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XXVIII

Mit dem Gefühl, daß die Explosion seines Traums in seinem eigenen Kopf zu schauerlicher Wirklichkeit geworden war, wankte Ogle den Korridor entlang in sein Zimmer, um sich fiebernd, von fürchterlichen Kopfschmerzen gepeinigt, auf sein Bett zu werfen. Seine heißen Hände waren zu Fäusten geballt und aus zornigen Augen starrte er auf die Zimmerdecke. Unfähig, sich zu rühren, blieb er den ganzen Nachmittag in dieser zum Nachdenken so geeigneten Stellung, und auch das Knattern von Automobilmotoren vor dem Haupteingang des Hotels, gerade vor seinem Fenster, konnte ihn nicht veranlassen, seine Lage zu verändern. Koffer schlugen auf das Dach eines geschlossenen Wagens, Träger stritten sich laut und lärmend, unverständliche Schreie von Arabern und Franzosen ertönten, ein Tam-Tam kam immer näher und eine heisere Negerstimme mühte sich, alles zu überschreien. Dann hörte Ogle den Lärm einer aufkreischenden Volksmenge, als ob eine langerwartete hohe Persönlichkeit endlich aufgetaucht wäre, es klimperte minutenlang, als ginge ein Regen von Münzen draußen nieder und ein wildes Gelächter ertönte, das den Lauscher auf seinem Bett aufhorchen ließ. Lachten Araber so? Wenn es Araber waren, dann hatte er zum erstenmal ihr Lachen gehört.

Die Sirenen der Automobile heulten eindringlich, das Schreien und Lachen steigerte sich leidenschaftlich, immer mehr Münzen klimperten. Französische Stimmen riefen: »Merci! Merci!« und »Kommen Sie bald wieder!« Dann tönten die Sirenen immer entfernter, der Tamtam klang immer schwächer aus der Gegend des Araberviertels herüber und alles sank wieder in die phlegmatische Stille eines warmen Februarnachmittags zurück.

Der leidende Ogle erkannte aus den Dimensionen des Aufruhrs, daß Tinker und seine Familie die Reise nach Tunis angetreten hatten.

Als bei Einbruch der Nacht ein Zimmerkellner nach seinen Wünschen fragte, ließ er sich bloß einige Aspirintabletten von ihm bringen und mit deren Hilfe schlief er bald ein. Am anderen Morgen war von dem Schmerz in seinem Kopf nur mehr eine dumpfe Erinnerung übrig geblieben. Ogle fühlte sich zerschlagen, und da es nichts auf der Welt gab, wofür er ein Interesse aufgebracht hätte, blieb er im Bett. Nach Tisch schickte er aber doch in die Bankfiliale, um seine Post abholen zu lassen und sie wurde ihm zugleich mit dem Tee und gerösteten Broten serviert. Der einzige Brief, den er öffnete, war von seinem New Yorker Theaterdirektor. Ogle setzte sich im Bett zurecht und begann zu lesen.

 

»Lieber Freund! Da Sie ja zweifellos die New Yorker Zeitungen gelesen haben, werden Sie über die Mitteilung nicht allzu überrascht sein, daß die Kassen bei Ihrem Stück recht schwach sind. Nach dem vielversprechenden Erfolg der ersten Zeit hätte niemand von uns etwas Derartiges erwartet, und es ist nur wieder eine Mahnung, daß man bei unserem Geschäft nicht prophezeien darf. Nach den guten Wochen, mit denen wir begannen, hätte jeder in unserem Bureau seinen ganzen Besitz darauf gewettet, daß wir für ein, vielleicht auch für zwei Jahre ausgesorgt hätten.

Die einzige Erklärung ist die, daß das Publikum das Interesse verloren hat und wir nicht imstande waren, es länger zu fesseln. Es bleibt uns nichts übrig, als für nächsten Sonnabend die letzte Vorstellung anzusetzen und auch Ihre noch unverrechneten Tantiemen werden recht spärlich ausfallen. In ein paar Tagen erhalten Sie eine genaue Aufstellung, heute will ich Ihnen nur ein ungefähres Bild geben. Am Sonnabend, ehe Sie abfuhren – bis zu diesem Tage war unsere Rechnung glatt – nahmen Sie einen Vorschuß von tausend Dollar. Ich rechne, daß Ihre Tantieme bis nächsten Sonnabend ungefähr siebenhundertfünfzig Dollar betragen wird, so daß Sie mir etwa zweihundertfünfzig Dollar schulden. Nach Erhalt der genauen Abrechnung können Sie mir diesen Betrag gelegentlich überweisen.

Es tut mir leid, Ihnen nichts Besseres mitteilen zu können, aber für uns alle ist diese Sache eine bittere Enttäuschung. Ich will nicht unterlassen, hinzuzufügen, daß mein Vertrauen zu Ihnen selbst das gleiche geblieben ist, und wann immer ich in Zukunft die Möglichkeit haben werde, ein neues Stück herauszubringen und Sie ein Manuskript verfügbar haben werden, wird es mir eine Freude sein, es sorgfältig zu erwägen.

Mit den besten Grüßen verbleibe ich Ihr
ergebener …«

 

Ogle fiel in seine Kissen zurück.

»Also habe schließlich auch ich nur für die Wenigen geschrieben!« murmelte er, und der Klang seines heiseren Lachens hätte einen nervösen Lauscher aus dem Zimmer treiben können.

Er hatte auf eine stattliche Zahl von Küchlein gehofft, weil das erste so hübsch ausgebrütet worden war – aber nach dem ersten war überhaupt keines mehr gekommen! Und sein Irrtum würde ernste Folgen haben. Er hatte in blindem Vertrauen angenommen, daß die Post ihm jede Woche Schecks aus New York bringen würde – große, schöne Beträge, wie in den ersten erfolgreichen Wochen. Er hatte sich auf einem teuren Dampfer eine der teuersten Kabinen geleistet und sich auf eine große, kostspielige Reise begeben, ohne mehr Mittel in der Hand zu haben als einen kleinen Kreditbrief, der gerade ausreichend war, um auf das Einlangen der erhofften Schecks warten zu können. Der ganze Betrag, über den er noch verfügen konnte, war siebenundsechzig Dollars! Mit diesem Geld und einigen französischen Banknoten in seiner Brieftasche hatte er seine Hotelrechnung zu bezahlen, die zweifellos auch die für Madame Momoro und ihren Sohn enthalten würde, dann mußte er in eine Hafenstadt gelangen – Algier oder Tunis –, von da zu Schiff nach Marseille oder Neapel und dann mußte ihm immer noch so viel bleiben, daß er die Überfahrt nach New York bezahlen konnte. Dies Problem hatte er zu lösen und die Lösung war verblüffend einfach: es ging nicht.

Welche Anstellung, fragte er sich, ließ sich wohl in den Oasen der Sahara für einen amerikanischen Dramatiker finden, der nur sein Metier gelernt und es darin zu nichts gebracht hatte? Wie lange würde er brauchen, um als Kameltreiber unterzukommen? Er war so exklusiv gewesen, daß es nur eine einzige Seele in der Welt gab, von der er wagen konnte, Geld auszuleihen, ohne eine unerträgliche Zurückweisung fürchten zu müssen, das war Albert Jones. Aber dessen Adresse kannte er nicht, und er hatte keine Möglichkeit, sie sich zu beschaffen …

Laurence Ogle, der sein Leben lang vom Hochmutsteufel besessen gewesen war, fühlte sich nun, als Bankerotteur in Afrika, demütig werden. Er war doch zu exklusiv gewesen; er hatte tatsächlich mit Araberaugen auf seine Mitmenschen geblickt. Er hatte fraglos einen großen Fehler gemacht.

Er zwang sich, eine Heerschau über die Reste seines Besitzes abzuhalten. Er hatte siebenundsechzig Überlebende auf seinem Kreditbrief, eine flache goldene Uhr, einige kleinere Schmuckstücke aus Gold oder Platin. Er besaß seine Kleider, eine schwarze Ledertasche und einen Schiffskoffer. Und er besaß schließlich die paar Hundertfrancsscheine in seiner Brieftasche. Dies, zusammen mit einem Schreibtisch, einigen Sesseln, einem Messingbett und einer Bücherkiste, die in New York eingelagert waren, machte die vollständige Liste seines gegenwärtigen Besitzes an irdischen Gütern aus.

Dann fiel ihm ein, daß ihm noch sein Mietrecht an Monsieur Cayzacs Automobil verblieb: Die Fahrt bis Tunis war im voraus bezahlt. Er würde also nach Tunis fahren. Über die Beweggründe, die ihn zu diesem Entschluß führten, forschte er nicht weiter nach. Es genügte ihm die Tatsache, daß das Auto ohne weitere Kosten zu seiner Verfügung stand. Er suchte sich damit abzufinden, daß einzig diese praktische Erwägung für ihn maßgebend sei, und doch meldete sich ein merkwürdiges, kleines Schuldgefühl in seinem Gewissen, als er sich für Tunis entschied. Wie der winzige Stich eines giftigen Insekts.

Spät am Nachmittag raffte er sich so weit auf, daß er sich ankleidete und hinunterging, um mit dem Portier seine Pläne zu besprechen.

»Heute ist es schon zu spät, um abzureisen«, belehrte ihn der erfahrene Mann. »Morgen vormittag, nach dem Frühstück, fahren Sie schön bequem von hier weg, nehmen den Lunch in El Kantara, einem wunderschönen Ort, und lange vor Einbruch der Dunkelheit sind Sie in Batna, oder wenn Sie es vorziehen, in Timgad, das dicht daneben liegt. Am zweiten Abend sind Sie in Konstantine, am dritten in Bone, und dann haben Sie bloß noch eine Tagesfahrt bis Tunis. Die Straßen sind ausgezeichnet, die Unterkunft ist überall vorzüglich. Die Reise ist ganz einfach.«

»Ja,« sagte Ogle nachdenklich, »es scheint so.« Mit einer kraftlosen und ein wenig zitternden Hand strich er sich über die Stirne. »Ich war gestern abends nicht ganz wohl und blieb auf meinem Zimmer; die Abreise meiner Freunde ist inzwischen wohl glatt vor sich gegangen?«

»Der Dame und des jungen Mannes, die mit Ihnen ankamen? Madame Momoro? Ja freilich, ich selbst habe die Eisenbahnkarten für sie besorgt – erster Klasse bis Tunis – und sie auf die Rechnung geschrieben.«

»Sie meinen …« Ogle starrte ihn entgeistert an und schluckte krampfhaft »auf meine Rechnung?«

»Nein! Nein!« Der Portier lachte verbindlich. »Auf Madames Rechnung, die der junge Herr bezahlt hat. Sie haben gestern nachmittags den Zug um zwei Uhr genommen!«

»So, so«, sagte Ogle und nach einer Pause fuhr er fort: »Und meine … meine anderen Freunde? Ich glaube, die sind auch abgereist?«

»Wer waren die, bitte?«

»Herr Tinker und …«

Das Gesicht des Portiers begann zu strahlen. »Oh, Herr Tinker! Herr Tinker ist ein Freund von Ihnen? Ja, ja, Herr Tinker mit seinen Damen ist gestern nachmittags in zwei Automobilen nach Tunis gefahren. Er nimmt denselben Weg wie Sie, Sie werden nur zwei Tage hinter ihm sein. Da werden Sie ja Herrn Tinker in Tunis treffen – aber wahrscheinlich fahren Sie ja deshalb hin. Wollen Sie ihm, bitte, meine respektvollsten Empfehlungen übermitteln – Sie werden ihn doch in Tunis bestimmt sehen?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Ogle ein wenig verwirrt. »Wenn ich ihn sehe, werde ich sie bestellen. Vielleicht treffe ich ihn dort, vielleicht auch nicht. Ich kann es nicht bestimmt sagen.«

Als er das Gespräch abbrach, um in sein Zimmer zurückzukehren, fühlte er neuerlich jenen schwachen, heimlichen, giftigen Stich. Aber diesmal wehrte er sich dagegen. »Um nichts in der Welt würde ich so etwas tun!« sagte er mit matter Entrüstung – zum Stiegenhaus.


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