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11.

Gegen Abend kehrte der Hauswirt vom Fischfang zurück, und als er vernahm, daß er für das Quartier Bezahlung bekommen solle, beschwichtigte er die Alte und befriedigte Wanjuschas Wünsche.

Alles kam in dem neuen Quartier alsbald in die rechte Ordnung. Die Wirtsleute siedelten in die »warme« Stube über, während dem Junker für drei Silberrubel monatlicher Miete die »kalte« Stube überlassen wurde. Olenin aß ein wenig und schlief ein. Noch vor Anbruch der Nacht erwachte er, wusch und säuberte sich, speiste zum Abend, zündete sich eine Zigarette an und setzte sich an das auf die Straße hinausgehende Fenster. Die Hitze hatte nachgelassen. Der schräge Schatten des Hauses mit dem geschnitzten Giebelbalken fiel auf die staubige Straße und stieg am Erdgeschoß des gegenüberliegenden Hauses empor. Das steile Schilfdach des letzteren war vom Licht der untergehenden Sonne überstrahlt. Die Luft war frisch, im Dorfe war es still. Die Soldaten waren untergebracht und zur Ruhe gekommen. Die Herde war noch nicht eingetrieben, die Leute waren noch draußen in den Gärten.

Olenins Quartier lag fast am Ende des Dorfes. Zuweilen ließen sich weither vom andern Ufer des Terek, in der Richtung, aus der Olenin gekommen war, dumpfe Schüsse vernehmen – in der Tschetschnja wohl, oder in der Kumykischen Ebene. Olenin war nach einem dreimonatigen Biwakleben in recht behaglicher Stimmung. Auf dem frisch gewaschenen Gesichte empfand er eine angenehme Kühle, und den kräftigen Körper erfüllte das wohlige Gefühl, das die auf dem Marsche vermißte Sauberkeit hervorrief. Alle Glieder streckten sich behaglich im Gefühl der Ruhe und Kraft. Auch in seiner Seele war es frisch und hell. Er gedachte des Feldzuges und all der Gefahren, die hinter ihm lagen. Er sagte sich, daß er sich in der Gefahr recht wacker benommen habe, daß er kein schlechterer Soldat sei als die andern, und daß er nun ganz in den kameradschaftlichen Kreis der Kaukasushelden aufgenommen sei. Seine Moskauer Erinnerungen lagen schon Gott weiß wie weit hinter ihm. Das alte Leben war weggewischt, und ein neues hatte begonnen, ein völlig neues Leben, das noch von Verfehlungen frei war. Hier konnte er, als ein neuer Mensch unter neuen Menschen, seinen guten Ruf von neuem begründen. Er war von dem jugendlichen Gefühl natürlicher Lebensfreude erfüllt, und wenn er so durchs Fenster nach den Knaben hinblickte, die im Schatten des Hauses ihre Kreisel trieben, oder sein neues, hübsch aufgeräumtes Quartier überschaute, malte er sich aus, wie nett er sich dieses neue Leben in dem Kosakendorfe nun einrichten würde. Auch nach den Bergen und dem Himmel warf er noch einen Blick, und zu all den Erinnerungen und Träumereien gesellte sich nun noch das erhebende Gefühl für die Schönheit der Natur. Sein Leben hatte sich wohl etwas anders gestaltet, als er bei seiner Abfahrt aus Moskau erwartet hatte, doch hatte es unerwartet gut begonnen. Die Berge, die Berge, die Berge machten sich in allem fühlbar, was er dachte und empfand.

»Er hat eine Hündin geküßt! Hat am Kruge geleckt! Onkel Jeroschka hat eine Hündin geküßt!« schrien plötzlich die unterm Fenster spielenden Kosakenkinder und guckten dabei nach der Seitengasse. »Er hat eine Hündin geküßt! Hat seinen Dolch vertrunken!« riefen die Knaben, drängten sich durcheinander und wichen dann zurück.

Ihr Geschrei galt dem Onkel Jeroschka, der mit dem Gewehr auf dem Rücken und etlichen Fasanen am Gürtel von der Jagd heimkehrte.

»Ja, Kinder, das ist wahr, das ist meine Sünde!« versetzte er, während er heftig die Arme schwenkte und zu beiden Seiten der Straße in die Fenster der Häuser hineinschaute. »Meine Hündin hab' ich vertrunken, das ist meine Sünde!« wiederholte er, offenbar ärgerlich, doch dabei bemüht, den Gleichgültigen zu spielen.

Olenin wunderte sich über das Benehmen der Jungen gegen den alten Jäger, noch mehr aber erstaunte er über das ausdrucksvolle, kluge Gesicht und den riesenhaften Körperbau des Mannes, den sie »Onkel Jeroschka« genannt hatten.

»Großväterchin! Kosak!« redete er ihn an, »komm doch einmal her!«

Der Alte blickte nach dem Fenster und blieb stehen.

»Sei gegrüßt, lieber Mensch,« sagte er und lüftete seine Mütze über dem kurzgeschorenen Kopfe.

»Sei gegrüßt, lieber Mensch,« versetzte Olenin. »Was rufen dir denn die Knaben da zu?«

Onkel Jeroschka trat ans Fenster. – »Sie necken mich alten Mann. Aber das macht nichts. Ich liebe sie. Mögen sie sich ihren Spaß machen mit dem Onkel,« sagte er mit jenem bestimmten, klangvollen Tonfall, in dem Leute von Alter und Ansehen zu reden pflegen. »Du bist wohl Offizier bei den Linientruppen, wie?«

»Nein, ich bin erst Junker. Wo hast du denn die Fasanen erlegt?« fragte Olenin.

»Im Walde hab' ich die drei Hühnchen geschossen,« versetzte der Alte und wandte dem Fenster seinen breiten Rücken zu, auf dem, mit den kleinen Köpfen am Gurte befestigt, drei Fasanen hingen und die Tscherkeska mit ihrem Blute befleckten. »Hast du hier noch keine gesehen?« fragte er. »Nimm dir ein Pärchen davon, wenn du willst – da!« Und er reichte zwei Fasanen durchs Fenster hinein. »Bist wohl auch ein Jägersmann, wie?«

»Ja. Ich habe auf dem Marsche vier Stück geschossen.«

»Vier Stück? Das ist mal viel!« sagte der Alte spöttisch. »Trinkst du auch gern einen? Trinkst du unsern Rotwein?«

»Warum nicht? Ich trinke ganz gern einen Schluck.«

»Ah, ich seh' schon, du bist ein wackerer Junge! Wir beide müssen Freunde werden,« sagte Onkel Jeroschka.

»Komm herein,« sagte Olenin, »wir wollen ein Gläschen trinken.«

»Das will ich gern tun,« sprach der Alte. »Nimm die Fasanen.«

Man sah es dem Alten am Gesicht an, daß der Junker ihm gefiel: er hatte sogleich begriffen, daß man bei ihm umsonst trinken könne, und daß es darum nicht auf ein paar Fasanen ankomme.

Wenige Augenblicke später erschien Onkel Jeroschkas Gestalt in der Tür des Zimmers. Nun erst konnte Olenin den ganzen riesenhaften Wuchs und den kräftigen Bau dieses Menschen bewundern. Es machte nichts aus, daß das rotbraune Gesicht des Kosaken mit dem schlohweißen, dichten Vollbart ganz von Runzeln durchfurcht war, die von den Jahren und den Strapazen eines bewegten Lebens darin eingegraben waren. Die Muskeln der Beine, der Arme und Schultern waren so voll und prall, wie man es sonst nur bei einem jungen Menschen findet. Auf seinem Kopfe waren unter dem kurzen Haar tiefe, vernarbte Schrammen sichtbar. Der sehnige, starke Hals war wie bei einem Stier von Falten bedeckt, die sich quadratförmig schnitten. Die runzeligen Hände waren zerschunden und zerkratzt. Er schritt leicht und gewandt über die Schwelle, nahm sein Gewehr von der Schulter, stellte es in eine Ecke, überschaute mit raschem, abschätzendem Blick die Einrichtung des Zimmers und trat, die mit Hirschhaut umwickelten Füße geräuschlos nach außen setzend, in die Mitte des Zimmers. Ein herber, doch nicht unangenehmer Duft nach Rotwein, Schnaps, Schießpulver und geronnenem Blut drang mit ihm zugleich herein.

Onkel Jeroschka verneigte sich vor den Heiligenbildern, strich sich den Bart, trat auf Olenin zu und streckte ihm seine dicke braune Hand entgegen.

»Koschkildü!« sagte er. »Das heißt auf tatarisch soviel wie: ›ich wünsch' dir Gesundheit, Friede sei mit dir!‹ – In ihrer Sprache nämlich heißt es so.«

»Koschkildü! Ich weiß Bescheid,« antwortete Olenin und schüttelte seine Hand.

»Gar nichts weißt du, kennst weder Brauch noch Ordnung! Dummkopf!« sagte Onkel Jeroschka und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Wenn man zu dir ›Koschkildü‹ sagt, so mußt du sagen: ›Allah rasi bo sun,‹ Gott schütze dich! So sagt man, mein Vater, und nicht: ›Koschkildü!‹ Ich will dir das alles beibringen. Wir hatten hier früher einen gewissen Ilja Mosseïtsch, auch einen von euren Leuten, einen Russen, mit dem war ich gleichfalls befreundet. Ein wackerer Bursche war's. Ein Zechbruder, ein Spitzbube, ein Jäger – ach, und was für ein Jäger! Den habe ich auch in der Lehre gehabt.«

»Was willst du mich denn lehren?« fragte Olenin, den der Alte immer lebhafter interessierte.

»Ich werde dich auf die Jagd führen, werde dich Fische fangen lehren, werde dir die Tschetschenzen zeigen, und wenn du ein Schätzchen haben willst – nun, auch das werde ich dir verschaffen. Solch ein Mensch bin ich, siehst du! ... Ein lustiger Bruder bin ich!« sagte der Alte lachend. »Ich möcht' mich setzen, mein Vater: ich bin müde. Karga?« fügte er in fragendem Tone hinzu.

»Karga? Was bedeutet das?« fragte Olenin,

»Das bedeutet auf grusinisch soviel wie ›gut‹. Ich sage immer so; es ist so meine Redensart, mein Lieblingswort: ›karga‹; wenn ich ›karga‹ sage, so heißt das soviel wie: ›ich mache Spaß‹. Aber so laß doch Wein holen, mein Vater! Hast du keinen Burschen? Ja? Iwan!« schrie der Alte. »Bei euch heißt ja jeder Soldat Iwan. Heißt deiner nicht auch Iwan, wie?«

»Gewiß, auch der heißt Iwan. Wanjuscha, laß dir doch, bitte, von den Wirtsleuten Rotwein geben und bring ihn her.«

»Ob Wanjuscha oder Iwan – es ist alles gleich. Wie kommt das nur, daß alle eure Soldaten Iwan heißen? Iwan!« wiederholte der Alte. »Sag' nur, Väterchen, sie sollen dir den Wein aus dem angefangenen Fasse geben. Es gibt hier den besten Rotwein im ganzen Dorfe. Bezahl' aber nicht mehr als dreißig Kopeken für das Achtel, verstanden? Die alte Hexe nimmt gern auch mehr ... Unsre Leute sind ein verdammt dummes Volk,« fuhr Onkel Jeroschka, nachdem Wanjuscha hinausgegangen war, in vertraulichem Tone fort. »Sie sehen euch nicht als Menschen an. Du bist in ihren Augen schlechter als ein Tatar. ›Die Russen sind ein weltliches Volk,‹ sagen sie. Ich aber meine, wenn du auch ein Soldat bist, so bist du doch immer ein Mensch, hast auch eine Seele im Leibe. Hab' ich nicht recht? Auch Ilja Mosseïtsch war doch ein Soldat, und was war das für ein goldner Mensch! Hab' ich nicht recht, mein Vater? Darum mögen mich auch unsere Leute hier nicht leiden; na, mir kann's gleich sein. Ich bin ein lustiger Bruder, ich liebe alle Welt, ich bin Jeroschka – jawohl, mein Vater!«

Und der Alte klopfte den jungen Mann freundschaftlich auf die Schulter.


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