Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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7

Im nächsten Augenblick zogen sich ihre schmalen, dunklen Brauen ärgerlich zusammen.

»Was wünschen Sie schon wieder?«

Mr. Alf Duncan beantwortete die wenig freundliche Begrüßung mit einem liebenswürdigen Lächeln, und während er gemächlich Hut und Handschuhe ablegte, sah er sich angelegentlich nach einer Sitzgelegenheit um.

»Ich hoffe, daß Sie nicht die Absicht haben, sich häuslich niederzulassen«, sagte Miss Reid gereizt. »Es wäre zwecklos. Mr. Fielder ist bereits fortgegangen und kommt heute nicht mehr zurück.«

Diese Mitteilung hatte den Erfolg, daß der elegante Gentleman zunächst einmal Mr. Fielders Platz einnahm und dann noch liebenswürdiger lächelte.

»Ich weiß, liebe Miss«, sagte er.

»Miss Reid, bitte, wenn es schon sein muß«, wurde er zurechtgewiesen.

»Bitte sehr. – Also ich weiß, liebe Miss Reid, daß Mr. Fielder fort ist. Ich habe nämlich eine Ewigkeit vor dem Haus gewartet, weil mir so ein schäbiger Konkurrent um einige Längen zuvorgekommen ist. Der Kerl sah furchtbar ordinär aus, und unmittelbar nach so etwas wollte ich nicht erscheinen. Das hätte keinen guten Eindruck gemacht, und vielleicht hätte mich Ihr verehrter Chef trotz seinem guten Herzen hinausgeworfen.«

»Ich glaube sogar, sicher«, bemerkte Miss Reid mit Nachdruck. Sie war eine nicht so leicht zu verblüffende Frau, aber die Unverfrorenheit dieses Menschen schuf ihr einiges Unbehagen.

Duncan nickte elegisch.

»Sehen Sie. Mein Feingefühl trifft eben immer das Richtige. Wozu hätte ich also da den netten Mr. Fielder erst aufregen sollen? – Ich dachte mir, wenn ich Ihnen, liebe Miss Reid, meine peinliche Lage erkläre . . .«

»Ach so . . .« Miss Reid ließ ein leises Lachen hören und musterte den jungen Mann mit einem spöttischen Blick. »Das heißt wohl, Sie wollen Ihre gewissen Tricks an mir versuchen? – Aber da hat Sie Ihr sogenanntes Feingefühl diesmal arg irregeführt. Solche Sachen wirken bei mir nicht und« – ihre Stimme wurde plötzlich wieder eisig, und ihr Blick nach der Tür war sehr deutlich – »Sie haben sich also völlig umsonst bemüht. Mr. Fielder gibt nur einmal. Und ich hätte Ihnen trotz Ihrer schönen Empfehlungen auch dieses eine Mal nichts gegeben, denn Hochstapler und Heiratsschwindler sind keine besserungsfähigen Individuen.«

Der arme Alf Duncan hörte dieses Urteil mit zerknirschter Miene an, und seine treuherzigen Augen hingen verzweifelt an der Sprecherin.

»Bloß Mißverständnisse und fatale Zufälle, liebe Miss Reid«, versicherte er. »Glauben Sie mir. – Sie sind ja selbst nicht nur eine sehr kluge Frau, sondern auch eine sehr schöne Frau. Ohne Ihnen schmeicheln zu wollen, eine aparte Schönheit. Und Sie werden daher wohl auch schon erfahren haben, wie schrecklich einem zugesetzt wird, wenn man mit einigen körperlichen und geistigen Vorzügen ausgestattet ist. Da gerät man oft in Situationen . . .«

»Danke«, schnitt ihm Miss Reid ungerührt das Wort ab. »Alles das bringt Sie nicht weiter. Und ich habe dringend zu tun.«

Der junge, so selbstbewußte Mann verstand noch immer nicht, sondern schüttelte nur den Kopf und blickte sehr nachdenklich drein. Dann zog er sein Etui mit einem mächtigen Monogramm hervor und bot es Miss Reid höflich an. Als diese brüsk und empört ablehnte, zündete er sich selbst eine Zigarette an.

»Dann gestatten Sie wenigstens mir, zu rauchen«, sagte er. »Ich befinde mich nämlich wirklich in einer schauderhaften Lage, und so eine Dosis Nikotin bringt einem zuweilen einen rettenden Einfall. Sie sitzen ja hier hübsch weich und warm und wissen nicht, wie es draußen zugeht. Jeder muß zusehen, daß er weiterkommt. Das ›Wie‹ ist gleichgültig. Da habe ich beispielsweise vor einigen Tagen durch einen komischen Zufall die ›Blonde Elster‹ kennengelernt. Eigentlich heißt sie Miss Emily Jarvis und ist die geschickteste Taschendiebin vom Hyde Park bis zum Strand. Sie versteht ihr Geschäft wirklich ganz großartig, denn sie hat mir das Portefeuille unter dem zugeknöpften Überrock hervorgeholt, ohne daß ich auch nur das Geringste gemerkt hätte. Dabei müssen Sie wissen, daß ich schrecklich kitzlig bin. Dann hat sie aber wohl rasch einen Blick in die Brieftasche getan, denn sie hat mich auf einmal angesprochen und in sehr feiner Art zu einem Dinner eingeladen. Wir haben also in einem hübschen Restaurant recht gut gespeist, und dabei hat sie mir allerlei erzählt. Sie hat zuerst in einem Kontor auf der Maschine geklappert, dann ist sie zum Film gegangen, aber erst jetzt hat sie es so weit gebracht, daß sie anständig leben kann. – Und eine ehemalige Kollegin von ihr soll es noch besser getroffen haben, weil sie sich nur auf ganz große Sachen verlegt.«

Mr. Duncan seufzte tief auf und zerdrückte den Rest seiner Zigarette. Miss Reid aber hatte sich ans Fenster gestellt und beschäftigte sich mit der dritten unangenehmen Überraschung dieses Vormittags.

Unter diesen Umständen blieb dem redseligen Gentleman nichts anderes übrig, als die Unterhaltung nun auch weiterhin allein zu führen.

»Für mich kommen aber leider solche Dinge nicht in Betracht«, meinte er resigniert. »Dazu bin ich nicht geschickt genug, und dann fehlt mir auch die Courage. Ich habe bereits an den ersten paar Monaten genug, denn unsere englischen Gefängnisse sind der reinste Kulturskandal. Nicht ein bißchen Komfort. – Meine einzige Rettung wäre, wenn mir eines Tages eine Frau in den Weg käme, die wirklich so viel Geld hätte, daß man damit einen ordentlichen Hausstand gründen könnte. – Sagen wir so eine reiche Amerikanerin, wenn es so etwas überhaupt noch gibt. Besonders hübsch müßte sie ja nicht sein, denn ich bin nicht unbescheiden, aber . . .«

»A propos – Amerikanerin . . .« sagte Miss Reid, indem sie sich langsam vom Fenster wandte und ihren Blick unbefangen auf den bekümmerten Abenteurer heftete. »Da Sie augenblicklich wohl über einige Zeit verfügen, hätte ich eine Beschäftigung für Sie: Es würde mich interessieren, wann und unter welchen Umständen eine Miss Isabel Longden gestern abend abgereist ist. Sie hat im Union-Hotel gewohnt. Vielleicht haben Sie irgend welche Verbindungen, um etwas Näheres darüber erfahren zu können.«

Mr. Alf Duncan wurde plötzlich sehr lebendig. Er schnellte auf, straffte sorgfältig die. Bügelfalten seiner Beinkleider und ließ einen wohlgefälligen Blick an sich hinabgleiten.

»Das darf ich wohl behaupten«, erklärte er bescheiden. »Gottlob kann ich mich ja überall sehen lassen. – Also, wie sagten Sie, liebe Miss Reid?«

»Miss Isabel Longden«, wiederholte diese silbenweise. »Aus Shoshone, Idaho.«

»Miss Isabel Longden – jawohl. Das ist nicht so schwer zu merken.« Er sah Miss Reid wieder einmal sehr treuherzig an, und in seinen Augen leuchtete ein Hoffnungsschimmer. »Glauben Sie, daß da für mich etwas zu machen wäre?«

Miss Reid zuckte kühl mit den Achseln.

»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß die Dame abgereist ist. Außerdem weiß ich so gut wie gar nichts über ihre Verhältnisse. Sie interessiert mich auch nur indirekt.« Sie begann, in der Handtasche, die sie aufgenommen hatte, herumzufingern, und der schöne Alf verfolgte ihr Tun mit diskreter Aufmerksamkeit.

»Es ist eine Gefälligkeit, die Sie mir persönlich erweisen«, betonte sie. »Wenn Sie mir also etwas mitzuteilen haben, so rufen Sie immer zwischen ein und zwei Uhr hier an. Natürlich werden Sie verschiedene Auslagen haben . . .«

In Mr. Duncans stolzem Gesicht malte sich eisige Ablehnung, aber seine weniger empfindlichen Finger schoben die zusammengefalteten Scheine hastig in die Westentasche.

»Sie werden von mir hören, liebe Miss Reid«, sagte er schlicht und machte eine weltmännische Verbeugung.


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