Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

23.

Olenins Leben floß einförmig und gleichmäßig dahin. Mit seinen Vorgesetzten und Kameraden hatte er nur wenig Verkehr. Die Stellung eines reichen Junkers im Kaukasus ist in dieser Beziehung ganz besonders günstig. Zu den Arbeiten und zum Exerzieren wurde er nicht geschickt. Für die Beteiligung am Feldzuge war er zum Offizier vorgeschlagen worden, bis dahin ließ man ihn in Ruhe. Die Offiziere betrachteten ihn als einen Aristokraten und behandelten ihn mit der entsprechenden Rücksicht. Das Kartenspiel und die Gelage mit Liedersängern, wie sie die Offiziere bei der Truppe zu veranstalten pflegten, erschienen ihm nicht anziehend genug, er hielt sich überhaupt von der Offiziersgesellschaft und dem Offiziersleben in dem Kosakendorfe fern. Dieses hat von jeher seinen ganz bestimmten Zuschnitt. Wie jeder Junker oder Offizier in der Festungsgarnison Porter trinkt, Karten spielt und von Feldzugsprämien spricht, so trinkt er im Kosakendorfe mit seinen Wirtsleuten kaukasischen Wein, bewirtet die Mädchen mit Leckerbissen und Honig und stellt den Kosakinnen nach, in die er sich verliebt; zuweilen heiratet er auch wohl eine von ihnen. Olenin lebte stets auf seine eigene Art und hatte eine unbewußte Abneigung gegen alle ausgetretenen Pfade. Auch hier bewegte er sich nicht in dem ausgefahrenen Geleise.

Es machte sich ganz von selbst, daß er vor Tagesanbruch erwachte. Er trank Tee, erquickte sich von seiner Freitreppe aus am Anblick des Gebirges, des herrlichen Morgens und Mariankas, zog einen zerrissenen rindsledernen Kittel und aufgeweichte Fußleder an, steckte seinen Dolch in den Gürtel, hing das Gewehr und den Beutel mit Proviant und Tabak um, rief seinen Hund und begab sich um die sechste Morgenstunde in den Wald hinter dem Dorfe. In der siebenten Abendstunde kehrte er müde und hungrig nach Hause zurück, mit fünf, sechs Fasanen am Gürtel, zuweilen auch mit einem größeren Stück Wild, ohne den Beutel mit dem Proviant und den Zigaretten angerührt zu haben. Und so still und ruhig wie die Zigaretten in ihrer Schachtel, hatten auch die Gedanken in seinem Kopfe während der vierzehn Stunden gelegen. Geistig frisch, gekräftigt und vollkommen glücklich, kam er aus dem Walde heim. Er hätte nicht sagen können, woran er während der ganzen Zeit gedacht. Erinnerungen, Träume, Gedanken, oder vielmehr nur Bruchstücke von alledem, waren in seinem Kopfe durcheinander geschwirrt. Er besinnt sich plötzlich und fragt: Woran denke ich? Und er findet sich in seinen Träumen als Kosaken wieder, der mit seiner Kosakin im Garten arbeitet, oder als Abreken im Gebirge, oder als einen Eber, der vor sich selbst davonläuft. Und dabei horcht und späht er beständig und wartet auf einen Fasan, einen Hirsch oder einen Eber.

Am Abend sitzt dann ganz unfehlbar Onkel Jeroschka bei ihm. Wanjuscha bringt ein Achtel Wein, und sie plaudern leise, trinken dabei und trennen sich zufrieden, um sich schlafen zu legen. Am nächsten Tage geht es wieder auf die Jagd, dieselbe gesunde Müdigkeit stellt sich ein, dieselbe Unterhaltung beim Glase Wein beschließt den Tag, der die gleiche Glücksempfindung gebracht hat wie all die andern. Zuweilen, an einem Feiertag oder sonstigen Ruhetag, verbringt Olenin seine ganze Zeit zu Hause. Dann beschäftigt er sich hauptsächlich mit Marianka und verfolgt, ohne sich selbst dessen bewußt zu sein, von seinen Fenstern oder von der Freitreppe aus begierig jede ihrer Bewegungen. Er blickte auf Marianka und liebte sie – wie er glaubte – ganz ebenso, wie er die Schönheit des Gebirges und des Himmels liebte. Er dachte durchaus nicht daran, in irgendeine nähere Beziehung zu ihr zu treten. Es schien ihm, daß zwischen ihm und ihr solche Beziehungen ganz ausgeschlossen waren, wie sie zwischen ihr und dem Kosaken Lukaschka wohl möglich waren, noch weniger aber solche, wie sie vielleicht sonst zwischen einem reichen Offizier und einem Kosakenmädchen sich entwickeln konnten. Er war der Meinung, daß, wenn er es versuchte, hier nach dem Beispiel seiner Kameraden zu handeln, er einen vollkommenen, beschaulichen, reinen Genuß gegen eine Hölle von Qualen, Enttäuschungen und Reue eintauschen würde. Übrigens hatte er ja im Hinblick auf dieses Mädchen auch schon eine Tat der Selbstverleugnung vollbracht, die ihm viel Freude bereitet hatte; vor allem aber hatte er aus irgendeinem Grunde Furcht vor Marianka und hätte es um keinen Preis gewagt, ihr auch nur mit einem scherzhaften Liebeswort zu nahen.

Eines Tages im Sommer war Olenin nicht auf die Jagd gegangen und saß allein zu Hause. Ganz unerwartet erschien ein Moskauer Bekannter in seinem Quartier, ein noch sehr junger Mann, dem er in den gesellschaftlichen Kreisen der alten Residenz begegnet war.

»Ach, mon cher, mein Teuerster, wie freute ich mich, als ich hörte, daß Sie hier sind!« begann er in seinem Moskauer Jargon und schwatzte, seine Rede reichlich mit französischen Worten spickend, darauf los. »Man sagt mir: Olenin ist dort! Was für ein Olenin? Ich war so erfreut ... Wie das Schicksal die Menschen doch manchmal zusammenführt! Nun, wie geht es Ihnen? Was treiben Sie? Warum sind Sie hier?«

Und Fürst Bjelezki erzählte ihm seine ganze Geschichte: er sei für einige Zeit in dieses Regiment eingetreten, und der Höchstkommandierende habe ihn gleich zu seinem Adjutanten ernannt, aber er habe diesen Feldzug durchaus mitmachen wollen und werde erst wieder nach dessen Beendigung in jene Stellung zurücktreten, obschon sie eigentlich gar nicht nach seinem Geschmack sei.

»Wenn man hier in dieser Wildnis dient, muß man doch wenigstens Karriere machen ... ein Kreuz bekommen ... befördert werden ... oder zur Garde überführt werden. Das muß schon dabei abfallen – nicht, als ob ich soviel Wert darauf legte, aber der Verwandten und Bekannten wegen. Der Fürst hat mich recht gut aufgenommen, er ist ein sehr honetter Mann,« sagte Bjelezki, der in einemfort weiterredete. »Für meine Teilnahme am Feldzuge bin ich zum Annenorden vorgeschlagen. Und jetzt bleibe ich hier, bis es wieder losgeht. Ich finde es hier entzückend. Was für Weiber! ... Nun, und wie leben Sie hier? Unser Hauptmann Starzew, Sie kennen ihn: ein gutmütiger, dummer Kerl – der sagte mir, Sie lebten hier als ein schrecklicher Sonderling und verkehrten mit niemandem. Ich kann es verstehen, daß Sie den hiesigen Offizieren nicht nähertreten mögen. Ich freue mich so, wir wollen hier recht viel zusammen sein! Ich bin hier bei einem Unteroffizier im Quartier. Was ist da für ein Mädchen – Ustenjka heißt sie! Entzückend, sag' ich Ihnen!«

Immer von neuem ging ein Hagel von französischen und russischen Worten auf Olenin nieder, Worten aus jener Welt, der er für immer entrückt zu sein glaubte. Bjelezki hatte allgemein als ein lieber, gutherziger Junge gegolten. Vielleicht war er das auch wirklich, aber trotz seines gutmütigen, hübschen Gesichts war er Olenin doch höchst unangenehm. Er verbreitete um sich eine Atmosphäre aller jener Abscheulichkeiten, von denen Olenin sich losgesagt hatte. Am meisten ärgerte er sich darüber, daß er nicht die Kraft in sich fühlte, diesen Menschen aus jener andern Welt schroff abzuweisen – als wenn jene Welt, die dereinst auch die seinige gewesen, unverbrüchliche Rechte an ihm hätte. Er war unwillig über Bjelezki und über sich selbst, ließ wider Willen französische Phrasen in seine Antworten einfließen, zeigte Interesse für den Höchstkommandierenden, und die Moskauer Bekannten, äußerte sich, dank dem Umstand, daß nur sie beide in dem ganzen Kosakendorfe den französischen Jargon sprachen, mit Geringschätzung über die andern Offiziere und Kosaken, behandelte Bjelezki überaus freundschaftlich, versprach ihn zu besuchen und lud ihn zum Wiederkommen ein. Im stillen jedoch war er fest entschlossen, nicht zu Bjelezki zu gehen. Wanjuscha fand an letzterem großen Gefallen und meinte, das sei ein Herr, wie er sein solle.

Bjelezki nahm sogleich die übliche Lebensweise auf, wie sie die reichen kaukasischen Offiziere im Kosakendorfe führen. Vor Olenins Augen verwandelte er sich gleichsam in einen alteingesessenen Dorfbewohner: er bewirtete die Alten reichlich mit Wein, veranstaltete lustige Abende und ging selbst zu den Abendunterhaltungen der Mädchen; er rühmte sich seiner Eroberungen und kam in der Intimität so weit, daß die Mädchen und Frauen ihn allgemein »Großväterchen« nannten. Auch die Kosaken, denen dieser für Wein und Weib so empfängliche junge Mann seinem Wesen nach wohl verständlich war, gewöhnten sich rasch an ihn und hatten ihn weit lieber als Olenin, der für sie ein Rätsel war und blieb.


 << zurück weiter >>