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12.

Wanjuscha, der inzwischen die wirtschaftlichen Angelegenheiten in Ordnung gebracht und sogar Zeit gefunden hatte, sich beim Kompagniebarbier rasieren zu lassen, befand sich nun vollends in guter Stimmung. Zum Zeichen, daß die Kompagnie in bequemen Quartieren untergebracht war, hatte er die Hosen aus den Stiefeln gezogen. Mit Aufmerksamkeit, doch nicht allzu wohlwollend, musterte er Jeroschka, wie man etwa ein wildes, noch nie gesehenes Tier betrachtet. Er schüttelte den Kopf, als er den von jenem beschmutzten Fußboden sah, zog unter einer Bank zwei leere Flaschen hervor und begab sich zu den Wirtsleuten.

»Seid gegrüßt, meine Lieben,« sagte er in dem Bestreben, recht liebenswürdig zu erscheinen. »Der Herr hat mir befohlen, Rotwein zu kaufen; füllt mir welchen hier hinein, ihr guten Frauen!«

Die Alte gab ihm keine Antwort. Die Tochter stand vor einem kleinen tatarischen Spiegel und schlang eben ein Tuch um den Kopf; sie sah sich schweigend nach Wanjuscha um.

»Ich bezahle den Wein, werte Frauen,« sprach Wanjuscha und klimperte mit den Kupfermünzen in seiner Tasche. »Seid doch gut zu uns – auch wir werden dann gut zu euch sein; 's ist so am besten,« fügte er hinzu.

»Wieviel?« fragte die Alte kurz.

»Ein Achtelchen.«

»Geh, mein Kind, zapf ihnen welchen ein,« sagte Mutter Ulita zur Tochter. »Aus dem angefangenen Fasse gieß ihnen ein, meine Liebe!«

Das Mädchen nahm die Schlüssel und eine Karaffe und verließ mit Wanjuscha das Zimmer.

»Sag' mal: wer ist denn diese Frauensperson?« fragte Olenin, auf Marianka zeigend, die in diesem Augenblick am Fenster vorüberging.

Der Alte blinzelte vielsagend und stieß den jungen Mann mit dem Ellbogen an.

»Wart' mal,« sagte er und steckte den Kopf zum Fenster hinaus. »Hm! Hm!« hüstelte er und rief dann: »Marianuschka! He, schöne Marianka! Hab' mich doch ein bißchen lieb, mein Seelchen! Ich bin nämlich ein Spaßvogel,« fügte er, zu Olenin gewandt, im Flüstertone hinzu.

Das Mädchen ging weiter, ohne den Kopf zu wenden, gleichmäßig und kräftig die Arme schwenkend, in jener koketten, selbstbewußten Gangart, die den Kosakinnen eigen ist. Sie ließ nur langsam ihre schwarzen, tiefbeschatteten Augen über den Alten hingleiten.

»Liebe mich doch ein bißchen, ich werde dich glücklich machen!« rief Jeroschka und warf dem Junker einen fragenden Blick aus den blinzelnden Augen zu. »Ich bin ein schneidiger Kerl, bin ein Spaßvogel,« fügte er hinzu. »Ein Staatsmädel, was?«

»Ein hübsches Mädchen,« sagte Olenin. »Ruf sie doch herein!«

»Nein, nein!« entgegnete der Alte. »Um die hält ja der Lukaschka an! Der Luka nämlich – ein tapferer junger Kosak, ein Dschigit, hat dieser Tage erst einen Abreken getötet! Ich such' dir eine viel schönere aus. Ich find' dir eine, die ganz in Seide und Silber gekleidet geht! Wenn ich's sage, tu' ich's auch; ein Prachtmädel verschaff ich dir!«

»Was redest du da, Alter!« sagte Olenin. »Das ist doch Sünde!«

»Sünde? Wo steckt hier die Sünde?« versetzte der Alte fast entrüstet. »Ein hübsches Mädchen anzusehen, soll Sünde sein? Mit 'ner Schönen spazieren zu gehen – soll Sünde sein? Und sie zu lieben – auch das soll Sünde sein? Ist das wirklich so bei euch? Nein, mein Vater, das ist keine Sünde, sondern Glückseligkeit! Gott hat dich geschaffen, und Gott hat auch das Mädchen geschaffen. Alles hat er geschaffen, Väterchen. Nein – ein hübsches Mädchen anzusehen, ist durchaus keine Sünde! Dazu ist sie eben geschaffen, daß man sie liebe und sich ihrer freue. So urteile ich, mein Lieber!«

Mariana war über den Hof geschritten und hatte die dunkle, kühle, mit Fässern angefüllte Vorratskammer betreten, wo sie mit dem üblichen Gebet an ein Faß herantrat und den Heber hineinführte. Wanjuscha stand in der Tür und sah ihr lächelnd zu. Es kam ihm höchst possierlich vor, daß sie nur ein Hemd anhatte, das hinten herabgelassen und vorn aufgeschürzt war, und noch possierlicher schien es ihm, daß sie am Halse Halbrubelstücke trug. Er dachte bei sich, das sei doch gar nicht russische Art, und suchte sich auszumalen, welches Gelächter wohl das Hofgesinde daheim anstimmen würde, wenn plötzlich ein Mädchen sich dort in solchem Aufzug zeigte. »La fille, comme c'est très bien,« dachte er zur Abwechslung auf gut französisch – »das will ich doch gleich meinem Herrn erzählen!«

»Was stehst du mir denn da im Lichte, Tölpel!« rief plötzlich das Mädchen. »Reich' mir lieber die Karaffe her.«

Sie füllte die Karaffe bis an den Rand mit kühlem, rotem Wein und reichte sie Wanjuscha zurück.

»Das Geld gib der Mutter,« sagte sie und stieß Wanjuschas Hand mit dem Gelde zurück.

Wanjuscha lächelte.

»Warum seid ihr denn so böse, meine Lieben?« sagte er leicht verlegen, während das Mädchen das Faß verschloß.

Sie lachte.

»Seid ihr denn gut?« sagte sie.

»Ich und mein Herr? Wir sind sehr gut,« antwortete Wanjuscha in überzeugtem Tone. »So gut sind wir, daß unsere Wirtsleute, wo wir auch gewohnt haben, uns immer ein dankbares Andenken bewahrt haben. Weil er nämlich von Adel ist.«

Das Mädchen blieb stehen und horchte auf.

»Und ist er verheiratet, dein Herr?« fragte sie.

»Nein! Unser Herr ist noch jung und nicht verheiratet. Weil nämlich die adeligen Herren sich nie jung verheiraten können,« versetzte Wanjuscha in belehrendem Tone.

»Was du sagst! Ist dick und stark wie ein Büffel und soll zum Heiraten zu jung sein! Er ist wohl der Vorgesetzte von euch allen?« fragte sie.

»Mein Herr ist Junker, das heißt, er ist noch nicht Offizier. An sich aber ist sein Rang höher als der eines Generals, der doch eine sehr hohe Person ist. Darum kennt ihn auch nicht nur unser Oberst, sondern selbst der Zar,« erklärte Wanjuscha stolz. »Wir sind nicht von der Art, wie die andern Hungerleider von der Linie, unser Papa war nämlich Senator; tausend Seelen hat er besessen, oder noch mehr, und das Geld schickt man uns tausendweise. Darum liebt man uns auch überall. Sonst kann nämlich einer sogar Kapitän sein, und wenn er kein Geld hat – was ist er groß wert?«

»Geh, ich will zuschließen,« unterbrach ihn das Mädchen.

Wanjuscha brachte den Wein seinem Herrn und erklärte ihm, daß ›la fille c'est très joulie‹, worauf er mit einem dummen Lachen sich entfernte.


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