Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XV

Nach einer Nacht, in der er wenig geschlafen hatte, beobachtete er am Morgen von seinem Balkon aus die pompöse Abreise der Tinkers. Eine Viertelstunde vorher hatten ehrerbietigste Zeremonien die Abfahrt des Erbprinzen Günther XXVII. von Fülderstein und seiner jungen Frau begleitet, die einen Teil ihrer Flitterwochen im Hotel verbracht hatten. Direktor, Portier, Oberkellner, Hausdiener und ein Polizeiagent hatten sich respektvoll verneigt, als das liebenswürdige junge Paar in seinem italienischen Tourenwagen davonfuhr. Aber der melancholische Ogle merkte bald, daß dies im Vergleich zu der abendfüllenden Revue, zu der sich die Abreise der Tinkers entwickelte, nichts gewesen war als eine schäbige Balletteinlage auf einer Provinzbühne. Zunächst fuhren zwei funkelnagelneue, tadellos glänzende, starke französische Automobile rasch und eindrucksvoll vor dem Hotel vor. Die schmucken jungen Chauffeure in vornehmer Livree sprangen ab, dann entstieg dem einen Wagen, einem Landaulet, John Edwards und dem zweiten, einer Limousine, weitaus würdevoller, ein dicker, lächelnder Mann, der eine weiße Kamelie im Knopfloch seines Gehrockes und eine breite goldene Kette über seiner weißen Weste trug. Ogle erkannte in ihm Monsieur Cayzac, den Leiter des Reisebureaus und der Bankfiliale, dessen Bekanntschaft er auch schon gemacht hatte.

Nun kam der Hoteldirektor, vom Portier gefolgt, herbei, um diese hohe Persönlichkeit zu begrüßen, und die drei begannen ein ernsthaftes Gespräch, in dessen Verlauf die Gesten Cayzacs immer lebhafter, schwungvoller, beinahe opernhaft wurden.

Die nächste Nummer war der Aufzug der Lohndiener; kleine Koffer, große schwarzlederne Reisetaschen, Decken, Pelzmäntel, Hutschachteln, Thermosflaschen und Eßkörbe wurden herbeigetragen, denn es handelte sich offenbar um eine Expedition von nicht geringer Bedeutung und von weitgestecktem Ziel. Während das Gepäck sorgsam auf dem Dach, an der Rückwand und im Innern der Limousine verstaut wurde, gruppierten sich weitere Angestellte des Hotels mit erwartungsvollen Mienen zwischen dem Landaulet und dem Hoteleingang.

Eine Pause trat ein. Dann begann ein Verneigen nahe dem Tor. Frau Tinker trat auf! Monsieur Cayzac stürzte auf sie zu, um ihr graziös die Hand zu küssen – ein Akt der Höflichkeit, der sie sichtlich befangen machte und über dessen Schicklichkeit sie Zweifel zu hegen schien. Er küßte auch Olivia die Hand, die ihrer Mutter folgte und hübscher aussah als je, und, wie Ogle bemerkte, nicht ganz so verdrossen wie sonst.

Eine lebhafte Bewegung der Wartenden verkündete das Auftreten des Stars. Tinker hatte einen weiten wolligen Ulster über seinen karierten Reiseanzug angelegt, denn der Morgen war kühl. Seine Hände umklammerten ganze Bündel von Papiergeld, das loszuwerden offenbar seine einzige Sorge war. Gefällige Finger streckten sich ihm von allen Seiten entgegen und unterstützten in entgegenkommendster Weise seinen Entschluß, ohne diesen Ballast abzureisen. Als es ihm gelungen war, den Rest dem Hoteldirektor aufzudrängen, fühlte er sich sichtlich erleichtert.

Der Direktor überreichte den beiden Damen Sträuße aus Rosen und Veilchen, der Oberkellner brachte Frau Tinker ein Dutzend Narzissen, ein Gärtner bot Tinker drei Kamelien an, die der Zimmerkellner ehrfurchtsvoll an den Rockaufschlag des grauen Ulsters heftete. Nun nahmen Herr, Frau und Tochter Tinker, von hilfreichen Händen geleitet, gestützt und in Decken gehüllt, in dem Landaulet Platz, und John Edward schwang sich auf den Sitz neben den Chauffeur. Der Direktor, der Portier, der Geschäftsführer, drei Schreiber aus dem Hotelbureau, zwei Lohndiener, zwei Kellner, vier Zimmerkellner, zwei Zimmermädchen und zwei Gärtner neigten ihre Köpfe so tief es ihnen möglich war gegen den Boden. – Die Abschiedsgrüße Monsieur Cayzac's aber waren sowohl mimischer, wie auch vokaler Natur. Mit liebenswürdigem Feuer fuhr er in einer Art Huldigungsrede immer noch fort, während die beiden Automobile schon längst dem Ausgang des Gartens zurollten. Händeklatschen und Hochrufe des versammelten Personals begleiteten seine Worte. Die Terrasse und alle Balkone des Hotels füllten sich mit Gästen; Deutsche, Franzosen, Engländer, Italiener, Amerikaner, Griechen und Türken fragten sich erstaunt, welcher inkognito reisende Potentat wohl derart geehrt wurde. – Monsieur Cayzac wedelte heftig mit den Armen. »Bon voyage, Madame, Mademoiselle et Monsieur, et merci mille fois, Monsieur Tankaire! Au plaisir, Madame Tankaire!«

Und Tinker lehnte sich weit aus dem Fenster des Landaulet, schwenkte seinen weichen Filzhut und rief herzlich zurück: »Alleh wuhz on! Wui, Wui! Mon diöh! Merikan Mann dänkt bestens! Pah – pah!«

Gut gelaunt und über alle Erwartungen reich entlohnt, kehrten die Hotelangestellten an ihre Arbeit zurück. Zehn Minuten später bestieg General Sir William Broadfeather mit seinen Damen einen kleinen offenen Tourenwagen. Nur der Portier und ein Hausknecht gaben ihnen das Geleite. Jedem der beiden drückte Sir William eine Nickelmünze in die Hand, aber nicht eher, als bis der Wagen schon im Davonrollen war.

Schmerzlich berührt von dem Kontrast wandte Ogle dem Balkon den Rücken und kehrte in sein Zimmer zurück. Dort war eben das französische Zimmermädchen beschäftigt.

»Guten Morgen, Gentleman«, begrüßte sie ihn und sprudelte gleich wieder los: »Gestern Nacht habe ich gesprochen mit mein Cousine, die geheiratet ist mit Chauffeur von ›Colline des Roses‹. – Sie wissen, was geschehen ist, Gentleman?«

»Nein, ich weiß von nichts.«

»Meine Cousine wissen selbst nicht, ihre Mann wissen auch nicht, aber etwas müssen es sein.«

»Sie meinen, es hätte sich in der Villa etwas ereignet?«

»Sicher«, sagte sie und nickte nachdrücklich. »Bestimmt etwas geschehen ist. Es ist geschehen die ganze Zeit, wo sie waren in Nordamerika, meint die Cousine – aber jetzt ist es geschehen am meisten. Vorgestern und gestern, Mademoiselle Lucy Daurel haben so viel geweint und Mademoiselle Daurel so zornig – oh, so zornig! Sie haben hören gesagt Monsieur Hyacinthe sei sehr, sehr schlimm.«

»Ja, was hat er denn getan?« rief Ogle.

»Niemand weiß es. Vielleicht wird Ihnen Madame Momoro sagen, aber ich glauben nicht.«

Auch Ogle glaubte es nicht, ja, er glaubte überhaupt nicht mehr daran, sie jemals wiederzusehen. Nach Tinkers ahnungsloser Enthüllung war er auch nicht mehr ganz davon überzeugt, daß er sie wiederzusehen wünschte.

Als er eine Stunde später den staubigen Weg zu Cayzacs Bureau hinabschritt, lag er in Fehde mit sich selbst und mit der Welt. Pompös, geschwätzig, zuvorkommend saß Monsieur Cayzac hinter seinem Schreibtisch, aber die Briefe, die Ogle von seinem Theater erwartete, waren nicht angekommen. Beunruhigt dachte er im Taxi, mit dem er ins Hotel zurückfuhr, darüber nach, was wohl die Ursache dieser neuen Enttäuschung sein mochte.

Zwei Menschen befanden sich auf der Hotelterrasse: der arabische Händler, der, an die Mauer gelehnt, im Sonnenschein schlief, und Hyacinthe Momoro. Vornübergeneigt saß der junge Mann auf einem der lackierten Eisenstühle, seine Arme stützten sich auf die Steinbrüstung und mit starren Augen, die nichts zu sehen schienen, schaute er in den Garten. Der Eindruck, den er machte, war der eines Verzweifelten, und an diesem stillen Jüngling, der so einsam auf sonnendurchglühter Terrasse saß, wirkte die Niedergeschlagenheit, die er zeigte, nicht ohne Pathos. Als er auf Ogles Anruf den Kopf wandte, verrieten seine dunkel umränderten Augen, daß Mademoiselle Lucy Daurel wohl nicht die einzige gewesen war, die jüngst in der Villa »Colline des Roses« geweint hatte.

Hyacinthe erhob sich, verneigte sich auf seine förmliche Art und stand schweigend da, als warte er wohlerzogen, bis der Ältere die Unterhaltung beginnen werde.

»Haben Sie mich wieder aufsuchen wollen?« fragte Ogle. »Das würde mich freuen.«

»Sie sind sehr liebenswürdig«, erwiderte Hyacinthe. »Aber ich bin nicht zu Besuch hier. Wir sind für ein paar Tage hierher ins Hotel gezogen, ehe wir nach Marseille weiterreisen!«

»Ihre Mutter ist auch hier?«

»Im Hotel? Ja.«

Es erwies sich, daß Ogles Zweifel, ob er Madame Momoro wiederzusehen wünschte, nicht recht begründet waren.

»Oh, bitte, fragen Sie doch Ihre Mutter,« gab Ogle eifrig zurück, »wann ich ihr meine Aufwartung machen dürfte.«

»Gewiß. Gern,« sagte Hyacinthe ruhig und begab sich sofort ins Haus. Schon nach drei Minuten kam er zurück. »Sie wird sich sehr freuen.«

»Wirklich? Wann?«

»Jederzeit – heute – wenn Sie wollen, gleich.«

Er führte Ogle durch die Halle und in das zweite Stockwerk hinauf, wo er, ohne Antwort auf sein Klopfen abzuwarten, eine Türe öffnete und beiseite trat, während Ogle hineinging. Hyacinthe folgte ihm nicht. »Meine Mutter wird gleich kommen«, sagte er und die Türe schloß sich wieder hinter ihm.

Ogle sah sich in einem kleinen Salon, der im maurischen Stil eingerichtet war. Vor ihm befand sich eine Verbindung in das Nebenzimmer, die durch einen Vorhang aus roten, grünen und blauen Glasperlen geschlossen war. Er merkte Bewegung hinter diesem bunten Vorhang und auch ein zarter Duft schien von dort zu ihm zu dringen. Dann hörte er einige leise gesprochene französische Worte aus dem Nebenzimmer, Madame Momoros tiefere Stimme antwortete hastig, und als der vertraute Klang dieser Frauenstimme an sein Ohr drang, fühlte der wartende junge Mann, wie die Röte ihm in Wangen und Schläfen stieg. Dann erschien zwischen den Perlensträhnen des Vorhanges eine wundervolle, schmale, weiße Hand, aber Madame Momoro selbst blieb noch unsichtbar. Ogle starrte auf die angebetete Hand und begann zu zittern. Im nächsten Augenblick gerieten die Glasperlen in geräuschvolle Bewegung, die Portiere schwang zur Seite und Madame Momoro schwebte herein. Hochgewachsen, graziös, leichtfüßig, mit mattem Gold »behelmt« eilte sie auf Ogle zu, und tragisch und lieblich zugleich, streckte sie ihm ihre schönen Hände entgegen, während sie ihm tief in die Augen blickte.

»Mein armer Freund!« begrüßte sie ihn. »Sie müssen mir vergeben, ich bin gar nicht glücklich gewesen.«

Ogle errötete und erbebte sogar, obwohl er diese Worte nur zögernd und skeptisch hinnahm. Und doch konnte er an ihrer Wahrheit nicht zweifeln, denn ihr Gesicht war schmäler geworden und zeigte Spuren von Erregung, die allerdings nicht näher bestimmbar waren. Es war, als habe sich der Kummer wie ein Schleier um sie gelegt. Sie hielt seine Hand fest und führte ihn zu einem Lehnstuhl.

»Wollen Sie sich nicht setzen und mir zuhören?« fragte sie, und als er folgsam tat, was sie wünschte, ließ sie mit sanftem Druck seine Finger los, trat nachdenklich ans Fenster und wandte sich erst nach einigen Augenblicken wieder zu ihm. Mit einer hilflosen Gebärde hob sie die Arme und verschränkte dann die Hände hinter ihrem Kopf.

»Oh!« rief sie. »Ich sehe, wie schwer es sein wird, das alles jemand begreiflich zu machen. Niemand würde glauben, daß es so einen Menschen gibt.«

»Meinen Sie Fräulein Daurel?« fragte Ogle.

»Wen sonst?« Madame Momoro sank erschöpft in den Fauteuil neben ihm. »Ja, es ist unglaublich.«

»Ich möchte Sie etwas fragen …«, begann er leise. »War es ihretwegen, daß Sie in den letzten Tagen auf der ›Duumvir‹ so ….«

»Alles, alles war ihretwegen«, unterbrach ihn Madame Momoro bitter. »Wie habe ich mich ihr gewidmet! Wie habe ich mich bemüht, ihr meine Ergebenheit zu beweisen! Und ich kann gar nicht sagen, daß sie immer unfreundlich zu mir gewesen wäre. Sie war oft sehr gut zu mir, wenn sie nicht eifersüchtig war. Aber ihre Eifersucht wurde einfach unerträglich. Sie ist alt, war immer verwöhnt und verlangt, daß jeder ihr zu Willen sei. Sie haben es ja auf dem Schiff selbst gesehen, mein Freund: sobald sie aus ihrer Kabine herauskam, wagte ich aus Furcht vor einer schrecklichen Szene, die sie mir gemacht hätte, nicht mehr, mit Ihnen zu sprechen, ich wagte gar nicht, Sie anzusehen …«

Ogle war noch immer imstande, an ihr zu zweifeln. »Aber Sie fürchteten sich nicht – Tinker anzusehen!«

»Oh doch!« Sie wandte sich ihm überrascht zu. »Seit sie wieder gesund war, wagte ich auch Tinker nicht mehr …«

»Was!« rief Ogle empört. »Er hat mir doch selbst erzählt, wie oft er hier in Algier mit Ihnen …«

»Ja, hier in Algier allerdings«, erwiderte sie freimütig und trotz des tragischen Schleiers funkelte es in ihren Augen. – »Dem konnte ich nicht widerstehen. Algier ist größer als ein Ozeandampfer. Ich erzählte zu Hause schreckliche Lügen und ging auf und davon, um mit ihm beisammen zu sein. Ich mußte doch ein wenig lachen, um Fräulein Daurel vergessen zu können.«

»Ich begreife«, sagte Ogle grimmig. »Sie konnten nicht hoffen, Fräulein Daurel in meiner Gesellschaft vergessen zu können. Darum haben Sie nicht einmal meine Briefe beantwortet.«

»Ich wußte doch,« verteidigte sie sich, während sie ihre Hand leicht auf die seine legte, »daß Tinker schon in ein paar Tagen abreisen würde und daß Sie länger hier bleiben.« Dann versuchte sie ein Lächeln und fuhr mit leidender Stimme fort: »Begreifen Sie denn nicht, daß eine Frau manchmal lachen will, um nicht weinen zu müssen?«

»Aber warum konnten Sie mir denn nicht wenigstens ein Wort der Erklärung schreiben, wenn Sie so viel Zeit für ihn übrig hatten?«

Sie lachte bitter auf, schüttelte den Kopf und zog ihre Hand wieder zurück.

»Sie wollen nicht verstehen; vielleicht können Sie es auch nicht. – Ich lebte doch in jenem Haus; ich wagte es einfach nicht, eine Zeile zu schreiben. Auch an Tinker schrieb ich nicht. Ich hatte ihm schon auf dem Schiff versprochen, ihn bei Cayzac zu treffen. Aber glauben Sie mir, ich rechnete damit, Sie würden länger als er in Algier bleiben. Und doch will ich nicht unaufrichtig zu Ihnen sein. Dieser Mann interessiert mich, ich mag ihn sehr, sehr gut leiden.«

»Nun,« sagte Ogle zu ihr, »ich finde, das haben Sie recht deutlich gezeigt.«

Sie warf ihm einen langen Blick zu und lächelte traurig. »Ihr Männer seid doch alle gleich und auch Sie machen keine Ausnahme! Ihr wollt einer Frau, mit der Ihr befreundet seid, nicht gestatten, ihre Individualität zu bewahren. Alles sollen wir mit Euren Augen sehen! Nun, es gibt eine einfache Lösung: Wir müssen ja nicht Freunde sein!« Und sie erhob sich und streckte ihm zum Abschied die Hand entgegen. Auch Ogle stand auf und sagte, während er sie ernst anblickte:

»Ihre Lösung ist vielleicht doch nicht ganz so einfach, wie Sie glauben: zumindest für mich. Unglücklicherweise habe ich seit unserer ersten Begegnung trotz aller Enttäuschungen keinen einzigen Augenblick an Sie vergessen können. Und doch weiß ich nichts von Ihnen, ich kenne Sie noch immer nicht, Ihr ganzes Wesen ist mir rätselhaft; – ich glaube, Sie haben mir bisher nicht viel Gelegenheit gegeben, Ihr Freund zu werden.«

Sie blickte ihn nachdenklich an.

»Dann will ich es jetzt tun«, sagte sie, und während beide sich wieder setzten, fuhr sie fort: »Ich will mir Mühe geben, Ihnen alles begreiflich zu machen. – Mademoiselle Daurel ist fanatisch bigott, bei Ihnen drüben gibt es diesen Typ der bigotten alten Jungfrau gar nicht, und ihre Eifersucht gilt meiner Seele.«

»Ihrer Seele?« rief er erstaunt.

»Nun ja. Ich bin geschieden. Oberst Momoro war nicht katholisch und er wollte frei sein, um jemand andern zu heiraten. Sie wissen, daß die Kirche eine solche Scheidung nicht anerkennt, und so glaubt Fräulein Daurel, ich sei verdammt. Es bleibt mir nur die Hoffnung, nicht direkt in die Hölle zu kommen, sondern bloß ins Fegefeuer, so lange ich die Sünde nicht vollende und noch einmal heirate.«

»Ja, kann das Ihr Ernst sein?« Aber Ogle begriff, während er dies ausrief, daß sie die Wahrheit sprach. Ihre Augen bezeugten es und der Klang ihrer Stimme verriet es ihm.

»Um mich ins Fegefeuer zu retten, meint Mademoiselle Daurel, müßte mein ganzes weiteres Leben der Reue und Buße geweiht sein. Ihr sehnlichster Wunsch ist, daß ich Nonne werde. – Das Unglück will es nun, daß sich immer wieder Herren finden, die der Meinung sind, es sei der Mühe wert, mit mir zu plaudern. So oft Mademoiselle Daurel das bemerkt, und besonders wenn es ledige Herren sind, die mich veranlassen könnten, meine Sünde zu vollenden und nochmals zu heiraten, betet sie nächtelang für das Heil meiner Seele. Das ließe sich schließlich noch ertragen, aber unseligerweise zwingt sie mich, mit ihr zu beten …«

»Sie zwingt Sie? Wie kann sie Sie dazu zwingen?«

Sie errötete ein wenig und senkte betreten ihren Blick. »Ja, sehen Sie, Menschen, mit denen man seit langem befreundet ist, können einen zu allem Möglichen bewegen, was einem Dritten sehr unwahrscheinlich vorkommt. Zum Teil ist es Rücksicht, zum Teil ist es Trägheit … Man erträgt gar manches lieber, als daß man es zu einem Streit kommen läßt. Aber ich will jetzt ganz offen sein und gestehen, daß es zu einem kleinen Teil auch Berechnung von mir war. Die beiden Schwestern vergöttern Hyacinthe, und da sie weder Neffen noch Nichten haben, hoffte ich, sie würden ihn in ihrem Testament bedenken. Dafür brachte ich jedes Opfer.« Sie blickte ihn an und plötzlich glänzten ihre Augen und Wimpern von Tränen. »Halten Sie mich für sehr schlecht, weil ich meinem Sohne zuliebe eine Heuchlerin wurde?«

Er war bezwungen, er zweifelte nicht mehr an ihr. Der Gedanke überwältigte ihn, daß dieses herrliche Geschöpf, die strahlende Diana, ihm ihre Tränen anvertraute. Er ergriff ihre Hände.

»Aurelie!« sagte er mit zitternder Stimme. »Ich halte Sie nur für bezaubernd!« Er küßte andächtig ihre Hände. »Ich verstehe Sie jetzt ganz. Geben Sie mir die Möglichkeit, Ihnen ein solcher Freund zu sein, wie Sie es wünschen.«

»Dann mißtrauen Sie mir nicht länger«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln, das ihn rührte.

»Sie sollen sich nie mehr über Mißtrauen zu beklagen haben«, sagte er feierlich. – »Ist es dann doch zu einem Streit mit Mademoiselle Daurel gekommen?«

Sie nickte heftig mit dem Kopf und eine Falte des Unmuts trat auf ihre Stirn. »Sie wollte mir mein Leben nehmen! Alles würden sie für Hyacinthe tun – wenn ich ganz auf ihn verzichten würde! Am ersten Tag, als wir in Algier waren, kamen sie beide zu mir und schlugen mir vor, sie wollten Hyacinthe adoptieren. Ich sollte aufhören, seine Mutter zu sein.« Sie war aufgesprungen und schritt erregt durch das Zimmer. »Nein!« rief sie laut. »Niemand außer mir kann die Mutter meines Kindes sein. Es gibt noch andere Dinge als Geld! Halten Sie mich für egoistisch? Meinen Sie, Hyacinthe wäre einverstanden, wenn ich zustimmte? Nie!« Sie sank wieder in ihren Fauteuil, schloß die tränenfeuchten Augen und betupfte sie mit ihrem Taschentuch. »Sie werden noch glauben, daß ich Ihnen eine Szene aus einem Rührstück vorspielen will.« Dabei öffnete sie die Augenlider, lachte bitter auf und fuhr fort: »Nun, die Szene ist vorbei. – Ich bin wieder vernünftig – wovon wollen wir jetzt sprechen?«

Eines hätte Ogle gerne noch aufgeklärt. Der Bericht des französischen Zimmermädchens hatte als Grund des Zerwürfnisses in der Villa »Colline des Roses« den Zorn der beiden Schwestern über irgend eine Missetat Hyacinthes betont. Nun, das war offenbar nur Dienstbotenklatsch, der dem Jungen nicht weiter schaden konnte, besonders, da er mit seiner Mutter so bald nach Frankreich zurückkehren wollte. Der Gedanke an ihre Abreise gab ihm das Gesprächsthema, nach dem sie gefragt hatte.

»Warum fahren Sie nach Marseille?«

»Marseille ist nur Zwischenstation, wir fahren gleich nach Paris weiter.«

»Aber sagten Sie mir nicht, Ihr Sohn hätte noch sechs Wochen Urlaub? In Paris ist doch jetzt Winter, nicht wahr? Und hier ist es so schön. Warum bleiben Sie nicht?«

»Hier in Algier?« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Algier ist nichts. Auch Sie sollten sich nicht lange hier aufhalten, tiefer im Lande gibt es viel Schöneres zu sehen.«

»Wenn Sie nicht mehr hier sind, verliert alles seinen Reiz für mich.«

»Alles?« Sie lachte und strich mit ihren Fingerspitzen über seine Schulter, als wollte sie ein trotziges Kind beschwichtigen. »Sie dürfen nicht lächerlich sein, mein Freund. Sie tun manchmal, als wüßten Sie gar nicht, wie jung Sie sind. Vielleicht gibt es doch noch manches für Sie zu sehen und zu lernen. Sie sind im Lande von Tausend und einer Nacht und das alles hätte keinen Reiz für Sie? Nehmen Sie sich ein Auto und sehen Sie zu, daß Sie rasch aus Algier fortkommen. Fahren Sie in die Berge hinauf, zu den Kabylen und dann in die Wüste hinunter! Ich bin neugierig, ob Sie dann noch finden werden, daß nichts einen Reiz für Sie hat.« Sie war wieder ganz hoheitsvoll geworden, kühl, ein wenig spöttisch, freundlich und unpersönlich. Dieser rasche Wechsel nach den Augenblicken, in denen er gemeint hatte, ihr ganz nahe gekommen zu sein, verletzte ihn.

»Ich bin nicht so jung, wie Sie glauben«, gab er schmerzlich zurück. »Ich bin ein müder, einsamer Weltmann. Müde, weil ich zu angestrengt gearbeitet habe, und einsam, weil ich nicht imstande bin, Freundschaften zu schließen, was, wie ich einsehe, ein Fehler ist …«

»Sehen Sie das wirklich ein?« unterbrach sie ihn. »Sind Sie nicht eher ein wenig stolz darauf, mein Lieber?«

»Schon zum zweitenmal nennen Sie mich ›mein Lieber‹«, sagte er unwillig. »Es klingt, als wären Sie meine Tante. Das sind Sie doch nicht.«

»Nein«, sagte sie sanft. »Ich hoffe, ich bin Ihre Freundin. Es wird mir übermorgen wirklich leid tun, von Ihnen Abschied zu nehmen.«

»Warum muß es sein, wenn es Ihnen leid tut?«

»Weil ich doch hier nicht bleiben kann. Es wäre nicht angenehm für mich, Leute zu treffen, die …« Aufsteigende Tränen schienen sie zu verhindern, den Satz zu Ende zu sprechen und sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. »Ich kann doch nicht … ich kann doch nicht hier bleiben«, murmelte sie gebrochen.

Da kam ihm plötzlich ein erleuchtender Einfall: »Und warum kommen Sie nicht mit mir?«

»Was?« stotterte sie. »Mit Ihnen? Wohin?«

»Wohin Sie wollen. An alle die Orte, die ich, wie Sie sagten, sehen soll. Wir nehmen ein Auto, hinauf in die Berge, zu den Kabylen und dann hinunter in die Wüste …«

»Nein, nein, das könnte ich nicht tun.« Sie blickte ihn lächelnd an. »Ich bin vielleicht nicht allzu konventionell, aber gewiß auch nicht exzentrisch und ich fürchte, daß eine solche Unternehmung …«

»Sie spotten nur«, rief er. »Warum sollte eine Autotour mit Ihrem Sohn und mir exzentrisch oder unkonventionell sein? Seien Sie doch vernünftig.«

Sie zog die Stirne in Falten, lächelte ihn ungläubig und unsicher an, erhob sich und ging im Zimmer umher. Schließlich blieb sie bei einem Tischchen stehen und trommelte mit nervösen Fingern auf die Platte. Er sprach indes eifrig auf sie ein: »Wir reisen durch dieses Märchenland, das Sie so lieben. Sie führen mich – ganz gleich, wohin.« Er trat zu ihr. »Es wird überall schön sein, wo ich Ihre Stimme hören kann, wo ich nur mit Ihnen …« Aber da lachte sie plötzlich laut heraus, und als er sie erstaunt und verletzt anblickte, legte sie ihm mit reizender versöhnender Freundschaft den Arm um die Schultern.

»Mein Lieber,« sagte sie, »Sie dürfen nicht böse sein, wenn ich Sie so nenne – wie eine Tante – und auch darüber nicht, daß ich lache. Sehen Sie …« sie brach ab und sagte dann mit einem koketten Lächeln, das ihn ganz bezauberte: »Holen Sie Hyacinthe, damit wir ihn in unsere Pläne einweihen.«


 << zurück weiter >>