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35.

Der nächste Tag war ein Feiertag. Am Abend war alles Volk auf der Straße und prunkte beim Scheine der untergehenden Sonne im festtäglichen Putz. Alles ruhte von der Arbeit aus. Die Kosaken planten einen Streifzug, der in einem Monat unternommen werden sollte, und in vielen Familien waren Hochzeiten in Vorbereitung.

Auf dem Platze vor dem Gemeindeamt und vor den beiden Läden – dem einen mit Näschereien und Kürbiskernen, dem andern mit Tüchern und Baumwollzeugen – standen die meisten Leute. Um die Rasenbank vor dem Gemeindeamt standen und saßen die Alten in ehrbaren grauen oder schwarzen Kitteln, ohne Tressen und Ausputz. Die Alten unterhielten sich ruhig und gemessen über die Ernte, die Gemeindeangelegenheiten und die alte Zeit und sahen voll Würde und Gleichmut auf das junge Volk herab. Die Frauen und Mädchen blieben, wenn sie an ihnen vorüberkamen, einen Augenblick stehen und senkten die Köpfe. Die jungen Kosaken mäßigten ehrerbietig ihren Schritt, nahmen ihre Fellmützen ab und hielten sie kurze Zeit vor das Gesicht. Die Alten schwiegen dann. Bald streng, bald freundlich blickten sie die Vorübergehenden an, nahmen langsam die Mützen ab und setzten sie wieder auf.

Die Kosakenmädchen hatten ihre Reigentänze noch nicht begonnen, sondern saßen gruppenweise in ihren hellfarbigen Beschmets und den Kopf und Augen verhüllenden weißen Tüchern auf der Erde oder den Rasenbänken vor den Häusern, geschützt vor den schrägen Strahlen der Sonne, und lachten und plauderten munter. Die kleinen Knaben und Mädchen vergnügten sich beim Ballspiel, sie warfen den Ball hoch zum klaren Himmel empor und liefen schreiend und quiekend auf dem Platze umher. Die halbwüchsigen Mädchen führten bereits in einer andern Ecke des Platzes ihre Reigen auf und sangen mit ihren feinen, schüchternen Stimmen ein Lied. Die Schreiber und die zum Feiertag ins Dorf beurlaubten jungen Burschen stolzierten in ihren neuen, reich betreßten, weißen und roten Tscherkessenröcken mit festlich frohen Gesichtern Arm in Arm zu zweien und dreien daher, gingen von einer Frauen- oder Mädchengruppe zur andern, blieben bald hier, bald dort stehen und scherzten mit den Kosakinnen. Der armenische Krämer stand in seiner betreßten blauen Tscherkeska aus feinem Tuche an der offenen Tür seines Ladens, durch die man ganze Stöße zusammengelegter farbiger Tücher sah, und erwartete mit dem Stolze des orientalischen Kaufmanns im Vollbewußtsein seiner Würde die Kunden. Zwei rotbärtige, barfüßige Tschetschenzen, die über den Terek herübergekommen waren, um sich das Feiertagstreiben anzusehen, hockten vor dem Hause ihres Gastfreundes, rauchten aus ihren kleinen Pfeifen, spuckten nachlässig aus, musterten die Volksmenge und unterhielten sich in ihrer rauhen, an Kehllauten reichen Sprache. Ab und zu ging ein werktäglich gekleideter Soldat in seinem alten Mantel eilig zwischen den bunten Gruppen hindurch über den Platz. Hier und da hörte man bereits die trunkenen Lieder zechender Kosaken. Selbst die alten Frauen waren aus den Häusern herausgekommen. Auf den trockenen Straßen lagen überall im Staube die Schalen der aufgeknackten Melonen- und Kürbiskerne umher. Die Luft war warm und unbewegt, der klare Himmel blau und durchsichtig tief. Der mattweiße Bergrücken, der hinter den Dächern sichtbar war, erschien ganz nahe und schimmerte im rosigen Lichte der untergehenden Sonne. Von Zeit zu Zeit dröhnte von der andern Seite des Flusses der ferne Schall eines Kanonenschusses dumpf herüber. Über dem Dorfe aber summte ein buntes Durcheinander von feierlich fröhlichen Lauten.

Olenin war den ganzen Morgen auf dem Hofe hin und her gegangen, in der Erwartung, Marianka zu sehen, sie war indes, nachdem sie sich festtäglich herausgeputzt hatte, zum Mittaggottesdienst in die Kapelle gegangen. Dann hatte sie mit den andern Mädchen auf einer Rasenbank gesessen und Kerne aufgeknackt und war schließlich mit ihren Freundinnen nach Hause gelaufen, wo sie den Mieter heiter und freundlich begrüßte.

Olenin scheute sich, in scherzendem Tone mit ihr zu sprechen, noch dazu in Gegenwart der andern. Er wollte das gestrige Gespräch mit ihr zu Ende führen und von ihr eine entscheidende Antwort erlangen. Er wartete wieder auf solch einen Augenblick, wie er gestern abend sich ihm dargeboten hatte, doch dieser Augenblick kam nicht; noch länger aber in dieser Ungewißheit zu verbleiben, fühlte er sich nicht mehr imstande. Sie ging wieder auf die Straße hinaus, und ein Weilchen später ging auch er, er wußte selbst nicht, wohin. Er kam an der Straßenecke vorüber, wo sie in ihrem schimmernden blauen Atlasbeschmet saß, und es durchzuckte ihn schmerzlich, als er das Lachen der Mädchen in seinem Rücken vernahm.

Bjelezkis Haus lag dicht am Platze. Als Olenin daran vorüberging, hörte er. Bjelezkis Stimme: »Kommen Sie doch herein!« – und er folgte der Einladung.

Sie plauderten ein Weilchen und setzten sich dann beide ans Fenster. Alsbald gesellte sich auch Jeroschka zu ihnen, in seinem neuen Beschmet, und nahm auf dem Fußboden neben ihnen Platz.

»Das ist dort die Gruppe der Aristokratinnen,« sagte Bjelezki lächelnd und wies mit seiner Zigarette nach einer bunten Mädchenschar an der Ecke. »Auch meine ist darunter – die im roten Kleide, sehen Sie? Sie hat es heute zum ersten Male an. Warum beginnen denn die Reigentänze noch nicht?« rief Bjelezki laut und sah zum Fenster hinaus. »Warten Sie noch ein Weilchen, sobald es dunkelt, gehen wir auch hin. Dann laden wir sie zu Ustenjka ein, wir müssen ihnen einen Ball geben.«

»Auch ich werde zu Ustenjka kommen,« sagte Olenin entschlossen. »Wird Marianka da sein?«

»Gewiß wird sie da sein, kommen Sie nur!« sagte Bjelezki, als ob er von etwas Selbstverständlichem spräche. »Es ist doch recht hübsch hier, was?« fügte er hinzu und zeigte auf die bunte Menge.

»Ja, sehr hübsch!« stimmte Olenin ihm bei und bemühte sich, gleichgültig zu erscheinen. »Wenn ich dieses Treiben beobachte,« fügte er hinzu, »dann wundere ich mich immer, warum eigentlich an solch einem Tage, weil's gerade, sagen wir: der Fünfzehnte des und des Monats ist, alles mit einem Mal so zufrieden und fröhlich ist. Allen sieht man den Festtag an – die Augen, die Gesichter, die Stimmen, die Bewegungen, die Kleider, die Luft, die Sonne – alles hat etwas Feiertägliches. Wir haben keine Feiertage mehr.«

»Ja,« sagte Bjelezki, der kein Freund von solchen Erörterungen war. »Warum trinkst du nicht, Alter?« wandte er sich dann an Jeroschka.

Jeroschka blinzelte zu Olenin hinüber und meinte mit Bezug auf Bjelezki: »Scheint ja sehr stolz zu sein, dein Freund!«

Bjelezki erhob sein Glas.

»Allah birdü!« sagte er und leerte das Glas. Es war die übliche Anrede, wenn die Kaukasier gemütlich miteinander tranken.

»Ssau bul,« antwortete Jeroschka lächelnd und trank sein Glas aus. ›Deine Gesundheit!‹ bedeuteten die Worte.

»Du sprichst da vom Feiertag,« sagte er zu Olenin, während er sich erhob und durchs Fenster schaute. »Was ist das für ein Feiertag! Da hättest du mal sehen sollen, wie man in der alten Zeit die Feiertage beging! Wenn damals Weiber auf die Straße herauskamen, trugen sie Ssarafane, die über und über mit Borten benäht waren. Die ganze Brust behängten sie sich mit Goldmünzen in zwei Reihen. Auf dem Kopfe trugen sie den goldenen Kokoschnik. Kam solch ein Weibchen vorbei, dann ging's immer: kling! kling – wie eine Fürstin sah jede einzelne aus. In ganzen Scharen kamen sie auf die Straße und sangen ihre Lieder, daß es nur so durchs Dorf schallte, die ganze Nacht dauerte der Jubel. Und die Kosaken rollten Faß auf Faß auf den Hof, setzten sich ringsherum und tranken, bis der Tag anbrach. Und dann faßten sie sich und gingen Arm in Arm in langer Reihe durchs Dorf. Wem sie begegneten, den nahmen sie mit. Und von einem ging's weiter zum andern. Drei Tage lang dauerte manchmal die Zecherei. Ich weiß noch, wie mein Vater manchmal nach Hause kam – ganz rot, ganz geschwollen im Gesicht, ohne Mütze – alles hatte er verjubelt, kam nach Hause und legte sich ins Bett. Die Mutter wußte schon, was ihm dann gut tat: frischen Kaviar und Rotwein brachte sie ihm, damit er wieder flott wurde, und lief dann selbst ins Dorf hinaus, um seine Mütze zu suchen. Zwei Tage lang schlief er dann hintereinander! Solche Leute gab es damals, ja – aber heutzutage!«

»Und die Mädchen in ihren Ssarafanen – was machen die? Blieben die ganz unter sich bei ihren Vergnügungen?« fragte Bjelezki.

»Ja, unter sich! Hat sich was! Da kamen eben die Kosaken angegangen, oder auch angeritten, und sagten: ›Kommt, laßt uns ihre Reigenketten zerreißen!‹ Und da schwirrten sie denn an, aber die Mädchen griffen nach den Knütteln! Kam solch ein flotter Bursche angestürmt, in der Butterwoche meinetwegen, so schlugen sie drauf los, ob's das Pferd traf oder ihn selber. Durchbrach er die Kette, so griff er sich die, die er liebte, und ritt mit ihr davon. Mein Mütterchen, mein Seelchen, hieß es dann, und er liebte sie nach Herzenslust. Ja, das waren dir Mädchen! Richtige Königinnen!«


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