Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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9

Als die Glocke von der kleinen Ortskirche in den stillen Abend bimmelte, hielt es Dan Kaye endlich an der Zeit, sich nach James umzusehen. Er hatte mittlerweile an einem der Holztische vor der Straßenschenke einige Pint Whisky getrunken und sich wiederholt bemüht, mit dem Geschäftsführer in einen gemütlichen Plausch zu kommen. Aber der schmächtige, dunkelhaarige Mann mit den schläfrigen Augen war genau so langweilig wie er aussah. Seine Antworten klangen etwas von oben herab und sehr einsilbig, und über das Buschhaus wußte er überhaupt nichts zu sagen. Er zuckte nur kurz mit den Achseln, als der hartnäckige Dan so ganz beiläufig darauf zu sprechen kam.

Dieses alberne, aufgeblasene Getue ging Dan Kaye gewaltig auf die Nerven, und sein Aufbruch aus dem »Reitenden Postillon« gestaltete sich daher etwas unfreundlich. Er hieb die genau abgezählte Zeche kräftig auf die Tischplatte und stapfte ohne jeden Gruß breitspurig davon.

Es begann bereits stark zu dunkeln, aber der schmale Fußpfad, der nach kaum zweihundert Schritten von der Chaussee abbog, war nicht zu verfehlen. Er führte zunächst eine kurze Strecke über freies Feld und verlor sich dann in jungem Laubholz, das eine steinige Lehne hinunterlief.

Nach etwa zwanzig Minuten stand Dan Kaye an seinem Ziel, aber was er sah, bereitete ihm eine arge Enttäuschung. Er hatte sich das Heim seines ehemaligen Kameraden als ein kleines, nettes Landhaus vorgestellt und fand nun in dem Kessel eine unansehnliche, schmutzige Hütte mit einer Tür und zwei Fensterläden, die in klaffenden Angeln hingen. An die rückwärtige Front schloß sich eine niedrige Hofmauer, die ein Stück den Abhang hinauflief und dicht von Gestrüpp umwuchert war.

Das Gebäude und der ganze Platz herum waren so wüst und einsam, daß in Dan mit einem Male alle die schönen Hoffnungen dieses Tages zusammenbrachen. Hier schien alles leer und verlassen. Wenn aber James doch in diesem Stall hauste, konnte bei ihm nicht viel zu holen sein.

Kaye spuckte eine Weile kräftig nach links und rechts, um seinen inneren Menschen nach dieser argen Erschütterung wieder etwas ins Gleichgewicht zu bringen, und schlich dann unschlüssig näher. Aber nachdem er nun einmal da war, wollte er wenigstens einen Versuch machen.

Er hatte das gewisse Klopfsignal von Exeter noch nicht ganz beendet, als sich die wacklige Tür blitzschnell zu einem Spalt öffnete und eine kräftige Hand ihn in ein undurchdringliches Dunkel riß. Er vermochte nicht das geringste zu sehen, sondern fühlte nur eine Gestalt dicht vor sich.

»Was ist los?« hauchte eine Stimme ohne Farbe und Klang.

Dan war so überrascht, daß er erst eine Weile schmatzend nach Luft schnappen mußte.

»Ich bin's«, stotterte er endlich. »Dan aus Exeter. Du weißt ja . . . Der dir immer alles besorgt hat . . . Ich bin vor vier Tagen herausgekommen, und weil du gesagt hast, ich sollte mich dann bei dir melden und daß du etwas für mich tun wirst . . .«

»Gut«, klang es wie ein Hauch zurück. »Hier . . .« Dan fühlte mit großer Genugtuung, wie ihm zusammengefaltetes Papier in die Hand gedrückt wurde. »Aber nun mach, daß du fortkommst. Und zu niemandem ein Wort. Du kennst mich nicht und hast den Namen James Marwel nie gehört . . .«

»Aha«, tuschelte Dan verständnisvoll, aber zu mehr kam er nicht. Derselbe kräftige Arm, der ihn hereingezogen hatte, beförderte ihn wieder vor die Tür, und Kaye stolperte in seinem Schwung sogar noch ein ansehnliches Stück darüber hinaus.

Als er langsam den Hang wieder hinaufstieg, besah er sich zunächst einmal den kleinen Papierknäuel, den er krampfhaft in der Hand hielt, und ließ dann einen leisen Pfiff höchster Befriedigung hören. Er hatte sich zwar das Wiedersehen mit seinem lieben Freund etwas anders ausgemalt, aber drei Pfund waren drei Pfund. Da gab es nichts daran zu rütteln, und da konnte sich nur ein ausgemachter Schweinehund darüber das Maul zerreißen. Dieser James war unbedingt ein hochanständiger Bursche, und es konnte einem das Herz abdrücken, daß er sich schon wieder vor diesen verdammten Spürhunden verkriechen mußte.

Wenn Dan Kaye nicht so mit seinen Gedanken beschäftigt gewesen wäre, hätte er vielleicht den schweren polternden Fall vernommen, der hinter ihm unten im Hause ertönte und die morsche Tür in ihren Fugen krachen ließ.

Der Fall kam von dem Mann, der hinter Dan abgeschlossen hatte und sich mit einem erleichterten Aufatmen umwandte.

In diesem Augenblick schlug ihm eine stickende Staubwolke ins Gesicht, und er brach mit einem dumpfen Röcheln zusammen.

Nach einigen Sekunden sprang aus dem Dunkel des schmalen Ganges ein winziger Lichtkreis, der über einen steifen Körper glitt. Dann ging ein leises Schleifen durch das totenstille Haus, irgendwo kreischten verrostete Angeln, und mit hohlem Schlag klappte eine Türe zu.


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