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17.

Von Jeroschka begab Lukaschka sich nach Hause. Ein feuchter, tauiger Nebel hatte sich von der Erde erhoben und das Dorf eingehüllt. Das Vieh, das man jetzt nicht sehen konnte, begann da und dort zu rumoren. Häufiger und lauter erscholl das Krähen der Hähne. Die Luft wurde durchsichtiger, die Leute begannen sich zu erheben. Ganz dicht vor seinem Hofe stehend, konnte Lukaschka den vom Nebel benetzten Zaun, die Freitreppe des Hauses und die offenstehende Vorratskammer unterscheiden. Er hörte durch den Nebel hindurch, wie jemand im Hofe Holz zerkleinerte. Lukaschka trat in das Haus ein. Die Mutter hatte sich bereits erhoben und stand vor dem Ofen, in den sie Holz hineinwarf. Seine kleine Schwester schlief noch im Bett.

»Na, Lukaschka, hast du nun genug geschwärmt?« begann die Mutter leise. »Wo warst du denn die ganze Nacht?«

»Im Dorfe war ich,« antwortete der Sohn mürrisch, holte seine Büchse aus dem Futteral und besah sie.

Die Mutter schüttelte den Kopf.

Lukaschka schüttete Pulver auf die Pfanne, holte ein Säckchen hervor, nahm ein paar Patronenhülsen heraus, schüttete die Pulverladung hinein und verstopfte die Öffnungen sorgfältig mit Kugeln, die er in ein Läppchen gewickelt hatte. Dann benagte er die gefüllten Patronen mit den Zähnen, untersuchte sie und legte das Säckchen wieder fort.

»Wie steht's denn, Mütterchen – ich sagte dir, die Futtersäcke müßten geflickt werden – sind sie fertig?« sagte er.

»Ich glaub's wohl, die Stumme hat gestern abend irgend etwas geflickt. Mußt du denn schon nach dem Wachthause gehen? Ich habe dich die ganze Zeit nicht zu sehen bekommen.«

»Ich muß mich jetzt fertigmachen und gehen,« antwortete Lukaschka, während er die Munition einpackte. »Wo ist denn die Stumme? Ist sie hinausgegangen?«

»Sie wird Holz zerkleinern. Sie grämte sich so um dich. ›Ich bekomme ihn gar nicht mehr zu sehen,‹ sagte sie. Sie zeigte mit der Hand auf ihr Gesicht, schnalzte und preßte die Hände an ihr Herz: ›Ich bin so traurig,‹ wollte sie sagen. Soll ich sie rufen? Das mit dem Abreken hat sie ganz genau verstanden.«

»Ruf sie,« sagte Lukaschka. »Ich hatte da noch etwas Fett, bring mir's doch her, ich muß meinen Säbel einfetten.«

Die Alte ging hinaus, und wenige Augenblicke darauf kam Lukaschkas stumme Schwester die knarrende Treppe hinauf in die Stube. Sie war sechs Jahre älter als ihr Bruder und wäre ihm sehr ähnlich gewesen, wenn sie nicht den allen Taubstummen gemeinsamen stumpfen Ausdruck des Gesichts gehabt hätte, in dem sich alle Empfindungen in ganz grober Weise widerspiegelten. Ihre Kleidung bestand aus einem groben Hemd mit zahlreichen Flicken; die Füße waren unbekleidet und schmutzig; um den Kopf trug sie ein altes blaues Tuch. Hals, Arme und Gesicht waren sehnig, wie bei einem Manne. Man sah es an ihrer Kleidung wie überhaupt an allem, daß sie beständig schwere Männerarbeit verrichten mußte. Sie brachte ein Bündel Holz herein und warf es neben dem Ofen hin. Dann trat sie mit freudigem Lächeln, das ihr ganzes Gesicht in Falten zog, auf den Bruder zu, berührte seine Schulter und begann ihm mit den Händen, dem Gesicht und dem ganzen Körper lebhaft Zeichen zu machen.

»Gut, gut! Stepka ist ein tüchtiges Mädchen,« antwortete der Bruder und nickte dabei mit dem Kopfe. »Alles hat sie zurechtgemacht und geflickt, ein braves Mädchen! Da hast du auch etwas zum Lohne!« fügte er hinzu, nahm zwei Pfefferkuchen aus der Tasche und reichte sie ihr.

Das Gesicht der Stummen ward ganz rot, und sie stieß einen wilden Freudenschrei aus. Sie nahm die Pfefferkuchen und fuhr, noch hastiger als vorher, in ihrer Zeichensprache fort, wobei sie häufig nach einer bestimmten Richtung zeigte und mit dem dicken Daumen sich über Augenbrauen und Gesicht fuhr. Lukaschka verstand sie, lächelte still und nickte in einem fort. Sie sagte, der Bruder solle den Mädchen Leckereien geben, die Mädchen liebten ihn, und ein Mädchen, Marianka, sei besser als alle andern und liebe ihn gleichfalls. Marianka bezeichnete sie dadurch, daß sie nach der Richtung des Fähnrichshofes wies, dann auf ihre Augenbrauen und ihr Gesicht zeigte, mit der Zunge schnalzte und den Kopf hin und her bewegte. Um zu sagen: »Sie liebt dich,« drückte sie ihre Hand an die Brust, küßte die Hand und umarmte sie gleichsam. Die Mutter kehrte in die Stube zurück, und als sie merkte, wovon die Stumme sprach, lächelte sie und nickte mit dem Kopfe. Die Stumme zeigte ihr die Pfefferkuchen und stieß wieder ihren Freudenschrei aus.

»Ich habe dieser Tage mit Ulita gesprochen,« begann die Mutter – »ich sagte ihr, daß ich Freiwerber schicken würde. Sie hat meine Worte gut aufgenommen.«

Lukaschka sah seine Mutter schweigend an.

»Wie steht's denn, Mütterchen?« versetzte er darauf – »ich brauche ein Pferd, der Wein muß verkauft werden.«

»Ich werde ihn schon verkaufen, wenn's Zeit ist; ich muß erst die Fässer in Ordnung bringen,« sagte die Mutter, die es offenbar nicht gern sah, daß der Sohn sich in wirtschaftliche Angelegenheiten mischte. »Wenn du gehst,« sagte sie dann zu ihm, »dann nimm doch den Beutel mit, der auf dem Flur hängt! Ich habe ihn mir geborgt, um dir etwas zum Mitnehmen hineinzupacken. Oder soll ich dir's in den Futtersack tun?«

»Schon gut,« antwortete Lukaschka. »Wenn Girej-Chan über den Fluß herkommt, dann schick' ihn doch zu mir nach dem Wachthause, ich habe ein Geschäft mit ihm. Ich werde wohl nicht so bald wieder Urlaub bekommen.«

Er machte sich zum Aufbruch bereit.

»Ich schicke ihn dir hin, Lukaschka, den Girej-Chan. Habt ihr die ganze Nacht bei der Jamka gezecht?« fragte die Alte. »Wie ich in der Nacht aufstand und zum Vieh ging, hörte ich jemanden singen – ganz deine Stimme war es.«

Lukaschka antwortete nicht; er ging auf den Flur hinaus, warf den Beutel über die Schulter, schürzte seinen Kittel hoch auf, nahm das Gewehr und blieb auf der Schwelle stehen.

»Leb' wohl, Mütterchen,« sagte er zur Mutter, während er das Tor hinter sich schloß. »Schick mir durch Nasarka ein Fäßchen Wein, ich hab's den Kameraden versprochen. Nasarka wird hier vorsprechen.«

»Christus beschütze dich, Lukaschka! Gott sei mit dir! Ich schicke dir den Wein, aus dem neuen Fasse schicke ich dir welchen,« antwortete die Alte und trat an den Zaun heran. »Nun höre noch etwas,« fügte sie, sich über die Hecke vorbeugend, hinzu.

Der Kosak blieb stehen.

»Du hast hier lustig geschmaust – nun, Gott sei gelobt! Warum soll ein junger Mensch nicht fröhlich sein? Gott hat dir ja auch Glück gegeben. Mir ist's recht. Dort aber sei auf der Hut, mein Sohn, mache dir keine Feinde! ... Tu immer, was deine Vorgesetzten verlangen, es geht nicht anders! Und den Wein – den verkauf ich schon, daß du dir ein Pferd beschaffen kannst, und um das Mädchen will ich für dich werben.«

»Gut, gut!« antwortete der Sohn stirnrunzelnd.

Die Stumme stieß einen Schrei aus, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Sie zeigte nach ihrem Kopfe und ihrer Hand, was so viel besagte als ›ein rasierter Kopf, ein Tschetschenze!‹ Dann zog sie die Brauen zusammen, tat, als ziele sie mit einem Gewehr, schrie auf und sang, den Kopf wiegend, irgend etwas vor sich hin. Sie meinte damit, Lukaschka solle noch mehr Tschetschenzen töten.

Lukaschka verstand sie, lächelte und entschwand mit leichten Schritten in dem dichten Nebel, das Gewehr unter dem Filzmantel auf dem Rücken festhaltend.

Schweigend stand die Alte noch ein Weilchen am Hoftor, ging dann ins Haus und machte sich sogleich an die Arbeit.


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