Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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26

Eben als der Sergeant den Serpentinenweg zum Buschhaus hinunterstieg, schlug die Turmuhr oben in Blackfield drei Viertel zehn. Er hatte sich Zeit gelassen, denn er war nun wegen der neuen Sache beim Schwarzen Meilenstein seit fast vierundzwanzig Stunden ununterbrochen auf den Beinen und fühlte sich ehrlich müde.

Außerdem war er überzeugt, daß sein nächtlicher Erkundungsgang keinen Zweck hatte. Wenn sich im Buschhaus wirklich jemand aufhielt, so hätte er schon längst etwas davon merken müssen. Aber der Chefinspektor von Scotland Yard wünschte darüber Gewißheit, und er war ein pflichteifriger Mann, der allen Befehlen genauestens nachkam.

Der Kessel lag dunkel und still, nur die Wände des Steinbruchs leuchteten matt aus der Finsternis. Das Buschhaus, das knapp daneben an einem ziemlich steil aufstrebenden Hang klebte, war in seiner verwilderten Heckenumfriedung erst zu entdecken, wenn man dicht davor stand, und der Sergeant mußte seine Taschenlaterne hervorholen, um einen Durchgang zu finden. Dann besah er sich zunächst die Schwelle, vor der ein dicker Teppich gefallenen Laubes angehäuft war, und hierauf die Tür und die mit einer harten Staubkruste überzogenen Fenster.

Da war nirgends ein Anzeichen, daß hier jemand aus- und einging oder in diesem Haufen Schmutz und Moder vielleicht gar hauste.

Aber der Sergeant nahm die Sache gründlich und versuchte nun auch das Schloß. Die Klinke gab seinem vorsichtigen Druck nach, aber die Tür öffnete sich nicht, und der gewissenhafte Mann überlegte eine Weile unschlüssig. Es war ein leichtes, mit dem morschen Holz fertig zu werden, aber so weit ging sein Auftrag eigentlich nicht. Daraus konnten Unannehmlichkeiten entstehen, die er nicht auf seine Kappe nehmen wollte. Er wußte nicht, wem die Hütte mit dem Steinbruch augenblicklich gehörte, und manche Leute verstanden in solchen Dingen keinen Spaß.

Er entschloß sich daher, vorerst seine Nachforschungen von außen fortzusetzen. Wenn sich dabei auch weiterhin nichts Verdächtiges ergab, so hatte ja ein gewaltsames Eindringen keinen Zweck.

Der Polizist arbeitete sich mit seiner Laterne durch die Büsche an die verfallene Hofmauer heran, die ein Stück den Hang hinauflief. Sie war kaum mannshoch, und man konnte von hier aus nun auch die fensterlose Rückseite des Hauses sehen. Diese hatte ebenfalls eine Tür, und der Sergeant ließ es sich nicht verdrießen, hinüberzuklettern und auch hier einen gründlichen Augenschein vorzunehmen. Aber auch dieser Zugang war fest versperrt, und der Mann glaubte nun seiner Sache völlig sicher zu sein. Nur um wirklich alles getan zu haben, was er tun konnte, klopfte er mit der geballten Hand noch mehrere Male kräftig an das Holz. Er war gar nicht enttäuscht, als auch nicht der geringste Laut aus den brüchigen Mauern drang.

Sonst bot der verwahrloste Hofraum nichts, was der Beachtung wert war. Die Umfriedung reichte bis zu einer fast senkrecht aufsteigenden Felswand, und dort kam dicht am Rande des Steinbruchs auch der gefährliche Steig herunter. Wer ihn nicht scheute, konnte in sechs oder sieben Minuten auf der Höhe und in weiteren drei oder vier Minuten über die steile Lehne unten beim Golfhaus sein.

Der Sergeant dachte auch jetzt nicht daran, sich auf diese Weise den Rückweg abzukürzen. Er ging wieder längs dem Wiesengrunde vor dem Buschhaus und begann dann vorne am Hange die Serpentine hinaufzusteigen, über die er heruntergekommen war.

Er war eben zur ersten Biegung gelangt, als er mit einem jähen Ruck haltmachte und den Kopf lauschend nach der Richtung des Steinbruchs wandte.

Es war ein eigentümlich dumpfer Schlag von dort hergedrungen, und nun hörte er auch deutlich, wie abgebröckeltes Geröll in die Tiefe kollerte . . .

Das war nichts Besonderes. Von den Wänden, die durch Hunderte von Sprengschüssen zerrissen waren, mochten sich wohl häufig Gesteinsmassen lösen . . .

Trotzdem trieb ein unbestimmtes Gefühl den Polizisten im Eilschritt zurück. Er stürmte um das Buschhaus herum dem Steinbruch zu, aber als er an die Mauer kam, hielt er plötzlich inne, denn er glaubte dahinter ein Geräusch vernommen zu haben.

Kurz entschlossen setzte er über den Steinwall hinweg, und als er drüben landete, ließ er auch schon seine Taschenlampe spielen.

Die Gestalt, die der helle Lichtkegel traf, duckte sich blitzschnell und brach in wilder Flucht durch das Strauchwerk, aber der Sergeant holte sie mit wenigen Sprüngen ein und riß sie herum . . .

Dann aber ließ seine Hand plötzlich los, und er starrte in höchster Verwunderung in das Gesicht, das er vor sich hatte.

»Sie?« stammelte er betroffen. »Ja, was suchen denn Sie hier . . .?«

Der andere wand sich, als ob er noch immer nach einem Ausweg suchte, dann ließ er ein leises sprödes Lachen hören.

»Allerdings – gewiß – ich verstehe, daß Sie überrascht sind . . . stieß er endlich verwirrt und abgerissen hervor, indem er sich mit dem Taschentuch krampfhaft die nasse Stirn trocknete. »Aber ich werde es Ihnen erklären. – Sie werden . . .«

Er steckte das Tuch hastig wieder ein – und im nächsten Augenblicke fuhr seine Hand mit einer blitzschnellen Bewegung gegen das Gesicht des Polizisten.

Der Mann schnellte mit einem heiseren Röcheln die Arme in die Höhe und sackte in der gleichen Sekunde zu Boden.


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