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XVIII

Bei Sonnenuntergang kamen sie nach Bougie und in der zarten Beleuchtung eines Tropenabends schien die Stadt und ihre Umgebung ganz unwirklich, wie eine rosa, blaßgrün und blau bemalte Leinwand, die man zwischen Hügel ausgebreitet hat. Der senile britische General erwies sich hier dem jungen Amerikaner, der an eine mehr seßhafte Lebensweise gewöhnt war, als Fußgänger weit überlegen. Während des abendlichen Bummels, wie Sir William das törichte Auf- und Abstolpern in den steilen, unbeleuchteten Straßen der Stadt zu nennen beliebte, wurde die Entfernung zwischen ihm, an dessen Seite Madame Momoro dahinschwebte, und den übrigen immer größer. Lady Broadfeather und Miss Crewe, die dem höflichen Hyacinthe zuzwitscherten, nahmen sich alle Mühe, in der Nähe des langbeinigen Engländers und seiner ausdauernden Gefährtin zu bleiben, aber Ogle gab es bald auf. Er blieb immer weiter zurück, und als die Dunkelheit einbrach, suchte er müde, atemlos und mißgestimmter denn je, allein den Rückweg ins Hotel.

Beim Abendessen entdeckte der General einen roten Beaune auf der Weinkarte, eine alte Liebe, wie er sagte, und er sagte dies nicht bloß, sondern bewies es auch ausgiebig, was zur Folge hatte, daß die Farbe dieser alten Liebe nach kurzer Zeit die Farbe seines Gesichts war. Dabei machte er der Französin so eindringlich den Hof, daß Miss Crewe immer erstaunter dreinsah; Lady Broadfeather schien dergleichen gewöhnt zu sein. Immer wieder brachte Sir William in der wackeren Art des achtzehnten Jahrhunderts Madame Momoros Gesundheit aus. »Der Artemis!« rief er, sichtlich erfreut über diese, wie er meinte, höchst originelle Eingebung. Er trank auch Hyacinthe zu, der aufstand und sich steif verneigte, aber durch das Kompliment, das er zu hören bekam, ein wenig verwirrt schien. »Ihr Wohl, junger Mann! Sie sind der Mozart des Bridge! Frühreifes Genie hat den gleichen Anspruch auf Anerkennung wie die Göttin!«

Ein wenig später lenkte er Madame Momoros Aufmerksamkeit auf ein sympathisch aussehendes junges Paar, das im gleichen Saale speiste. »Auch andere Potentaten dinieren heute abend in Bougie, erhabene Artemis. Diese zwei Leute sind Prinz Günther XXVII. von Fülderstein und seine junge Gemahlin. Vorige Woche wohnten wir in Algier im gleichen Hotel. Merkwürdig, wie man in dem großen Afrika immer wieder die gleichen Leute trifft! Eigentlich weniger merkwürdig als unvermeidlich, da alle derselben Route folgen und die gleichen Stationen machen. Da fällt mir übrigens etwas ein; ich habe für morgen einen kleinen Plan. Wir könnten unterwegs im Freien lunchen. Wir lassen uns alles Nötige vom Hotel einpacken und veranstalten sozusagen ein kleines Picknick. Wenn es Ihnen und Ihrem Sohn und Mr. Uh recht ist, will ich dann gleich den Auftrag geben. Was halten Sie davon? Ein Festmahl unter freiem Himmel – Artemis mit ihrem Gefolge von Faunen und Nymphen tafelt unter dem Himmel Afrikas!«

Madame Momoro versicherte mit Lächeln und Kopfnicken, daß sie sich nichts Genußreicheres denken könne. Dann warf sie Ogle einen schnellen, flehenden Blick zu, als wollte sie ihn fragen, ob sie sich, ohne unhöflich zu werden, anders verhalten könnte. Auch etwas später, als Sir William seine leergetrunkene Kaffeetasse energisch niederstellte und, sich die Hände reibend, rief: »Madame Artemis! Meister Mozart! An die Arbeit!« warf sie Ogle den gleichen Blick zu. Ogle erwiderte keinen der beiden Blicke. Er sah geflissentlich an ihr vorbei und ging, sobald das Spiel begann, auf sein Zimmer.

Da saß er eine Weile, ohne Licht zu machen, auf der Kante seines Bettes … »Alle folgen derselben Route und alle machen die gleichen Stationen …« Tinker selbst hatte nicht gewußt, wohin er fuhr. Das war möglich. Aber Madame Momoro hatte bestimmt gewußt, wohin Cayzac die Tinkers schicken würde!

Ogle blieb nichts anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und dem widerlichen Schicksal tapfer ins Auge zu sehen. Es war nur eine Frage von Tagen, vielleicht von Stunden, wann der zudringliche Provinzler ihm wieder auf dem Hals sitzen würde. An Madame Momoros Diplomatentalent war kein Zweifel mehr möglich, und Ogle mußte einsehen, daß seine Göttin ihn nur als Werkzeug benutzt hatte, um Tinker, ihr Ziel zu erreichen. Unerfreuliche Einsicht für einen jungen Mann, den man keineswegs als Altruisten bezeichnen konnte und von dem nicht zu behaupten war, daß er sich selbst allzu gering einschätzte!

Er hätte sich einen Rest an Selbstachtung bewahren können. Er hätte etwa am nächsten Morgen erklären können, er wolle nicht mit Sir William lunchen, er wolle nichts von Biskra wissen, er wolle nach Algier zurück. Eine Weile spielte er mit dem Gedanken an ein solches mannhaftes Vorgehen, bis er sich bewußt wurde, daß er nie imstande wäre, Madame Momoro etwas Ähnliches zu sagen. Zu seiner Entschuldigung hielt ihn noch ein anderer Grund davon ab, sein Reiseziel zu ändern. Er hatte in Bougie ein Telegramm von Cayzac vorgefunden, worin ihm mitgeteilt wurde, daß die sehnlichst erwarteten Briefe doch noch in Algier eingetroffen wären und ihm nach Biskra nachgesandt wurden. Je mehr seine einst ungetrübte Seligkeit in düstere Verstimmung umgeschlagen war, desto wichtiger waren ihm diese New Yorker Briefe geworden. Wie beschämend es auch sein mochte, derart ausgenutzt zu werden – und obendrein von einer Dame, die er einst als Idealbild angebetet und der er nichts als zarteste Ritterlichkeit gezeigt hatte – es blieb ihm nichts übrig, als sich weiter ausnutzen zu lassen.


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