Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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27

Der entschiedene Protest des nervösen Mr. Gwynne hatte gewirkt. Zehn Minuten vor zehn herrschte im Golfhaus lautlose Stillte, und sie wurde auch durch Alf Duncan nicht gestört, als dieser in seiner rücksichtsvollen Art durch den langen Gang nach der Seitentreppe schlich.

Miss Reid hatte einen kürzeren Weg, denn ihr Zimmer lag fast unmittelbar daneben, und das beruhigte den jungen Mann. Vorläufig weilte sie noch oben, und ihre Fenster waren die einzigen erleuchteten auf dieser Front. Von dem Fuß des Hanges aus konnte Duncan sogar einige Male ihren unruhigen Schatten sehen. Wahrscheinlich rüstete sie sich bereits zum Weggehen, und er war in ernster Sorge, ob sie dabei seine dringende Warnung auch wirklich beachten würde.

Er wußte, wie ernst und gefährlich die Sache war, wenn er sich über die Zusammenhänge auch noch nicht ganz klar zu werden vermochte. Es ging um verschiedenes, aber irgendwo gab es für alle diese Dinge zweifellos einen gemeinsamen Angelpunkt, für die Hundert-Dollar-Scheine, für das böse Erlebnis der hübschen Miss Longden und für das Geheimnis des Schwarzen Meilensteins.

Alf Duncan glaubte seit einigen Stunden auch zu ahnen, in welcher Hand alle diese Fäden zusammenliefen, aber mit Ahnungen war nichts anzufangen. Vielleicht würden ihn aber nun die Mitteilungen von Miss Reid etwas weiterbringen. Daß der arme Dan Kaye unmittelbar vor seinem verhängnisvollen Ausflug bei Fielder gewesen war, hatte er ja selbst beobachtet, aber nun würde er vielleicht erfahren, was der alte Zuchthäusler hier draußen gesucht hatte. Und noch mehr interessierte Duncan die Andeutung über Charles Barres. Das war eine neue Figur in dem etwas undurchsichtigen Spiel. Was hatte Barres damit zu tun, und warum war Miss Reid auf einer so aufgeregten Suche nach ihm?

So sehr der abenteuerliche Gentleman von diesen seinen Gedanken in Anspruch genommen wurde, hielt er auf seinem Wege doch Augen und Ohren offen. Aber es schien nirgends eine neugierige menschliche Seele zu geben.

Der Pfad führte zunächst um eine kleine Nase des buschigen Hanges herum und bog dann nach links ab, wo in einer Entfernung von etwa hundert Schritten eine vereinzelte Baumgruppe stand. Noch etwas weiter lag dann das Fichtendickicht, und hinter diesem dehnte sich der Golfplatz aus.

Der ganze Weg mochte etwa acht Minuten betragen, und Alf war daher noch vor der verabredeten Zeit an Ort und Stelle. Er konnte von hier aus infolge der Dunkelheit nur eine kurze Strecke des Fußsteiges übersehen, und das Golfhaus war überhaupt durch den vorspringenden Teil des Hanges verdeckt.

Miss Reid war nicht so pünktlich.

Aber erst nach einer Viertelstunde begann Duncan ungeduldig und dann nach weiteren fünf Minuten unruhig zu werden und nach einer Erklärung für ihr langes Ausbleiben zu suchen. Daß sie es sich anders überlegt hätte, war kaum anzunehmen, aber vielleicht war im letzten Augenblick etwas dazwischen gekommen, was sie abhielt. Und schließlich konnte es auch sein, daß man die offene Hinterpforte entdeckt und wieder verschlossen hatte, obwohl der Schlüssel sich in seiner Tasche befand. Dann war Miss Reid dieser Weg versperrt, und zu einem anderen konnte sie sich vielleicht nicht entschließen . . .

Alles das war möglich, aber nebenbei drängten sich Alf allmählich weit bedenklichere Vermutungen auf. Er dachte an den ungeduldigen Mr. Gwynne und an den ungeschickten William, und als es halb elf geworden war, wollte er sich Gewißheit verschaffen.

Noch lautloser und vorsichtiger, als er gekommen war, eilte er den Pfad wieder zurück und wurde erst etwas langsamer, als das Golfhaus in schattenhaften Umrissen vor ihm auftauchte.

Sein erster Blick galt den Fenstern von Miss Reid, und als er sie noch immer erleuchtet fand, ließ seine Spannung nach. Anscheinend hatte sich also wirklich ein Hindernis ergeben, und wahrscheinlich wartete die Frau nun auf seine Rückkehr, um ihm davon Mitteilung zu machen.

Das wollte Duncan aus gewissen Gründen vermeiden, und er suchte nach einer Möglichkeit, sich mit ihr auf eine andere tunlichst unauffällige Art in Verbindung zu setzen. Wenn er den Hang ein Stückchen hinaufstieg, mußte er Einblick in ihr Zimmer gewinnen, und vielleicht gelang es ihm auch, sich bemerkbar zu machen, da eines der Fenster offenstand.

Wenige Schritte vom Haus zeigte sich neben dem Fußsteig eine kleine Lücke in dem dichten Gestrüpp des Hanges, und Alf begann, sich behutsam durchzuarbeiten. Es ging zwar dabei nicht ganz ohne Geräusch ab, aber das ließ sich nun einmal nicht vermeiden. Und da ringsumher eine so beruhigende Stille herrschte, war ja zu übertriebener Vorsicht eigentlich kein Grund vorhanden.

Zunächst kam Duncan ziemlich gut und rasch vorwärts, da er auf eine Art Pfad geraten war, aber als er sich nach dem Haus umsah, merkte er, daß ihn diese Richtung zu weit abführen würde. Er mußte sich mehr nach rechts halten, wenn auch das ziemlich hohe Sträuchergewirr wenig einladend war.

Eben im Begriff abzubiegen, gewahrte er auf einer der Stauden plötzlich einen hellen Fleck, und kaum hatte er näher hingesehen, als er auch schon mit großer Hast zugriff.

Es war ein winziges Damentaschentuch, und ohne es näher zu betrachten, glaubte er sich über die Verliererin bereits im klaren zu sein. Er hatte dieses eigenartige, etwas aufdringliche Parfüm schon bei seinem Besuche im Kontor Fielders und dann heute wieder bei der kurzen Unterredung vor seiner Tür mit Unbehagen wahrgenommen.

Was hatte aber dann dieser Fund zu bedeuten? War Miss Reid irre gegangen und, statt den unteren Weg weiter zu verfolgen, hier heraufgestiegen? – Das hatte wenig Wahrscheinlichkeit für sich. Der Pfad längs des Hauses war ausgetreten und auch in der Dunkelheit nicht zu verfehlen. Um hier herauf zu geraten, mußte man aber schon eine gewisse Ortskenntnis besitzen.

Über Alf Duncan kamen wieder die gewissen Gedanken, und er brach sich plötzlich mit ziemlicher Eile Bahn.

Aber seine Mühe lohnte sich nicht. Als er sich endlich gegenüber der Hausfront befand, vermochte er zwar tatsächlich einen Teil des erleuchteten Zimmers zu überblicken, von Miss Reid jedoch war nichts zu sehen. Sie mußte sich völlig ruhig verhalten – oder war überhaupt nicht da.

Nach zehn Minuten vergeblicher Beobachtung stand für Duncan das letztere fest, und sein Fund bekam nun wirklich ernstere Bedeutung.

Wo war Miss Reid, und was war geschehen?

Der junge Mann versuchte den kürzesten Weg den Hang hinunterzunehmen, aber schon nach wenigen Schritten kam er nicht weiter. Er arbeitete sich also wieder nach der lichteren Seite durch, von der er gekommen war, und atmete eine Sekunde auf, als er das ärgste Gewirr von Zweigen und Blättern endlich hinter sich hatte . . .

Aber im letzten Bruchteil dieser Sekunde warnten ihn seine geschärften Sinne plötzlich vor einer Gefahr. Er duckte sich blitzschnell und sprang zurück – eben als dicht vor ihm ein Arm aus dem Buschwerk stieß.

Duncan war so kaltblütig, daß er auf den Knall wartete, der nun folgen würde, aber dieser kam nicht. Nur ein kurzes, leises Fauchen war zu hören, und dann brach jemand auch schon aufwärts durch das Unterholz . . .

Ohne zu überlegen, stürzte Alf hinterdrein, und erst als das Knacken und Rauschen, das ihm einzig den Weg wies, plötzlich aufhörte, wurde er sich der Aussichtslosigkeit dieser Jagd bewußt. Warum war er überhaupt hinter dem Flüchtenden her? Es hatte zwar wie ein Überfall ausgesehen, war aber doch keiner gewesen . . .

Der junge Mann mußte feststellen, daß er bei der hitzigen Verfolgung die Orientierung verloren hatte, und es verging eine weitere Viertelstunde, bis er sich wieder zurechtfand.


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