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7.

Die Sonne war bereits untergegangen, und die Schatten der Nacht rückten rasch vom Walde her näher. Die Kosaken hatten ihren Wachtdienst beendet und sich zum Abendessen in der Stube versammelt. Nur der Alte, der immer noch auf den Habicht lauerte und von Zeit zu Zeit den am Bein angebundenen Bussard zupfte, war unter der Platane geblieben. Ein Habicht saß wohl auf dem Baume, stieß jedoch nicht auf das Hühnchen herab. Lukaschka brachte gemächlich auf dem Fasanensteig, im Dickicht des Dornengesträuchs, die Schlingen für den Fasanenfang in Ordnung und sang dabei ein Lied nach dem andern. Trotz seines mächtigen Wuchses und der großen, rauhen Hände ging ihm offenbar jede Arbeit, ob grob oder fein, rasch vonstatten.

»Heda, Luka!« vernahm er auf kurze Entfernung aus dem Gebüsch die durchdringend schrille Stimme Nasarkas. »Die Kosaken sind zum Abendbrot gegangen!«

Nasarka drängte sich mühsam, mit einem lebenden Fasan unter dem Arm, durch das Dornengebüsch und gelangte auf den schmalen Waldpfad.

»O!« rief Lukaschka, der mit dem Singen aufgehört hatte – »woher hast du denn den Hahn? Der saß doch sicher in meiner Schlinge!«

Nasarka war im gleichen Alter wie Lukaschka und war ebenfalls erst seit dem Frühjahr bei der Truppe. Er war ein kleiner, häßlicher Mensch, hager und kränklich, mit einer kreischenden Stimme, die unangenehm im Ohr klang. Er war Lukas Nachbar und Spielkamerad gewesen. Lukaschka saß nach Tatarenart, mit gekreuzten Beinen, im Grase und band die Schlingen fest.

»Ich weiß nicht, wessen Schlinge es war, es kann wohl sein, daß sie dir gehörte,« sagte Nasarka.

»Hinter der Grube, nicht wahr – bei der Platane? Das war meine Schlinge, ich habe sie gestern gelegt.«

Lukaschka stand auf und besah sich den gefangenen Fasan. Er streichelte ihm den dunkelblauen Kopf, den der Hahn ganz erschrocken emporstreckte, während er gleichzeitig die Augen verdrehte. Dann nahm Lukaschka ihn zwischen beide Hände.

»Der gibt einen schönen Pilaw, schlachte und rupfe ihn!«

»Wollen wir ihn selber verzehren, oder soll auch der Unteroffizier etwas abbekommen?«

»Es wird wohl auch für ihn reichen.«

»Ich trau' mich nicht, ihn zu schlachten,« sagte Nasarka.

»Gib her!«

Lukaschka holte ein kleines Messer unter seinem Dolch hervor und tat damit einen raschen Schnitt. Der Hahn begann sich zu sträuben, doch kam er nicht mehr dazu, die Flügel auszustrecken, denn schon bog sein blutiger Kopf sich zuckend zurück.

»So muß man's machen, siehst du!« sprach Lukaschka und warf den Hahn hin.

Nasarka blickte auf den Hahn, und ein Schauer überlief ihn.

»Hör' mal, Luka, der Teufelskerl schickt uns sicher wieder nach dem vorgeschobenen Posten,« sagte er, während er den Fasan aufnahm. Unter dem »Teufelskerl« verstand er den Unteroffizier. »Den Fomuschkin hat er nach Wein geschickt,« fuhr er dann fort, »der wäre sonst an der Reihe. Nacht für Nacht müssen wir heran, immer wieder schickt er uns vor.«

Lukaschka ging pfeifend nach dem Wachthause zu.

»Nimm die Schnur da mit!« rief er.

Nasarka gehorchte.

»Ich sag's ihm aber heute, bei Gott, ich sag's ihm,« fuhr Nasarka fort. »Wir erklären einfach, wir gehen nicht, wir sind müde. Abgemacht! Oder sag' du es ihm – weiß Gott, er hört auf dich! Was soll denn das heißen, uns immer dahin zu schicken!«

»Was redest du da erst lange!« sagte Lukaschka, der offenbar an etwas anderes dachte. »Dummes Zeug! Ja, wenn wir so im Dorfe wären und über Nacht fort sollten – das wäre unangenehm! Dort hat man sein Vergnügen, aber hier? Ob man im Wachthause sitzt, oder auf dem vorgeschobenen Posten – das bleibt doch ganz gleich! Was ist da noch groß zu reden ...«

»Wann gehst du wieder ins Dorf?«

»Zum Feiertag geh' ich hin.«

»Gurka erzählte, daß deine Dunaika es mit Fomuschkin hält,« sagte Nasarka plötzlich.

»Hol' sie der Teufel!« antwortete Lukaschka und wies dabei, ohne indes zu lachen, seine dichten, weißen Zähne. »Als ob ich keine andere fände!«

»Gurka erzählte, er sei zu ihr gekommen, und ihr Mann sei nicht dagewesen. ›Mein Fomuschkin,‹ erzählte er, ›saß da und aß von einer Pastete.‹ Gurka saß ein Weilchen und ging dann fort; und wie er am Fenster vorübergeht, hört er, wie sie sagt: ›Gut, daß er fort ist, mein Satan; willst du nicht noch von der Pastete essen, lieber Schatz? Und zu schlafen,‹ sagt sie, ›brauchst du auch nicht zu Hause.‹ Und er sagt darauf: ›Gut, meine Liebe!‹«

»Das hast du gelogen!«

»Es ist wahr, bei Gott!«

Lukaschka schwieg ein Weilchen.

»Hat sie einen anderen gefunden, dann hol' sie der Teufel!« sagte er dann. »Als ob's nicht Weiber genug gäbe! Sie war mir ohnedies schon zuwider.«

»Bist doch ein Mordskerl!« sagte Nasarka. »Solltest mal bei Marianka, der Fähnrichstochter, anklopfen. Die scheint noch mit keinem zu gehen.«

Lukaschkas Blick verfinsterte sich.

»Was mach' ich mir aus Marianka! Eine ist wie die andere,« sagte er.

»Mach' dich mal an sie heran! ...«

»Rede doch nicht! Die oder eine andere – es gibt Mädchen genug im Dorfe!«

Pfeifend und Blätter von den Zweigen pflückend, schritt Lukaschka an der Kordonlinie entlang weiter. Plötzlich blieb er stehen: er hatte eine hübsche, gerade Gerte bemerkt, zog sein Messerchen hinter dem Dolche hervor und schnitt sie ab.

»Das gibt einen Ladestock,« sagte er und führte mit der Gerte einen pfeifenden Hieb durch die Luft.

Die Kosaken saßen in dem mit Lehm beworfenen Vorraum des Wachthauses um ein niedriges tatarisches Tischchen herum auf dem bloßen Boden, als plötzlich die Rede darauf kam, wer an der Reihe sei, den vorgeschobenen Posten zu beziehen.

»Wer ist heut' eigentlich dran?« rief einer der Kosaken durch die offene Tür des Wachthauses dem Unteroffizier zu.

»Ja, wer ist dran?« ließ der Unteroffizier sich vernehmen. »Onkel Burlak war schon dort, und ebenso Fomuschkin,« sagte er, seiner Sache nicht ganz sicher. »Vielleicht geht ihr beide, du und Nasar,« wandte er sich an Luka. »Auch Jerguschow kann mitgehen, er hat jetzt wohl ausgeschlafen.«

»Der kann nie genug schlafen – ganz so wie du!« sagte Nasarka halblaut.

Die Kosaken lachten.

Jerguschow war jener Kosak, der betrunken an der Wand des Wachthauses geschlafen hatte. Er trat soeben, sich die Augen reibend und leicht schwankend, in den Flur.

Lukaschka war aufgestanden, um sein Gewehr nachzusehen.

»Brecht nur bald auf – eßt euer Abendbrot und geht!« sagte der Unteroffizier, offenbar nicht recht sicher, ob die Kosaken ihm auch gehorchen würden. »Wenn's nicht befohlen wäre, würde ich keinen hinschicken, doch ehe man sich's versieht, kann einem der Hauptmann auf den Hals kommen. Übrigens sollen acht Mann von den Abreken über den Fluß gesetzt sein.«

»Man wird wohl hingehen müssen,« sagte Jerguschow, »schon der Ordnung wegen. Da hilft mal nichts, die Zeiten sind eben danach. Ich sage also: gehen wir!«

Lukaschka saß da und führte eben mit beiden Händen ein großes Stück von seinem Fasan zum Munde, während er bald den Unteroffizier, bald Nasarka ansah. Er schien ganz gleichgültig gegen alles und lachte über die beiden. Noch waren die drei Kosaken nicht nach dem vorgeschobenen Posten abgegangen, als Onkel Jeroschka, der bis zum Einbruch der Nacht vergeblich unter der Platane gesessen hatte, den dunklen Flur betrat.

»Na, Kinder,« dröhnte sein Baß durch den niedrigen Flur, die Stimmen der anderen übertönend – »ich will mit euch gehen. Ihr könnt die Tschetschenzen totschießen, und ich will auf Wildschweine pirschen.«


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