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40.

Am Tage darauf erwachte Olenin früher als sonst, und gleich im ersten Augenblick des Erwachens kam ihm der Gedanke an das, was ihm bevorstand. Er erinnerte sich freudig an Mariankas Küsse, an den Druck ihrer kleinen rauhen Hände und an ihre Worte: »Wie weiß sind deine Hände!« Er sprang aus seinem Bett und wollte sogleich zu den Wirtsleuten gehen und um Mariankas Hand anhalten. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und es schien Olenin, als herrsche draußen auf der Straße ein ungewohnt lebhaftes Treiben: Leute gingen und ritten hin und her und redeten miteinander. Olenin warf die Tscherkeska um und ging rasch auf die Freitreppe hinaus. Die Wirtsleute waren noch nicht aufgestanden. Fünf Kosaken kamen eben angeritten und unterhielten sich laut über irgend etwas. Allen voran ritt Lukaschka auf seinem kräftig gebauten Kabardiner. Die Kosaken sprachen und schrien durcheinander, es war nicht zu verstehen, wovon sie sprachen.

»Wir wollen zum oberen Tor hinausreiten!« rief der eine.

»Rasch gesattelt und flink hinter ihnen her!« sprach ein anderer.

»Vom andern Tore aus haben wir's näher.«

»Was schwatzt ihr da,« rief Lukaschka laut – »durchs mittlere Tor müssen wir reiten!«

»Ganz recht, von da ist's am nächsten,« sagte einer der Kosaken, der ganz mit Staub bedeckt war und auf einem schweißtriefenden Gaule saß. Lukaschkas Gesicht war noch vom gestrigen Gelage ganz rot und gedunsen; die Fellmütze hatte er in den Nacken geschoben. Er sprach in befehlendem Tone, als sei er der Vorgesetzte der andern.

»Was ist denn los? Wohin geht's denn?« fragte Olenin, der gern die Aufmerksamkeit der Kosaken auf sich gelenkt hätte.

»Abreken wollen wir fangen, sie haben sich in den Dünen versteckt. Wir reiten eben hin, sind aber noch zu wenige.«

Laut rufend ritten sie die Straßen entlang, und immer neue Kameraden stießen zu ihnen. Olenin sagte sich, es würde einen schlechten Eindruck machen, wenn er sich ihnen nicht anschlösse – er konnte es ja so einrichten, daß er bald wieder zurück war. Er zog sich also an, lud sein Gewehr mit Kugeln, bestieg sein Pferd, das Wanjuscha in aller Eile gesattelt hatte, und holte die Kosaken am Ausgang des Dorfes ein. Sie waren abgestiegen, hatten sich im Kreise aufgestellt und waren eben dabei, aus einem rasch herbeigeholten Fäßchen Rotwein in eine hölzerne Schale zu gießen und auf das Gelingen ihres Unternehmens zu trinken. Unter ihnen befand sich auch ein geckenhafter junger Fähnrich, der zufällig im Dorfe weilte und das Kommando über die neun Mann, die sich zusammengefunden hatten, übernehmen wollte. Aber obschon der Fähnrich sich redlich bemühte, die Miene eines Vorgesetzten aufzustecken, die Kosaken hörten doch alle nur auf Lukaschka, der gleich ihnen ein Gemeiner war. Olenin schenkten sie gar keine Beachtung. Als alle wieder aufgesessen waren und weiterritten, kam Olenin an den Fähnrich heran und fragte ihn, um was es sich eigentlich handle. Der Fähnrich, der sonst sehr leutselig war, ließ Olenin diesmal seine ganze Überlegenheit fühlen, und nur mit Mühe bekam Olenin heraus, was eigentlich vorlag. Eine Patrouille, die auf die Suche nach Abreken ausgeschickt worden war, hatte etwa acht Werst vom Dorf in den Dünen eine Anzahl Bergbewohner aufgestöbert. Die Abreken hatten sich in einer Grube festgesetzt, von der aus sie die Kosaken beschossen, und hatten erklärt, sich nicht lebend zu übergeben. Der Unteroffizier, der mit zwei Kosaken die Patrouille gebildet hatte, war mit einem der Kosaken zur Beobachtung der Abreken in den Dünen geblieben, während er den zweiten Kosaken ins Dorf nach Hilfe geschickt hatte.

Die Sonne kam eben am Horizont empor. Kaum drei Werst vom Dorfe waren die Reiter schon mitten in der Steppe. Man sah nichts als die einförmige, dürre, traurige Ebene; nur die Spuren des Viehes im Sande, da und dort etwas welkes Gras oder niedriges Schilf in den Senkungen, wenige kaum erkennbare Fußwege und ganz fern am Horizont ein paar nogajsche Hirtenzelte – das war alles, was dem Blick begegnete. Der Mangel an Schatten und der rauhe Charakter der Landschaft wirkten niederdrückend auf den Beschauer. Die Sonne geht in der Steppe stets rot auf und unter. Wenn der Wind weht, trägt er ganze Sandberge von einer Stelle zur andern. Ist es still, wie an jenem Morgen, so macht die durch keine Bewegung, keinen Laut unterbrochene Ruhe einen ganz besonders tiefen Eindruck. Ein mattes, trübes Licht lag an diesem Morgen über der Steppe, obschon die Sonne am Himmel stand; eine seltsam weiche Stimmung war über die Landschaft gebreitet. Kein Lüftchen regte sich; nur der Tritt der Pferde und ihr Schnauben ließ sich vernehmen, und auch diese Laute blieben schwach und erstarben sogleich wieder.

Die Kosaken ritten zumeist schweigend dahin. Seine Waffen trägt der Kosak immer so, daß sie nicht klirren oder klappern. Klappernde Waffen gelten bei den Kosaken als ein Beweis schmählicher Schlaffheit. Zwei Kosaken aus dem Dorfe hatten die Schar noch unterwegs eingeholt und wechselten in der Eile zwei, drei Worte mit den andern. Lukaschkas Pferd kam ins Straucheln, es war, hastig vorschießend, mit einem Hufe im Grase hängen geblieben. Das gilt bei den Kosaken als ein böses Vorzeichen. Die andern sahen sich um und wandten sich gleich wieder ab – sie stellten sich, als schenkten sie dem Vorfall, der doch im gegenwärtigen Augenblick besonders wichtig schien, weiter keine Aufmerksamkeit. Lukaschka zog die Zügel an, runzelte finster die Brauen, biß die Zähne aufeinander und schwang die Peitsche über seinem Kopfe. Sein trefflicher Kabardiner begann plötzlich auf allen vier Beinen zu trippeln, als wisse er nicht, welches er zuerst vorsetzen solle, und als würde er am liebsten in die Luft entschweben. Aber Lukaschka versetzte ihm einen Peitschenhieb gegen die feisten Flanken, dann noch einen zweiten und dritten, und der Kabardiner setzte sich zähnefletschend und prustend, mit wehendem Schweife, auf die Hinterbeine und tänzelte so ein paar Schritte von dem Kosakentrupp ab.

»Ein prächtiges Tier!« sagte der Fähnrich.

Daß er »Tier« und nicht »Pferd« sagte, sollte ein besonderes Lob für das Pferd sein.

»Ein Pferd wie ein Löwe,« stimmte einer der älteren Kosaken ihm bei.

Die Kosaken ritten schweigend daher, bald im Schritt, bald im Trab, und nur dieser eine Vorfall unterbrach für einen Augenblick die Ruhe und Gemessenheit ihres Vormarsches.

In der ganzen Steppe hatten sie, auf einer Strecke von acht Werst, nichts Lebendes angetroffen, nur ein auf einen Wagen gestelltes nogajsches Zelt bewegte sich etwa eine Werst von ihnen langsam vorwärts. Es gehörte einem Nogajer, der mit Kind und Kegel von einem Weideplatz zum andern zog. Dann begegneten sie noch in einer Vertiefung zwei zerlumpten Nogajerinnen mit knochigen Gesichtern, die in die Körbe auf ihrem Rücken den Dünger des in der Steppe weidenden Viehes sammelten, um ihn zu Heizzwecken zu verwenden. Der Fähnrich, der den kumykischen Dialekt nur schlecht beherrschte, begann die Nogajerinnen über irgend etwas auszufragen; sie verstanden ihn jedoch nicht und sahen sich gegenseitig ängstlich an.

Lukaschka ritt heran, hielt sein Pferd an und rief ihnen rasch den üblichen Gruß zu. Die Nogajerinnen waren sichtlich erfreut und unterhielten sich ganz unbefangen mit ihm wie mit einem Landsmann.

»Ai, ai, kop Abrek!« sagten sie in klagendem Tone und zeigten mit den Händen nach der Richtung, nach der die Kosaken ritten. Olenin entnahm ihrer Rede, daß dort »viele Abreken« seien.

Olenin hatte derlei Dinge nie miterlebt und kannte sie nur aus den Erzählungen Onkel Jeroschkas; er wollte daher jetzt hinter den Kosaken nicht zurückbleiben und alles selbst sehen. Er hatte seine Freude am Anblick der Kosaken, hielt die Augen offen, hörte alles und machte seine Beobachtungen. Er hatte seinen Säbel und das geladene Gewehr mitgenommen, als er jedoch merkte, daß die Kosaken sich von ihm fernhielten, beschloß er, an der Aktion weiter keinen Anteil zu nehmen. Seine Tapferkeit hatte er ja, wie er meinte, bereits im Felde bewiesen.

Plötzlich fiel in der Ferne ein Schuß.

Der Fähnrich ward ganz aufgeregt und begann Anweisungen zu geben, wie die Kosaken sich verteilen, und von welcher Seite sie heranreiten sollten. Aber die Kosaken schenkten seinen Anweisungen kein Gehör, sondern richteten sich nur nach dem, was Lukaschka sagte, und hingen an ihm mit ihren Blicken. In Lukaschkas Miene wie in seiner ganzen Gestalt prägte sich überlegene Ruhe aus. In halbem Paßgang ritt er auf seinem Kabardiner rasch vorwärts, daß die im Schritt gehenden übrigen Pferde kaum folgen konnten, und spähte, die Lider halb schließend, in die Ferne.

»Dort kommt ein Reiter,« sagte er, sein Pferd in langsamere Gangart bringend und sich wieder in die Reihe der andern hineinschiebend.

Olenin sah sich die Augen aus dem Kopfe, konnte jedoch nichts erkennen. Die Kosaken unterschieden bald zwei Reiter und ritten in ruhigem Schritt gerade auf sie zu.

»Sind das Abreken?« fragte Olenin.

Die Kosaken gaben keine Antwort auf seine Frage, die in ihren Augen höchst töricht erschien. Die Abreken wären rechte Dummköpfe gewesen, wenn sie beritten auf diese Seite des Flusses gekommen wären.

»Da winkt uns schon Vater Rodka zu,« sagte Lukaschka und zeigte auf die beiden Reiter, die jetzt schon bestimmter zu erkennen waren. »Er ist uns entgegengeritten.«

Im nächsten Augenblick sah man deutlich, daß die beiden Reiter die von der Patrouille zurückgebliebenen Kosaken waren. Gleich darauf hatte der Unteroffizier Lukaschka erreicht.


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