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25.

»Wie kommt's denn, daß du euren Mieter nicht kennst?« sagte Bjelezki, zu Marianka gewandt.

»Wie soll ich ihn denn kennen, wenn er nie zu uns kommt?« versetzte Marianka mit einem Blick auf Olenin.

Olenin schrak zusammen. Eine heftige Erregung bemächtigte sich seiner, und er wußte nicht, was er sagen sollte.

»Ich fürchte mich vor deiner Mutter,« versetzte er dann. »Sie hat mich ausgescholten, als ich das erstemal bei euch war.«

Marianka lachte laut auf.

»Und da hast du Angst bekommen?« sagte sie, sah ihn an und wandte sich ab.

Zum erstenmal erblickte Olenin hier das ganze unverhüllte Gesicht des schönen Mädchens, das er früher immer nur von dem bis zu den Augen hinaufreichenden Tuche umwickelt gesehen hatte. Nicht mit Unrecht galt sie als die erste Schönheit im Dorfe. Auch Ustenjka war ein recht hübsches Mädchen, klein, voll, rotwangig, mit munteren braunen Augen, stets lachend und schwatzend. Marianka aber war nicht nur hübsch, sondern eine Schönheit. Ihre Gesichtszüge konnten ein wenig zu männlich und fast derb erscheinen, aber der hohe schlanke Wuchs, die volle Büste, die wohlgebildeten Schultern, vor allem aber der zugleich ernste und weiche Ausdruck der mandelförmigen, dunkel umschatteten schwarzen Augen unter den schwarzen Brauen und ein sanfter Zug um den Mund, zumal wenn sie lächelte, milderten jenen Eindruck des Männlichen, den ihre Erscheinung machte. Sie lächelte nur selten, und ihr Lächeln hatte jedesmal etwas Überraschendes. Ein Hauch von Gesundheit und jungfräulicher Kraft ging von ihr aus. Alle Mädchen waren, wie gesagt, hübsch, aber sowohl die Mädchen selbst, wie auch Bjelezki, und selbst der Bursche, der die Pfefferkuchen brachte – sie alle sahen unwillkürlich auf Marianka, und wenn jemand sich an die Mädchen wandte, wandte er sich eben an sie. Sie erschien wie eine stolze, frohe Königin unter den andern.

Bjelezki, der sich alle Mühe gab, die Abendunterhaltung recht angenehm zu gestalten, plauderte immerfort, ließ die Mädchen Wein herumreichen, trieb seinen Scherz mit ihnen und machte Olenin gegenüber fortwährend auf französisch anzügliche Bemerkungen über Mariankas Schönheit, wobei er sie immer nur als »la vôtre« bezeichnete und ihn ermutigte, sich den Mädchen gegenüber ganz so zu benehmen wie er selbst. Olenin ward immer beklommener, immer peinlicher zumute. Er sann bereits auf einen Vorwand, um hinauszugehen und sich aus dem Staube zu machen, als Bjelezki plötzlich erklärte, Ustenjka, das Namenstagskind, müsse den Wein »mit Küssen« herumreichen. Sie war einverstanden, doch unter der Bedingung, daß ihr Geld auf einen Teller gelegt würde, wie das bei Hochzeiten üblich sei.

»Welcher Teufel hat mich nur zu diesem abscheulichen Gelage geführt!« sagte sich Olenin und erhob sich, um hinauszugehen.

»Wohin denn?«

»Ich will mir nur Tabak holen,« sagte Olenin, der in Wirklichkeit schon gehen wollte. Aber Bjelezki faßte ihn am Arme.

»Ich habe Geld bei mir,« sagte er zu ihm auf französisch.

»Ich darf nicht weggehen, sonst heißt es, ich wolle nicht zahlen,« dachte Olenin, und er ärgerte sich aufs höchste über seine Ungeschicklichkeit. »Kann ich denn wirklich die Sache nicht so anfassen wie Bjelezki? Ich hätte nicht herkommen sollen, aber nun bin ich doch einmal da, nun darf ich ihnen ihr Vergnügen nicht stören. Ich muß einmal nach Kosakenart trinken,« dachte er, füllte eine acht Gläser fassende Holzschale mit Wein und trank sie fast ganz aus. Die Mädchen sahen ihn, während er trank, ganz verdutzt, ja fast erschrocken an. Das kam ihnen so sonderbar und unschicklich vor. Ustenjka kredenzte jedem noch ein Glas Wein und küßte beide. »Seht doch, ihr Mädchen, nun wollen wir lustig sein!« sagte sie, mit den vier Rubelmünzen klimpernd, die von den beiden jungen Leuten auf den Teller gelegt worden waren.

Olenins unbehagliche Stimmung war verflogen. Er wurde gesprächig.

»Nun, Marianka, jetzt reiche du uns den Wein mit Küssen,« sagte Bjelezki und faßte sie bei der Hand.

»Wart', ich werde dich küssen – so!« versetzte sie und holte im Scherz mit der Hand nach ihm aus.

»Großväterchen kann auch ohne Geld einen Kuß bekommen,« warf ein anderes Mädchen ein.

»Das nenn' ich ein kluges Kind!« sagte Bjelezki und küßte das sich sträubende Mädchen. »Nein, du mußt es wirklich tun,« wandte er sich dann, auf seinem Verlangen bestehend, zu Marianka. »Du mußt doch deinen Mieter bewirten!«

Er nahm sie bei der Hand, führte sie zur Bank und hieß sie sich neben Olenin setzen.

»Was für ein schönes Mädchen!« sagte er, ihren Kopf so wendend, daß ihr Profil sichtbar wurde.

Marianka sträubte sich nicht, sondern warf mit stolzem Lächeln Olenin einen Blick aus ihren Mandelaugen zu.

»Wirklich ein schönes Mädchen!« wiederholte Bjelezki.

»Ja, das bin ich wirklich,« schien Mariankas Blick zu bestätigen. Olenin, der sich von dem, was er tat, nicht mehr klare Rechenschaft gab, umarmte Marianka und wollte sie küssen. Sie riß sich plötzlich los, stieß Bjelezki zur Seite, daß er fast hingefallen wäre, zog die Decke vom Tische und sprang nach dem Ofen hin. Lautes Geschrei und Gelächter ertönte. Bjelezki flüsterte den Mädchen etwas zu, und plötzlich liefen sie alle aus dem Zimmer in den Flur und verschlossen die Tür.

»Warum hast du denn Bjelezki geküßt und willst mich nicht küssen?« fragte Olenin.

»So – ich will nicht, abgemacht!« antwortete sie mit einem Zucken um die Unterlippe und die Brauen. »Er ist doch unser Großväterchen,« fügte sie lächelnd hinzu. Dann ging sie zur Tür und klopfte. »Warum habt ihr denn zugeschlossen, ihr Teufel?«

»Laß doch, mögen sie draußen bleiben – wir bleiben hier,« sagte Olenin und trat näher an sie heran.

Sie runzelte die Stirn und wehrte ihn streng mit der Hand von sich ab. Und wieder erschien sie Olenin so erhaben schön, daß er zur Besinnung kam und sich seines Beginnens schämte. Er ging zur Tür und begann daran zu rütteln.

»Bjelezki, öffnen Sie! Was für alberne Scherze sind das!«

Marianka lachte wieder mit ihrem hellen, glücklichen Lachen.

»Ei, du fürchtest dich wohl vor mir?« sagte sie.

»Du bist ebenso böse wie deine Mutter.«

»Du solltest öfters mit Jeroschka zusammen sein – den haben die Mädchen gern. Kämst dann auch mit ihnen zusammen!«

Sie lächelte und sah ihm aus nächster Nähe gerade in die Augen.

Er wußte nicht, was er sagen sollte.

»Und wenn ich nun zu euch käme? ...« sprach er dann plötzlich.

»Das wäre etwas anderes,« sagte sie, lebhaft den Kopf bewegend.

In diesem Augenblick stieß Bjelezki die Tür auf, und Marianka sprang so rasch von Olenin weg, daß sie mit der Hüfte an sein Bein stieß.

»Alles Unsinn, was ich bisher geträumt habe: das von der Liebe, und von der Selbstverleugnung, und vom Lukaschka. Aufs Glück kommt es an – wer Glück hat, der ist im Recht,« ging's ihm durch den Kopf, und mit einer Kraft, die er selbst sich nicht zugetraut hätte, umfaßte er die schöne Marianka und küßte sie auf Schläfe und Wange. Marianka wurde nicht böse, sondern lachte nur laut und lief hinaus, zu den übrigen Mädchen.

Damit war die Abendgesellschaft zu Ende. Die Alte, Ustenjkas Mutter, kam von der Arbeit zurück, schalt die Mädchen gehörig aus und jagte sie alle nach Hause.


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