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38.

Es war bereits dunkel, als Lukaschka auf die Straße kam. Die Herbstnacht war frisch und windstill. Der goldene Vollmond stieg hinter den schwarzen Pappeln herauf, die an der einen Seite des Platzes emporragten. Aus den Schornsteinen der Milchkammern stieg der Rauch empor, floß mit dem Nebel zusammen und breitete sich über das Dorf hin. In den Fenstern brannte hier und da Licht. Der Geruch des getrockneten Kuhdüngers, der Trebern und des rauchigen Nebels erfüllte die Luft. Gespräche, Lieder, Lachen und das Knacken der Kürbiskerne ließ sich durcheinander, deutlicher als am Tage, vernehmen. Weiße Tücher und Kosakenmützen schimmerten im Dunkeln aus den Gruppen, die an den Zäunen und Häusern umherstanden.

Auf dem Platze, gegenüber der offenstehenden, hell erleuchteten Ladentür, drängte sich ein Haufe von Kosaken und Mädchen, die einen dunkel, die andern hell gekleidet, und man vernahm lauten Gesang, Gelächter und Schwatzen. Die Mädchen faßten sich bei den Händen, drehten sich im Kreise und schwebten leicht über den staubigen Platz dahin. Ein hageres Mädchen, die Häßlichste von allen, stimmte ein Lied an:

»Aus dem Wald, dem tiefen, dunklen Wald –
– Hört, ihr Leute!
Aus dem Hain, dem hellen grünen Hain
Kamen hergegangen Burschen zwei,
Schmucke Burschen, beide unbeweibt,
Kamen her und blieben beide stehn.
Trat ein Mädchen, schön und hold zu schaun,
Zu den wackern Burschen hin und spricht:
›Einer von euch beiden soll mich frein!‹
Und dem einen ward zueigen sie,
Ihm, dem schmucken Burschen weiß und blond,
Und er nimmt sie bei der rechten Hand,
Führt sie hin in der Genossen Kreis,
Rühmt sich stolz: Ihr wackern Brüder mein,
Seht die Holde, die ich mir gefreit!«

Die alten Frauen stehen rings umher und lauschen den Liedern. Die kleinen Knaben und Mädchen jagen in der Dunkelheit im Kreise herum und haschen einander. Die Kosaken stehen da, necken die vorübergehenden Mädchen, durchbrechen zuweilen den Kreis der Reigentänzerinnen und treten mitten hinein. Im Schatten neben der Ladentür stehen Bjelezki und Olenin in Tscherkessenröcken und Fellmützen und unterhalten sich leise, doch so, daß man sie hören kann; sie sprechen nicht im Kosakendialekt, und sie fühlen, daß sie Aufmerksamkeit erregen. Die runde, kleine Ustenjka im roten Beschmet und die stattliche Marianka im neuen Hemd und Beschmet schreiten nebeneinander im Reigen daher. Olenin und Bjelezki überlegen, wie sie wohl die beiden Mädchen von den übrigen Tänzerinnen trennen könnten. Bjelezki ist der Meinung, Olenin habe es nur auf einigen Zeitvertreib abgesehen, während Olenin in Wirklichkeit die Entscheidung seines Schicksals erwartet. Um jeden Preis wollte er noch an diesem Abend mit Marianka unter vier Augen sprechen, wollte ihr alles sagen und sie fragen, ob sie sein Weib werden könne und wolle. Ob schon er die Frage eigentlich längst in verneinendem Sinne entschieden wähnte, hoffte er doch, daß er Kraft genug besitzen werde, um ihr alles zu sagen, was er fühlte, und daß sie ihn verstehen werde.

»Warum haben Sie mir nicht früher gesagt, daß Sie sie sprechen wollen?« sagte Bjalezki. »Ich hätte Ihnen durch Ustenjka Gelegenheit dazu verschafft. Sie sind doch wirklich sonderbar!«

»Was soll ich tun? Irgend einmal, vielleicht sehr bald, werde ich Ihnen alles sagen. Jetzt richten Sie es nur auf alle Fälle so ein, daß sie mit zu Ustenjka kommt.«

»Gut, das ist alles leicht gemacht ...« sagte Bjelezki und sprach dann, auf das Lied anspielend, zu Marianka: »Wie steht's, Marianka – wirst du dich dem schmucken weißen Burschen zu eigen geben oder dem Lukaschka?«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, trat er auf Ustenjka zu und bat sie, doch Marianka mitzubringen. Noch hatte er nicht ausgeredet, als die Vorsängerin ein neues Lied anstimmte, und die Mädchen einen neuen Reigen begannen. Sie sangen:

»Durch das Dorf von ungefähr
Kommt ein junger Bursch daher,
Geht die Gass' hinab, hinauf,
Schaut zu Liebchens Fenster auf.
Steht so bang und schwenkt den Hut:
»Bist mir, Liebchen, nicht mehr gut?
Harrst im Garten nicht mehr mein,
Willst die Meine nicht mehr sein?
Sieh, bald send' ich Boten dir,
Die dich sollen freien mir!
Bist du mein erst, holde Maid,
Ist vorüber alles Leid.
Doch nun komm und tröst' mich schnell,
Sei im Garten flink zur Stell'!«
Und es spricht das Mägdelein:
»Gleich im Garten werd' ich sein!«
Hei, wie da mein Bursche sprang,
Nicht mehr war ums Herz ihm bang:
»Sei gegrüßt, mein holdes Kind,
Nimm zum Dank als Angebind
Dieses Tüchlein, zart und fein,
Schmück' damit dich, Liebchen mein!
Und zum Danke, lieber Schatz,
Schenk' mir einen süßen Schmatz!
Ach, mein Schatz, was gab' ich drum,
Könnt' ich dich nur um und um
Schmücken stets und putzen fein –
Solltest mir die Schönste sein!
Einen feinen Seidenschal
Bring' ich dir das nächstemal,
Leg' ihn um die Schultern dir,
Nehm' zum Dank fünf Küsse mir!«

Lukaschka und Nasarka hatten die Reigenkette durchbrochen und schritten zwischen den Mädchen auf und ab. Lukaschka begleitete den Gesang kräftig in der zweiten Stimme und bewegte sich unter lebhaftem Armschwenken in der Mitte des Reigens. »Na, wie steht's? Kommt denn keine heraus?« sagte er. Die Mädchen schoben Marianka vor, sie wollte jedoch nicht heraustreten. Helles Lachen, Püffe, Küsse, Geflüster ertönten mitten in den Gesang hinein.

Als Lukaschka an Olenin vorüberkam, nickte er ihm freundschaftlich zu.

»Na, Mitrij Andreïtsch, bist du auch gekommen, um zuzusehen?« sagte er.

»Ja,« antwortete Olenin bestimmt und trocken.

Bjelezki neigte sich zu Ustenjka hinab und sagte ihr etwas ins Ohr. Sie wollte erwidern, hatte jedoch nicht mehr die Zeit dazu. Als sie dann aber zum zweitenmal im Reigen vorüberzog, sagte sie:

»Gut, wir kommen.«

»Kommt auch Marianka?«

Olenin neigte sich zu Marianka vor. »Wirst du kommen?« fragte er. »Komm, bitte, wenigstens für einen Augenblick! Ich muß mit dir reden.«

»Wenn die andern Mädchen kommen, komme ich auch,« sagte sie.

»Wirst du mir meine Frage beantworten?« sagte er, sich zu ihr hinabbeugend. »Du bist heute so fröhlich!«

Sie entfernte sich bereits von ihm, und er folgte ihr.

»Wirst du mir Antwort geben?«

»Was für eine Antwort?«

»Nun, auf die Frage, die ich vorgestern stellte,« sagte Olenin, während er sich zu ihrem Ohr niederbeugte. »Ob du mich heiraten willst?«

Marianka überlegte.

»Ich werde es dir sagen,« antwortete sie. »Heute noch sage ich es dir.«

Und in der Dunkelheit strahlten ihre Augen ihn heiter und freundlich an.

Er ging ihr immer noch nach. Es war ihm so freudig zumute, wenn er sich recht nahe zu ihr vorneigen konnte. Doch nun trat Lukaschka, der immer noch mitsang, auf sie zu, faßte sie kräftig an der Hand und zog sie aus dem Reigen in die Mitte. Olenin hatte gerade noch Zeit, ihr zuzuflüstern: »Komm nur ja zur Ustenjka!« – Dann ging er zu seinem Kameraden zurück. Das Lied war zu Ende. Lukaschka wischte sich die Lippen, Marianka gleichfalls, und sie küßten sich. »Nein, wenigstens fünf Küsse will ich haben,« sagte Lukaschka. Lautes Plaudern, Lachen und Hinundherlaufen trat an Stelle der rhythmischen Klänge des Reigens. Lukaschka, der schon stark getrunken zu haben schien, verteilte Naschwerk unter die Mädchen.

»Ihr sollt alle etwas haben,« sagte er mit komisch-stolzer Selbstzufriedenheit. »Die aber mit den Soldaten lustig sein wollen, mögen aus dem Reigen treten,« fügte er plötzlich mit einem feindseligen Blicke auf Olenin hinzu.

Die Mädchen nahmen ihm die Näschereien weg und stritten sich lachend darum. Bjelezki und Olenin gingen auf die Seite.

Lukaschka, der sich seiner Freigebigkeit ein wenig zu schämen schien, nahm die Fellmütze ab und trocknete sich die Stirn mit dem Ärmel, worauf er zu Marianka und Ustenjka hintrat.

»Bist mir, Liebchen, nicht mehr gut?« wiederholte er, zu Marianka gewandt, die Worte des soeben gesungenen Liedes. »Willst die Meine nicht mehr sein? – Und doch sollst du es werden!« fügte er, die beiden Mädchen umarmend, hinzu.

Ustenjka riß sich von ihm los, holte mit der Hand aus und schlug ihn so kräftig auf den Rücken, daß ihr die Hand weh tat.

»Wie steht's, werdet ihr noch einen Reigen tanzen?« fragte er.

»Wie die Mädchen wollen,« antwortete Ustenjka. »Ich gehe nach Hause, und Marianka wollte zu uns kommen.«

Der Kosak, der Marianka immer noch umschlungen hielt, führte sie von den übrigen hinweg zu einer dunklen Hausecke.

»Geh nicht hin, Maschenka,« sagte er, »laß uns noch ein letztes Mal vergnügt sein. Geh nach Hause, ich komme zu dir.«

»Was soll ich zu Hause machen? Dafür ist doch heut Feiertag, daß man lustig ist! Ich gehe zu Ustenjka,« sagte Marianka.

»Ich heirate dich ja doch!«

»Schon gut,« sagte Marianka, »wir werden ja sehen.«

»Wirst du also kommen?« sagte Lukaschka ernst, während er sie an sich drückte und auf die Wange küßte.

»Ach, laß mich doch! Was bist du denn so zudringlich?« sagte Marianka, machte sich von ihm los und wollte sich entfernen.

»O, Mädchen ... das gibt nichts Gutes!« sagte Lukaschka vorwurfsvoll, während er kopfschüttelnd dastand. Dann wandte er sich von ihr ab und schrie laut den übrigen Mädchen zu: »So singt doch, seid nicht faul!«

Marianka schien über seine Worte zugleich erschrocken und aufgebracht. Sie blieb stehen und rief ihm zu: »Warum gibt's nichts Gutes?«

»Na, darum!«

»Was hab' ich dir getan?«

»Du hältst es mit dem Soldaten, mit eurem Mieter, und liebst mich darum nicht mehr.«

»Es paßt mir eben so, dich nicht zu lieben! Du bist doch nicht mein Vater noch meine Mutter! Was willst du denn? Ich liebe, wen ich lieben will.«

»So, so!« sagte Lukaschka. »Das will ich mir merken!« Er ging nach dem Laden zu. »Heda, ihr Mädchen,« rief er, »was steht ihr da herum? Singt noch einen Reigen! Nasarka, lauf rasch, hol' Rotwein!«

»Was meinen Sie, werden sie kommen?« fragte Olenin den Kameraden.

»Ja, sie werden gleich da sein,« antwortete Bjelezki. »Kommen Sie, wir wollen die Vorbereitungen zum Ball treffen.«


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