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XI

»Grotesk« war seine Bezeichnung für ihr rätselhaftes Benehmen gewesen und bald mußte er fürchten, es sei auch das richtige Wort für seinen eigenen Zustand. Nie in seinem jungen Leben hatte ihn eine Frau so fasziniert und zugleich so zum Narren gehalten wie diese. Vor allem ärgerte es ihn, daß er nie mit ihr allein sein konnte – nur der verdammte Tinker schien das fertig zu kriegen. Von dem Augenblick an, da dieser unausstehliche Patron ihr Albert Jones und Macklyn vorgestellt hatte, hingen die beiden wie Kletten an ihr. Wenn sie in ihrem Liegestuhl lag, klebte Jones in dem Stuhl zur Rechten und Macklyn in dem zur Linken. Wenn sie ihre eiligen Promenaden machte, hielten sie sich dicht an ihren Seiten, und es gab kein Mittel, sie wegzubringen. Nur ein einziges Mal noch, ehe das Land in Sicht kam, gelang es Ogle, mit ihr allein zu sein. Und auch da nicht für lange. Es war am Tag vor der Ankunft in Gibraltar.

»Dieser Teil meiner Reise ist nun Gott sei Dank bald vorüber!« seufzte er. Sie blickte ihn ein wenig gekränkt an, doch in spaßhaft übertriebener Weise.

»So langweilig finden Sie unsere Gesellschaft?«

»Sie wissen doch, was ich meine, Madame Momoro.«

»Nein, ich kann es nicht erraten.«

»Ich glaube, Sie könnten es.« Er war so ernst, daß sie teilnahmsvoll lachte, worauf er sich zu der Kühnheit aufschwang, seine Hand auf ihren Arm zu legen. »Nein, bitte, lachen Sie nicht«, sagte er. »Ich freue mich, daß wir uns Gibraltar nähern, weil meine beiden Freunde uns dort verlassen. Und ich werde noch befreiter aufatmen, sobald wir erst in Algier gelandet sein werden, denn dann wird es keine Möglichkeit mehr für Sie geben, mit irgendeinem Büffel in irgendeinem Winkel irgendeines Bootsdecks zu sitzen.«

»Büffel?« Sie zog wie nachdenkend die Stirn in Falten. »Das verstehe ich nicht; was meinen Sie damit?« Dann begriff sie und lachte. »Oh, ich weiß schon! Sie denken an gestern Nachmittag, als ich dort hinten mit Tinker plauderte und Sie an uns vorübergingen und ein so böses Gesicht machten, als wollten Sie uns auffressen. Warum haben Sie sich nicht zu uns gesetzt?«

»Ich konnte nicht annehmen, daß ich erwünscht gewesen wäre.«

»Aber ich hätte mich sehr gefreut!« widersprach sie. »Der Mann ist so unterhaltend, daß man das Vergnügen, ihm zuzuhören, erst richtig genießen kann, wenn man jemanden hat, mit dem man es teilt.«

»Die Speisestunden, die ich in seiner Gesellschaft verbringen muß, genügen mir«, sagte Ogle kalt. »Ich glaube, mehr von ihm zu ertragen, kann man einem kultivierten Menschen kaum zumuten.«

»Bin ich nicht kultiviert?« fragte sie, aber sie war nicht beleidigt, denn sie lachte und kleine Lichter tanzten in ihren klaren Augen. »Beim Lunch und beim Dinner können Sie keinen richtigen Eindruck von ihm gewinnen«, fügte sie hinzu, ohne seine Antwort abzuwarten. »Ab und zu werfe ich über das Balkongeländer einen Blick auf Ihren Tisch und da kann ich sehen, daß er nicht viel spricht, wenn seine Damen dabei sind. Ihr seht alle vier sehr feierlich aus. Aber wenn er seine Tyrannenfrau nicht in der Nähe weiß, oh, dann ist er sehr unterhaltend. Er ist ein ungewöhnlicher Mensch!« Und sie schloß mit einer kindlich naiven Frage: »Sie mögen ihn nicht?« Ogle starrte sie an.

»Verzeihen Sie,« sagte er nach einer Weile, »es ist nicht meine Gewohnheit, mich auslachen zu lassen, Madame Momoro.« Da aber versöhnte und entzückte sie ihn, obwohl sie jetzt wirklich lachte, denn mit ihren Fingerspitzen berührte sie leicht seine Hand und sagte:

»Sie sind ein lieber Kerl.«

Das war alles. Macklyn und Jones, das unermüdliche Zweigespann, kamen im gleichen Augenblick heran und störten Ogle diese wundervolle Minute. Madame Momoro verließ bald darauf die drei jungen Leute. Wie sie sagte, mußte sie den beiden ältlichen Französinnen, von denen die eine noch immer leidend war, ein wenig Gesellschaft leisten und dann hatte sie Hyacinthe versprochen, sich von ihm seinen Bericht über das Unterrichtswesen in Amerika vorlesen zu lassen.

Viel schien man darüber nicht berichten zu können, denn als Ogle kaum eine Stunde später auf dem Vorderdeck umherstrich, hörte er ein wohlbekanntes tiefes Lachen, und dem Klang nachgehend, gelangte er zu einem Winkel zwischen zwei Rettungsbooten, in dem die rätselhafte Dame mit Tinker saß.

Sie war durchaus nicht verlegen. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß man zu zweit sein muß, um diesen ungewöhnlichen Mann richtig zu genießen?« sagte sie lustig. »Um alles zu glauben, was er da auftischt, müßte man zu tausend sein. Aber einer mehr ist schon eine kleine Hilfe. Sie müssen sich unbedingt zu uns setzen!«

»Setzen Sie sich, setzen Sie sich, junger Mann«, sagte Tinker kordial und wies auf einen Klappsessel, der an der weißen Wand der Radiokabine lehnte. »Ich habe Frau Mummero eben ein paar einfache Tatsachen aus meiner Heimat erzählt und sie glaubt, ich erfinde sie. Keine blasse Ahnung von den Vereinigten Staaten! Kennt bloß ein paar Hotelbengels und Fünfuhrtees. Na, und sie fing mir von Paris an und von ein paar anderen Städten, die es da in Europa gibt, aber ich habe ihr gesagt, daß sie ja noch gar nie eine richtiggehende Stadt gesehen hat, und nie eine sehen wird, wenn sie nicht hin kommt, wo ich zuhause bin – das ist eine Stadt!« In seinem Enthusiasmus gab er ihr einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter und sah ihr dabei strahlend ins Gesicht. »Wirklich, ich würde Sie sehr gerne in meiner Stadt herumführen«, sagte er.

»Der Vorschlag ist verlockend«, rief sie lachend. »Herr Ogle, Sie müssen hier bleiben, um mich zu retten. Sonst lasse ich mich bestimmt überreden.«

Aber Ogle war schon weiter gegangen und blickte sich nicht nach ihr um. Während er sich bequem auf einem zusammengerollten Seil niederließ, faßte er endgültig den Entschluß, keinen einzigen Gedanken mehr an sie zu verschwenden, und fragte sich, warum er nicht schon längst durch solch einfachen Willensakt seinen unerträglichen Zustand beendet hatte. Die Sonne schien hell, das Meer glitzerte und milde Luft umfächelte ihn. Er war wieder der alte Ogle, alle Dianen und Niken waren aus seiner Existenz verbannt. Er wurde sich bewußt, daß er in Madame Momoro fast verliebt gewesen war und beglückwünschte sich zu der Leichtigkeit, mit der er den Zauber gebrochen hatte. Dann sank sein Kinn herab, seine Hände ballten sich und er stöhnte laut: »Wie kann sie nur? Wie kann sie mich nur so behandeln!«

Beim Dinner war Frau Tinker in strahlender Laune. Sie nickte dem stillen Heuchler ihr gegenüber zu und sagte zu Ogle:

»Wissen Sie, was der Verbrecher wieder getrieben hat? Den ganzen langen Nachmittag hat er die armen Herren im Rauchsalon nochmals ausgeplündert. Na, Olivia und ich können zufrieden sein, denn er hat ihnen mehr abgenommen als je zuvor, und wenn wir wieder zu Hause sind, können wir ruhig unserem Spital einen neuen Saal stiften. Und das erste, wonach ich mich umsehen will, sobald wir das Schiff verlassen, wird ein Juwelierladen sein.«

Im Rauchsalon hatte den ganzen Nachmittag niemand Karten gespielt, das wußte Ogle. Daß Tinkers Unterhaltung mit Madame Momoro wenigstens kostspielig war, befriedigte für den Augenblick seine Rachegelüste.

Aber dieses Vergnügen währte nicht lange; der Mann hatte offenbar »Geld wie Heu«. Ogle hatte zufällig kurz zuvor ein Gespräch zwischen Wackstle und dem Kammgarnkönig belauscht, das sich um Tinker drehte. Die beiden hatten seinen Namen offenbar schon gekannt, ehe sie ihn selbst auf dem Schiff begegneten und sie schienen eine hohe Meinung von ihm zu haben. Ja, der Kammgarnmann hatte sogar von »Respekt« gesprochen. Aus diesem Munde bedeutete das soviel wie »Gut für jeden Betrag«. Das fiel Ogle jetzt ein. War das der Grund, daß Madame Momoro es vorzog, stundenlang allein mit einer solchen Kreatur zu sein, statt die Gesellschaft eines kultivierten und nicht unberühmten Ogle zu suchen?

Der junge Mann fühlte, daß ihm Madame Momoro eine ziemlich bittere Lektion über die Absonderlichkeiten menschlicher Schwächen und Auffassungen erteilt hatte. Und sein Selbstbewußtsein erhielt an jenem letzten Abend einen noch heftigeren Stoß, als er sich in seine Kabine zurückgezogen hatte. An diesem Abend schien die ältere Dame in der Nebenkabine besonders gesprächig.

»In einer Hinsicht bin ich bisher schwer enttäuscht«, hörte Ogle sie sagen. »Ich habe immer gemeint, daß man auf diesen großen Dampfern so viele interessante Menschen trifft. Auf unserem Schiff aber sind zwar alle gut angezogen und sicher auch ganz wohlhabend – denn sonst könnten sie sich ja diese Reise nicht gönnen – aber Vater hat gewiß unrecht, wenn er behauptet, es seien hier die feinsten Leute beisammen, die man sich wünschen könnte. Das sagt er ja immer, aber ich habe nie finden können, daß Erfolg im Geschäft und gute Kleidung die Leute schon interessant machen. Das ganze Schiff kann man durchsuchen, ohne auch nur ein intelligentes Gesicht zu finden.«

Die Antwort der Tochter war für ihre Stimmung charakteristisch: »Selbst wenn eines da wäre, ich würde es nicht ansehen.«

»Na, ich schon«, antwortete die Mutter. »Anfangs hatte ich geglaubt, der Kleine an unserem Tisch würde sich als etwas Besseres entpuppen. Aber während der ganzen Überfahrt hat er nicht eine interessante Bemerkung gemacht. Er scheint gar nichts zu wissen und über nichts reden zu können.«

Aus der Entgegnung der Tochter klang eine gewisse Schärfe: »Oh, doch. Er weiß, daß er großartig ist.«

»Es sieht nicht danach aus. Nach der Art zu urteilen, wie er und seine zwei Freunde um diese Abenteurerin herumscherwenzeln … ich möchte wissen, wer sie ist. Ich könnte wetten, sie hat eine Geschichte hinter sich!«

»Vielleicht vor sich«, meinte Olivia und man konnte sie gähnen hören. »Sie ist schön.«

»Möglich,« gab Frau Tinker vorsichtig zu, »aber mir macht sie den Eindruck einer Frau, die stets auf etwas aus ist – man weiß nur nicht recht auf was. – Jedenfalls habe ich mir das Publikum anders vorgestellt. Außer dem Obersteward mit der Brille habe ich bisher keinen einzigen Menschen gesehen, dessen Gesicht eine Spur von Bildung verraten würde.«

Dann knackte der Lichtschalter und der erboste junge Mann hörte nichts mehr.

Am nächsten Morgen ließ ihn die bestrickende Französin für eine Weile seine schlechte Laune vergessen. Er lehnte mit ihr an der Reeling und obgleich auch Macklyn und Jones und andere Passagiere dort standen, ja sich dort drängten, hatte er doch seinen Platz an ihrer Seite behauptet und seine Schulter berührte ihren Arm.

Vor ihnen warf die »Duumvir« Wasser auf, das blauer war, als sie es bisher gesehen hatten und zwischen den Vorgebirgen zweier Kontinente erschloß sich ihren Blicken eine majestätische Straße. Zur Linken erhoben sich spanische Dörfer mit flachen Dächern und dahinter, auf Hügeln von unbewohntem Aussehen und fremdartiger Farbe, leuchteten breite, grellweiße Türme. Zur Rechten zog sich, so weit das Auge reichte, eine lange Kette geheimnisvoll verschleierter Berge hin.

»Afrika«, sagte Madame Momoro leise und wies dorthin. »Das ist Afrika! Hat man nicht das Gefühl, diese nebelhaften Berge begrenzten ein Land von unfaßbaren Möglichkeiten? Je seltsamer die Dinge wären, die uns dort begegneten, desto mehr würden sie unseren Erwartungen entsprechen. Ja, so ist Afrika …«

Ogle schien es, als hätte er noch niemals ein Wort so aussprechen gehört, wie sie »Afrika« sprach. Sie hauchte es nur gerade. Aber es war, als legte sie alle Geheimnisse von Kleopatra und Karthago in die drei leise nachhallenden Silben.

»Es ist herrlich«, sagte er tiefbewegt und mit gedämpfter, nur für sie bestimmter Stimme fügte er hinzu: »So wie Sie es empfinden. Ihr ganzes Empfinden liegt in Ihrer Stimme, ich fühle es und ich verstehe es. Und Sie – Sie sind noch mehr als Afrika!«

Weiter flog der Bug der »Duumvir«, und Vorgebirge nach Vorgebirge zeigten sich an der spanischen Küste, bis plötzlich Alt-Englands gigantischer Felsen, schroff zum blauen spanischen Himmel aufragend, vor den Blicken lag.

»Das ist ja Parkers Margarine!« ertönte plötzlich hinter ihnen Tinkers kräftige Stimme. »Fabelhafte Reklame! Fa-bel-hafte Re-kla-me!« Sein Enthusiasmus galt dem kaufmännischen Genie Amerikas, mit dem Parkers Reklamechef dieses Wahrzeichen Alt-Englands zur Fabriksmarke gewählt und ganz Amerika mit Plakaten überschwemmt hatte, auf denen der eindrucksvolle Felsen von Gibraltar die Qualität von Parkers Margarine anschaulich machte. »Ja, mein Bester«, hörte man ihn eine Weile später nach einer Bemerkung Wackstles fortfahren. »Das macht Eindruck! Ich bin nur ein bißchen enttäuscht, weil ich immer gedacht habe, daß die Firma wirklich auf dem Felsen aufgemalt ist, wie sie's auf ihren Plakaten haben. Ich werde sie wegen Vorspiegelung falscher Tatsachen belangen, wenn ich heimkomme. Da steht ja gar nichts!«

»Pappi!« Frau Tinker, erregt durch die ersten Augenblicke in der für sie so neuen »Alten Welt« rief ihm freundlich, aber mit schriller Stimme zu: »Herr Wackstle muß ja wirklich glauben, daß du gar nicht gebildet bist, wenn du so daherredest.«

»Was bin ich – na, nicht sehr. Ist das hier gewesen, wo Napoleon von Sankt Helena landete oder was sonst? Irgend etwas ist doch hier los gewesen!?«


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