt, wenn er von dem Schwarzen Meilenstein gewußt hätte. Aber der Name hatte am Vormittag in dem Haus in Bishopsgate so nichtssagend an sein Ohr geklungen, daß er am Nachmittag völlig achtlos an der düsteren Stätte vorübermarschiert war. Und daß für ihn der Unglücksstein auch jetzt keine Warnung bedeutete, da er hinter der Wegbiegung im Lichte der Scheinwerfer jäh aus dem Boden sprang . . .

Im nächsten Augenblick geschah es . . .

Dan Kaye fühlte, wie ihm das Lenkrad plötzlich irgendwie aus der Hand geschlagen wurde, aber er vermochte nichts mehr dagegen zu tun.

In der gleichen Sekunde schoß der Wagen schräg über die Straße und flog krachend und splitternd gegen die Stämme . . .

Der Schwarze Meilenstein hatte sein siebentes Opfer gefordert.


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