Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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4

Alf Duncan sah im Straßenanzug genau so fabelhaft aus wie in Frack und weißer Weste, aber als er gegen die Mittagsstunde die Old Bond Street hinunterschlenderte, beschloß er, für seinen äußeren Menschen noch ein übriges zu tun. Er wählte an einem Blumenstand eine halberblühte Rose von dunklem Rot, und nachdem er sie mit großer Sorgfalt im Knopfloch festgesteckt hatte, sah er sich nach einem Taxi um.

»Bishopsgate«, sagte er, und der Chauffeur fuhr mit einem kurzen Nicken los.

Dan Kaye, ein schlichter Mann, der sich in keiner Hinsicht mit Mr. Alf Duncan messen konnte, hatte ganz dasselbe Ziel, und obwohl er bescheiden zu Fuß trottete, kam er eine gute halbe Stunde früher an.

Vor einem Haus in der stillen Seitengasse bekam er es aber mit seiner Schüchternheit zu tun und strich eine ziemlich lange Weile scheu und unschlüssig davor hin und her. In einer so sauberen Gegend und in einem so feinen Bau hatte er bei hellichtem Tage noch nie etwas zu schaffen gehabt, und sein Freund James mußte ein ganz besonderer Bursche sein, daß man hier über ihn etwas erfahren konnte.

An diesen seinen Freund James hatte sich Dan heute morgen erinnert, als er nach der bewegten Wiedersehensfeier mit seinem »lieben, dreckigen, alten London« den ersten nüchternen Augenblick gehabt hatte.

»Wenn du herauskommst, melde dich bei mir«, hatte ihm James an ihrem letzten gemeinsamen Arbeitstag in der verwünschten Tretmühle von Exeter zugeraunt. »Bei Mr. Fielder, Bishopsgate, zweite Gasse rechts, drittes Haus links, wird man dir sagen, wo ich zu finden bin. – Ich glaube, ich werde etwas für dich tun können.«

Das war nun genau fünf Monate her, und wenn James vielleicht auch nicht ganz richtig im Kopf war, das würde er ja wohl nicht vergessen haben. Und schließlich auch nicht, daß der gefällige und geschickte Dan jedes Bleistiftstümpchen und jedes Blättchen Papier in den Kanzleien zusammengeklaut hatte, damit sein Zellennachbar sich mit seinen verrückten Zeichnereien und Schmieragen beschäftigen konnte; und auch jedes Endchen Draht, jedes Stückchen Metall und jeden Streifen Gummi, weil der gute James auf diese Dinge geradezu versessen war.

Je länger Dan sich diese Tage durch den brummenden Schädel gehen ließ, desto zuversichtlicher wurde er. Dieser James war sicher kein lumpiger Windbeutel, der bloß schöne Worte machte, sondern würde für den guten Kameraden wohl wirklich etwas übrig haben. Es mußte ja nur so viel sein, daß man sich in aller Ruhe nach einem Verdienst umschauen konnte. Damit schien es heute allerdings verdammt schlecht bestellt zu sein. Es sollte vorkommen, hatten ihm seine bedrückten alten Freunde anvertraut, daß man sich in so einem aufgetakelten Geschäft die halbe Nacht mit der protzigen Kasse abrackerte und schließlich kaum so viele Schillinge darin fand, als man dabei Jahre riskierte. Daran seien eben die wirklich lausigen Zeiten schuld, und Dan werde schon selbst sehen.

Aber Dan Kaye hatte keine Gelegenheit mehr, selbst zu sehen, denn es war bestimmt, daß er schon in der nächsten Nacht an den verhängnisvollen Schwarzen Meilenstein geraten sollte . . .


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