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34.

Nachdem Olenin diesen Brief geschrieben, ging er noch spät am Abend zu seinen Wirtsleuten hinüber. Die Alte saß auf der Bank hinter dem Ofen und haspelte Seidenkokons ab. Marianka saß mit unbedecktem Kopfe da und nähte beim Schein einer Kerze. Als sie Olenin erblickte, sprang sie auf, nahm das Tuch und ging zum Ofen hin.

»So bleib doch bei uns sitzen, Marianuschka,« sagte die Mutter.

»Nein, ich habe nichts auf dem Kopfe,« entgegnete das Mädchen und kletterte auf den Ofen.

Olenin konnte nur ihr Knie und das herabhängende schlanke Bein sehen. Er bewirtete die Alte mit Tee. Sie setzte ihrerseits dem Gaste Quarkkäse vor, den Marianka geholt hatte. Sowie jedoch Marianka den Teller auf den Tisch gestellt hatte, sprang sie wieder auf den Ofen, und Olenin hatte nur das Gefühl, daß ihre Augen auf ihm ruhten. Sie plauderten von wirtschaftlichen Angelegenheiten. Mutter Ulita ging ganz aus sich heraus und überbot sich in Beweisen der Gastfreundschaft. Sie brachte Olenin eingemachte Trauben, und Weintraubenkuchen, und vom besten Wein, und aus ihrem ganzen Wesen sprach jene besondere, volkstümlich schlichte, derbe und stolze Gastlichkeit, wie sie nur Leuten eigen ist, die mit körperlicher Arbeit selbst ihr Brot erwerben. Die Alte, deren grobe Art Olenin früher häufig stutzig gemacht hatte, rührte ihn jetzt durch die schlichte Zärtlichkeit, die sie im Verkehr mit der Tochter an den Tag legte.

»Warum sollten wir auch Gott nicht dankbar sein, Väterchen! Wir haben ja alles, Gott sei Dank, haben Rotwein gekeltert und Fleisch eingepökelt, drei Faß Wein werden wir verkaufen und für uns zum Trinken noch genug behalten. Wart' nur noch mit deiner Abreise, wir wollen noch mit dir zusammen auf der Hochzeit lustig sein!«

»Wann wird denn die Hochzeit stattfinden?« fragte Olenin, während er fühlte, wie alles Blut ihm plötzlich zu Kopfe stieg und sein Herz beklemmend heftig zu schlagen begann.

Hinter dem Ofen begann sich etwas zu rühren, man hörte das Knacken von Kürbiskernen.

»Man müßte sie ja wohl in der nächsten Woche ausrichten, wir sind bereit,« antwortete die Alte schlicht und ruhig, als ob Olenin nicht da wäre oder überhaupt nicht existierte. »Ich habe alles für Marianuschka fertig gemacht und angeschafft. Wir statten sie gut aus. Eins nur gefällt uns nicht: unser Lukaschka treibt es gar zu bunt. Er trinkt in einem fort und macht dumme Streiche. Neulich war ein Kosak von seiner Schwadron hier, der erzählte, er sei ins Gebiet der Nogajer geritten.«

»Wenn ihm dabei nur nichts Schlimmes begegnet,« sagte Olenin.

»Auch ich sagte zu ihm: mach' keine Dummheiten, Lukaschka. Nun, er ist jung, gewiß, und will zeigen, was er kann. Doch alles zu seiner Zeit. Er hat Beute gemacht, hat geraubt, hat einen Abreken getötet – ein wackerer Bursche ist's, gewiß! Doch jetzt könnte er endlich ruhig sitzen. Statt dessen treibt er's immer ärger.«

»Ja, ich habe ihn einige Male bei der Truppe gesehen, er zecht sehr flott. Auch das Pferd hat er verkauft,« sagte Olenin und blickte nach dem Ofen hinüber.

Ein großes schwarzes Augenpaar blickte ihn streng und unfreundlich an. Er schämte sich dessen, was er gesagt hatte.

»Was schadet's denn, er tut doch niemandem Böses!« sagte Marianka plötzlich. »Er trinkt für sein eigenes Geld.«

Sie ließ die Beine vom Ofen gleiten, sprang hinunter und ging, die Tür heftig zuschlagend, hinaus.

Olenin war ihr, solange sie in der Stube war, mit den Augen gefolgt; dann blickte er unverwandt nach der Tür, durch die sie verschwunden, und begriff nicht ein Wort von dem, was Mutter Ulitka zu ihm sprach. Nach einiger Zeit erschienen Gäste: Ulitkas Bruder, ein alter Mann, und mit ihm Onkel Jeroschka. Gleich nach ihnen kamen auch Marianka und Ustenjka herein.

»Schönen guten Abend!« rief Ustenjka mit ihrem munteren Stimmchen. »Na, bist du noch immer lustig und vergnügt?« wandte sie sich dann zu Olenin.

»Ja, sehr vergnügt,« antwortete er und hatte dabei ein peinliches Gefühl der Beschämung.

Er wollte weggehen – und konnte es doch nicht. Auch zu schweigen schien ihm unmöglich. Der Alte, Ulitkas Bruder, kam ihm zu Hilfe: er bat ihn, mit ihm zu trinken, und so tranken sie denn zusammen. Dann trank Olenin mit Jeroschka, und dann wieder mit dem andern, worauf Jeroschka von neuem an die Reihe kam. Und je mehr Olenin trank, desto schwerer wurde ihm ums Herz. Die beiden Alten aber kamen in die beste Stimmung. Die Mädchen hatten sich auf den Ofen gesetzt, flüsterten miteinander und blickten auf die Männer, die bis in die Nacht hinein tranken. Olenin sprach nicht und trank mehr als die andern. Die Kosaken wurden schließlich gar zu laut, und die Alte jagte sie hinaus und gab ihnen keinen Wein mehr. Die Mädchen lachten über Onkel Jeroschka, und es war bereits zehn Uhr, als alle auf die Freitreppe hinausgingen. Die Alten luden sich selbst für die Nacht zu Olenin ein, um bei ihm weiterzuzechen. Ustenjka war nach Hause gelaufen. Jeroschka führte den Kosaken zu Wanjuscha. Die Alte war nach der Milchkammer gegangen, um da zum Rechten zu sehen, und Marianka war allein im Zimmer geblieben. Olenin fühlte sich frisch und munter, als wäre er soeben vom Schlafe erwacht. Er hatte die Alten vorangehen lassen und war in die Stube der Wirtsleute zurückgekehrt, wo Marianka sich eben anschickte, schlafen zu gehen. Er trat auf sie zu und wollte ihr etwas sagen, doch die Stimme versagte ihm. Sie setzte sich auf das Bett, zog die Beine unter sich, rückte weit von ihm weg, ganz in die Ecke, und sah ihn schweigend, mit erschrockenem, scheuem Blicke an. Sie fürchtete sich offenbar vor ihm, und Olenin fühlte das. Es war ihm schmerzlich und zugleich beschämend, doch empfand er andererseits die stolze Genugtuung, daß er wenigstens dieses Gefühl in ihr erweckte.

»Marianka,« begann er, »wirst du dich meiner denn niemals erbarmen? Ich liebe dich ja so sehr – ich weiß selbst nicht, wie sehr!«

Sie rückte noch weiter von ihm ab.

»Sieh, wie der Wein aus dir redet! Nichts wirst du erreichen!«

»Nein, nicht der Wein ist's. Laß den Lukaschka laufen! Ich werde dich heiraten ...« – »Was rede ich denn da eigentlich?« ging's ihm durch den Kopf, während er jene Worte sprach. »Ob ich wohl morgen dieselben Worte sprechen werde? Ja, ganz sicher, ganz bestimmt werde ich sie sprechen, und jetzt wiederhole ich sie,« sprach in ihm eine innere Stimme.

»Wirst du mich heiraten?« fragte er.

Sie sah ihn mit ernster Miene an, und ihre Angst schien geschwunden zu sein.

»Marianka, ich verliere den Verstand! Ich bin meiner selbst nicht mehr mächtig. Ich tue, was du nur willst.« Und sinnlos-zärtliche Worte flossen wie von selbst über seine Lippen.

»Nun, was schwatzst du da!« unterbrach sie ihn und ergriff plötzlich, seine Hand, die er ihr hinstreckte. Und sie stieß diese Hand nicht zurück, sondern drückte sie kräftig mit ihren starken, rauhen Fingern. »Heiraten denn die Herren solche Mädchen, wie ich bin? Geh doch!«

»Wirst du mich heiraten? Ich tue alles ...«

»Und was wird mit Lukaschka?« sagte sie lachend.

Er entzog ihr seine Hand, die sie in der ihrigen hielt, und umschlang kraftvoll ihren jungen Leib. Doch rasch und behende, wie eine junge Hirschkuh, sprang sie auf, lief mit bloßen Füßen davon und eilte auf die Freitreppe hinaus. Olenin kam zur Besinnung und war über sich selbst entsetzt. Er kam sich im Vergleich mit ihr so unsagbar gemein vor. Doch bereute er nicht einen Augenblick, was er gesagt hatte. Er ging in sein Zimmer, legte sich, ohne einen Blick auf die zechenden Alten zu werfen, nieder und versank in einen so festen Schlaf, wie er ihn seit langem nicht gekannt hatte.


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