Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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37

Alf Duncan mußte nicht allzu lange warten. Isabel erschien mit einem etwas verlegenen Lächeln, und ihr Blick sagte ihm, daß er nicht unwillkommen war. Aber sie hatte doch einige Bedenken.

»Die Frau schien sehr böse«, sagte sie, »und ich weiß auch wirklich nicht, ob ich recht handle. Wenn für die Leute, die mir helfen wollten, Unannehmlichkeiten entstehen, werde ich mir auch noch deshalb schwere Vorwürfe machen müssen.«

Sie streifte Duncans Gesicht mit einer ängstlichen stummen Frage, erhielt aber darauf keine Antwort.

»Sie sehen heute etwas besser aus«, sagte er, »und ich schließe daraus, daß seit gestern nichts Besonderes vorgefallen ist. Aber heute wird es wohl losgehen, und deshalb wollte ich Sie vorher noch sprechen.«

Isabel verfärbte sich leicht und sah ihn mit schreckhaften Augen an.

»Losgehen . . .? – Was meinen Sie damit?«

»Nun, die gewisse Sache«, erklärte er leichthin. »Es dürfte nun wohl soweit sein.«

»Haben Sie etwas darüber gehört?« drängte sie.

»Nein, aber ich vermute es. Ich kann mich jedoch auch irren. Es sind jetzt sehr bewegte Tage, und vielleicht kann Ihr Beschützer nicht so über seine Zeit verfügen, wie er es möchte. Dann werden Sie sich eben noch etwas gedulden müssen. Einmal werden Sie den Scheck schon loswerden, und dann . . .«

»Und dann?« forschte Isabel bange, da er so unvermittelt abgebrochen hatte.

»Ja, was dann werden wird, weiß ich noch nicht. Darüber zerbreche ich mir eben den Kopf. Zuerst vermutete ich, daß man Sie dann nach Hause schicken werde. Den Weg, den Sie gekommen sind – beim Schwarzen Meilenstein vorüber. Aber nun . . .«

»Davor haben Sie mich gewarnt«, fiel sie ihm ins Wort. »Was hat es damit für eine Bewandtnis? Und wo ist dieser Meilenstein?«

»Knapp vor der letzten Ortschaft, die Sie passiert haben.«

Sie dachte einen Augenblick nach.

»Oh – wohl dort, wo mich die zwei Polizisten aufhalten wollten . . .«

Alf lachte, und sie fand ihn überhaupt viel vergnügter, als er hätte sein dürfen, wenn er an ihrer schrecklichen Lage wirklich Anteil genommen hätte.

»Das waren keine Polizisten, liebe Miss Longden, sondern ganz harmlose Patrouillenfahrer. Aber die Stelle war es. Wenn Sie also in den nächsten Tagen vielleicht in ihre Nähe kommen sollten, so machen Sie schleunigst kehrt. Diese Möglichkeit scheint mir zwar heute nicht mehr sehr wahrscheinlich, aber so lange ich nicht ganz sicher bin, möchte ich nichts versäumen. – Sie könnten mir da mit einer kleinen Andeutung über Ihren Begleiter bei der gewissen Fahrt wirklich helfen . . .«

Die Aufforderung klang sehr dringlich, aber Isabel schüttelte fast trotzig den Kopf. Sie empfand es als starke Zumutung, daß sie sich ihm noch weiter anvertrauen sollte, während er nach wie vor in unlösbaren Rätseln zu ihr sprach. Sie hatte auch jetzt den Sinn der meisten seiner Worte nicht zu fassen vermocht und ahnte nur, daß um sie irgendwelche geheimnisvollen Dinge vorgingen, die noch anderes betrafen als ihre Schuld. Über diese war sie endlich wenigstens so weit hinweggekommen, daß sie in den endlosen Stunden des Alleinseins nicht mehr der Verzweiflung verfiel. Das schreckliche Bild tauchte zwar noch immer auf, aber es hatte nicht mehr die alleinige Macht über sie. Es gab nun noch manches andere, das sie beschäftigte. Vor allem immer wieder die Frage, wer der Mann war, der sich von Paris bis Alderscourt so hartnäckig auf ihrer Spur gehalten hatte und was er damit bezweckte. Die Antwort darauf war Isabel Longden wichtiger, als sie sich eingestehen wollte, und daß er ihr so beharrlich und so geschickt auswich, ließ sie immer gereizter werden.

Sie sah plötzlich sehr kühl und abweisend drein, erzielte aber damit wenig Erfolg. Duncan betrachtete vielmehr ihr hochmütiges Gesichtchen mit sichtlichem Wohlgefallen und brach dann wiederum in so ein schrecklich unangebrachtes Lachen aus.

»Also nicht«, sagte er. »Übrigens fahre ich heute wieder nach Thame.«

Der Name genügte, um Isabels verstocktes Schweigen sofort zu brechen.

»Was wollen Sie dort?« fragte sie hastig.

»Ein bißchen die Leute aushorchen«, erklärte er mit einem launigen Blinzeln. »Vielleicht erfahre ich einiges, was für Sie von Interesse ist. Es könnte ja sein, daß die Dinge gar nicht so schlimm stehen.«

Sie schüttelte mit einem schmerzlichen Ausdruck den Kopf, und er verstand sie.

»Nun ja, daß Sie glatt darüber hinweg sind, ist nun einmal sicher. Und auch, daß alles kaputt gegangen ist. Alles. – Dafür ist sogar noch ein weiterer Zeuge vorhanden. – Aber es fragt sich, ob die Polizei in Erfahrung gebracht hat, welcher Wagen das Unheil angerichtet hat. Sie haben sich ja sehr rasch davon gemacht.«

»Man weiß bereits alles«, preßte sie hoffnungslos hervor. »Es soll eine schreckliche Aufregung gegeben haben.«

Diesmal ließ sie seine laute Heiterkeit geradezu erstarren.

»Ich fürchte, es wird noch schrecklichere Aufregungen geben«, meinte er, als er sich endlich beruhigt hatte.

Und dann griff er plötzlich, bevor sie es ihm verwehren konnte, nach ihrer Hand, nahm sie in die seine und begann beruhigend ihre zuckenden Finger zu streicheln. Und die Berührung war so sanft und zart, daß sie Isabel gar nicht zum Bewußtsein kam.

»Wenn Sie erst heil aus dieser Geschichte heraus sind, Miss Longden«, sagte dabei der vollendete Gentleman, »werde ich Ihnen ein Präsent machen. – Ein Geschenk, das Ihnen eine so große Freude bereiten wird, wie wohl noch keines zuvor. Und das Sie in ganz besonderen Ehren halten werden. Als kostbare Erinnerung. – Für sich – und Ihre Kinder und Kindeskinder«, fügte er unverschämt hinzu, und Isabel riß ihre Hand hastig aus der seinen und barg sie auf dem Rücken . . .

 

Mrs. Drew saß mittlerweile stocksteif vorn auf der Bank und hatte ein blaurotes Gesicht und eine Flasche neben sich.

Das alles kam von der Aufregung.

Das waren ja feine Geschichten. Ein fremdes Mannsbild in Alderscourt und um die Miss herum, obwohl doch der Herr das so streng verboten hatte. Pfui Teufel, wenn es da am Ende einen Krach gab.

Mrs. Drew mußte rasch wieder einen Schluck machen, um über diesen schrecklichen Gedanken hinwegzukommen. Aber was hätte sie tun sollen? Der geschniegelte Bursche hatte so verdächtig herumgeredet, daß sie ganz kalte Beine bekommen hatte. Und zehn Schillinge fand man auf diesem Misthaufen hier draußen schließlich auch nicht alle Tage . . .

Aber an allem war nur dieses verschlagene Luder, die Molly, schuld. Wahrscheinlich hatte er ihr auch ein paar Schillinge zugesteckt, vielleicht sogar auch ganze zehn, und dieser ungeratene Balg hatte wirklich das Maul gehalten. Damit sie ihrer armen alten Mutter ja nicht etwas davon abgeben müßte.

In diesem etwas ungünstigen Augenblick kam die ahnungslose Molly aus dem Hause, um ihrer feinen Wäsche beim Brunnen die letzte Blütenweiße zu geben.

Mrs. Drew stand plötzlich breit auf den Beinen, und ihre Hand fuhr blitzschnell in das Schaff. Dann patschte ein triefendes Bündel einige Male klatschend um Mollys versteinertes Gesicht, und dann flogen die Prachtstücke aus lauter Seide und Spitzen in den Dreck von Alderscourt.

Molly wußte nicht, wie ihr geschah, aber sie wußte nun, daß es an der Zeit war, das zu tun, was sie ohnehin schon vorhatte.


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