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III

Als er die Türe des Rauchzimmers öffnete, war sein erster Eindruck, daß hier jemand Weihrauch verbrannt haben müsse. In einem Raum, in dem ein Barmixer waltete, schien das sonderbar. Aber der verwerfliche Zweck dieses Salons war diskret verschleiert, denn der kleine Bartisch aus unauffälligem, dunklem Holz stand bescheiden in einer Ecke, und der Barmixer war ein gelehrt aussehender junger Mann, der sich in einer Bibliothek zu fühlen schien, denn er las aufmerksam in einem ernst aussehenden Buch, ohne Beachtung der Gäste, von denen hochlehnige Sessel und tiefe Ledersofas gerade noch ein paar Scheitel und Glatzen sehen ließen. Auch nicht das leiseste Murmeln eines Gesprächs war zu hören; in der Mitte des Raumes spielten drei Damen und ein Jüngling Bridge mit jener geräuschlosen Nachdenklichkeit, wie sie diesem Zeitvertreib angemessen ist. Zu Ogles Überraschung schien die Bar der ruhigste Raum auf dem Schiff zu sein. Fenster aus buntem Glas ließen gelbe, blaue und rote Sonnenkringel auf der mattschwarzen Täfelung langsam auf und nieder gleiten und der Geruch von Weihrauch schien dieser Umgebung eigentlich ganz angemessen.

Er stieg indes nicht aus einem Weihrauchkessel auf, sondern kam vom Bridgetisch und war der Duft einer Zigarette, die in einer auffällig langen Spitze aus Elfenbein und Jade von der schmalen, weißen Hand einer der Spielerinnen gehalten wurde. Ogle hatte bis dahin für Menschen, die parfümierte Zigaretten rauchten, nur erstauntes Bedauern gehabt, aber sein erster Blick auf diese Dame fegte ein lebenslanges Vorurteil fort. Sie wurde augenblicklich zum Mittelpunkt seines Interesses.

Aus dem dunkelwandigen Raum mit den dunklen Möbeln trat sie vor wie eine hochgewachsene Dame auf einem Porträt von Sargent. Ihr Gesicht war länglich, ihre Gliedmaßen, ihr ganzer Körper, alles war länglich, doch mit einer schlanken Fülle. Ihr Kopf hatte etwas Raubvogelartiges, ohne hager zu wirken, das Haar lag in dichten, langen Strähnen von blassem Kupfer und strahlte matten Glanz aus. Trotz ihrer Größe war sie anmutig. Ihre ruhigen Bewegungen beim Spiel waren ungewöhnlich gemessen und zurückhaltend – Ogle fand sogleich das Wort »harmonisch« – und sie saß in wundervoll aufrechter Haltung in ihrem Sessel, weder gegen die Lehne noch gegen den Kartentisch geneigt, und ihre Kleidung, fand Ogle, war der beste Ausdruck ihrer schlanken Anmut. Unter einer ganzen Schiffsladung fertiggekaufter Wollsachen war dies ein richtiges Pariser Nachmittagskleid. Seide, Metall und ein wenig Spitzen in bronzegrünen, schwarzen und silbergrauen Tönen wurden hier von einer Frau getragen, die wußte, daß sie jenseits der landläufigen Anschauung von Reisekleider stand, wie die Modejournale sie empfehlen. Ihre Emanzipation ging so weit, daß sie den Rauchsalon zu einer Art von intimem Boudoir gemacht hatte, denn ihr blaß schimmerndes Haar war von keinem Hut bedeckt. Es war zweifellos eine Frau, die ihre eigenen Wege ging.

Sie schien vollkommen in ihr Spiel vertieft, trotzdem hatte Ogle das Gefühl, daß sie ihn und sein beinahe staunendes Interesse für sie bemerkt haben mußte, denn sie zeigte das kühle und sichere Gebaren jener Menschen, denen nichts entgeht. Er hielt sich länger als nötig in der Türe auf und schritt auch dann nur zögernd weiter, um seinen Freund zu suchen.

Hinter der hohen Lehne eines Sofas stieß er auf zwei junge Leute, die zwischen weichen Lederkissen tief eingesunken lümmelten und mit bernsteingelben Getränken beschäftigt waren. Jeder von ihnen hielt ein schlankes Glas in der Hand, aus dem er von Zeit zu Zeit nippte, und diese Tätigkeit war offenbar aufreibend, denn sie gaben sonst kein Lebenszeichen von sich. Erst als Ogle sichtbar wurde, rührte sich der eine. Er war ein zarter, blonder, junger Mann mit langer, blasser Nase, schwach ausgeprägtem Kinn und Augengläsern vor grünlich blinzelnden Augen; statt eines Schnurrbartes trug er gleich feinem Heu ein paar winzige Stoppeln auf der Oberlippe.

»Laurence Ogle«, rief er und raffte sich sogar dazu auf, seine Hand auszustrecken. »Ich war gespannt, wann Sie endlich auftauchen würden. – Was nehmen Sie? Sie setzen sich doch zu uns! Das ist Macklyn – George Wilmer Macklyn. Sie sollten ihn eigentlich kennen. Eben habe ich ihm erzählt, daß Sie an Bord sind.«

»Das brauchte er mir nicht erst zu erzählen«, sagte Macklyn, während sich Ogle auf einem Stuhl vor dem Sofa niederließ. »Unser Freund Albert Jones hält alle Leute für Idioten, weil er selbst einer ist. Ich hatte natürlich schon in den New Yorker Zeitungen gelesen, daß Sie auch mit der »Duumvir« reisen würden. Es interessierte mich deshalb besonders, weil ich erst vor wenigen Tagen Ihr neues Stück gesehen habe. Ich halte es für ein starkes Werk.«

»Seien Sie überzeugt, Ogle, Macklyn meint das wirklich«, warf der blonde Jones lachend ein. »Er gehört zu den unausstehlichen Leuten, die immer aufrichtig sind. Sie kennen doch seine Sachen, nicht?«

»Hm …« Ogle sagte erst nach einigem Zögern eine Höflichkeitslüge. »O ja. Selbstverständlich.«

Macklyns Stirne verdüsterte sich, und er schüttelte zweifelnd den Kopf. Er war ein mürrisch dreinblickender, dunkelhaariger junger Mann mit buschigen Brauen, und wenn seine Haltung augenblicklich auch lässig war, sein Gesichtsausdruck blieb doch ernst, beinahe streng, was eine Gewohnheit zu sein schien.

»Ich fürchte, Herr Ogle, Sie sagen das nur aus Liebenswürdigkeit. Meine Arbeiten sind nicht so bekannt. Sie können naturgemäß nur wenigen etwas sein, obwohl ich es vorziehen würde, so wie Sie für die breite Masse zu schreiben. Aber ich bezweifle, daß ich es imstande wäre. Die Befriedigung ist gewiß ungleich größer, und es kann auch echte Kunst sein, obwohl sie vielleicht nicht immer tiefschürfend sein darf.«

»Tiefschürfend?« wiederholte Ogle fragend und blickte dabei diesen Freund seines Freundes nicht sehr billigend an. »Tiefschürfend« war eben das Wort, mit dem die fünf intelligentesten Kritiker, die er kannte, sein letztes Werk charakterisiert hatten. So betonte Übereinstimmung berechtigte ihn, im »Tiefschürfenden« seine anerkannte Spezialität zu sehen. »Sie schreiben auch, Herr Macklyn?« fragte er ein wenig kühl.

»Macklyn ist Dichter«, belehrte ihn Jones. »Ich dachte gleich, Sie würden seine Sachen nicht kennen. Niemand kennt sie. Er versucht, die Aufmerksamkeit der Leute dadurch zu erregen, daß er keine Interpunktionen gebraucht und nur kleine Buchstaben schreibt. Aber auch das hat ihn nicht weitergebracht. – Ich denke daran, meine Bilder nicht mehr einzurahmen; vielleicht bringen die Zeitungen dann ein paar Artikel mehr.«

»Damit haben Sie auf alle Fälle recht, ob die Artikel nun geschrieben werden oder nicht«, sagte Macklyn mit unvermindertem Ernst. »Rahmt das Leben etwa seine Bilder, oder die Natur? Albert verspottet meine Methode, Herr Ogle, aber er weiß ganz gut, warum ich sie anwende, obwohl sie meinen Leserkreis auf eine Handvoll Leute einschränkt – und selbst unter diesen gibt es einige, die meine Bücher nur kaufen, um darüber zu lachen. Ich schreibe Gedichte ohne Reim, ohne Versmaß und ohne Interpunktion, weil ich nur auf diese Weise mein tiefes Schürfen zum Ausdruck bringen kann.«

»Tiefes Schürfen?« entgegnete Ogle. »Darunter kann man sehr viel verstehen. In welcher Art meinen Sie das?«

»Das tiefe Schürfen in mir selbst und im Leben. In der Formlosigkeit, die wir Universum nennen. Finden sich etwa Regeln und Gesetze in unseren Leidenschaften, in unseren Begierden, in der verwirrenden, verzweifelten, tiefen Verwunderung, die uns befällt, wenn wir jener Formlosigkeit erliegen, die wir Leben nennen? – Sehen Sie, Herr Ogle, Sie selbst, der populäre Dramatiker, haben sich von den alten stumpfsinnigen Starrheiten, wie die erstorbene Kunst von gestern sie uns überliefert, wenigstens so weit freigemacht, daß Sie ihr Stück sozusagen ohne Abschluß enden ließen. Ich fand das sehr fein. Sie hatten den Mut, Ihre Figuren einfach dort stehen zu lassen, wo sie waren, herumtappend, gefangen in der Tretmühle ihrer eigenen, blinden Begierden und betäubt vom Anprall eines unbarmherzigen Geschickes, aus dem es kein Entrinnen gibt. Gorki, Turgenjew und Dostojewski! Ich freue mich, daß ich Gelegenheit habe, Ihnen meine Meinung über ihre ›Pastorale Szene‹ zu sagen, Herr Ogle. Ich halte sie wohl für populär, das gebe ich zu, aber trotzdem für grandios.«

Ogle, der anfänglich keinen allzu günstigen Eindruck von dem jungen Mann gehabt hatte, begann ihn jetzt milder zu beurteilen und war bereit, das Gespräch fortzusetzen.

»Sie sind sehr liebenswürdig«, sagte er. »Aber Tatsache ist, daß wir beide, der Direktor und ich, ein wenig Angst hatten, die ›Pastorale Szene‹ aufzuführen, denn gerade populär schien sie uns nicht zu sein. Ich hoffe, Sie fanden in dem Stück auch einiges von dem tiefen Schürfen, das Sie in der Kunst so sehr zu bewundern scheinen, Herr Macklyn.«

Der ernste junge Mann gab keine Antwort und schien Ogles Frage gar nicht bemerkt zu haben. Nach Beendigung seiner eigenen Rede war er stirnrunzelnd nur noch mit seinem Glase beschäftigt gewesen, doch ohne dieses oder seine Gefährten anzusehen: unter den buschigen Augenbrauen war sein Blick vielmehr schnell zu jener Dame gewandert, deren Erscheinung Ogle beim Betreten des Saales so fasziniert hatte. Ihr Stuhl war nur einige Schritte von den drei jungen Leuten entfernt, und Macklyns Blick erweckte in Ogle den Verdacht, daß sein neuer Bekannter nur ihretwegen und in der Hoffnung gesprochen hatte, mit seinen Worten Eindruck auf sie zu machen. Im nächsten Augenblick fühlte er den gleichen Verdacht auch gegenüber seinem Freund Albert Jones.

»Ich wundere mich nicht, daß Sie am Erfolg Ihres Stückes beim Publikum gezweifelt haben, Laurence,« sagte Jones, und Ogle, dem die gewöhnliche Stimme seines Freundes vertraut war, bemerkte zu seiner Überraschung, daß sie bedeutend sanfter und musikalischer klang als sonst, »es überrascht einen immer, seine eigenen dunklen Träume von anderen gewürdigt zu finden. Voriges Jahr hatte ich ein paar Sachen im Salon d'Automne ausgestellt, kleine Bildchen, die einen Gedanken Verlaines analysierten, nichts weiter. Die Pariser Kritiker nahmen sie viel ernster, als ich selbst sie gemeint hatte; ich war ungemein überrascht.« Und der Blick des Malers folgte sofort dem Blick des Dichters und schoß seitwärts nach der Dame am Kartentisch.

Albert Jones und George Wilmer Macklyn waren erwachsene Männer, die in nichts an Kinder erinnerten. Und doch war jeder von ihnen, wie Ogle irritiert feststellte, genau wie ein Kind, das in der Hoffnung, etwas Bedeutsames gesagt zu haben, geschwind nach Mama blickt, um Bewunderung und Beifall einzustreichen. Es war klar: die beiden gaben eine kleine Vorstellung vor der unbekannten Dame, und Ogle war der Gedanke peinlich, sie könnte das merken und ihn im Geiste mit diesen einfältigen Tölpeln gleichstellen. Sie sah klug genug aus, um viel raffiniertere Vorstellungen, die ihr zu Ehren veranstaltet wurden, durchschauen zu können, doch ihre Aufmerksamkeit schien überhaupt nicht rege geworden zu sein. Sie spielte eben ruhig aus und nichts ließ darauf schließen, daß Bilder, Gedichte oder Theaterstücke ihre Gedanken beschäftigten.

»Eigentlich war's ein ganz nettes Lüftchen, das wir bei der Ausfahrt hatten«, meinte Jones nach einer kleinen Stille und wandte sich wieder interessiert seinem Glase zu. »Großartig, wie alles wieder ruhig geworden ist. Man könnte fast glauben, auf einem Fluß zu fahren. Aber in der ersten Nacht schienen Macklyn und ich die einzigen gesunden Menschen an Bord zu sein.«

»Und dieser unmögliche Mensch,« warf Macklyn ein, der ebenfalls die Beobachtung des Kartentisches aufgegeben hatte, »der immerzu auf uns eingeredet hat.«

»Ach, der zählt nicht,« erwiderte Jones, »den kann man nicht mit Mensch bezeichnen! Der ist eines von jenen unerfreulichen Gebilden, wie unser glorreiches Land sie leider hervorzubringen liebt. Immer wieder versuchte er, uns in ein Gespräch zu verwickeln,« fuhr er zu Ogle gewendet fort. »Er erzählte uns, daß es seine erste Seereise sei, und daß seine Frau und seine Tochter in kläglichem Zustand in ihren Kabinen lägen, daß er selber sich aber frisch und munter fühle wie noch nie. Und dazu gab er uns noch einen Bericht über den guten Geschäftsgang in diesem Jahr. Ein schauderhafter Kerl! – Waren Sie am Ende auch ein Opfer der Seekrankheit, Ogle? Hat man Sie darum die ganze Zeit nicht gesehen?«

»O nein,« entgegnete Ogle leichthin, »ich blieb nur lieber unten. Ein Orkan drückt immer ein wenig auf meine Stimmung.«

»Orkan?« Jones starrte ihn an. »Mein lieber Freund, Sie scheinen nie einen Orkan auf dem Meere erlebt zu haben.«

»Warum nehmen Sie das an?«

»Ja, sonst würden Sie einen simplen Nordoststurm nicht einen Orkan nennen. Du lieber Gott, als ich das drittletzte Mal hinüberfuhr …«

Und er begann eine Geschichte zu erzählen, die mit unzähligen Fachausdrücken und Zitaten von feierlichen Erklärungen der Schiffsoffiziere geschmückt war. Aber er fand bei seinen Gefährten nur geringe Aufmerksamkeit und brach seine Schilderung unvermittelt ab, um ebenso wie Ogle und Macklyn nach der Dame am Kartentisch zu blicken, die nun zum erstenmal ihre Stimme, einen volltönenden Alt, vernehmen ließ.

»Hyacinthe,« sagte sie mit einigem Nachdruck, aber trotzdem liebenswürdig zu dem jungen Mann ihr gegenüber, »c'est à toi, bébé.«

»Madame Momoro,« durchzuckte es den Dramatiker! Das also war sie, deren melodischer Name ihm selbst in der prosaischen Passagierliste aufgefallen war und ihn fast zu dem Entwurf eines neuen Stückes angeregt hatte. Er war entzückt. »C'est à toi, bébé«, hatte sie gesagt. Wie reizend, dachte Ogle. Nur eine Französin konnte solche bezaubernde Worte finden.


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