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32.

Zweimal blieb er stehen und horchte auf das helle Lachen Mariankas und Ustenjkas, die näher zueinander hingetreten waren und sich irgend etwas zuriefen. Den ganzen Abend brachte Olenin im Walde auf der Jagd zu. Er erlegte nichts und kehrte heim, als es bereits dämmerte. Während er den Hof durchschritt, bemerkte er, daß die Tür zur Milchkammer der Wirtsleute offen stand. Er sah dahinter ein blaues Hemd. Lauter als sonst rief er Wanjuschas Namen, um seine Ankunft bemerklich zu machen, und setzte sich auf der Freitreppe an seinen gewohnten Platz. Die Wirtsleute waren bereits aus den Gärten zurück; sie verließen die Milchkammer und gingen nach ihrer Wohnung, unterließen jedoch, ihn einzuladen. Marianka ging zweimal zum Hoftor hinaus. Das eine Mal schien es ihm im Halbdunkel, als sehe sie sich nach ihm um. Er verfolgte gespannt jede ihrer Bewegungen, wagte jedoch nicht, sich ihr zu nähern. Als sie im Hause verschwunden war, stieg er die Freitreppe hinab und begann im Hofe auf und ab zu gehen. Marianka jedoch kam nicht wieder heraus. Die ganze Nacht brachte Olenin schlaflos auf dem Hofe zu und lauschte auf jedes Geräusch in der Stube der Wirtsleute. Er hörte, wie sie am Abend miteinander sprachen, wie sie zu Abend aßen, wie sie die Betten bereit machten und sich schlafen legten; er hörte, wie Marianka über irgend etwas lachte; er hörte dann, wie alles still ward. Der Fähnrich sprach noch irgend etwas im Flüsterton mit der Alten, und irgend jemand atmete laut.

Er begab sich in seine Stube. Wanjuscha schlief, ohne sich ausgezogen zu haben. Olenin beneidete ihn um seinen Schlaf; er begann von neuem, in Erwartung irgend welcher kommenden Dinge, im Hofe auf und ab zu gehen. Doch niemand kam heraus, niemand regte sich; nur das gleichmäßige Atmen der drei Bewohner ließ sich vernehmen. Er kannte Mariankas Atmen und belauschte es von ferne mit pochendem Herzen. Im Dorfe war alles still geworden; der Mond war aufgegangen, und man sah das Vieh, das sich auf den Höfen schnaubend regte, sich langsam erhob und wieder niederlegte. Voll Ingrimm fragte sich Olenin: »Was will ich denn eigentlich?« – und doch konnte er sich nicht losreißen von seinem nächtlichen Tun.

Plötzlich hörte er in der Wohnung der Wirtsleute ganz deutlich Schritte und das Knarren einer Diele. Er stürzte nach der Tür; doch nun war wieder nichts weiter zu hören als das gleichmäßige Atmen der Schlafenden und das Rumoren der Büffelkuh auf dem Hofe, die schwer ächzend sich zuerst auf die Knie der Vorderbeine und dann auf alle Viere erhob, sich mit dem Schwanze die Weichen schlug, gleichmäßig träg über den trockenen Lehmboden des Hofes schlurrte und sich ächzend wieder im nebeligen Mondschein niederlegte ...

»Was soll ich tun?« fragte sich Olenin und nahm sich fest vor, sich schlafen zu legen; doch da ließen sich wieder jene Laute vernehmen, und in seiner Vorstellung tauchte das Bild Mariankas auf, wie sie in die monddurchleuchtete Nebelnacht hinaustrat. Und er stürzte wieder nach dem Fenster hin und vernahm abermals Schritte. Kurz vor Anbruch des Tages trat er nochmals an das Fenster, klopfte an den Laden, lief nach der Tür und hörte wirklich einen Seufzer Mariankas und ihren Schritt. Er faßte die Türklinke und klopfte. Vorsichtige Schritte nackter Füße, unter denen die Dielen kaum knarrten, näherten sich der Tür. Die Klinke bewegte sich, die Tür knarrte leise, ein Duft von wildem Majoran verbreitete sich, und auf der Schwelle erschien Mariankas ganze Gestalt. Nur einen Augenblick sah er sie im Mondlicht. Sie schlug die Tür zu, flüsterte etwas und eilte mit leichten Schritten zurück ins Zimmer. Olenin klopfte leise, doch erfolgte keine Antwort. Er lief zum Fenster und begann zu lauschen. Plötzlich schreckte ihn eine scharfe, kreischende Männerstimme auf.

»Das ist ja schön!« sagte ein kleiner Kosak in weißer Lammfellmütze, der vom Hofe her ganz nahe zu Olenin hintrat. – »Nun hab' ich's selber gesehen: wirklich, sehr schön!«

Olenin erkannte Nasarka und schwieg, da er nicht wußte, was er tun oder sagen sollte.

»Ganz wunderschön! Jetzt geh' ich aufs Gemeindeamt und zeige es an, und auch dem Vater sag' ich's. Seh' einer diese Fähnrichstochter! Hat an einem nicht genug!«

»Was willst du von mir? Was verlangst du?« brachte Olenin endlich heraus.

»Nichts – doch auf dem Gemeindeamt sag' ich's!«

Nasarka sprach, offenbar mit Absicht, sehr laut.

»Seh' mir einer den Junker an, wie durchtrieben!« fuhr er fort.

Olenin zitterte und ward bleich.

»Komm' dahin, dahin

Er faßte die Hand des andern mit kräftigem Griffe und führte ihn nach seiner Stube zu fort.

»Es ist nichts weiter vorgefallen, sie hat mich nicht eingelassen, und ich habe nichts ... Sie ist ein anständiges Mädchen ...«

»Nun, ich kann's nicht untersuchen,« sagte Nasarka.

»Ich will dir aber doch etwas geben ... Wart' einmal!«

Nasarka schwieg. Olenin ging in seine Stube und brachte dem Kosaken einen Zehnrubelschein heraus.

»Es ist wirklich nichts geschehen! Aber das ist gleich, ich fühle mich doch schuldig, und darum gebe ich dir das hier. Nur darf, um Gottes willen, kein Mensch davon etwas erfahren! Aber geschehen ist nichts ...«

»Leben Sie recht glücklich,« sagte Nasarka lachend und ging davon.

Nasarka war in dieser Nacht nach dem Dorfe gekommen, um in Lukaschkas Auftrage ein Versteck für ein gestohlenes Pferd zu besorgen. Er hatte, als er die Straße entlang nach Hause ging, das Geräusch von Schritten gehört und das Tun des Junkers beobachtet. Sobald er am nächsten Morgen zur Schwadron zurückkehrte, erzählte er prahlend den Kameraden, auf welche pfiffige Art er zu den zehn Rubeln gekommen.

Als Olenin am Morgen mit den Wirtsleuten zusammentraf, wußte niemand etwas von den Vorgängen der Nacht. Mit Marianka sprach er nicht, sie lächelte nur spöttisch, wenn sie ihn ansah. Die Nacht darauf brachte er wieder schlaflos auf dem Hofe umherwandernd zu. Den folgenden Tag verbrachte er absichtlich auf der Jagd, und am Abend ging er zu Bjelezki. Er fürchtete sich vor sich selbst und gab sich das Wort, nicht wieder zu den Wirtsleuten zu gehen. In der nächsten Nacht wurde Olenin vom Feldwebel geweckt: die Kompagnie sollte sofort zu einem Streifzuge abmarschieren. Olenin freute sich über diesen Zufall und gedachte nicht wieder in das Kosakendorf zurückzukehren.

Der Streifzug nahm vier Tage in Anspruch. Der Kommandeur wünschte Olenin, mit dem er verwandt war, zu sehen, und schlug ihm vor, in seinen Stab einzutreten. Olenin lehnte das Anerbieten ab: er konnte ohne sein Kosakendorf nicht leben und bat, dahin zurückkehren zu dürfen. Für die Beteiligung an dem Streifzuge erhielt er das Soldatenkreuz, nach dem er sich früher so gesehnt hatte. Jetzt war er in dieser Hinsicht, wie auch betreffs seiner Beförderung zum Offizier, die noch immer nicht erfolgte, völlig gleichgültig. Ohne irgendeinen Zwischenfall kam er mit Wanjuscha wieder am Grenzkordon an, mehrere Stunden früher als seine Kompagnie. Er brachte den ganzen Abend auf der Freitreppe seiner Wohnung zu und spähte nach Marianka aus. Und während der Nacht wanderte er dann wieder ohne Ziel und Zweck auf dem Hofe umher.


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