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XXV

Wie Olivia es vorausgesagt hatte, schien er glänzender Laune über seinen gelungenen Streich und auch in gehobener Stimmung über einige schmeichelhafte Dinge, die er, wie sich leicht erraten ließ, im Laufe des Abends zu hören bekommen hatte. Sein sympathisches volles Gesicht, vom reichlichen Weingenuß gerötet, strahlte geradezu, als er den früheren Tischgenossen von der »Duumvir« erblickte und mit herzlich ausgestreckter Hand ging er auf ihn zu:

»Fein, fein, Herr Ogle«, rief er aus. »Freue mich kolossal, Sie wiederzusehen. Ich war gerade ein wenig aus, um dieses berühmte arabische Kus-kus zu kosten und habe mich jedenfalls glänzend …«

»Papa,« rief Olivia entsetzt, »geh fort, aber schnell!«

»Ja, was ist denn? Warum soll ich denn fortgehen? Was ist denn los?«

»Ich bitte Sie,« das Mädchen wendete sich eilig an Ogle, »führen Sie ihn hinaus, auf die Straße, irgendwohin, und erzählen Sie ihm alles, aber nur rasch.«

Ogle tat einen Schritt, um ihr zu gehorchen, aber es war zu spät. Die zweite Tür des Salons öffnete sich und Frau Tinker stand schon im Zimmer.

»Earl Tinker!«

»Ja, Mamma«, sagte er liebevoll und ahnungslos. »Du hast doch meinen Brief bekommen, nicht wahr, Schnucki?«

»Jawohl«, antwortete sie drohend. »Natürlich habe ich ihn bekommen!«

»Na, dann ist ja alles in bester Ordnung«, sprach er gemächlich weiter. »Ausgezeichnet.«

»Oh? Wirklich ausgezeichnet?«

Hätte er noch einer anderen Warnung als der ihres flammenden Gesichtes bedurft, so tönte sie ihm aus ihrer Stimme entgegen. Und trotz seiner ein wenig berauschten Stimmung wußte er, daß nicht alles »ausgezeichnet« zu sein schien. Seine Hand, die eine lange, eben angezündete Zigarre zum Mund führen wollte, begann zu zittern, und mit lautem Husten legte er die Zigarre auf einen Aschenbecher. Und mit dem Vogel-Strauß-Optimus von Männern, die sich solchen Warnungen gegenüber unbehaglich fühlen, fand er als Alibi für sich und als Beruhigungsmittel für sie nichts als übereifrige Geschwätzigkeit.

»Also ich bin tatsächlich froh, daß du meinen Brief bekommen hast«, sagte er herzlich. »Weißt du, ich war schon so lange begierig darauf, dieses berühmte Kus-kus zu kosten, und da war heute so eine gute Gelegenheit, die ich nicht vorbeigehen lassen konnte. Und da schrieb ich dir den Brief, weil ich doch nicht wollte, daß du dir über mich oder überhaupt unnötige Sorgen machst, und dieses Kus-kus muß man doch kosten, nicht? Wenn man schon so viel davon gehört hat … Ich wollte selbst einmal sehen, was damit eigentlich los ist. John Edwards hat mir auf der ganzen Herfahrt zugeredet. ›Sie brauchen es ja nicht zu essen, wenn es Ihnen nicht schmeckt‹, hatte er immer wieder gesagt, ›aber versuchen müssen Sie es wenigstens!‹ Also ich werde dir's genau beschreiben, Schnucki. Ich weiß ja nicht, ob es dir schmecken würde, weil du bisher von diesen exotischen Gerichten gar nicht so begeistert warst, und immer nach unserem amerikanischen Essen gejammert hast. Aber wie ich die Sache nun mal ansehe, und zwar …«

»Mich interessiert gar nicht, wie du die Sache ansiehst!« unterbrach ihn Frau Tinker mit verstärktem Groll in ihrer Stimme. – »Kommst du jetzt endlich ins Zimmer hinauf?«

»Jetzt?« sagte Tinker fragend, während er sich den Kopf kratzte. Er schien das für eine höchst zweifelhafte Angelegenheit zu halten. Immer noch strahlte er in liebenswürdiger Munterkeit, seiner Miene und Haltung war nichts davon anzumerken, daß er das ihm drohende Unheil schon wahrgenommen hätte. »Jetzt? – Nein, Schnucki, eigentlich nicht so bald. Ich wollte mich eben hier niederlassen und mit Herrn Ogle eine gemütliche Zigarre rauchen. Aber, weißt du – was du tun solltest, Schnucki? Du und Bibbih, ihr solltet jetzt schnell ins Bett gehen und mich mit Herrn Ogle hier …«

»Nein, danke«, unterbrach sie ihn scharf. »Ich werde hier auf dich warten. Oder hast du etwa die Absicht, heute abends nochmal auszugehen?«

»Ich?« Er lachte nachsichtig. »Aber Schnucki, wohin in aller Welt sollte ich denn …« Unglückseligerweise streckte er die Hand vor, um seiner Gattin auf die Schulter zu klopfen. Sie wich sofort empört zurück.

»Behalte gefälligst deine Hände bei dir. Wie kommst du plötzlich darauf, andere Leute auf die Schulter zu klopfen?«

»Aber Liebste!« sagte Tinker erstaunt und vorwurfsvoll, und bemühte sich, entrüstet dreinzublicken. »Was ist denn bloß in dich gefahren? Hast du dir etwa doch Sorgen gemacht, weil ein paar Herren mich eingeladen haben, mit ihnen dieses berühmte arabische …«

»Papa! Du …« Aber als er sich fragend nach Olivia umwandte, fand sie es unmöglich, deutlicher zu werden.

»Ich glaube, ich werde Ihnen jetzt gute Nacht sagen«, mischte sich Ogle in die Unterhaltung, während er sich erhob und nach seinem Hut griff.

»Gehen Sie noch ein wenig spazieren, Herr Ogle?« sagte Tinker eifrig, während er Ogles Arm wie einen Rettungsring ergriff. »Das ist eine brillante Idee. Ich glaube, ich werde …«

»Ich glaube, du wirst nicht!« sagte Frau Tinker sehr böse. »Wer waren denn jene Herren, die dich eingeladen haben, mit ihnen zu gehen?«

»Aber Schnucki, es steht doch alles in meinem Brief, den ich dir …«

»Was dort drin steht, weiß ich«, unterbrach sie ihn. – »Es waren wohl dieselben Herren, von denen du den Brief erhieltest, als du mit uns oben auf dem Dach warst?«

»Ja – eigentlich«, erwiderte er, »eigentlich dieselben.«

»Und dann hast du wohl mit ihnen hier um das Hotel herum einen Spaziergang gemacht?«

»Hier herum?« wiederholte er, und während seine Rechte noch immer Ogles Arm umklammert hielt, holte er mit der linken Hand ein Tuch aus seiner Tasche, um sich über die feuchtwerdende Stirne zu fahren. Dann sagte er nachdenklich: »Hier herum?« und schien sich geographischen Erwägungen hinzugeben. »Ja, es scheint mir fast, daß es hier herum war.«

»Und wer waren die Herren? Wie hießen sie?«

»Wie sie hießen, Schnucki? Warum? Du kennst sie ja doch nicht, auch wenn ich dir ihre Namen sagte. – Es waren ja nur zwei, außer uns.«

»Uns?« rief seine Frau und trat einen Schritt näher auf ihn zu. »Wer ist ›uns‹?«

Er lachte mit der herzlichen Nachsicht eines unschuldig verdächtigten Ehemannes. Denn der Unglückliche hatte sich soeben zu einem kühnen Vorgehen entschlossen. Er war neben Ogle gestanden, als seine Frau eintrat, war weiter neben ihm stehengeblieben und hielt ihn vertraulich beim Arm. Ogle hatte noch seinen Hut in der Hand, als wäre er auch erst heimgekommen, und Ogle war harmlos. Tinker war entzückt von seinem Einfall.

»Uns?« wiederholte er, und sein Lächeln wurde geradezu strahlend, als er zu seiner Tochter beinahe hysterischer Verzweiflung und zu Ogles höchstem Schrecken indigniert fortfuhr: »Nun, Herr Ogle und ich! Das ist doch einfach genug, nicht wahr, Schnucki?«

»Ja, das ist wirklich einfach genug«, erwiderte sie, während sie zu einem furchtbaren Hieb ausholte, mit dem ihre nächsten Worte ihn niederschmettern mußten. »Herr Ogle ist also mit dir und den anderen Herren hier herum spazieren gegangen, während er gleichzeitig oben auf dem Dach neben uns gestanden und sich mit Olivia unterhalten hat, nicht wahr?«

»Mit mir spazieren gegangen«, sagte er verblüfft, und seine heitere Miene begann sich zu umdüstern. »Mit mir spazieren gegangen? Wann denn, wann meinst du denn, Liebste?«

»Du hast doch eben gesagt, daß du vor dem Dinner hier herum mit ihm spazierengegangen bist.«

»Oh, das meinst du!« rief Tinker, der sich nicht so leicht aus der Fassung bringen ließ. »Nein, nein! Damals war er nicht dabei. Ich habe ja bloß von der Kus-kus Geschichte gesprochen. Spazierengegangen ist er nicht mit uns.«

»Bist du sicher? Bist du sicher, daß es nicht Herr Ogle war, mit dem du gegangen bist?« Sie trat näher an ihn heran und ihre Stimme, die immer lauter und schneidender geworden war, drohte überzuschnappen. »War es auch nicht Herr Ogle, mit dem du auf der Überfahrt jeden Nachmittag zwischen den Rettungsbooten gesessen bist? – Es scheint mir doch, als wäre es Herr Ogle gewesen, der dich heute Abend an einer Straßenecke auf die Schulter geklopft hat!«

»Auf die Schulter geklopft? An einer Straßenecke?« wiederholte Tinker und starrte seine Frau entgeistert an. Dann ermannte er sich mit sichtbarer Anstrengung und sprach mit ruhiger Strenge, in vorwurfsvollem Ton: »Schnucki, du hörst mir nicht richtig zu und bringst die Dinge durcheinander. Ich habe kein Wort von Rettungsbooten gesprochen, oder von einer Straßenecke, an der man mir auf die Schulter geklopft hätte. Ich habe bloß erwähnt, daß Herr Ogle bei dieser Kus-kus Geschichte mit dabei war.«

»Und das wagst du mir ins Gesicht zu wiederholen?« Frau Tinker rief es außer sich. Dann stieß sie einen Wutschrei aus, fiel halb bewußtlos in einen Fauteuil und begann hysterisch zu schluchzen. Olivia eilte zu ihr, schalt sie und erinnerte sie daran, daß dieser öffentliche Raum kein geeigneter Ort für Gefühlsausbrüche wäre, während Tinker mit aufgerissenen Augen seine Frau ansah und in schmerzlichem Protest immer wieder sagte:

»Aber Mamma! Aber Schnucki!«

»Du, sieh dich nur selbst an!« schrie sie ihn von Schluchzen unterbrochen an. »Wage es nicht, mich mit deinen verderbten Augen anzusehen! Du scheußlicher Kerl, untersteh dich nicht, mich noch einmal Schnucki zu nennen! Ich bin nicht dein Schnucki, verstehst du? Ich bin nicht …« Aus der Halle, an die der Rauchsalon grenzte, drangen Stimmen, Olivia zeigte auf die Türe, durch die ihre Mutter hereingekommen war, und rief ihrem Vater zu:

»Bring' sie hinauf! Es kommen Leute. Wenn du durch diese Türe gehst, kommst du direkt zur Treppe und niemand sieht euch.«

»Ich will Ihnen helfen«, sagte Ogle und trat auf Frau Tinker zu.

»Lassen Sie nur, junger Mann«, erwiderte Tinker und schob ihn zur Seite, während er mit zwei langen Schritten auf seine Frau zuging und sich über sie neigte. Sie schlug mit ihren Händen wild nach ihm.

»Rühr mich nicht an! Geh mir aus den Augen, du elender … elender …«

»Mach' die Türe auf!« kommandierte Tinker, und während Olivia seinen Befehl ausführte, hob er seine Frau aus dem Fauteuil, als wäre sie ein kleines Kind, warf sie sich über die Schulter und marschierte mit ihr, die immer noch wie besessen auf ihn losschlug, durch die geöffnete Türe hinaus. Ogle stand betreten und stumm; er blickte den beiden nach, wie sie einen schlecht beleuchteten Korridor entlang gegen die Stiege hin verschwanden. Frau Tinkers Haar hatte sich gelöst, ihre Arme schlugen bewußtlos gegen den derben Rücken ihres Mannes, als gehörten sie zu dem Fell eines erlegten wilden Tieres, das Tinker als Beute über die Schulter geschlagen davontrug.

Olivia schloß die Türe im gleichen Augenblick hinter ihnen, als der Portier und ein arabischer Dragoman durch die zweite Türe aus der Halle eintraten.

»Ist hier etwas passiert?« fragte der Portier.

Olivia brachte ein Lächeln zuwege und schüttelte den Kopf. »Nein«, antwortete sie. »Es wurde bloß gelacht.« Als die zwei Männer wieder gegangen waren, wandte sie sich erschöpft an Ogle: »Es tut mir zu leid, daß Sie da hineingeraten sind! Aber bitte, vergessen Sie nicht …« Sie stockte, ein nervöses Schluchzen und Lachen kam aus ihrer Kehle. »Der arme Papa! Sie müssen uns für eine gräßliche Familie halten!«

»Nein, nein, das tue ich nicht«, erwiderte Ogle aufrichtig. »Ich bin selbst viel zu gräßlich, um andere Leute dafür halten zu können.«

»Oh, Sie sind es aber nicht.« Eine Sekunde lang sah sie ihm in die Augen, dann lachte sie bedauernd. »Ich muß den Eltern nach und sehen, wieviele Schildpattnadeln ich unterwegs finden kann.«

»Könnte ich nicht …«

»Nein! Nein!« Sie gab ihm rasch die Hand und rief ihm, schon im Enteilen, zu: »Sie haben Ihre eigenen Sorgen.«


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