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XXXI

Unzählige Tam-Tams dröhnten über den Marktplatz von Tar-Bark und fünfhundert würdige Araber, die umherstanden, mühten sich schnatternd, deren Lärm zu übertönen. An den staubigen Ästen der Bäume ringsum hingen Hammelkeulen, große Stücke Ziegenfleisch und ganze Kitzchen zum Verkauf, auch Kamelschinken, mit Haut, Haaren und Hufen daran. Von anderen Fleischarten war der Ursprung nicht so leicht zu erkennen, und das war vielleicht besser. Händler saßen auf gekreuzten Beinen, hatten auf dem lehmigen Boden vor sich kleine Häufchen Datteln, und der Staub der nahen Straße wehte über Mann und Ware. Wieder andere verkauften rostige Zinnkrüge, leere Flaschen, Messing- und Eisenstücke, alte Felle und Streifen gebrauchten Stoffes, sogar dürre lebende Esel und Ziegen.

Ein brauner Mann, mit einer zerfetzten Tunika und einem zerlumpten Turban bekleidet, steckte seine nackten Beine so weit in die dichtbevölkerte Straße hinein, daß Menschen und Tiere darübersteigen mußten. Er starrte der afrikanischen Sonne in ihr furchtbares Antlitz, und seine Augen, die niemals blinzelten, nicht feucht wurden und doch nicht blind waren, ertrugen das Unerträgliche. Jede halbe Minute – mit einer Genauigkeit, als wären sie durch ein Uhrwerk geregelt – breitete er seine Arme weit aus und ließ eine schrille, eindringliche Bitte an Allah erschallen. Erst das Automobil der Familie Tinker, das auf dem Wege nach Tunis vorbeikam, lenkte seine hypnotisierten Blicke von der Sonne ab.

Die schwatzende Menge auf dem Marktplatz warf böse Blicke auf die Insassen des Wagens und bezeigte den warnenden Hupentönen nicht den geringsten Respekt. Während das Automobil langsam durch das Gedränge fuhr, ging man ihm immer unwilliger aus dem Wege; schließlich trat eine mürrische Gruppe erst im letzten Augenblick so zögernd beiseite, daß eines der Vorderräder den dürren braunen Schenkel des Sonnenanbeters berührte. Die eintönige Anrufung Allahs verwandelte sich unvermittelt in ein schmerzliches Kreischen, das zu einem Geschrei wurde, und der erschrockene Andächtige wälzte sich im Staube. Es war ihm nicht das Geringste geschehen. Der arabische Pöbel aber stürzte sich sofort auf das Automobil; vor den Fenstern drängten sich wildverzerrte Teufelsmasken, und die beiden Damen im Wageninnern erlebten einen Angsttraum. Der unglückliche Chauffeur war auf dem besten Wege, in Stücke, und zwar in winzig kleine Stücke, gerissen zu werden. Da wurde plötzlich von innen eine der Wagentüren mit solcher Heftigkeit aufgerissen, daß die auf dem Trittbrett gedrängt stehenden Araber beiseite flogen; ein starker, bloßhäuptiger Mann mit rotem Gesicht sprang aus dem Wagen und begann zu brüllen. Er brüllte in einer Sprache, die den Leuten, an die er sich wandte, unverständlich war; aber sie wurden sich dessen gar nicht bewußt, denn noch nie in ihrem Leben hatten sie eine solche Stimme gehört – weder eine so gebieterische, noch eine so donnernde! Ihre Verblüffung steigerte sich, als dieser Mann seine Hand in die Tasche steckte und die Luft sich bald darauf mit glitzernden Schätzen füllte. Silberne Münzen rieselten wie Allahs süßester Regen herab. Die Araber erkannten, daß sie es mit einem Wundermann zu tun hatten.

Alles bückte sich, um die Geldstücke einzusammeln, ein leerer Raum entstand um den Wagen, und knatternd pfauchte er davon.

Olivia, die selbst noch bleich war und zitterte, bemühte sich, ihre ganz fassungslose Mutter zu beruhigen:

»Es ist ganz überflüssig, in hysterische Krämpfe zu verfallen, weil ein paar arme Araber eine halbe Minute lang in Aufregung geraten. Es bestand nicht die mindeste Gefahr.«

»Keine Gefahr?« schluchzte Frau Tinker, »warum hast du so aufgeschrien?«

»Ich war erschrocken. Aber dann erkannte ich sofort, daß Papa wußte, was zu tun sei.«

Frau Tinker fuhr zu weinen fort, aber ihr Schluchzen ließ nach und hinderte sie nicht am Sprechen.

»Er weiß es immer, und immer ist es das gleiche. Das einzige auf der Welt, das er versteht, ist, Geld hinauszuwerfen.«

»Aber das Geld hat er ihnen ja nur nebenbei zugeworfen. Sein schreckliches Gebrüll war die Hauptsache: ich habe noch nie etwas Ähnliches gehört. Ich glaube, er hätte einen Krieg damit zum Stillstand gebracht!«

»Er meint eben, daß er mit Lärm alles durchsetzen kann«, sagte die Mutter, und um ihre Konsequenz zu beweisen, fügte sie hinzu: »Lärm und Geld, das sind seine ganzen Künste!«

»Hör' mal an«, sagte Tinker, und er sprach mit der unsicheren Gereiztheit eines gequälten Menschen, der kein ganz reines Gewissen hat. »Es hat aber doch gewirkt, nicht?«

»Aber es gibt Fälle, in denen sowas nicht wirkt«, erwiderte die erregte Frau. »Du hast da einiges getan, was du mit allem Geld der Welt nicht …«

»Gott im Himmel!« stöhnte Olivia, »wieviele Tage willst du noch auf diesen alten Geschichten herumreiten, Mama?«

Ihre Mutter aber schenkte diesen Worten keine Aufmerksamkeit, sie begann, wild darauf los zu eifern:

»Er wäre sicher froh gewesen, wenn sie mich ermordet hätten! Ermorden wollten sie mich! Du kennst diesen Menschen nicht, Olivia! Er wartet nur darauf, daß ich aus dem Wege geräumt werde, um bei französischen Abenteuerinnen, von denen er sich die Schultern streicheln läßt und mit denen er zu heimlichen Gelagen davonschleicht, den reichen Witwer zu spielen! Ja, er …«

»Hör' mal an,« unterbrach Tinker, »diese Leute haben keinen Augenblick daran gedacht, dich oder jemanden anderen umzubringen! Wäre John Edwards dagewesen, dann …«

»Und warum war er denn nicht da? Warum mußtest du den Kurier gerade an dem einzigen Tag vorausschicken, an dem wir ihn gebraucht hätten, um uns vor diesen Wilden zu schützen?«

»Vor den Wilden?« wiederholte Tinker und lachte mitleidig. »Ach Gott, wenn sie nur ein Tausendstel so wild gewesen wären, wie du in der letzten Zeit …«

Olivia sah voraus, was für üble Folgen diese Bemerkung haben würde, und legte dem Vater schnell ihre Hand auf den Mund; aber es war zu spät. Frau Tinker verfiel in lautes, konvulsivisches Schluchzen. Und während der ganzen weiteren Fahrt blieb sie in reizbarer, gehässiger Stimmung.

 

Le Seyeux wartete in Tunis besorgt vor der Einfahrt des großen Hotels und sah mit bangen Gefühlen der Ankunft des Tinkerschen Automobils entgegen, denn er hatte bald nach seinem eigenen Eintreffen die strengen Verhaltungsmaßregeln seines Herrn als nur allzu berechtigt erkennen müssen. Während er mit Frau Tinker durch die Vorhalle zum Fahrstuhl schritt, bemühte er sich ängstlich, ihr den Ausblick auf die offene Türe eines kleinen Salons zu verdecken. Olivia war müde und auch ihr entging, was der Kurier gesehen hatte und was Tinker, der hinter ihr kam, mit schlecht verhohlenem Schrecken entdeckte: eine hochgewachsene, in goldbraunen Venetianersamt gekleidete Dame, die lässig in einem Fauteuil lehnte und erwartungsvoll in die Halle blickte!

Frau Tinker wartete beim Fahrstuhl, um ihren Gatten nicht aus den Augen zu lassen.

»Was ist denn wieder los?« fragte sie in klagendem Ton. »Warum bleibst du zurück? Steig nur mit ein!« Nachdem er beflissen gefolgt hatte, fuhr sie, während der Fahrstuhl nach oben lief, zänkisch fort: »Warum bist du so rot im Gesicht? Was gibt es …«

»Aber ich bin doch gar nicht rot,« erwiderte er verdrießlich, »ich bin auch nicht zurückgeblieben, ich wollte nur sehen, ob …«

»Ein prächtiger Tag war das heute«, lenkte Le Seyeux in heiterem Ton ab. »Hier sind wir auch schon auf unserer Etage. Das Apartement ist sehr schön. Große Zimmer. Ausgezeichnete Betten. Alles nach Wunsch.«

Tinker war mit seinem Kurier zufrieden, besonders freute es ihn, daß in dem für ihn bestimmten Zimmer ein Schreibtisch stand. Nachdem sie die Räume besichtigt hatten, bedeutete er dem Kurier durch ein verstohlenes Augenzwinkern, daß er nun seinen zweiten Auftrag ausführen solle. Le Seyeux erwiderte mit einem beruhigenden Blick und empfahl sich. Nachdem seine Frau sich aufs Bett gestreckt hatte, ging Tinker behutsam, um sie nicht zu stören, durch die Verbindungstür in sein eigenes Zimmer und setzte sich auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch.

Sofort rief Frau Tinker von ihrem Bette aus:

»Was machst du denn drin! Wozu rennst du unaufhörlich hin und her? Warum kannst du nicht, wie jeder anständige Mensch, dich hinlegen und ein wenig Ruhe geben? Denkst du wieder darüber nach, allein irgendwohin zu gehen?« Das Bett raschelte unter der Bewegung eines Körpers, der sich anschickt, es zu verlassen.

»Mein Gott! Ich sitze doch ruhig da, Mamma! Ich mag mich nicht niederlegen. Es ist doch nichts Schlechtes, wenn ich so dasitze, nicht? Soll ich nicht lieber deine Türe schließen, Schnucki?«

»Nein«, antwortete sie mit solcher Entschiedenheit, daß ihm jede Lust verging, das Gespräch fortzusetzen.

Er saß regungslos und bemühte sich während einiger Minuten sogar seinen Atem zu dämpfen. Die Stille hatte bald den von ihm erhofften Erfolg: ein leichtes Schnauben wurde aus dem Nebenraum hörbar – obwohl Frau Tinker dies niemals zugegeben hätte –, seine Frau war eingeschlafen. Nun holte Tinker leise und vorsichtig ein Scheckbuch aus seiner Brusttasche, entnahm ihm geräuschlos ein Blankett, steckte das Buch in die Tasche zurück und füllte in raschen Zügen den Scheck aus. Dann nahm er ein Kuvert aus der Schreibmappe, tat den beschriebenen Zettel hinein und stand auf. Jeden Lärm vermeidend, schlich er auf den Zehenspitzen auf den Korridor.

Madame Momoro, die immer noch allein in dem kleinen Salon wartete, blickte ihm erlöst entgegen, als er eintrat. Ihre Wangen färbten sich lebhafter, und ohne zu sprechen, streckte sie ihm die Hand entgegen, von der sie für ihn den Handschuh abgestreift hatte. Tinker ergriff sie und schüttelte sie herzlich.

»Feines Kostüm haben Sie an!« sagte er. »Wirklich tadellos! Und was macht der junge Mann?«

»Hyacinthe? Der ist so glücklich,« antwortete sie, »so glücklich wie ich. Wollen Sie sich nicht zu mir setzen?«

»Nur für eine Minute«, sagte er mit einem ängstlichen Blick über die Schulter nach der Türe. Dann, als er saß, sprach er schnell, aber heiter: »Hören Sie mich mal an! Wollen Sie, daß ich erst skalpiert und dann in Öl gesotten werde?«

»Nein!«

»Na also, skalpiert wurde ich schon. Ich wünsche nur, nicht auch noch in Öl gesotten zu werden! Ich habe Ihnen doch gesagt …«

»Lieber Freund«, fiel sie ihm liebenswürdig ins Wort, »Sie sind mir böse, weil Sie meinen, ich wäre nur in Tunis geblieben, um Sie nochmals zu treffen. Aber Sie brauchen nichts zu fürchten; ich werde Sie nicht kompromittieren. Ich wohne deshalb auch nicht hier im Hotel. Sie sehen, ich bin sehr rücksichtsvoll, aber hier, unter vier Augen, darf ich Ihnen doch wohl beichten, daß ich tatsächlich sehr, sehr gewünscht habe, Sie noch einmal zu sehen?« Sie lächelte ein wenig melancholisch und neigte sich zu ihm vor. »Können Sie mir diesen Wunsch übelnehmen?« fügte sie sanft hinzu, während sie leicht seinen Arm streichelte.

Als sie das tat, blickte Tinker wieder hastig zur Türe, aber da sie geschlossen blieb, beruhigte er sich.

»Hören Sie,« sagte er in vertraulichem Tone, »ich habe da etwas, das ich gerne …«

»Warten Sie einen Augenblick,« unterbrach sie ihn wieder, »ich muß Ihnen erst noch etwas sagen. In Biskra ließen Sie mir keine Zeit dazu. Sie können die Dankbarkeit einer Frau, die aus der Hölle erlöst worden ist, nicht ermessen und Sie ahnen nicht, was sie alles für ihren Retter tun würde. Sie wissen nicht – vielleicht liegt Ihnen auch gar nichts daran, es zu wissen – wie sehr sie einen solchen Mann schätzen muß und wie schwer sie sich mit dem Gedanken abfinden kann, für immer von ihm Abschied zu nehmen.« Während sie sprach, hatte sie ihn unverwandt angeschaut, jetzt aber begannen ihre schönbewimperten Augen plötzlich zu zucken, sie blickte zur Seite und biß sich auf die Unterlippe. »Sie …« Eine Heiserkeit in ihrer Kehle verhinderte sie am Fortfahren.

»Hören Sie zu«, warf Tinker eilig ein. »Meine Frau hält bloß ein kurzes Schläfchen – ich hoffe es wenigstens, aber auch das weiß ich nicht sicher. Ich muß …«

»Bitte, nur noch einen Augenblick«, sagte sie, nachdem sie ihre Fassung rasch wieder gewonnen hatte. »Sie sollen mir nur eines versprechen, daß ich Sie in Paris wiedersehen kann, wenn Sie hinkommen.«

»Aber gewiß, gewiß«, beruhigte er sie herzlich. »Ich kann Sie ja im Telephonbuch finden. Aber jetzt muß ich wirklich …«

»Ja,« sagte sie, »aber ich möchte Ihnen schreiben …«

»Schreiben?« unterbrach er sie und starrte sie erschrocken an. »Hören Sie …«

»Nein, nein, ich tue es ja nicht. Ich werde nicht schreiben. Ich sehe schon, Sie wünschen es nicht. Und Sie sind jetzt unruhig, nervös, aber morgen …«

»Sehen Sie,« Tinker sprach jetzt im ernsten Tone, ganz nahe zu ihr vorgebeugt, »das ist nämlich so: Mir ist eingefallen, daß Sie mir ja nur den Betrag genannt haben, den Ihr Junge für dieses Impresario-Geschäft oder was es sonst ist braucht – und weiter habe ich Ihnen nichts geliehen. Ich habe gar nicht daran gedacht, daß Sie vielleicht für die nächsten Monate gar nicht genug zum Leben haben, wenn Sie das Geld fürs Theatergeschäft nicht angreifen wollen. Sie haben mir doch erzählt, wie geizig diese Französinnen waren, wenn sie Geld hergeben sollten; vielleicht haben Sie gar nicht einmal genug, um die Reise von hier nach Paris zu bezahlen … und dort müssen Sie doch auch … und deshalb … also kurz und gut, das da wird die Sache ins Reine bringen.« Er drückte ihr den Briefumschlag, den er vorbereitet hatte, in die Hand. »Das wird reichen. Sie können es morgen früh bei der Bank abheben.«

»Das kann ich unter keinen Umständen annehmen«, sprach sie mit langsamem Kopfschütteln, während sie sinnend auf den Briefumschlag in ihrer Hand blickte. »Es ist ja so lieb von Ihnen, mir dies anzubieten – und wenn es nur irgend eine Möglichkeit gäbe …« Sie brach ab und schaute ihn fragend an.

»Aber gewiß,« sagte er eifrig, »Ihr Junge wird das alles abzahlen, sobald er erst einmal zu verdienen beginnt. Stecken Sie's nur unbesorgt ein! Sie können ganz ruhig sein!« Aber sie schüttelte noch immer den Kopf.

»Nein,« wiederholte sie leise, »ich kann wirklich nicht …«

»Also hören Sie mich jetzt an!« polterte er. »Meine Leute haben keinen sehr festen Schlaf und ich muß jetzt hinaufgehen, sonst komme ich in eine Patsche, aus der ich nicht so leicht wieder herausfinde. John Edwards hat mir gesagt, daß morgen ein Schiff von hier nach Marseille abgeht …«

»Und Sie wünschen,« sie sah ihn ernst an, »daß ich damit reise?«

»Donnerwetter, ja!« rief er, und beide erhoben sich. »Passen Sie auf! Geben Sie das einmal her!« Und er nahm ihr den Briefumschlag weg und griff nach einem kleinen goldenen Täschchen, das neben ihr auf dem Tisch lag. »So!« Er öffnete das Täschchen, steckte den Umschlag mit dem Scheck hinein und ließ das Schloß wieder zuschnappen. Dabei strahlte sein ganzes Gesicht und er blickte sie triumphierend an. »Und morgen früh schicken Sie Ihren Sohn so zeitig wie möglich in das Reisebureau. Und dann verlassen Sie, um des Himmels willen, diese Stadt mit dem ersten Schiff!«

»Sie bestehen darauf, daß wir uns erst in Paris wieder treffen?« flüsterte sie.

»Ja, es geht wohl nicht anders«, antwortete er. »Ich will nicht, daß mein Leben lang mit spitzen Absätzen auf mir herumgetreten wird, weil Sie zufällig die schönste Frau der Welt sind! Das ist ja das ganze Unglück: wenn Sie nur um eine Kleinigkeit gewöhnlicher aussehen würden, dann könnte ich bestimmt öfter mit Ihnen beisammen sein: aber so wie die Dinge liegen – Sie sind eben um ungefähr achthundert Prozent zu schön, Frau Mummero!« Er sah sie mit einem herzlichen Lächeln an, hob seine mächtige rechte Hand, und ließ sie mit einem freundschaftlichen, laut hörbaren Klaps auf ihren schönen samtenen Rücken gerade zwischen die Schultern fallen. »Sie wissen es ja selbst!« meinte er.

Sie starrte ihn entsetzt aus weit aufgerissenen Augen an. Einen Augenblick lang zog sich eine Furche über ihre Stirne, aber sie verschwand gleich wieder. Madame Momoro schien in Gedanken verloren, dann begann sie allmählich zu lächeln und ihre Augen blickten mit aufrichtiger Bewunderung auf ihn.

»Sie sind wirklich einzig!« sprach sie. »Ich werde Ihrem Befehl nachkommen und morgen das Schiff nehmen.« Ohne Lebewohl wandte sie sich ab und rauschte, rasch gleitend, in herrlicher Haltung geradewegs aus dem Zimmer und aus dem Hotel.

Allein geblieben, nahm Tinker seine Uhr aus der Tasche und wartete, bis der Zeiger um eine Minute vorgerückt war: dann schlenderte er mit munterer Unbefangenheit in die Halle. Eben stieg Frau Tinker aus dem Aufzug. Ihr Gesichtsausdruck war zugleich mürrisch und ängstlich, aber er wandelte sich zu ungeteilter Empörung, als sie ihren Gatten erblickte. Erregt und drohend kam sie so schnell auf ihn zu, als ihre hohen Absätze es gestatteten.

»Das war wieder ein feiner Streich!« knurrte sie empört. »Kaum gönne ich mir etwas Ruhe nach dieser gräßlichen Straße, die mir beinahe den Rücken entzweigebrochen hat und die wir nur deshalb fahren mußten, weil dir nichts Gescheiteres einfiel, als den Kurier vorauszuschicken – kaum gönne ich mir etwas Ruhe, machst du dich schon auf und davon. Wo bist du schon wieder gewesen?«

»Aber Schnucki,« suchte Tinker sie zu beruhigen, »kann man sich denn nicht einmal die Haare schneiden lassen, ohne daß du …«

»Du hast dir ja gar nicht die Haare schneiden lassen!«

»Aber das behaupte ich ja auch nicht – kannst du mich denn nicht ausreden lassen! Ich habe mich erst nach einem Barbier umgesehen.«

»Das war ganz überflüssig. Wenn du einen Barbier brauchst, laß ihn dir aufs Zimmer kommen.«

»Aber, Mamma …«

»Du steigst jetzt sofort in den Fahrstuhl ein!« befahl Frau Tinker in drohendem Ton.

Der junge Araber mit den lebhaften Augen, der den Fahrstuhl bediente, kicherte vergnügt, und obwohl Tinker unter dem Despotismus seiner Frau verzweifelt stöhnte, sah er ein, daß es für den Augenblick das beste sei, ihr nicht zu widersprechen.

»Na gut«, sagte er resigniert, aber als er um sich blickte, sah er die Erlösung nahen. Eben trat Le Seyeux freudestrahlend von der Straße ein, drei feierlich aussehende Männer begleiteten ihn und drei arabische Diener in makellosem Weiß folgten hinter ihnen. Der eine trug seidene Gewänder, die gefleckt wie eine Palette waren, der andere, dem ein majestätischer weißer Bart bis zum Gürtel reichte, war in schwarze und safrangelbe Stoffe gehüllt, die unbekümmert um die Wirkung auf das Auge in Orange, Grün und Gold bestickt waren. Der dritte der Juwelenhändler war ein buckliger, verrunzelter gelber Kerl in einem englischen Schlußrock, blaßlila Beinkleidern, einer geflickten Samtweste und einem Fes. Die drei blieben in einiger Entfernung stehen, während Le Seyeux vortrat. Tinker entschuldigte sich dringend bei seiner Frau:

»Hör' mal an! Ich bin in einer halben Stunde im Zimmer oben, aber jetzt muß ich hier bleiben.«

»Warum?«

»Na, also …« Er blickte nach den drei Kaufleuten, »ich habe eben mit jenen Herren geschäftlich zu tun.«

»Geschäftlich!« erwiderte Frau Tinker böse. »Was für Geschäfte? Willst du mit ihnen ein Kostümfest arrangieren?«

»Also Schnucki, ich gebe dir mein Wort, es sind wichtige Geschäfte«, versicherte er, und er war schlau genug, geheimnisvoll hinzuzufügen: »Paß auf, daß du es nicht später bedauerst, wenn du mich jetzt von einer Unterredung mit diesen Herren abhältst. – Ist es so, John?«

»Ich glaube, das bestimmt versichern zu können«, bestätigte Le Seyeux mit übertrieben schlauem Lachen. »Alle werden zufrieden sein, wenn Herr Tinker mit ihnen spricht, und Sie, Madame, werden vermutlich sehr zufrieden sein!«

Frau Tinker sah unentschlossen drein; vielleicht aber ahnte sie, was in der Luft lag. Gegen ihren Willen wurde ihre Stimme sanfter, fast freundlich:

»Schön, also schauen Sie nur, daß er beizeiten hinaufkommt, um sich umzukleiden«, sagte sie schließlich. »Ihnen, Monsieur Le Seyeux, vertraue ich ihn an!«

Der Fahrstuhl trug sie allein hinauf, und Tinker wandte sich mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung den harrenden Magiern zu, die ihm mit ihren Schätzen beistehen sollten, seiner Schwierigkeiten Herr zu werden. Vielleicht war es richtig, was seine Frau behauptete, daß er für alles nur ein Heilmittel kannte; aber wie er selbst sagte, in der Regel »wirkte« es.


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