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2.

»Ich liebe sie! Von Herzen liebe ich sie! Prächtige Menschen sind es, wirklich famos!« wiederholte er immer wieder und war dem Weinen nahe. Aber was ihn dem Weinen nahebrachte, wer die prächtigen Menschen waren, wen er von Herzen liebte, wußte er selbst nicht zu sagen. Zuweilen richtete er den Blick auf irgendein Haus und wunderte sich, daß es so sonderbar gebaut war; dann wunderte er sich wieder, daß der Postillon und Wanjuscha, die ihm doch so fremd waren, sich so nahe bei ihm befanden und zugleich mit ihm hin und her schwankten, wenn die Seitenpferde die steifgefrorenen Stränge mit heftigem Ruck anzogen. Und wiederum sagte er: »Prächtige Menschen! Ich liebe sie!« – und einmal sagte er sogar: »Wie einen das packt! Ausgezeichnet!« Und er wunderte sich, warum er das nur sagte, und fragte sich selbst: »Bin ich am Ende betrunken?« Er hatte allerdings für seinen Teil zwei Flaschen Wein geleert, aber es war nicht der Wein allein, der diese Wirkung auf ihn ausübte. Er erinnerte sich all der – wie es ihm schien – so herzlichen Freundschaftsworte, die zu ihm vor der Abreise, gleichsam aus dem Stegreif, gesprochen worden waren. Er gedachte der Händedrücke, der Blicke, des Stillschweigens, des Tones, in dem ihm, als er schon im Schlitten saß, der Freund zugerufen hatte: »Leb' wohl, Mitja!« Er gedachte auch seiner eigenen rückhaltlosen Aufrichtigkeit. Und alles das hatte für ihn eine besondere, rührende Bedeutung. Vor seiner Abreise schienen nicht nur Freunde und Verwandte, sondern auch Leute, die ihm sonst gleichgültig oder gar unsympathisch und übelgesinnt waren, sich plötzlich verabredet zu haben, ihn in höherem Maße zu lieben und ihm zu verzeihen, wie vor der Beichte oder vor dem Tode. »Vielleicht kehre ich nicht mehr aus dem Kaukasus heim,« dachte er. Und es schien ihm, als liebe er sie alle, alle, und noch sonst jemanden außer ihnen. Und er tat sich selbst so ungemein leid. Doch nicht die Liebe zu den Freunden war es, die seine Seele so weich stimmte und ihr einen solchen Schwung gab, daß er die unwillkürlich hervorsprudelnden törichten Worte nicht zurückzuhalten vermochte, und auch die Liebe zu einem Weibe war es nicht, denn er hatte noch niemals geliebt. Einzig die Liebe zu sich selbst, eine glühende, hoffnungsvolle, junge Liebe zu allem, was nur Gutes in seiner Seele lag, ließ ihn diese Tränen vergießen, diese unzusammenhängenden Worte stammeln. Daß in seiner Seele wirklich nur Gutes wohnte, davon war er in seinem jetzigen Zustande fest überzeugt.

Olenin war ein junger Mann, der weder einen abgeschlossenen Studiengang durchgemacht hatte, noch eine dienstliche Stellung bekleidete, wenn er auch bei irgendeiner Behörde dem Namen nach mitgezählt wurde. Er hatte die Hälfte seines Vermögens durchgebracht und trotz seiner vierundzwanzig Jahre sich weder für eine bestimmte Karriere entschieden, noch überhaupt irgendeine Tätigkeit entwickelt. Er war das, was man in der Moskauer Gesellschaft einen »angehenden Lebemann« nannte.

Mit achtzehn Jahren war Olenin so unabhängig, wie es nur ein reicher, früh verwaister junger Russe der vierziger Jahre sein konnte. Es gab für ihn weder physische noch moralische Fesseln; er konnte alles tun, an nichts gebrach es ihm, und nichts band ihn. Er kannte weder Familie noch Vaterland, er glaubte an nichts und hatte vor nichts Respekt. Trotz dieser Gleichgültigkeit gegen alles war er jedoch kein griesgrämlicher, gelangweilter, ewig räsonnierender Jüngling, sondern ließ sich vielmehr jeden Augenblick durch irgend etwas begeistern. Er war der festen Überzeugung, daß es keine Liebe gebe, und war doch jedesmal wie benommen in Gegenwart eines hübschen jungen Weibes. Er zweifelte keinen Augenblick, daß alle Ehrenstellen und Würden ein Unsinn seien, und fühlte sich doch sehr geschmeichelt, wenn auf dem Balle Fürst Sergjej an ihn herantrat und ihn einiger freundlichen Worte würdigte. Er ließ sich jedoch von seinen Schwärmereien nur so weit fortreißen, als sie ihn nicht banden. Sowie er zu fühlen begann, daß bei einer Sache, für die er Interesse empfand, Arbeit und Kampf, der kleinliche, alltägliche Kampf des Lebens, unvermeidlich waren, war er instinktiv bemüht, sich von ihr loszumachen und seine Aktionsfreiheit wiederzuerlangen. So hatte er es nacheinander mit dem Leben in der großen Welt, dem Staatsdienst, der Musik versucht, der er eine Zeitlang sich ganz zu widmen gedachte, und schließlich auch mit der Liebe zu den Frauen, an die er nicht zu glauben vorgab. Er sann ernstlich darüber nach, worauf er eigentlich diese Kraft der Jugend, die dem Menschen nur einmal im Leben innewohnt, verwenden solle, ob auf die Kunst, oder auf die Wissenschaft, oder auf die Liebe zum Weibe, oder auf irgendeine praktische Tätigkeit. Nicht um die Kraft des Verstandes, des Herzens, der Bildung handelte es sich hier, sondern eben um jenen sich nie wiederholenden Drang, jene dem Menschen nur einmal gegebene Macht, aus sich selbst und der ganzen Welt alles zu machen, was er nur will, und wie er es will. Es gibt Menschen, die von diesem Drange nie etwas verspüren, die gleich beim Eintritt ins praktische Leben sich das erste beste Joch auferlegen lassen und bis ans Ende ihrer Tage es in Ehren tragen. Olenin jedoch fühlte in sich allzu sehr das Walten dieser allmächtigen Gottheit der Jugend, diese Fähigkeit, ganz in einem Wunsche, einem Gedanken aufzugehen, die Fähigkeit, zu wollen und zu handeln, sich kopfüber, ohne zu wissen, warum und wofür, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen. Er trug dieses Bewußtsein in sich, und es machte ihn stolz und, ohne daß er selbst es wußte, zugleich auch glücklich. Er liebte bis jetzt nur sich allein, und er konnte nicht anders, da er von sich selbst nur Gutes erwartete und in dieser Beziehung noch keine Enttäuschung erlebt hatte. Als er jetzt Moskau verließ, befand er sich in jener naiven, glücklichen Stimmung eines jungen Menschen, der seine früheren Irrtümer erkannt hat und sich plötzlich sagt, daß »alles das« nicht das Richtige war, daß alles, was bisher gewesen, ganz vom Zufall abhing und ohne tieferen Sinn war, daß er zwar bisher von einer vernünftigen Lebensordnung nichts hatte wissen wollen, dafür aber jetzt, da er Moskau den Rücken kehrte, ein neues Leben für ihn beginne, in dem die alten Fehler nicht mehr vorkommen sollten, in dem nicht mehr für die Reue, sondern einzig nur für das Glück Raum und Gelegenheit sein würde.

Man macht bei längeren Reisen die Erfahrung, daß auf den ersten zwei, drei Stationen die Phantasie noch an dem Orte verweilt, von dem die Reise ausging, worauf sie dann plötzlich, mit dem ersten Morgen, den man unterwegs begrüßt, sich dem Reiseziel zuwendet und dort ihre Luftschlösser zu errichten beginnt. Nicht anders ging es Olenin. Als er die Stadt im Rücken hatte und die schneebedeckten Fluren erblickte, empfand er Freude darüber, daß er sich ganz allein inmitten dieser Fluren befand. Er wickelte sich fester in seinen Pelz, ließ sich auf den Boden des Schlittens gleiten und schlief beruhigt ein. Der Abschied von den Freunden hatte ihn rührselig gestimmt, und er erinnerte sich des ganzen letzten Winters, den er in Moskau verlebt hatte: die Bilder dieser jüngsten Vergangenheit traten ungerufen, von unklaren Gedanken und Selbstvorwürfen begleitet, vor seine Seele.

Er gedachte des einen der beiden Freunde, die ihm das Geleit gegeben hatten, und seiner Beziehungen zu dem jungen Mädchen, das der Gegenstand ihrer Unterhaltung gewesen war. Dieses Mädchen war reich. »Wie konnte er sie lieben, obgleich er doch wußte, daß sie mich liebte?« dachte er, und ein häßlicher Verdacht regte sich in seinem Herzen. »Wieviel Ehrlosigkeit gibt es doch in der Welt, wenn man's so recht überlegt! Doch wie kommt es nur, daß ich noch niemals geliebt habe?« drängte eine neue Frage sich ihm auf. »Alle Welt sagt es mir, daß ich noch nicht geliebt habe. Bin ich denn ein moralischer Krüppel?« Und er rief sich das Bild eines andern jungen Mädchens ins Gedächtnis zurück, für das er einmal geschwärmt hatte. Er dachte an sein erstes Auftreten in der Gesellschaft und an die Schwester eines Freundes, mit der er damals die Abende verbracht hatte, am Tische bei der Lampe, deren Licht auf ihre zarten, mit einer Handarbeit beschäftigten Finger und die untere Partie ihres hübschen, feinen Gesichtes fiel, und die Gespräche mit ihr, die sich hinzogen wie das Spiel mit dem brennenden Zündholz, das man weitergibt, und das ewige Unbehagen, der beständige Zwang und der innere Drang, sich dieses peinlichen Zustandes zu erwehren, kamen ihm wieder in den Sinn. Eine innere Stimme hatte ihm zugeflüstert: »Das ist nicht das Richtige, das ist nicht das Richtige,« und es war in der Tat auch nicht das Richtige. Dann fiel ihm ein Ball ein, auf dem er mit der schönen D. die Mazurka getanzt hatte. »Wie verliebt war ich in jener Nacht, wie glücklich war ich! Und wie schmerzlich war es mir, wie ärgerte ich mich, als ich am nächsten Morgen mit der Empfindung erwachte, daß mein Herz frei war! Warum kommt sie denn nicht zu mir, diese Liebe? Warum bindet sie mich nicht an Händen und Füßen?« dachte er. »Es gibt eben keine Liebe, das ist's! Auch die Gutsnachbarin, die mir und Dubrowin und dem Adelsmarschall mit denselben Worten vorschwärmte, wie sehr sie die Sterne liebe, auch sie war nicht ›das Richtige‹.« Und nun fällt ihm sein Versuch ein, sich auf seinem Gute in der Wirtschaft zu betätigen – und auch hier stellt sich keine Erinnerung ein, die ihm Freude machen könnte. »Wie lange sie wohl von meiner Abreise reden werden?« ging's ihm durch den Kopf; doch wer diese ›sie‹ sind, weiß er nicht zu sagen. Gleich darauf aber kommt ihm ein Gedanke, der ihn die Stirn runzeln und irgend etwas vor sich hin murmeln läßt: es ist der Gedanke an seinen Schneider Capelle und die 678 Rubel, die er ihm schuldig geblieben ist. Er erinnert sich der Worte, mit denen er den Schneider bat, noch ein Jahr zu warten, und der bestürzten, fast verzweifelten Miene, die dabei auf dem Gesichte des Schneiders erschien. »Ach, mein Gott, mein Gott!« wiederholt er, die Augen zusammenkneifend, und sucht den unerträglichen Gedanken zu verscheuchen. »Sie hat mich aber doch trotz alledem geliebt,« sagt er sich dann, und denkt an das junge Mädchen, von dem beim Abschied die Rede gewesen war. »Ja, wenn ich sie geheiratet hätte, dann hätte ich keine Schulden – und nun bin ich auch noch Wassiljews Schuldner geworden!« Und er gedachte des letzten Spielabends im Klub, wohin er unmittelbar von ihr gefahren war, und des unglücklichen Spiels mit Wassiljew, und seiner beschämenden Bitte an Wassiljew, doch noch weiterzuspielen, die dieser mit einer kühlen Weigerung beantwortete. »Ein Jahr der Sparsamkeit, und alles wird bezahlt sein – dann mag sie der Teufel holen!« Trotz dieser Zuversicht begann er von neuem die hinterlassenen Schulden zusammenzuaddieren und über die Abzahlungsfristen Berechnungen anzustellen. »Dann habe ich ja, außer bei Chevalier, auch noch bei Morel Schulden,« fiel ihm plötzlich ein; und er malte sich jene Nacht aus, in der er bei diesem so tief in die Kreide geraten war. Es war ein Trinkgelage mit Zigeunern gewesen, das ein paar Petersburger Gäste – Saschka B., der Flügeladjutant, und Fürst D., und jener vornehme alte Herr – veranstaltet hatten.

»Warum sind sie nur so selbstzufrieden, diese Herren?« sagte er sich, an jene zurückdenkend. »Und mit welchem Recht bilden sie diesen besonderen Zirkel, in den aufgenommen zu werden nach ihrer Meinung für jeden andern eine ganz besondere Ehre ist? Etwa darum, weil sie Flügeladjutanten sind? Es ist doch entsetzlich, für wie dumm und gemein sie die andern halten! Ich habe ihnen nun freilich gezeigt, daß mir an ihrem Verkehr nicht das geringste liegt. Mein Gutsverwalter Andrej würde allerdings große Augen machen, wenn er hörte, daß ich mit einem so vornehmen Herrn wie Saschka B., der Oberst und Flügeladjutant ist, auf dem Duzfuß stehe ... Übrigens hat auch niemand an jenem Abend so viel getrunken wie ich; ich habe den Zigeunern ein neues Lied beigebracht, das allgemein gefiel. Mag ich schon Dummheiten genug begangen haben, so bin ich doch trotz alledem ein wackerer, lieber Junge.«

Der Morgen fand Olenin auf der dritten Station. Er trank Tee, legte mit Wanjuscha die Bündel und Koffer um und nahm zwischen ihnen ganz vernünftig und ordnungsgemäß Platz. Er wußte, wo sich jedes Stück seiner Sachen befand, wo das Geld steckte, und wie viel es betrug, wo der Paß, das Reisebillett und die Chausseegeldquittung lag – und alles das schien ihm so praktisch arrangiert, daß er ganz vergnügt ward und die weite Reise ihm wie eine einzige lange Spazierfahrt erschien.

Im Verlauf des Morgens und der Mittagsstunde war er ganz in arithmetische Berechnungen vertieft: wieviel Werst er zurückgelegt hatte, wieviel noch bis zur nächsten Station, bis zur nächsten Stadt, bis zum Mittagessen, bis zum Tee, bis Stawropol übrig blieben, und welchen Bruchteil der gesamten Route die zurückgelegte Strecke ausmachte. Dann berechnete er auch, wieviel Geld er hatte, wieviel die Bezahlung aller Schulden erfordern würde, und welchen Teil seines Gesamteinkommens er monatlich für seinen Unterhalt verwenden könne. Am Abend, nachdem er den Tee eingenommen, stellte er fest, daß bis Stawropol noch sieben Elftel des ganzen Weges übrig blieben, daß seine Schulden etwa ein Achtel seines gesamten Vermögens ausmachten und bei einiger Sparsamkeit in sieben Monaten abgetragen werden konnten – und nachdem er alle diese beruhigenden Feststellungen gemacht hatte, wickelte er sich fest ein, streckte sich auf dem Boden des Schlittens aus und begann wieder zu träumen.

Seine Phantasie beschäftigte sich jetzt schon ganz mit der Zukunft, dem Kaukasus. Alle seine Zukunftsträume waren belebt von den Bildern der Amalat-Beks, der Tscherkessinnen, der Berge und Schluchten, der reißenden Ströme und aller möglichen Gefahren. Alles das stand nur ganz unklar und trüb vor seiner Seele; aber der Ruhm, der ihn lockte, und der Tod, der dort jeden Augenblick drohte, gaben dieser Zukunft ein tieferes Interesse. Jetzt tötete und unterwarf er mit ganz außerordentlicher Tapferkeit und allgemein bewunderter Kraft zahllose Bergbewohner; dann ist er selbst ein Bergbewohner und verteidigt Seite an Seite mit ihnen seine Unabhängigkeit gegen die Russen. Auch seine alten Moskauer Bekannten sind mit dabei. Saschka B. kämpft bald mit den Russen, bald mit den Bergbewohnern, doch immer gegen ihn. Monsieur Capelle, der Schneider, nimmt seltsamerweise gleichfalls an seinen Triumphen teil. Und wenn ihm bei alledem die alten Demütigungen, Schwächen und Verirrungen wieder einfallen, so ist ihm die Erinnerung an sie nur angenehm. Es liegt auf der Hand, daß dort, inmitten der Berge, Ströme, Tscherkessen und Gefahren diese Verirrungen sich nicht mehr wiederholen werden. Er hat sie nun schon einmal vor sich selbst gebeichtet, damit sind sie abgetan.

Noch eine Vorstellung war da, die ihm ganz besonders teuer war und sich in alle seine Zukunftsträume einschlich. Das war die Vorstellung vom Weibe. Dort, inmitten der Berge, erscheint das Weib ihm in der Gestalt einer tscherkessischen Sklavin von schlankem Wuchse, mit langen Haarflechten und treu ergebenen, abgrundtiefen Augen. Er stellt sich eine einsame Berghütte vor, und auf der Schwelle steht »sie« und erwartet ihn, während er müde, mit Staub, Blut und Ruhm bedeckt, zu ihr heimkehrt. Und er vergegenwärtigt sich ihre Küsse, ihre Schultern, ihre süße Stimme, ihre Demut. Sie ist so reizvoll, doch dabei so scheu, ohne Bildung und von groben Sitten. Sie ist aber zugleich klug, gelehrig, begabt und eignet sich rasch alles nötige Wissen an. Mit Leichtigkeit lernt sie fremde Sprachen, liest die Erzeugnisse der französischen Literatur und versteht sie. »Notre dame de Paris« zum Beispiel wird ihr sicher gefallen. Sie kann auch französisch sprechen, und im Salon zeigt sie mehr angeborene Würde als irgendeine Dame der höchsten Gesellschaft. Sie kann singen – einfach, voll Kraft und Leidenschaft.

»Ach, was für Unsinn!« spricht er zu sich selbst. Doch da sind sie eben auf einer Station angekommen, ein Schlittenwechsel erfolgt, und er muß ein Trinkgeld geben. Und von neuem wendet sich dann seine Phantasie jenem »Unsinn« zu, den er vorhin verlassen, und wieder tauchen vor seiner Seele die Tscherkessinnen auf, und er träumt von Ruhm, von der Heimkehr nach Rußland, der Ernennung zum Flügeladjutanten, einer reizenden Frau.

»Aber wie denn – es gibt doch keine Liebe,« sagt er zu sich selbst, »und alle Ehrenstellen sind Unsinn. Doch die sechshundertachtundsiebzig Rubel? ... Nun, das eroberte Land wird mir mehr Reichtum gewähren, als ich in meinem ganzen Leben aufbrauchen kann. Übrigens wird es nicht gut sein, daß ich diesen Reichtum für mich allein verbrauche. Ich werde ihn verteilen müssen. Doch an wen? Sechshundertachtundsiebzig Rubel bekommt Capelle – nun, und dann wollen wir weiter sehen ...« Und dann umnebeln schon vollends unklare Visionen sein Denken, und erst Wanjuschas Stimme und das Gefühl, daß die Fahrt unterbrochen wird, stören wieder seinen gesunden Jugendschlaf; mechanisch steigt er auf einer neuen Station in einen neuen Schlitten und fährt weiter.

Der nächste Morgen bringt ihm genau dasselbe: dieselben Stationen, denselben Tee, dieselben auf und nieder gehenden Kruppen der Pferde, dieselben kurzen Gespräche mit Wanjuscha, dieselben wirren Phantasiebilder und Träume am Abend und denselben tiefen, gesunden Schlaf in der Nacht.


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