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VIII

Das ehrliche Entsetzen in seinem Ausruf machte sie wieder nachdenklich, und erst nach einer Weile unterbrach Madame Momoro das Schweigen:

»Unsere kleine Welt hier auf dem Schiff scheint wieder sehr lebendig zu werden, nachdem alle Leute ihren Lunch verzehrt haben.« Sie deutete auf die immer zahlreicheren Passagiere, die aus dem Speisesaal und der Halle auf das Deck herauskamen, um hier die übliche Runde zu machen. Ogle bemerkte unter ihnen auch seine beiden Nachbarinnen, Schnucki und Bibbih, deren Mienen in auffälligem Gegensatz zu den fröhlichen Gesichtern ringsum standen. Wiederholt kamen sie Arm in Arm an ihm vorüber, aber mit sichtlichem Mißvergnügen an ihrer Beschäftigung. Frau Tinkers Gesichtsausdruck war ebenso bekümmert und mißbilligend, wie er ihn vom Lunch her in Erinnerung hatte, und das unleugbar reizende Profil ihrer Tochter ließ, wie ihm schien, sogar noch verstärkten Widerwillen erkennen. Als sie zum vierten oder fünften Male an Ogle und Madame Momoro vorbeigingen, machte sich dieses reizende Mädchen mit einer heftigen Geste vom Arm ihrer Mutter los, und während sie weiterschritt, entfuhr ihr der gereizte Ausruf: »Häng dich doch nicht so schwer an mich!«

Madame Momoro sah ihnen nach. »Eure amerikanischen Mädchen beweisen immer wieder ihre Unabhängigkeit.«

»Manche schon,« sagte er rasch, »aber bitte halten Sie nur nicht eine ungezogene Provinzlerin für den Typus unserer jungen Mädchen.«

»Merkwürdig. Wo immer ich in Amerika hinkam, hieß es stets, ich dürfte die Leute, die mir begegneten, nicht als Typen ansehen. – Es scheint sehr schwer zu sein, Amerika zu entdecken.« Sie lächelte, und nach einer Weile fuhr sie, offenbar einen Gedanken aussprechend, der sie schon die ganze Zeit beschäftigt hatte, fort: »Ich weiß nicht, was Afrika auf Herrn Tinker für einen Eindruck machen würde, wenn er hinkäme, aber ich wäre neugierig, wie er sich dort ausnimmt.«

»Sie wären neugierig?« Ogle hatte gehofft, diesen unangenehmen Gesprächsgegenstand endgültig los zu sein, und die Hartnäckigkeit, mit der sie ihn immer wieder aufgriff und dabei verweilte, verletzte ihn etwas. Er blickte finster drein.

»Warum nicht?«

»Nun, ehrlich … ich finde dieses Interesse … ein wenig grotesk.«

»Grotesk?« wiederholte sie fragend. Doch das Wort schien ihr zu gefallen, schien ihr ganz besonders zu gefallen. »Grotesk. Ja, das könnte es sein. Sicher würde er darauf bestehen, sich in Tuggurt oder in der Wüste auf einem Kamel reitend photographieren zu lassen.«

»Bestimmt«, fügte Ogle hämisch hinzu. »Das heißt, wenn er der Ansicht wäre, er könnte das Bild für eine Reklame verwerten.«

»Jedenfalls wäre es interessant«, sagte Madame Momoro. »Ich habe eine kleine Schwäche für groteske Dinge.«

»Wirklich?« Ogle blickte sie forschend an und wunderte sich über den wohlwollenden Ausdruck ihrer Augen. »Ich hätte den Mann nicht für interessant gehalten, nur ungezogen und lästig. – Aber etwas anderes erscheint mir viel grotesker …«

»Noch grotesker als Tinker in Afrika? Was?«

»Nun … nämlich …«, Ogle zögerte ein wenig verlegen, entschloß sich aber schließlich, kühn fortzufahren: »Es befremdet mich, daß eine Dame wie Sie, offenbar keines der Vorurteile besitzt, die Amerikanerinnen Ihrer Klasse haben würden. Eine Frau Ihrer Art … Entschuldigen Sie, bitte, wenn das vielleicht zu persönlich klingt, es klingt nur so, ich meine es nicht wirklich persönlich, ich …«

»Ich verstehe«, unterbrach sie ihn, ernst geworden. »Sagen Sie nur ruhig, was Sie denken.«

»Wenn Sie gestatten … also aufrichtig: es ist mir ein Rätsel, wie Sie so gutmütig sein können, einen Mann wie Tinker überhaupt eines Gedankens wert oder gar amüsant zu finden; er ist doch ein Mensch, der einer minderwertigen Klasse angehört, mit der wir Amerikaner jede Berührung vermeiden. Zu Hause wissen wir von der Existenz solcher Leute gar nichts und nur auf Reisen wird sie uns – dann allerdings gründlich – zum Bewußtsein gebracht. Uns sind diese Tinkers recht peinlich, Madame Momoro.«

»Sie sagen: ›uns‹?« meinte sie fragend.

»Ich meine uns kultivierte Amerikaner«, erklärte er. »Es ist sehr bedauerlich für uns, daß sich die Ausländer ihre Meinung über uns nach solchen Tinkers bilden. Und grotesk scheint es mir, daß nicht einmal Sie eine Ausnahme machen wollen.«

»Warum?«

»Weil jeder Mensch auf den ersten Blick sehen muß, daß Sie der vollkommenste Gegensatz zu einer solchen Kreatur sind; weil Sie in so ungewöhnlichem Maß alles das sind, wovon er nicht einmal eine Vorstellung hat.«

»Ich verstehe das nicht. Warum halten Sie mich für so besonders?«

»Warum? Weil ich nie im Leben eine Frau gesehen habe, die Ihnen geglichen hätte«, sagte er ernst. »Als ich Sie gestern nachmittags dort sitzen sah …« er stockte und sie blickte ihn fragend an.

»Gestern? Wo? – Ah, als ich nachmittags Bridge spielte? Ich glaube, Sie kamen bei der mir gegenüberliegenden Türe herein …«

»Sie erinnern sich daran?« fragte er mit zunehmendem Eifer und seine Stimme klang ein wenig heiser. »Ich hatte sofort die Empfindung, Sie seien eine Frau, der nichts entgeht, obwohl Sie den Eindruck machten, als sähen Sie nichts.«

Aber sie faßte dies nicht als Kompliment auf. Ihre Augen weiteten sich und ihre Lippen öffneten sich zu fröhlichem Gelächter. »So gedankenlos sehe ich aus?«

»Sie sehen aus …«, begann er feurig und brach sofort wieder ab. »Ach, Madame Momoro, bestehen Sie lieber nicht darauf, daß ich Ihnen sage, wie Sie aussehen! Sie könnten sonst einwenden, wir seien noch zu wenig miteinander bekannt.«

»So bald sollte ich das sagen müssen?« fragte sie lustig, und zu seinem Entzücken fügte sie mit einem formellen Blick in seine Augen hinzu: »Nun, wir haben ja noch neun Tage Zeit.« Dann schlug sie die Decke zurück, erhob sich leicht und sagte: »Wenn Sie den Wunsch haben, mich besser kennen zu lernen, dann müssen Sie jetzt ein wenig mit mir in diesen ewigen Kreisen wandeln, die man Deck nennt.«

»Natürlich!« rief der junge Mann, obwohl er es wahrscheinlich vorgezogen hätte, diese nähere Bekanntschaft im bequemen Liegestuhl zu machen, denn sie war um ein gutes Stück größer als er, und ein junger Mann findet nicht leicht gefühlvolle Worte, wenn ihn vom ewigen Hinaufblicken der Nacken schmerzt.

Auch seine Schritte mußte Ogle länger machen und beschleunigen, um neben ihr bleiben zu können, denn obwohl sie sich nicht einmal lebhaft zu bewegen schien, schwebte sie mit graziöser, ruhiger Schnelligkeit dahin, die den Dichter Macklyn, der eine halbe Stunde später mit Albert Jones aus der Halle auf das Deck heraustrat, zu dichterischer Improvisation inspirierte:

»Leicht beschwingt eilt die Göttliche,
Die goldene, hehre Diana,
Wie strahlendes Licht
Inmitten grauer Wolken …«

Doch während die beiden sich bemühten, dem schnell dahineilenden Paar zu folgen, wurde der Poet rasch wieder prosaisch:

»Jetzt sagen Sie mir bloß, zum Kuckuck, wie hat er es angestellt, sie kennenzulernen?«

»Das möchte ich selber gern wissen«, gab Jones nicht weniger neidvoll zurück. »Der Kerl hat immer Glück. Sein neues Stück geht wie ein Haarfärbemittel und die Leute machen ein unglaubliches Aufheben mit ihm. Alle reden ihm ein, er sei ein großer Künstler, und er ist so beneidenswert, es wirklich zu glauben. Und jetzt hat er wieder das unverschämte Glück, mit der einzigen möglichen Frau auf dem Schiff bekannt zu werden und sie für sich mit Beschlag zu belegen. Sie läßt ihn zwar tüchtig springen, um mit ihr Schritt zu halten, aber er hat sicher auch noch darin Glück, nicht zu wissen, daß er neben ihr einem Pudel verzweifelt ähnlich sieht.«

»Oh, er sieht doch sehr distinguiert aus, dieser Ogle«, widersprach Macklyn, der gerechter war als sein Freund. »Und auch hübsch, und man merkt es ihm an, daß er ›jemand‹ ist. Er sieht doch zu bedeutend aus, um ein Pudel zu sein – selbst nicht der einer Diana.«

»Sie gehen in den Rauchsalon hinauf«, sagte Albert Jones, als Ogle mit Madame Momoro durch eine Türe verschwand. »Gehen wir ihnen nach?«

»Warum nicht?« stimmte Macklyn bei. »Er wird uns zwar wahrscheinlich wie Luft behandeln, aber wir können es ja versuchen.«


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