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Als Ogle ihr Zimmer betrat, stand Madame Momoro beim Fenster und blickte auf das phantastische Leben der Straße hinab. Gepackte und versperrte Reisetaschen lagen in einer Ecke übereinander und die beiden Pelzmäntel, die sie während der Autotour mit sich geführt hatte, hingen über der Lehne eines Sessels. Sie selbst sah in einem braunen Reisekleid verführerischer aus als je.
Sie begrüßte Ogle mit einem undurchdringlichen, ein wenig verträumten Lächeln, es verlor sich aber nach einem raschen Blick auf sein bleiches, erregtes Gesicht, und sie wies mit ihrer schon behandschuhten Hand auf das bereitgestellte Gepäck:
»Wie Sie sehen, verlasse ich Sie, mein Freund!«
»Ja! Sind Sie schon so sicher, daß Ihr anderer Freund wird loskommen können?«
»Setzen wir uns, wenn es Ihnen recht ist«, sagte sie nach einer Weile, während sie ihn wieder aufmerksam betrachtete. »Von welchem ›anderen Freunde‹ sprechen Sie?«
Ogle lachte rauh auf. »Eben traf ich ihn in der Halle und er sagte mir, er reise wahrscheinlich heute nachmittag ab. In etwa einer Stunde. Er wartet nur noch auf eine Nachricht. Haben Sie ihn denn von seinem Glück noch nicht unterrichtet?«
»Von welchem Glück?« fragte sie und zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ich verstehe kein Wort von allem, was Sie sagen. Was wollen Sie eigentlich? Wen haben Sie unten gesehen?«
»Ihn! Den Mann, dem Sie den ganzen langen Weg nachgereist sind!«
Eine leichte Röte stieg in ihre Wangen. »Warum sagen Sie so etwas? Sie scheinen übler Laune, mein Lieber.«
»Bitte, nennen Sie mich nicht so.«
»Schön«, sagte sie, ein wenig erregt. »Es tut mir weh, daß Sie mir böse sind. Sie wollten doch gut zu mir sein, wir wollten doch zueinander gut sein. Und jetzt im letzten Augenblick geraten Sie in Wut. Wissen Sie, wie blaß Sie sind? Warum sind Sie so erbost über mich?«
»Ich weiß nicht, ob ich über Sie erbost bin«, sagte er stockend. »Ich bin auf mich selber wütend.«
»Ich glaube nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Frauen wüten manchmal gegen sich selbst, das ist wahr, aber Männer besitzen ein großes Talent dafür, sich alles zu verzeihen. Ich glaube eher, daß Sie sich über mich beklagen wollen und daß Sie mich hassen. Warum? Was habe ich Ihnen getan?«
»Das können Sie noch fragen?« sagte er mit größter Bitterkeit.
»Und warum nicht? Oh, ich weiß ganz gut, was Sie auf der Zunge haben, Herr Ogle, und daß Sie es nicht aussprechen, weil ein Gentleman das nicht darf.« Sie wurde erregt, ihre Hände umschlangen einander krampfhaft in ihrem Schoß und ihre Stimme wurde lauter: »Wo ist der Unterschied, derartiges zu denken und es auszusprechen? Halten Sie sich für besser, weil Sie mich beschuldigen, ohne davon zu reden?«
»Ich beschuldige Sie nicht …«
»Nein, nicht in gesprochenen Worten«, unterbrach sie ihn. »Aber ist das für mich nicht dasselbe? Warten Sie, sagen Sie nichts! Ich werde statt Ihrer reden. Sie werfen mir vor, daß Sie für mich alles getan haben und ich nichts für Sie. Und ich erwidere Ihnen, daß das nicht wahr ist! Meinen Sie, daß Sie mich nicht gequält haben?« Sie sprang auf und reckte sich zu ihrer vollen Größe, so daß ihr Kopf beinahe so hoch über ihm zu sein schien, wie das goldene Haupt in seinem unseligen Traum. »Und wie Sie mich gequält haben!«
Sie begann im Zimmer hin und her zu gehen und hielt die Hände an die Schläfen gedrückt. Nichts hätte Ogle mehr überraschen können als dieser Ausbruch. Er war nicht gekommen, um sich in die Defensive drängen zu lassen, doch er fand, daß er unerklärlicherweise schon in dieser unglücklichen Situation war. Auch er hatte sich erhoben.
»Ich hoffe, Sie werden mir auch sagen, womit?«
»O ja, das will ich! – Schon in den kabylischen Bergen hatten Sie die Haltung eines unwilligen Menschen, den man durch einen Betrug dazu gebracht hat, etwas zu tun, was er nicht beabsichtigte. Verdrossen und stumm sind Sie dagesessen. Ja, ja: verdrossen! Und ich war Ihr Gast! Und wie Sie mich dafür bezahlen ließen: ich mußte Sie unterhalten, ich mußte stets guter Laune sein, ich mußte jedes Wort aus Ihnen herausholen, ich mußte die Verdrossenheit aus Ihrem Gesicht verscheuchen. Wissen Sie, was eine Frau fühlt, die den ganzen Tag neben einem solchen Mann sitzen und immer wieder versuchen muß, gegen seine üble Laune anzukämpfen? Nein, natürlich nicht! Kein Mann kennt solche Dinge! Aber ich sage Ihnen: Als wir hier in Biskra ankamen, war ich erschöpft. Ich hatte schon im Hause der Daurels genug davon. – Und was berechtigte Sie zu einem solchen Benehmen?«
»Sehen Sie,« begann er leise, »ich habe nichts von Ihnen verlangt …«
»So? Nichts? In alles, was ich tat, haben Sie Ihre Nase gesteckt. Und warum? … Sie waren eifersüchtig, genau so wie diese alte Jungfer eifersüchtig war. Können Sie es leugnen?«
»Ja, das tue ich, und aufs entschiedenste!«
»Was?« rief sie immer erregter. »Und in Bougie konnten Sie es nicht einmal ertragen, daß ich selbst mit dem lächerlichen General auch nur einen Augenblick beisammen war. Sie waren unerträglich! Ich will Ihnen etwas sagen, mein Lieber: Es gibt nichts Gemeineres als Eifersucht ohne Liebe! Sie waren eifersüchtig – Sie sind es auch jetzt noch – aber Sie waren nie in mich verliebt, mein Freund! Es war …«
»Jetzt will ich Ihnen sagen, was es war«, unterbrach er sie entschlossen. »Ja, es war Eifersucht, aber nicht auf Sie.«
»Sondern?«
»Auf …« Seine Stimme begann zu zittern, er biß sich auf die Lippen, sank in einen Sessel und vergrub den Kopf in die Hände. »Auf mein Ideal von Ihnen!« stöhnte er. »Meine Eifersucht galt … galt dem Idealbild, das ich von Ihnen in mir trug …«
Sie war weit davon entfernt, durch diese Erklärung besänftigt zu sein. »Ihrem Ideal von mir? Wollen Sie sich herbeilassen, das deutlicher auszudrücken?« sprach sie mit mühsam unterdrückter, verschärfter Feindseligkeit.
»Ich dachte … ich glaubte, Sie seien über jede menschliche Schwäche erhaben«, sagte er jammervoll. »Sie erschienen mir als das Höchste … das Leuchtendste … nun, wenn ich schon wie ein Schuljunge reden muß, um es Ihnen klarzumachen, ich hielt Sie für das göttlichste Wesen, das ich je gesehen. Aber, was ich dann fand …«
»Pah«, fertigte sie ihn ab und überraschte ihn durch plötzliches Gelächter. »Sie wissen weder etwas von sich, noch von dem, was Sie dachten. Ich aber habe einige Erfahrung und ich kann Ihnen sagen, was Sie dachten und was Ihr ›Ideal‹ von mir wert ist: Ihr Ideal war eine Frau, die Herrn Laurence Ogle würdigen könnte. – Und ein solch göttliches Wesen, dachten Sie, könnte nie einen Mann wie Tinker einem Mann wie Laurence Ogle vorziehen! Das ist Ihr ganzer Jammer, Ihre Verdrossenheit und Enttäuschung, mein Freund!«
Er sah sie an: »Sie sagen mir …«
»Nur die Wahrheit! Es ist höchste Zeit, oder glauben Sie nicht?«
»Ja«, sagte er langsam, während er sich wieder erhob. »Und es muß für Sie eine Wollust sein, mir das sagen zu können, heute, da Sie wissen, daß Sie keine Verwendung mehr für mich haben …«
Sie trat hart an ihn heran, und erstaunt nahm er in ihren Augen Tränen wahr, aber es waren Tränen des Zornes.
»Daß ich mich von Ihnen so aus der Fassung bringen lasse«, zischte sie ihm ins Gesicht. »Sie sind wie ein böser eigensinniger kleiner Junge! Sie lieben mich nicht: Sie behaupten, nur Ihrem zerstörten Ideal nachzuweinen, und trotzdem werfen Sie mir hier Verleumdungen ins Gesicht und blicken mich wie einen Todfeind an. Sie begreifen ebensowenig Ihr eigenes Herz wie das meine.«
»Und zwar …?«
»Mein Herz geht Sie nichts an, und in Ihrem ist nichts als verletzte Eitelkeit!«
»Weil Sie ihn vorziehen …«
»Nein, weil Sie einsehen, daß jeder ihm den Vorzug geben würde …«
»Sie meinen also,« rief Ogle mit einem höhnischen, schmerzlichen Gelächter, »ich sei bloß beleidigt, weil Sie mich als Mittel zum Zweck benützten und es dann schließlich vorzogen, Tinker zu bitten, Hyacinthes Pläne zu ermöglichen, statt mich?«
»Sie glauben …« begann sie, nachdem sie eine Weile stumm auf ihn geblickt hatte. »Sie glauben … ich habe Tinker gebeten, mir das Geld für Hyacinthe zu geben? – Und Sie denken, er hat es mir gegeben?«
»Wenn nicht, dann wird er es tun«, antwortete Ogle. »Ich zweifle kaum daran. Darum verfolgen Sie ihn!«
»Verfolgen!« wiederholte sie und blickte von ihrer imposanten Höhe verächtlich auf ihn herab. »Solche Worte gebrauchen Sie, Herr Ogle?«
»Ich gebrauche die Worte, die meinem Empfinden entsprechen«, sagte er, sich unter ihrem Blick ein wenig unbehaglich fühlend. »Ich habe versucht, Ihnen begreiflich zu machen, daß ein Mann wie ich in seinen zerstörten Träumen stärker getroffen wird als in seiner Eitelkeit! – Sie so hoch gestellt zu haben, um dann zu sehen, daß Sie bloß von einem einzigen niedrigen Gedanken beherrscht …«
»Niedrig?« unterbrach sie ihn zornig. »Ist es niedrig, wenn man der Hölle zu entfliehen sucht? Ist es niedrig, wenn eine Mutter für das Lebensglück ihres Kindes …«
»Sie geben also zu, diesen Mann verfolgt zu haben, diesen … diesen gräßlichen Barbaren.«
»Genau so,« sagte sie ruhig, »beurteilte ich ihn, als ich ihn das erstemal auf dem Dampfer sah. Ein großer Barbar. Er erschien mir als amüsantester Gegensatz zu Ihnen und Ihren zwei winzigen Freunden.«
»Wie?«
»Jawohl«, sagte sie lauter und blickte ihn fest aus weitgeöffneten Augen an. »Er ist ein großer Barbar! Er kümmert sich kein Jota darum, was irgendwer in der Welt von ihm spricht; er denkt überhaupt nicht über sich nach. Er ist ein Barbar von großem Format, eine Persönlichkeit von großer Macht …«
Aber das konnte Ogle nicht ertragen.
»Wegen seines Geldes liegen alle vor ihm auf den Knien!« rief er. »So wie Sie!«
»So wie ich?« Sie beugte sich nieder, so daß ihr zorniges Gesicht dem seinen ganz nahe kam. »Sie sagen das erbittert, weil Ihre Eitelkeit in Trümmer gegangen ist und nicht, weil Sie irgendein Recht hatten, ein dummes Ideal aus mir zu machen. Sie sagen das so erbittert, weil Sie ihn anfangs als ein Nichts übersahen und seither sich selbst stets kleiner und kleiner werden fühlten, während er immer größer und größer wurde, bis Sie endlich begriffen daß er ein Koloß ist. Sie sagen verächtlich, daß wir wegen seines Geldes vor ihm auf den Knien liegen. Ja, was haben Sie denn zu bieten? Irgend etwas? Für einen Amerikaner sind Sie reichlich lächerlich. Wissen Sie nicht, was wir in Wahrheit von euch halten? Weswegen wir irgendeinen von euch achten? – Nur wegen seines Geldes!«
Mit ihren gehässig vorgesprudelten Worten hatte sie den jungen Mann vollkommen überrumpelt, ihn eingeschüchtert und verzagt gemacht. Er trat jetzt gänzlich gebrochen von ihr zurück und starrte sie fassungslos an:
»Was?« stammelte er, »das sagen Sie …?«
»Ja«, rief sie. »Einmal mußte ich es Ihnen sagen!« Sie folgte ihm, der schrittweise von ihr zurückwich. »Und jetzt will ich, daß Sie gehen. Die Lohndiener kommen gleich um mein Gepäck. Sie würden nur im Wege sein. Wenn Sie nach all dem noch an mich denken und vielleicht die Kosten unseres gemeinsamen Ausflugs bedauern werden, erinnern Sie sich, bitte, daß ich mein Möglichstes getan habe: ich habe Ihnen als Gegenleistung wenigstens eine Art Erziehungsstunde gegeben.«
»Ich aber wünschte,« er trat wieder einen Schritt auf sie zu, »Sie würden sich erinnern …«
»Nein, nein«, rief sie. »Kein Wort mehr!« Und als er trotzdem weiterzusprechen versuchte, nahm sie ihn einfach bei den Schultern und schob ihn zur Türe. »Nein! Nein! Es bleibt nichts mehr zu sagen! Nichts mehr! Wenn Sie jetzt nicht gehen …« Sie begann laut zu lachen, und während sie die Türe öffnete und ihn auf den Korridor hinausdrängte, rief sie ihm nach: »Sie lieber, kleiner Narr! Wenn Sie jetzt nicht gehen, werde ich Ihnen sagen – wie alt ich bin!«
Dann schloß sie mit einem Ruck die Türe und drinnen klang ihr Lachen fort.