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XXI

Die ferne Staubwolke, die Tinker, seine deutschen Freunde, Jean Edouard Le Seyeux und seinen ganzen Troß verbarg, wälzte sich über das trockene Bett des Flusses und verschwand auf ihrem Wege gegen Biskra zwischen den Lehmwänden und Palmen eines Araberdorfes. – Aber auch als sie vom Turm nicht mehr sichtbar war, konnte man ihren Weg an dem Aufruhr verfolgen, den sie überall hervorrief. Einander überschreiende schrille Stimmen, eine Katzenmusik von Oboetönen und dumpfe Tam-Tamschläge mengten sich zu tosendem Lärm. – Und durch die Straße vor dem Hotel stürzten Händler mit Andenken, Bettler, Hausierer und Messerverkäufer und fliehende Scharen brauner Kinder in leidenschaftlicher Erregung dem nahen Aufruhr entgegen. Blinde Männer wurden im Laufen mitgezerrt.

Dann kam die Karawane nahe dem Hotel wieder zum Vorschein und schwankte majestätisch die breite weiße Straße heran, während kleine halbnackte Buben, im Staube Räder schlagend, ihre schreiende Vorhut bildeten. Vier gewaltige Kamele, alle anderen mit königlicher Würde überragend, bildeten den Kern der Karawane, um sie drängten sich andere kleinere Kamele, auf denen weißgewandete Diener saßen, tänzelnde Araberpferde mit dunkelhäutigen Reitern und schmutzige alte Männer auf noch schmutzigeren Eseln, Musikanten, lärmende Hausierer, schreiende Bettler, Ziegen, Esel, Hühner und in unkenntlichem Gewimmel allerlei sonstige Lebewesen.

Ein athletischer, graubärtiger Negergaukler tanzte in phantastischen Sprüngen vor dieser Prozession einher, wobei er unverständliche Scherze brüllte und in die Höhe geworfene Münzen mit den Zähnen auffing. Ein drei Fuß hoher Kopfputz aus gelbem Pelz, in dem kleine Spiegel blitzten, saß auf seinem Schädel. Ein Schurz aus Schakalfellen schwang um seine Hüften, während er tanzte und konvulsivische Verbeugungen vor dem Potentaten aus fernen Landen machte, dem seine Bemühungen galten und den er gnädig zu stimmen hoffte. Dieser Potentat war niemand anderer als Tinker, der barhaupt, einen scharlachroten Burnus um die Schultern, die Hosen bis zum Knie hinaufgestreift, auf einem riesenhaften weißen Kamel thronte. – Er war in Sidi Okba gewesen, wo er offenbar alles gekauft hatte, was dort zu haben war, – silberdurchwirkte Schals und Tücher in allen Farben hingen von den Kamelen; große Messingplatten waren wie Schilde an ihnen befestigt; Diener trugen ganze Bündel von rotem Leder, spitzen und drohend starrenden Waffen.

Gruppen von Touristen blieben entgeistert stehen, um diesen überwältigenden Aufzug zu betrachten; Engländer mit Tropenhelmen, Monokel und Wickelgamaschen; Franzosen in weißen Anzügen und Strohhüten; Amerikaner, die den Mund aufrissen; berittene französische Offiziere in Scharlachrot und Blau, die ihre Pferde an die Häusermauern lenkten. Und aus dem Tor des Hotels stürzte der Besitzer, und in der Hoffnung, sich nützlich machen zu können folgten ihm unterwürfig Portier, Träger, Kellner, arabische Führer in makellosem Weiß.

»Ist das nicht wieder unerhört!« sagte Frau Tinker zu ihrer Freundin, und obwohl ihre Worte Mißbilligung ausdrücken sollten, klang leise und gerade noch wahrnehmbar schmunzelnder Stolz aus ihrer Stimme. – »Daß er sich nicht schämt, sich so zum Gespött zu machen! Diese Idee, sich so ein rotes Ding umzuhängen! Er kann einfach nicht davon lassen, alles zu kaufen, was er sieht. – Das Unglück ist eben, daß ihm der Begriff des Schamgefühls ganz abgeht. Seinen Hut hat er sicher irgendwo verloren und seine Hosen könnte er auch hinunterziehen. Er ahnt gar nicht, wie lächerlich er aussieht – und wenn er es wüßte, wäre es ihm gleichgültig!«

»Lächerlich!« – Das war auch der Ausdruck, mit dem der junge Mann auf der anderen Seite der Turmgalerie diesen Aufzug bezeichnete. Und um einen solchen Clown zu erobern, hatte Madame Momoro den weiten Weg von Algier bis Biskra gemacht und ihn mit sich gezerrt, wie einen lustlosen Sklaven, dessen Hand oder Schulter sie hie und da zum Lohne dafür streichelte, daß er die Hotelrechnungen bezahlte! – Aber während Ogle mit verwundetem Selbstbewußtsein auf die Karawane hinabsah, begann er langsam die Überzeugung zu verlieren, daß das Schauspiel, das sich ihm bot, oder der Mann, der dessen Mittelpunkt bildete, wirklich bloß lächerlich wäre. Gegen seinen Willen entstand in ihm der Eindruck einer gewissen barbarischen Majestät, die diesem Bild, das er vor Augen hatte, innewohnte. – Im abklingenden rosigen Schein der untergehenden Sonne kam Tinker gemächlich reitend die Straße herauf und das Schwanken des riesenhaften Tieres schien ihn ebensowenig aus seinem Gleichgewicht zu bringen, wie das Rollen und Stampfen der »Duumvir« es getan hatte. Rechts von ihm trug ein großes Kamel die junge Prinzessin von Fülderstein und zu seiner Linken befand sich ihr hoher Gemahl; ringsherum tobte der aufgeregte Mob, dem Tinker lachend und erhaben Silbermünzen zuwarf. So mochte – und Ogle fühlte das Lächerliche immer mehr schwinden – vor zweitausend Jahren ein gewaltiger, purpurgekleideter Karthager, unumschränkter Herr über achttausend Sklaven, aus der Wüste heimgekehrt sein, während schreiende Knaben und schwarze Gaukler ihn umgaben, Häuptlinge ihm zu Seiten ritten, der dröhnende Tam-Tam und der Jubel der Volksmenge seinen Einzug begleiteten …

»Ich bin begierig, was er wieder alles zu berichten haben wird!« rief Frau Tinker, als die Karawane vor dem Hotel hielt. »Ich hoffe nur, daß er jetzt endlich genug müde sein wird, um sich vor dem Abendessen ein wenig niederzulegen.«

Ihre Hoffnung war eitel, denn einige Augenblicke später trat Tinker, jetzt ohne Burnus, mit einem Hut ausgestattet, noch in sichtlich gehobener Stimmung Arm in Arm mit einem Begleiter seines Alters und seiner Nationalität zu den Damen. »Mamma, Shuler hat gestaunt, was ich alles für dich mitgebracht habe«, begrüßte er sie. »Und seine Frau wird schrecklich neidisch sein, meint er. Du und Bibbih, Ihr werdet auf Euren Betten alles schön ausgebreitet finden. Du kannst dann einen der Schals für Frau Shuler bei Seite legen. Jedenfalls solltet ihr jetzt hinuntergehen und Euch alles ansehen.«

»Dazu wird sich wohl noch Zeit finden«, erwiderte seine Frau grollend. »Wir sind hier oben, um den Sonnenuntergang zu betrachten, und für Schals habe ich gar keine Verwendung mehr, und Olivia auch nicht. Vielleicht läßt sich Frau Shuler dazu bewegen, sie alle zu nehmen! – Aber, was hast du über dich selbst zu sagen? Daß du dich wie ein Zirkusclown vor dem ganzen Ort produzierst? Und überdies« – hier wurde ihr Ton noch um einiges schärfer – »hattest du mir doch gesagt, diese Dame, die in deiner Begleitung war, sei eine jungverheiratete Frau!«

»Ist sie auch, ist sie auch! Sie sind auf der Hochzeitsreise, so haben sie selbst es mir gesagt.«

»Und warum hast du sie dann nicht nebeneinander reiten lassen, wie es Paare auf der Hochzeitsreise gern haben? Mußt du dein altes Kamel zwischen sie drängen? Wohl damit du besser mit der jungen Frau schäkern kannst, was? Wer sind denn diese Leute?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Tinker und rieb sich dabei verlegen den Kopf. »Den ganzen Tag hat mich das gequält. Vielleicht fünfzehnmal habe ich ihn gefragt, wie er heißt, aber es klang so fremdländisch und er hat so undeutlich gesprochen, daß ich es schließlich aufgegeben habe, ihn zu verstehen. Aber jedenfalls sind es mächtig nette Menschen.«

»Ja,« erwiderte Frau Tinker mit einiger Anzüglichkeit, »das schien ganz deine Ansicht zu sein – besonders was die junge Frau betrifft.«

»So ist's recht, Frau Tinker«, lachte Shuler verschlagen. »Geben Sie ihm's nur tüchtig! Sie können nicht streng genug mit ihm sein. Charly Wackstle, den ich in Neapel getroffen habe, hat mir verschiedenes von den Seitensprüngen Ihres Mannes auf dem Dampfer erzählt. Sie werden ihn scharf im Auge behalten müssen!«

Tinker widersprach mit einer betonten Scherzhaftigkeit, hinter der ein aufmerksamer Beobachter leicht erkennen konnte, wie peinlich ihm diese Äußerungen seines Freundes waren.

»Also lassen Sie es genug sein, lieber Shuler. Unser Freund Wackstle ist gewiß ein prächtiger Mensch – wirklich in jeder Beziehung ein prächtiger Mensch – nur einen kleinen Fehler hat er: es ist noch kein wahres Wort aus seinem Mund gekommen, seit er geboren wurde. Man hat mir immer gesagt, daß George Washington schon lange tot ist, aber, bei Gott, wenn Charly Wackstle es mir sagen würde, dann würde ich sofort ins Weiße Haus telegraphieren und George sagen lassen, ich käme ihn besuchen! Hören Sie! Wenn Wackstle jemals im Leben die Wahrheit gesagt hat …«

Er machte eine Pause, denn ein arabischer Diener war vor ihn getreten und hatte ihm einen schmalen, weißen Briefumschlag gereicht. »Was soll ich damit? Für mich? Ich kenne doch keine Seele hier!« Immerhin nahm er den Brief und öffnete ihn.

»Schon ein Billeduh!« Herr Shuler meckerte lustig. »Und daß er Wackstle gar so sehr als Aufschneider anschwärzt, ist auch nicht wenig verdächtig, Frau Tinker. Ich sag's Ihnen nochmals, Sie werden sehr scharf auf ihn aufpassen müssen!«

»Das weiß ich«, antwortete sie. »Aber wer in aller Welt kann dir denn hier in dieser gottverlassenen Wüste was zu schreiben haben, Tinker?«

Tinker steckte den Brief rasch in die Tasche und lachte ausweichend.

»Oh … wie Herr Shuler sagt … ein Billeduh. Natürlich! Ich kann sie mir gar nicht vom Leibe halten!«

»Ich habe dich gefragt, von wem der Brief ist?« beharrte seine Frau mit erhobener Stimme.

»Aber Schnucki!« Er lachte nochmals, noch lauter. »Ich glaube gar, du denkst, er ist von der blonden kleinen Frau? Also auf mein Wort, er ist nicht von ihr! Er betrifft tatsächlich etwas ganz anderes.«

»Und was denn?«

»Vielleicht sage ich dir's eines Tages, vielleicht auch nicht, Schnucki.« Er sprach liebevoll neckend, als wolle er auf Shulers Scherze eingehen. »Auf jeden Fall aber habe ich jetzt etwas zu erledigen.«

Mit diesen Worten schritt er auf die Treppe zu, aber seine Frau hielt ihn zurück:

»Was kannst du jetzt zu …«

»Oh, es ist nichts besonderes, aber ich muß gleich danach sehen. Auf Wiedersehen.«

»Aber ich will wissen …« Sie hielt inne, denn Tinker war schon verschwunden und sie vermochte ihm nur noch finster nachzublicken. Dann wandte sie sich an die übrigen: »Ich bin sicher, es ist doch dieser Brief!«

»Ja, Sie werden ein Auge auf ihn haben müssen!« wiederholte Shuler, der sich von einem Witz, den er einmal gemacht hatte, nicht so leicht trennen konnte. »Bestimmt versucht jemand nach Ihrem Mann zu angeln, Frau Tinker.«

»Bestimmt versucht jemand, nach seiner Brieftasche zu angeln,« gab diese zurück, »alle Leute wollen immer nur dasselbe.«

»Na, na, er ist doch immer noch ein stattlicher Mann, Frau Tinker. Besser, Sie machen sich auf alles gefaßt.«

Dies waren die letzten Worte, die Ogle von der Unterhaltung zu hören bekam, denn die ganze Gesellschaft schien danach den Turm zu verlassen.


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