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36.

In diesem Augenblick kamen zwei Reiter aus einer Seitengasse auf den Platz geritten. Der eine von ihnen war Nasarka, der andere Lukaschka. Lukaschka saß ein wenig seitwärts auf seinem wohlgenährten braunen Kabardiner, der auf der harten Straße leicht dahinschritt und den schönen Kopf mit der glänzenden, feinhaarigen Mähne emporwarf. Das Gewehr im Futteral über der Schulter, die Pistole auf dem Rücken und der gerollte Filzmantel hinter dem Sattel zeigten, daß Lukaschka aus einer entfernteren Gegend kam, in der es nicht friedlich herging. In seinem koketten Seitensitz, in der lässigen Bewegung der Hand, die von Zeit zu Zeit kaum hörbar mit der Peitsche gegen die Weichen des Pferdes schlug, ganz besonders aber in seinen glänzenden schwarzen Augen, die, leicht zusammengekniffen, mit stolzem Ausdruck in die Runde schauten, kam das Bewußtsein der Kraft und das Selbstvertrauen der Jugend deutlich zum Ausdruck. »Habt ihr ihn gesehen, den kühnen Burschen?« schienen seine bald nach rechts, bald nach links blitzenden Augen zu sagen Das stattliche Pferd mit dem silberbeschlagenen Sattelzeug, die kriegerische Ausrüstung und der schmucke Kosak selbst zogen die Aufmerksamkeit der ganzen auf dem Platze anwesenden Menge auf sich. Der magere kleine Nasarka war weit schlechter gekleidet als Lukaschka. Als dieser bei den Alten vorüberritt, hielt er an und lüftete die weiße, krause Fellmütze auf dem glattgeschorenen schwarzen Kopfe.

»Na, hast du viele Nogajerpferde weggetrieben?« sagte ein hagerer kleiner Greis mit finsterem Blick.

»Du hast sie doch sicher gezählt, Großväterchen – was fragst du mich erst?« antwortete Lukaschka und wandte sich ab.

»Den Burschen da nimmst du doch sicher nicht ohne Grund mit,« versetzte der Alte, auf Nasarka weisend, noch finsterer.

»Seh' einer – alles weiß der alte Satan!« sprach Lukaschka für sich, und sein Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an; dann aber schaute er nach einer Ecke, in der eine ganze Schar von Kosakinnen zusammenstand, und lenkte sein Pferd dahin.

»Seid mir gegrüßt, ihr Mädchen!« rief er mit seiner kräftigen, klangvollen Stimme und brachte plötzlich sein Pferd zum Stehen. »Ihr seid hier recht alt geworden, ihr Hexen, seit ich zum letztenmal hier war!« sagte er lachend.

»Willkommen, Lukaschka, willkommen, Väterchen!« ließen sich muntere Stimmen vernehmen. »Hast du viel Geld mitgebracht? Kauf doch Näschereien für die Mädchen! Wie lange bleibst du denn hier? Wir haben dich schon lange nicht gesehen.«

»Wir sind mit Nasarka für eine Nacht hergejagt, um einmal recht lustig zu sein,« antwortete Lukaschka, während er seinem Pferde einen leichten Hieb versetzte und mitten unter die Mädchen hineinritt.

»Deine Marianka hat dich schon ganz vergessen,« zwitscherte Ustenjka, stieß Marianka mit dem Ellbogen an und ließ ihr helles Silberlachen erschallen.

Marianka trat vor dem Pferde zurück, warf den Kopf in den Nacken und sah den Kosaken mit ihren glänzenden, großen Augen ruhig an.

»Bist schon recht lange nicht hier gewesen! Was drängst du denn mit dem Pferde so vor?« sagte sie trocken und wandte sich ab.

Lukaschka schien ganz besonders aufgeräumt. Sein Gesicht strahlte vor Freude und Unternehmungslust. Mariankas kühle Antwort machte ihn sichtlich betroffen. Er zog plötzlich die Brauen finster zusammen.

»Steig' in den Bügel, mein Schätzchen, ich entführe dich in die Berge!« rief er plötzlich laut, als wollte er die bösen Gedanken verscheuchen, und ließ sein Pferd zwischen den Mädchen tänzeln. Er beugte sich zu Marianka hinab: »Ich will dich küssen – so heiß will ich dich küssen, daß dir die Sinne vergehen.«

Mariankas Blick begegnete dem seinigen, und plötzlich errötend, trat sie zurück.

»Was fällt dir ein? Dein Gaul tritt mir auf die Füße!« sagte sie, während sie den Kopf senkte und an ihren schlanken Beinen herabsah, die in blauen Strümpfen mit Zwickeln und neuen, mit schmalen Silberborten benähten roten Schuhen steckten.

Lukaschka wandte sich zu Ustenjka, während Marianka neben einer Kosakenfrau Platz nahm, die ein kleines Kind auf den Armen hielt. Das Kind streckte die Arme nach dem Mädchen aus und griff mit den runden, dicken Händchen nach der Schnur mit den Münzen, die über ihren blauen Beschmet herabhingen. Marianka beugte sich zu ihm hinab und warf dabei einen Seitenblick auf Lukaschka. Dieser hatte inzwischen aus der Tasche seines schwarzen Beschmets ein Päckchen mit Naschwerk und Melonenkernen hervorgelangt.

»Das geb' ich euch allen zum besten,« sagte er, reichte das Päckchen Ustenjka hin und sah lächelnd Marianka an.

Wieder malte sich Verlegenheit auf dem Gesichte des Mädchens. Über ihre schönen Augen legte sich ein Nebel, und während sie das Kopftuch bis unter die Lippen herabfallen ließ, preßte sie plötzlich ihren Kopf gegen das weiße Gesichtchen des Kindes, das die Münzen krampfhaft festhielt, und begann es leidenschaftlich zu küssen. Das Kleine stemmte sich mit den Händchen gegen die hohe Brust des Mädchens, und lautes Schreien erscholl aus seinem zahnlosen Mündchen.

»Was würgst du mir denn den Kleinen so?« sagte die Mutter des Kindes, nahm es ihr fort und öffnete ihren Beschmet, um ihm die Brust zu reichen. »Solltest lieber den Burschen da begrüßen.«

»Ich will nur mein Pferd besorgen, dann komme ich mit Nasarka her – wollen die ganze Nacht lustig sein!« sagte Lukaschka, schlug mit der Peitsche nach dem Gaul und ritt von den Mädchen fort. –

Er lenkte mit Nasarka in eine Seitengasse ein, und sie ritten auf zwei nebeneinander stehende Häuser zu.

»Da wären wir, Bruder – komm nur recht bald zurück!« rief Lukaschka dem Kameraden zu, stieg vor einem der beiden Höfe ab und führte sein Pferd vorsichtig durch das Tor in der Hecke.

»Sei gegrüßt, Stepka!« sagte er zu der Stummen, die, gleichfalls festlich gekleidet, von der Straße kam, um das Pferd in Empfang zu nehmen. Er gab ihr durch Zeichen zu verstehen, sie solle dem Pferde Heu geben und es nicht absatteln. Die Stumme ließ einen dumpfen Laut hören, schnalzte, nach dem Pferde zeigend, mit der Zunge und küßte es auf die Nase. Sie wollte damit andeuten, daß sie das Pferd liebe, und daß es ein schönes Pferd sei.

»Sei gegrüßt, Mütterchen! Bist du denn noch nicht auf der Straße gewesen?« rief Lukaschka seiner Mutter zu, während er, das Gewehr festhaltend, die Freitreppe hinaufstieg.

Die Mutter öffnete ihm die Tür.

»Sieh doch, das hätte ich nicht geahnt noch erwartet!« sprach die Alte. »Kirka meinte doch, du würdest nicht kommen!«

»Geh, Mutter, und bring Wein. Nasarka kommt gleich her, wir wollen den Festtag feiern.«

»Gleich, Lukaschka, gleich,« antwortete die Alte. »Unsere Weiber vergnügen sich draußen. Auch unsere Stumme ist, glaub' ich, hingegangen.«

Sie nahm die Schlüssel und ging rasch nach der Milchkammer.

Nachdem Nasarka sein Pferd untergebracht und sein Gewehr abgelegt hatte, begab er sich zu Lukaschka zurück.


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