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22.

Der Hauptmann war mit dem Dorfältesten davongeritten. Olenin hatte, um Lukaschka einen Gefallen zu tun und andrerseits nicht allein durch den dunklen Wald gehen zu müssen, Urlaub für Lukaschka erbeten, und der Unteroffizier hatte den Urlaub erteilt. Olenin nahm an, daß Lukaschka den Wunsch hege, Marianka zu sehen, und freute sich überhaupt über die Gesellschaft eines so stattlich aussehenden und gesprächigen Kosaken. Unwillkürlich brachte er in seiner Vorstellung Lukaschka und Marianka zusammen und fand ein Vergnügen darin, sich mit beiden zu beschäftigen. »Er liebt Marianka,« dachte Olenin bei sich. »Nun, auch ich könnte sie wohl liebgewinnen.« Und ein starkes, ihm neues Gefühl der Rührung bemächtigte sich seiner, während sie durch den dunklen Wald nach Hause gingen. Auch Lukaschka war in fröhlicher Stimmung. Ein Gefühl, das der Liebe nicht unähnlich war, bestand zwischen diesen beiden so verschiedenartigen jungen Leuten. Jedesmal, wenn sie einander ansahen, regte sich in ihnen die Lust zu lachen.

»Durch welches Tor willst du ins Dorf hinein?« fragte Olenin.

»Durch das mittlere. Ich bringe Sie bis an den Sumpf, dort brauchen Sie nichts mehr zu fürchten.«

Olenin lachte.

»Fürchte ich mich denn? Geh zurück, ich danke dir. Ich komme allein hin.«

»Nein, ich komme mit. Ich habe ja sonst nichts vor. Warum sollen Sie sich denn nicht fürchten? Auch wir fürchten uns,« sagte Lukaschka, gleichfalls lachend, in dem Bemühen, das verletzte Ehrgefühl des andern zu beschwichtigen.

»Besuch' mich doch, wir wollen plaudern, ein Fläschchen trinken, und am Morgen gehst du wieder zurück.«

»Als ob ich sonst keinen Platz zum Übernachten fände!« sagte Lukaschka lachend. »Der Unteroffizier sagte aber, ich solle zurückkommen.«

»Ich hörte dich gestern singen, und sah dich dann noch später.«

»Man ist eben auch ein Mensch ...« meinte Lukaschka und nickte mit dem Kopfe.

»Ist's wahr, daß du heiratest?« fragte Olenin.

»Die Mutter will mich verheiraten. Aber ich habe noch kein Pferd.«

»Bist du denn noch nicht regulärer Kosak?«

»Wie sollte ich? Ich bin eben erst eingetreten. Ich habe noch kein Pferd und weiß nicht, woher ich eins nehmen soll. Darum bin ich auch noch nicht verheiratet.«

»Was kostet denn ein Pferd?«

»Neulich wollte jemand am andern Ufer eins kaufen, doch bekam er's nicht für sechzig Rubel. Es war freilich ein nogajsches Pferd.«

»Willst du als Trabant zu mir kommen?« fragte Olenin. Die »Trabanten« wurden den Offizieren während eines Feldzuges als eine Art Ordonnanzen beigegeben. »Ich sorge dafür, daß du den Posten bekommst, und schenke dir ein Pferd,« fuhr Olenin wie in plötzlicher Eingebung fort. »Wirklich: ich brauche selbst nur ein Pferd und habe ihrer zwei.«

»Wieso brauchen Sie sie denn nicht?« sagte Lukaschka lachend. »Warum wollen Sie es denn verschenken? Ich werde mir, so Gott will, schon ein Pferd verschaffen.«

»Nein, wirklich – oder hast du keine Lust, Trabant zu werden?« sagte Olenin, ganz glücklich über den Einfall, Lukaschka ein Pferd zu schenken. Doch hatte er immer noch ein unbehagliches, drückendes Gefühl und wußte nicht, was er sagen sollte, so sehr er auch nach Worten suchte.

Lukaschka brach zuerst das Schweigen.

»Haben Sie in Rußland Ihr eigenes Haus?« fragte er.

Olenin konnte nicht umhin, ihm zu erzählen, daß er nicht nur ein Haus, sondern deren mehrere besaß.

»Ist's ein schönes Haus? Größer als unsere hier?« fragte Lukaschka gutmütig.

»Weit größer, wohl zehnmal so groß, drei Stockwerke hat es,« erzählte Olenin.

»Sind Ihre Pferde ebenso wie unsere?«

»Ich habe hundert Pferde, jedes zu dreihundert, vierhundert Rubeln, doch nicht von der Art wie die hiesigen. Dreihundert Silberrubel das Stück! Traber sind es, verstehst du ... Die hiesigen aber gefallen mir besser.«

»Sind Sie freiwillig hierher gekommen?« fragte Lukaschka. »Hier wären Sie vom Wege abgekommen, wenn Sie allein gegangen wären,« fügte er hinzu und zeigte nach einem Waldpfade, an dem sie vorüberkamen. »Wir müssen uns rechts halten.«

»Ich bin freiwillig hergekommen,« antwortete Olenin. »Ich wollte mir euer Land hier ansehen und an den Kriegszügen teilnehmen.«

»Auch ich möchte jetzt an einem Kriegszuge teilnehmen,« sagte Luka. »Hören Sie doch, wie die Schakale heulen!« setzte er, in den Wald hineinlauschend, hinzu.

»Sag' – ist es dir nicht schrecklich, daß du einen Menschen getötet hast?« fragte Olenin.

»Was soll daran so schrecklich sein?« sagte Lukaschka und fuhr dann fort: »An einem Kriegszuge möcht' ich wirklich teilnehmen! Ich habe solche Lust dazu, solche Lust ...«

»Vielleicht marschieren wir zusammen. Unsere Kompagnie bricht noch vor dem Feste auf, und eure Schwadron ebenfalls.«

»Wie es Ihnen nur einfallen konnte, hierher zu kommen! Sie haben ein Haus, haben Pferde und Bauern. Ich würde an Ihrer Stelle ein flottes Leben führen. Was für einen Rang haben Sie denn?«

»Ich bin Junker, doch bin ich jetzt zum Offizier vorgeschlagen.«

»Nun, wenn's nicht bloß Prahlerei ist, daß Sie so reich sind, dann wär's wohl für Sie am klügsten gewesen, gar nicht von Hause fortzugehen. Ich würde nicht mal hier von uns weggehen wollen. Gefällt's Ihnen hier bei uns?«

»Ja, sehr gut,« sagte Olenin.

Es war schon ganz dunkel, als sie unter solchen Gesprächen sich dem Dorfe näherten. Noch umgab sie das tiefe Dunkel des Waldes. Der Wind rauschte hoch oben in den Wipfeln. Die Schakale begannen plötzlich, anscheinend in allernächster Nähe, laut zu heulen, es klang wie Lachen und Weinen; vom Dorfe her vernahm man schon das Schwatzen der Frauen und das Gebell der Hunde; deutlich hoben sich die Silhouetten der Häuser ab, Lichter erglänzten, und der eigenartige Duft, den der Rauch des brennenden Kuhdüngers verbreitete, lag in der Luft. Ganz deutlich glaubte Olenin, zumal an diesem Abend, zu fühlen, daß hier im Dorfe seine Heimat, seine Familie, sein ganzes Glück sei, und daß er zu keiner Zeit und nirgends so glücklich gelebt habe, noch jemals leben werde, wie in diesem Dorfe. Er war an diesem Abend von Liebe zu aller Welt erfüllt, namentlich zu Lukaschka. Als er nach Hause kam, führte er zu Lukaschkas nicht geringem Erstaunen selbst das Pferd aus dem Stalle heraus und übergab es ihm – nicht jenes, das er selbst immer ritt, sondern ein zweites, das zwar nicht mehr ganz jung, aber doch immer noch recht brauchbar war.

»Warum wollen Sie es mir denn schenken?« sagte Lukaschka – »ich habe Ihnen doch noch keine Dienste geleistet!«

»Wirklich, es hat für mich keinen Wert,« antwortete Olenin. »Nimm's nur, du wirst mir schon wieder etwas schenken. Wir marschieren ja zusammen ins Feld.«

Luka ward ganz verlegen.

»Ja – wie denn? Ein Pferd ist doch keine billige Sache!« sagte er, ohne das Pferd anzusehen.

»Nimm es nur, nimm es! Du beleidigst mich, wenn du es nicht nimmst. Wanjuscha, bring doch den Grauen nach seinem Hofe!«

Lukaschka griff nach den Zügeln.

»Nun, ich danke Ihnen. Das ist wirklich unverhofft gekommen!«

Olenin war so glücklich wie ein zwölfjähriger Knabe.

»Bind es hier an! Es ist ein gutes Pferd, ich habe es in Grosnaja gekauft, es galoppiert ausgezeichnet. Wanjuscha, bring uns Wein! Wir wollen ins Haus gehen.«

Der Wein ward gebracht. Lukaschka setzte sich und nahm die gefüllte große Schale.

»Gott gebe, daß auch ich Ihnen bald einen Dienst leisten kann!« sagte er, den Wein bis auf den Rest austrinkend. »Wie heißt du eigentlich?«

»Dmitrij Andreïtsch.«

»Nun, Dmitrij Andreïtsch, Gott sei mit dir! Laß uns Freunde sein! Jetzt komm auch einmal zu uns – wenn wir auch keine reichen Leute sind, wissen wir doch einen Gast zu bewirten. Ich will's meiner Mutter sagen, sie soll dir Quarkkäse schicken, oder Weintrauben, falls du etwas brauchst. Und wenn du nach dem Wachthause kommst, steh' ich dir zu Diensten, für die Jagd, oder wenn du über den Fluß willst, oder wohin sonst. Neulich, wie ich dich noch nicht kannte, hab' ich einen Eber erlegt, ein riesiges Tier! Davon hätte ich dir etwas gebracht, so hab' ich's unter die Kosaken verteilt.«

»Schön, ich danke dir. Spanne das Pferd nur nicht vor den Wagen, daran ist's nicht gewöhnt.«

»Wer wird denn solch ein Pferd vor den Wagen spannen! Doch, was ich dir noch sagen wollte,« sagte Lukaschka, seine Stimme dämpfend – »wenn du Lust hast: ich habe da einen Freund, Girej-Chan, der hat mich eingeladen, mich mit ihm am Wege auf die Lauer zu legen, dort, wo die Leute von den Bergen kommen; laß uns zusammen hingehen, ich werde treu zu dir halten, werde dein geschworener Bruder sein!«

»Gut, dahin wollen wir einmal reiten, unbedingt.«

Lukaschka schien sich vollkommen beruhigt und sein Verhältnis zu Olenin klar begriffen zu haben. Seine Ruhe und die schlichte Natürlichkeit seines Benehmens erregten Olenins Erstaunen und hatten sogar etwas Bedrückendes für ihn. Sie plauderten noch lange miteinander, und es war schon spät, als Lukaschka, nicht eben betrunken – er wurde nie betrunken – aber doch leicht angeheitert Olenin die Hand zum Abschied reichte.

Olenin schaute durchs Fenster, um zu sehen, was Lukaschka, nachdem er ihn verlassen, wohl beginnen würde. Der Kosak ging still, mit gesenktem Kopfe, über den Hof. Dann führte er das Pferd zum Hoftor hinaus, schüttelte plötzlich den Kopf, sprang wie eine Katze hinauf, warf den Halfterriemen herum und jagte, einen wilden Schrei ausstoßend, auf der Straße dahin. Olenin hatte angenommen, er würde nichts Eiligeres zu tun haben, als seine Freude mit Marianka zu teilen; aber obschon Luka dies nicht tat, war ihm doch so wohl und froh zumute, wie noch nie im Leben. Er freute sich wie ein Knabe und konnte sich nicht enthalten, Wanjuscha zu erzählen, daß er Luka das Pferd geschenkt habe. Ja, nicht nur das: er erklärte ihm auch, warum er es ihm geschenkt habe, und setzte ihm überhaupt seine ganze neue Glückstheorie auseinander. Wanjuscha konnte diese Theorie nicht billigen, er erklärte, daß »l'argent il n'y a pas,« und daß darum alles dies lauter Unsinn sei.

Lukaschka sprengte nach Hause, schwang sich vom Pferde und übergab es seiner Mutter, mit der Weisung, es zu der Pferdeherde der Kosaken zu führen; er selbst müsse noch in der Nacht nach dem Wachthause zurückkehren. Die Stumme übernahm es, das Pferd hinzuführen, und gab durch Zeichen zu erkennen, daß sie sich vor dem Manne, der ihm das Pferd geschenkt habe, bis zur Erde verneigen würde, sobald sie ihn sähe. Die Alte hörte kopfschüttelnd die Erzählung des Sohnes an und war im Herzen davon überzeugt, daß Lukaschka das Pferd gestohlen habe; sie befahl daher der Stummen, das Pferd sogleich, noch bevor es tagte, zur Herde zu führen.

Lukaschka begab sich allein nach dem Wachthause und sann unterwegs über Olenins Verhalten gegen ihn nach. Zwar hielt er das Pferd nicht für besonders gut, doch war es sicher seine vierzig Silberrubel wert, und seine Freude über das Geschenk war nicht gering. Er konnte jedoch nicht begreifen, weshalb ihm eigentlich Olenin das Geschenk gemacht hatte, und empfand darum auch nicht die geringste Spur von Dankbarkeit. Er hatte im Gegenteil allerhand mißtrauische, dunkle Gedanken, als ob der Junker von unredlichen Absichten geleitet würde. Worin diese Absichten bestanden, darüber vermochte er sich keine Rechenschaft zu geben; daß ihm jedoch ein ihm gänzlich unbekannter Mensch so ohne weiteres, aus lauter Gutmütigkeit, ein Pferd im Werte von vierzig Rubeln schenkte, wollte ihm durchaus nicht in den Kopf und schien ihm gänzlich ausgeschlossen. Ja, wenn er betrunken gewesen wäre – dann wäre so etwas schon eher möglich: dann konnte man eben denken, er habe sich aufspielen wollen. Aber der Junker war nüchtern gewesen, und so blieb nur die einzige Annahme übrig, daß er ihn für irgendeine Schlechtigkeit habe gewinnen wollen.

»Doch da irrt er sich!« dachte Lukaschka. »Vorläufig gehört das Pferd mir, und alles andere wird sich finden. Ich bin doch auch nicht von den Dümmsten: wir wollen sehen, wer den andern übers Ohr haut!«

Er sagte sich, daß er unbedingt vor Olenin auf der Hut sein müsse, und hegte ein Gefühl gegen diesen, das durchaus nicht freundschaftlicher Art war. Er erzählte keinem Menschen, wie er zu dem Pferde gekommen. Den einen sagte er, er habe es gekauft; anderen gab er eine ausweichende Antwort. Im Dorfe jedoch erfuhr man sehr bald den wahren Sachverhalt. Lukaschkas Mutter, Marianka, Ilja Wassiljewitsch und die andern Kosaken waren aufs höchste erstaunt, als sie von der selbstlosen Tat Olenins hörten, und sagten sich, daß man dem Junker gegenüber Vorsicht üben müsse. Trotz solcher Befürchtungen jedoch konnten sie nicht umhin, Olenin um seiner Schlichtheit und seines Reichtums willen ihre Achtung zu zollen.

»Hast du schon gehört? Der Junker, der bei Ilja Wassiljewitsch im Quartier liegt, hat dem Lukaschka ein Pferd zu fünfzig Silberrubeln geschenkt! Muß der reich sein!« sprach der eine.

»Ich hab' davon gehört,« versetzte der andere scharfsinnig. »Er muß ihm wohl einen großen Dienst geleistet haben. Wollen sehen, was noch daraus wird. Aber Glück hat er schon, dieser Greifer.«

»Sie sind ein verschmitztes Volk, die Junker,« meinte ein dritter. »Man hat seine Not mit ihnen: ehe man sich's versieht, zünden sie einem das Haus an oder begehen sonst eine Niedertracht.«


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