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16.

Onkel Jeroschka war ein nicht etatsmäßiger, einsam für sich lebender Kosak; seine Frau war vor zwanzig Jahren zur rechtgläubigen Kirche übergetreten, war ihm davongelaufen und hatte einen russischen Feldwebel geheiratet; Kinder hatte er nicht. Er prahlte nicht, wenn er von sich erzählte, daß er dereinst der schneidigste Kosak im Dorfe gewesen sei. Er war im ganzen Regiment wegen seiner einstmaligen Schneidigkeit bekannt. So manchen Mord, an Tschetschenzen wie an Russen begangen, hatte er auf dem Gewissen. Er hatte Beutezüge ins Gebirge unternommen, und bei den Russen geraubt, und zweimal im Gefängnis gesessen. Den größten Teil seines Lebens hatte er im Walde zugebracht, auf der Jagd, wo er tagelang nichts anderes aß als einen Bissen Brot und nichts als Wasser trank. Dafür zechte er dann im Dorfe vom Morgen bis zum Abend. Als er von Olenin nach Hause kam, schlief er etwa zwei Stunden, erwachte noch vor Tagesanbruch, lag dann auf seinem Bett und suchte sich über den Menschen, den er gestern kennengelernt hatte, ein Urteil zu bilden. Olenins Treuherzigkeit, die er darin sah, daß der Junker ihn so reichlich mit Wein bewirtet hatte, gefiel ihm ganz ausnehmend, und auch Olenin selbst gefiel ihm. Er wunderte sich darüber, daß alle Russen so treuherzig und so reich waren, und daß sie gar nichts verstanden, obschon sie doch alle »gelehrt« waren. Er erwog diese Fragen bei sich selbst und überlegte, was er sich bei Olenin wohl ausbitten könnte. Onkel Jeroschkas Haus war ziemlich geräumig und nicht alt, doch merkte man darin sogleich das Fehlen einer Frau. Im Gegensatz zu der sonst bei den Kosaken üblichen Reinlichkeit lag seine Stube im Schmutz und in größter Unordnung da. Auf dem Tische sah man einen achtlos hingeworfenen blutigen Kittel, einen halben Eierkuchen und daneben eine gerupfte und in Stücke gerissene Dohle, als Atzung für den Habicht. Auf den Bänken lagen ein Paar Fußleder, ein Gewehr, ein Dolch, ein Beutel mit Pulver und Blei neben nassen Kleidern und Lappen umher. In einer Ecke befand sich in einem Zober mit schmutzigem, übelriechendem Wasser ein zweites Paar Fußleder zum Aufweichen; ebenda stand eine Jagdflinte und ein Jagdschild. Auf dem Boden lagen neben einem Netz ein paar erlegte Fasanen, und um den Tisch lief, auf dem schmutzigen Fußboden herumpickend, ein an einem Beine angebundenes Hühnchen herum. In dem ungeheizten Ofen stand eine kleine irdene Schale, die mit einer milchigen Flüssigkeit gefüllt war. Auf dem Ofen kreischte ein Bussard, der sich vom Stricke loszureißen suchte, während ein in der Mauser befindlicher Habicht friedlich auf dem Ofenrande saß, nach dem Hühnchen schielte und von Zeit zu Zeit den Kopf von rechts nach links neigte. Onkel Jeroschka selbst lag auf dem sehr kurzen Bett, das zwischen der einen Wand und dem Ofen stand; er lag auf dem Rücken, im bloßen Hemd, die kräftigen Beine gegen den Ofen gestemmt, und kratzte sich mit dem dicken Finger den Schorf von den Händen, die von dem Habicht, den er ohne Handschuhe abzurichten pflegte, ganz zerkratzt waren. Im ganzen Zimmer, besonders um den Alten herum, war die Luft von jenem starken, nicht unangenehmen Geruch gesättigt, der Onkel Jeroschka stets begleitete.

»Uide–ma, Onkel? Bist du zu Hause?« ließ sich durchs Fenster eine helle Stimme vernehmen, die er sogleich als die seines Nachbars Lukaschka erkannte.

»Uide, uide, uide! Ich bin zu Hause, komm herein!« schrie der Alte. »Nachbar Marka, Luka Marka, was führt dich zum Onkel? Geht's schon nach dem Wachthause?«

Der Habicht fuhr bei dem Rufe des Hausherrn zusammen und schlug, an seiner Fessel zerrend, mit den Flügeln.

Der Alte hatte Lukaschka gern und machte, wenn er mit Geringschätzung von der ganzen jungen Kosakengeneration sprach, bei ihm allein eine Ausnahme. Außerdem brachten Lukaschka und seine Mutter als gute Nachbarn ihm nicht selten Wein, Kaimak und andere Erzeugnisse ihrer Wirtschaft, die Jeroschka nicht besaß. Onkel Jeroschka, der, solange er lebte, immer unter der Herrschaft seiner Gefühle gestanden hatte, jedoch für seine Impulse stets eine praktische Erklärung zu finden wußte, dachte bei sich selbst: »Nun, die Leute sind wohlhabend, ich gebe ihnen Wildbret, oder mal ein Huhn, und sie vergessen den Onkel eben auch nicht, bringen ihm dann und wann eine Pastete, oder einen Eierkuchen.«

»Sei mir gegrüßt, Marka! Bin erfreut, daß du kommst,« rief der Alte munter, warf mit einer raschen Bewegung die nackten Beine vom Bett, sprang auf, machte zwei Schritte auf dem knarrenden Fußboden, blickte an seinen auswärts stehenden Füßen herab und fand plötzlich irgend etwas lächerlich an ihnen: er lächelte, stampfte einmal und noch einmal mit der nackten Ferse auf und nahm eine Ausfallstellung an. »Schneidig, was?« fragte er, während seine kleinen Augen blitzten. Lukaschka lächelte kaum merklich. »Du mußt wohl nach dem Wachthause?« fragte der Alte.

»Ich bringe dir den Rotwein, Onkel, den ich dir beim Wachthause versprochen habe,« sagte Lukaschka.

»Christus beschütze dich,« entgegnete der Alte, hob die auf dem Fußboden liegenden Beinkleider und den Beschmet auf, legte sie an, zog sie mit dem Riemen fest zusammen, goß sich aus einer Schale Wasser auf die Hände, trocknete sie an den alten Hosen ab, brachte mit einem Stückchen Kamm seinen Bart in Ordnung und trat dann vor Lukaschka hin. »Fertig!« sagte er.

Lukaschka nahm eine große Trinkschale, wischte sie aus, füllte sie mit Wein, setzte sich auf die Bank und reichte die Schale dem Alten.

»Dein Wohl! Im Namen des Vaters und des Sohnes! ...« sagte der Alte, während er mit feierlicher Miene den Wein entgegennahm. »Auf daß du erreichst, was du dir wünschst – und daß du ein schneidiger Bursche wirst und das Kreuz erhältst.«

Lukaschka trank gleichfalls nach kurzem Gebet von dem Weine und stellte ihn auf den Tisch. Der Alte erhob sich, brachte einen getrockneten Fisch, legte ihn auf die Schwelle, klopfte mit einem Stocke darauf, damit er weich würde, legte ihn dann mit den schrumpfigen Händen auf seinen einzigen blauen Teller und stellte ihn auf den Tisch.

»'s ist alles da bei mir, auch ein Imbiß, Gott sei Dank,« sagte er stolz. »Nun, wie steht die Sache mit Mossew?« fragte er dann.

Lukaschka erzählte, wie der Unteroffizier ihm das Gewehr weggenommen habe, offenbar in dem Wunsche, die Meinung des Alten zu hören.

»Auf das Gewehr verspitz' dich nicht,« sagte der Alte – »wenn du ihm das Gewehr nicht gibst, bekommst du keine Belohnung.«

»Ach, Onkel! Was für eine Belohnung kann denn ein Minderjähriger wie ich erwarten? Das Gewehr aber ist eine prächtige Waffe, in der Krim gearbeitet, wohl achtzig Silberrubel wert!«

»Äh, pfeif darauf! Auch ich hatte mal einen Streit, mit einem Hauptmann, der durchaus ein Pferd von mir haben wollte. Gib mir das Pferd, sagte er, dann schlage ich dich zum Fähnrich vor. Ich gab's ihm nicht, und so wurde es auch mit der Beförderung nichts.«

»Ja, sieh mal, Onkel: ich muß mir doch ein Pferd kaufen, und drüben, am anderen Ufer, soll man unter fünfzig Rubel keins bekommen. Die Mutter hat den Wein noch nicht verkauft.«

»Ach was! Solche Sorgen kannte man zu meiner Zeit nicht,« sagte der Alte. »Als Onkel Jeroschka in deinen Jahren war, stahl er schon ganze Herden von Gäulen bei den Nogajern und trieb sie über den Terek. Das schönste Pferd gab man da zuweilen für ein Maß Branntwein oder einen Filzmantel hin.«

»Wie? So billig habt ihr sie weggegeben?« sagte Lukaschka.

»Bist doch ein Dummkopf, Marka – ein richtiger Dummkopf!« sagte der Alte geringschätzig. »Es geht nicht anders, man raubt doch eben, um den Freigebigen zu spielen! Ihr scheint keine Ahnung davon zu haben, wie man Pferde wegtreibt! ... Warum schweigst du?«

»Was soll ich denn reden, Onkel?« sagte Lukaschka. »Es scheint, wir taugen zu solchen Dingen nicht.«

»Bist doch ein Dummkopf, Marka – ein richtiger Dummkopf! Wir taugen dazu nicht!« versetzte der Alte, die Worte des jungen Kosaken spöttisch wiederholend. »Ich war freilich ein ganz anderer Kosak, als ich in deinen Jahren war.«

»Wie warst du denn?« fragte Lukaschka.

Der Alte schüttelte geringschätzig lächelnd den Kopf.

»Onkel Jeroschka war ein treuherziger Mensch, der gab alles hin, was er hatte. Dafür war mir auch die ganze Tschetschnja gewogen. Besuchte mich ein Freund, so bekam er soviel Branntwein zu trinken, als er wollte, er fühlte sich glücklich bei mir und übernachtete in meinem Hause, und kam ich zu ihm, so brachte ich ihm ein Geschenk, einen ›Peschkesch‹ mit. So haben wir es gemacht, und nicht so, wie es heut' ist; da kennen die jungen Burschen kein anderes Vergnügen, als Kürbiskerne aufzubeißen und die Schalen auszuspucken,« schloß der Alte und zeigte verächtlich, wie die Kosaken von heute die Kerne aufbeißen und die Schalen ausspucken.

»Ja, ich kenne das,« sagte Lukaschka. »So ist es!«

»Willst du ein ganzer Kerl sein, dann sei ein Dschigit und kein Bauer! Der Bauer – der kauft das Pferd: legt das Geld hin und nimmt dafür das Pferd.«

Sie schwiegen ein Weilchen.

»Ja, es ist wirklich langweilig, Onkel, im Dorfe wie im Wachthause. Man kann gar nichts Rechtes unternehmen, die Burschen sind alle so ängstlich. Da ist zum Beispiel Nasar: neulich waren wir in einem Aul, da meinte Girej-Chan, wir sollten mit zu den Nogajern gehen, um Pferde zu rauben, aber keiner ging mit; und könnt' ich denn allein gehen?«

»Aber wozu ist denn Onkel Jeroschka da? Meinst wohl, ich sei schon ganz verdorrt? Nein, das bin ich nicht! Gib mir ein Pferd, und ich komme gleich mit zu den Nogajern!«

»Was reden wir erst überflüssiges Zeug!« sagte Luka. »Sag' mir lieber, was von Girej-Chan zu halten ist! Er sagt: bring' mir nur ein Pferd an den Terek, dann hebe ich dir ein ganzes Pferdevolk aus, den Hengst samt den Stuten und Füllen. Den Ort finde ich schon! Er ist doch auch ein Geschorener – ich weiß nicht, ob ich ihm trauen kann.«

»Dem Girej-Chan? Dem kannst du schon trauen! Seine ganze Verwandtschaft besteht aus lauter braven Leuten; sein Vater war mir ein treuer Freund. Hör' auf den Onkel, der lehrt dich nichts Schlechtes: laß Girej-Chan einen Eid leisten, dann wird er schon Treue halten. Wenn du dann aber mit ihm hinreitest, halt immer die Pistole bereit! Gefährlich wird's, wenn die Pferde geteilt werden. Dabei hat mich ein Tschetschenze einmal beinahe umgebracht; ich verlangte von ihm zehn Rubel für jedes Pferd. Trauen kannst du ihnen schon – doch leg' dich nie ohne Gewehr schlafen!«

Lukaschka hörte dem Alten mit Aufmerksamkeit zu.

»Wie ist denn das, Onkel – man sagt, du habest eine Sprengwurzel?« begann er, nachdem er ein Weilchen geschwiegen hatte.

»Eine Sprengwurzel habe ich nicht, doch will ich dich meinetwegen in die Sache einweihen – bist ja ein braver Junge, wirst mich Alten nicht vergessen! Soll ich's dich also lehren?«

»Lehre es mich, Onkel!«

»Du kennst doch die Schildkröte? Die ist dir ein böses Tier, die Schildkröte.«

»Ich kenne sie, ja!«

»Such' also ihr Nest auf und mach' einen kleinen Zaun rings herum, daß sie nicht hindurch kann. Wenn sie nun kommt, geht sie rings herum und kriecht gleich wieder zurück, um die Sprengwurzel zu holen. Die bringt sie nun herbei und zersprengt den Zaun. Am nächsten Morgen geh ganz zeitig früh hin, und siehe: wo der Zaun durchbrochen ist, da liegt auch die Sprengwurzel. Nimm sie auf und trag sie, wohin du willst. Kein Schloß und Riegel wird dir widerstehen.«

»Hast du es denn versucht, Onkel?«

»Versucht habe ich's nicht, aber gute Leute haben es mir erzählt. Ich habe nur einen Zauberspruch gekannt, den sagte ich immer her, wenn ich aufs Pferd stieg, damit mich der Tod nicht ereilte. ›Ich grüß' dich, Tochter Zion‹, so fing der Spruch an.«

»Was für eine Tochter Zion, Onkel?«

»Kennst du den Spruch nicht? Ach, sind das Menschen! Warum fragt ihr denn den Onkel nicht nach solchen Dingen? Nun, hör' zu und sprich es nach:

›Ich grüß' dich, Tochter Zion,
Dein König nahet dir!
Wir steigen keck zu Pferde,
Und lustig reiten wir.
Sophonias ist vorne,
Und hinten Zachareis,
Und in der Mitte humpelt
Mandritius der Greis.‹

Mandritius der Greis,« wiederholte der Alte. »Hast du dir's gemerkt? Ein sehr wirksamer Spruch!«

Lukaschka lachte.

»Das also hat dich am Leben erhalten, Onkel? Schon möglich!« sagte er mit leichtem Spott.

»Ja, ihr seid jetzt sehr schlau geworden und lacht über die Alten. Aber lern's nur immer auswendig und sag' es her! Es kann dir nicht schaden! Sag' deine ›Tochter Zion‹ ruhig her, und du wirst dich dabei wohl fühlen,« sagte der Alte und mußte selbst lachen. »Aber die Fahrt zu den Nogajern – die laß lieber sein, Luka, verstanden?«

»Warum denn?«

»Die Zeit ist heut' nicht danach, und auch die Menschen taugen nicht dazu. Mistkosaken seid ihr geworden! Wieviel Russen ihr jetzt hier sitzen habt! Nein, wirklich: laß es, du kommst noch vor's Gericht! Zu solchen Dingen taugt ihr nicht mehr! Ich weiß noch, wie ich einmal mit Girtschik ...« Der Alte wollte eine seiner endlos langen Geschichten zum besten geben, doch Lukaschka sah zum Fenster hinaus.

»Es ist schon ganz hell geworden, Onkel,« unterbrach er ihn – »es ist Zeit, daß ich gehe. Besuch' mich einmal!«

»Christus beschütze dich! Ich gehe jetzt zu dem von der Linie: hab' versprochen, mit ihm auf die Jagd zu gehen. Scheint ein guter Junge zu sein.«


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