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31.

Die Sonne war bereits hinter dem Birnbaum hervorgekommen, der den Wagen beschattete. Sie drang mit ihren schrägen Strahlen selbst durch die Weinreben hindurch, die Ustenjka vorgehängt hatte, und schien den unter dem Wagen schlafenden Mädchen ins Gesicht. Marianka erwachte und band ihr Kopftuch um. Als sie sich umsah, erblickte sie hinter dem Birnbaum den Mieter, der mit dem Gewehr über der Schulter dastand und sich mit ihrem Vater unterhielt. Sie stieß Ustenjka an und wies schweigend, mit einem Lächeln, auf Olenin.

»Gestern war ich auf der Jagd, habe jedoch nichts gefunden,« sagte dieser, während er sich unruhig umsah – er hatte die Mädchen hinter dem Rebengehänge nicht bemerkt.

»Gehen Sie nur dort nach jener Seite, gerade im Zirkel herum: da liegt ein verwahrloster Garten, den Ödplatz nennt man ihn, dort finden sich immer Hasen,« sagte der Fähnrich in seiner umständlichen Sprechweise.

»Wollen Sie denn jetzt, in der Arbeitszeit, auf die Hasenjagd gehen? Helfen Sie uns lieber hier im Garten, arbeiten Sie mit den Mädchen zusammen,« sagte die Mutter. »Nun, steht auf, ihr Mädchen!« rief sie dann.

Marianka und Ustenjka flüsterten unter dem Wagen und konnten das Lachen kaum zurückhalten.

Seit es damals bekannt geworden, daß Olenin dem Lukaschka ein Pferd im Werte von fünfzig Rubel geschenkt hatte, waren seine Wirtsleute gegen ihn weit freundlicher gestimmt. Namentlich der Fähnrich schien die Annäherung des Junkers an seine Tochter nicht ungern zu sehen.

»Ich verstehe ja nicht zu arbeiten,« sagte Olenin und bemühte sich, durch die grünen Ranken unter den Wagen zu sehen, wo er das blaue Hemd und das rote Kopftuch Mariankas bemerkt hatte.

»Kommen Sie nur näher, ich will Ihnen getrocknete Pfirsiche geben,« sagte die Alte zu ihm.

»Nach gastlichem, altem Kosakenbrauch – eine Altweiberdummheit,« sagte der Fähnrich, die Worte der Alten erklärend und richtigstellend. »In Rußland haben Sie, vermut' ich, nicht nur getrocknete Pfirsiche, sondern auch Ananaskompott nach Herzenslust gegessen!«

»In dem verwahrlosten Garten also gibt es Hasen?« fragte Olenin. »Ich will mal hingehen,« sagte er, warf einen raschen Blick durch die grünen Reben, lüftete die Mütze und verschwand zwischen den regelmäßigen grünen Reihen der Weinstöcke.

Die Sonne war bereits hinter der Umzäunung der Gärten verschwunden und warf ihre zerstreuten Strahlen durch das durchscheinende Laub, als Olenin zu seinen Wirtsleuten in den Garten zurückkehrte. Der Wind hatte sich gelegt, eine frische Kühle begann sich in den Weingärten zu verbreiten. Schon von ferne unterschied Olenin gleichsam instinktiv Mariankas blaues Hemd zwischen den Reihen der Weinstöcke und ging, da und dort eine Beere abpflückend, auf sie zu. Auch sein Hund, dem vom raschen Laufen der Atem kurz geworden war, schnappte zuweilen mit der geifernden Schnauze nach einer niedrig hängenden Traube. Ganz rot von der Arbeit, die Ärmel hoch aufgestreift und das Kopftuch tief unterm Kinn, schnitt Marianka rasch die schweren Trauben ab und legte sie in einen Korb. Ohne die Ranke, die sie festhielt, aus den Händen zu lassen, hielt sie inne, lächelte freundlich und machte sich wieder an die Arbeit. Olenin näherte sich ihr und warf das Gewehr auf den Rücken, um die Arme frei zu haben. »Wo sind denn deine Leute? Gott helfe dir! Bist du allein?« wollte er sagen, doch sagte er nichts und lüftete nur zum Gruße die Mütze. Er fühlte sich verlegen, als er sich mit Marianka allein sah; aber als wollte er sich absichtlich eine Pein auferlegen, trat er auf sie zu.

»Du willst wohl mit deiner Flinte hier die Weiber totschießen?« sagte Marianka.

»Nein, ich schieße nicht.«

Sie schwiegen beide ein Weilchen.

»Du könntest mir helfen!«

Er nahm ein kleines Messer aus der Tasche und begann schweigend Trauben abzuschneiden. Er holte eine schwere Traube von etwa drei Pfund, deren dichtsitzende Beeren sich aus Raummangel gegenseitig plattgedrückt hatten, unter dem Laub hervor und zeigte sie Marianka.

»Soll ich alle abschneiden? Ist diese hier nicht noch zu grün?«

»Zeig her!«

Ihre Hände berührten sich. Olenin ergriff ihre Hand, und sie sah ihn lächelnd an.

»Du wirst nun bald heiraten?« sagte er.

Ohne zu antworten, wandte sie sich ab und streifte ihn nur mit einem Blick ihrer ernsten Augen.

»Liebst du den Lukaschka?«

»Was geht es dich an?«

»Ich beneide ihn.«

»Was du sagst!«

»Wirklich, du bist ein so schönes Mädchen!«

Ein Gefühl der Scham überkam ihn plötzlich, als er dies gesagt hatte: so banal schienen ihm seine Worte zu klingen! Er errötete jäh, verlor seine Fassung und ergriff ihre beiden Hände.

»Wie ich auch sein mag, für dich bin ich jedenfalls nicht! Brauchst dich nicht über mich lustig zu machen!« versetzte Marianka, doch verriet ihr Blick, wie genau sie wußte, daß er sich nicht über sie lustig machte.

»Ich sollte mich über dich lustig machen? Wenn du wüßtest, wie sehr ich ...«

Diese Worte hatten noch banaler geklungen, noch weniger dem entsprechend, was er fühlte; dennoch fuhr er fort: »Ich weiß nicht, was ich alles für dich zu tun bereit wäre! ...«

»Laß mich in Ruhe, du Schelm!« sagte sie, sich erzürnt stellend. Aber ihr Gesicht, ihre glänzenden Augen, ihr üppiger Busen, ihre schlanken Beine sagten etwas ganz anderes. Es schien ihm, daß sie recht wohl begriff, wie banal das alles war, was er zu ihr gesprochen, daß sie jedoch hoch über solchen Erwägungen stand; es schien ihm, daß sie längst alles wußte, was er ihr sagen wollte und nicht zu sagen wußte, daß sie jedoch hören wollte, wie er es ihr sagen würde. Wie sollte sie es auch nicht wissen, dachte er, da er ihr doch nur sagen wollte, wer und was sie selbst war? Doch sie wollte nicht verstehen, wollte nicht antworten, sagte er sich.

»Heda!« ließ sich plötzlich in der Nähe hinter den Weinstöcken Ustenjkas Stimmchen, begleitet von hellem Lachen, vernehmen. »Komm, hilf mir, Mitrij Andreïtsch, ich bin allein!« rief sie Olenin zu und steckte ihr rundes, naives Gesichtchen aus dem Laube hervor.

Olenin antwortete nicht und rührte sich nicht vom Fleck.

Marianka fuhr fort, die Trauben zu schneiden, blickte dabei aber fortwährend nach dem Mieter. Er begann irgend etwas zu sprechen, hielt jedoch plötzlich inne, zuckte die Achseln, schob das Gewehr auf seinem Rücken zurecht und verließ mit raschen Schritten den Garten.


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