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XXVI

In der darauffolgenden Nacht quälte sich Ogle stundenlang, seine erregten Nerven zur Ruhe zu bringen, doch der Schlaf, den er endlich herbeizwang, brachte ihm nur einen qualvollen Traum.

Er stand als griechischer Sklave in der Wüste und hatte die Aufgabe, den Sand wegzuräumen, da die Karthager eine große Stadt in der Sahara bauen wollten. Nur ein kleiner Spaten und ein Blecheimer, Spielzeug, wie es die Kinder in Seebädern haben, waren sein Werkzeug. Jedesmal, wenn der Eimer voll war, blieb Ogle nichts anderes übrig, als ihn in die Luft auszuleeren, und der Sand fiel immer wieder auf den Boden zurück. Nach endlosen Stunden vergeblicher Mühe schrien die fetten schwarzen Nubier, die, Peitschen schwingend, als Aufseher herumstanden: »Der Herr kommt!« Wie eine violette Wolke, in der neben grellen Farbenflecken und blitzendem Metall nur unklar die hohen Formen von Kamelen erkenntlich waren, schoß vom Horizont eine Karawane heran. Ein riesenhafter, weißer Elefant stürmte, wie ein Pferd galoppierend, an der Spitze. Auf seinem Rücken trug er einen großen grünen Globus und darauf stand in lässiger Haltung ein kräftiger Mann, in ein Leopardenfell gekleidet. Wie antike Statuen manchmal eine Statuette tragen, hielt er auf der flach vorgestreckten rechten Hand ein hochgewachsenes Weib. Unter ihrem goldenen Helm war ihr blasses Gesicht wie weißer Marmor, und die flatternden Gewänder der Nike von Samothrake hüllten sie ein. Der Elefant kam immer näher, gerade auf Ogle zu; grausam lachte der Mann auf dem Globus und das Weib auf seiner Hand sah ausdruckslos über Ogle hinweg. Dann, eben als die langen Stoßzähne des Elefanten die Brust des angstgelähmten Träumers berührten, erfolgte eine betäubende Explosion …

Ogle stöhnte in seinem Bett und rieb sich erwachend die Augen. Es war einer jener Träume, die einen bis in den Sonnenschein hinein verfolgen und die Stimmung des Tages beeinflussen. Ekel lastete auf Ogles Seele und verdeckte Schichten von Gefühlen, die alle unangenehm waren: verletzte Eitelkeit, Eifersucht, das brennende Gefühl, nicht nur gebraucht, sondern mißbraucht worden zu sein, und, was am schwersten zu ertragen war, eine glühende Scham bei der Erinnerung, daß er sich für einen »Weltmann« gehalten hatte!

Vor dem Essen wanderte er, in der Hoffnung, auf andere Gedanken zu kommen, ostwärts der Wüste zu. Ein luxuriöser, französischer Wagen rollte an ihm vorüber, ein Wunderwerk von fleckenlos schwarzem Lack und blitzenden Kristallscheiben, mit einem livrierten Chauffeur und einem weißgewandeten arabischen Diener auf dem Vordersitz. Im Innern aber saß Fräulein Lucy Daurel mit Hyacinthe. Ogle sah flüchtig, daß Fräulein Daurels Augen verweint waren und Hyacinthe trotzig vor sich hinstarrte. Durch diese Begegnung wurden Ogles Gedanken wieder in die gleichen schmerzlichen Kreise gezwungen. In dummer Wut verzehrte er einsam seinen Lunch. Weder Madame Momoro noch ihr Sohn ließen sich blicken, und auch Tinkers Tisch blieb unbesetzt.

Eben, als Ogle seine Mahlzeit beendet hatte, kam Hyacinthe in den Saal und nahm neben ihm Platz. Die Heiterkeit seines blassen Gesichtes war auffällig. Ogle hatte ihn nie zuvor so gut gelaunt gesehen.

»Ich habe von meiner Mutter eine Botschaft für Sie.«

»So?«

»Sie speist in ihrem Zimmer und sie hat mir aufgetragen, Sie zu suchen und zu fragen, ob sie so freundlich sein wollen, sie dort aufzusuchen.«

»Jetzt gleich?« fragte Ogle, während er sich erhob.

»Wenn Sie die Freundlichkeit haben wollen«, antwortete Hyacinthe, der mit einer verbindlichen Verbeugung ebenfalls aufstand.

»Ja, die habe ich«, sprach der junge Amerikaner grimmig und schritt, ohne ein Wort hinzuzufügen, davon. Sein Atem ging tief und heftig, denn nichts war ihm ersehnter, als diese letzte Unterredung mit Madame Momoro. Oh, er hatte ihr so manches zu sagen! Ganze Sätze für diese Unterhaltung hatte er schon in seinem Kopf bereit.

Auf dem Wege zur Treppe mußte er durch die Halle und an dem Portier vorbei, auf den Tinker erregt einsprach, um ihm die Sünden der Stadtverwaltung von Biskra vorzuhalten. Aber was immer dem Orte auch fehlen mochte, Tinkers Äußeres bewies jedem Auge und jeder Nase, auch nicht aus allzu großer Nähe, daß es in Biskra einen Barbier gab. Er war wie mit Reibsand gescheuert, war rasiert, pomadisiert, gebürstet und gepudert; niemals hatte er so gestriegelt ausgesehen. Und wenn er auch etwas bedrückt schien, wenn er auch den Eindruck eines ängstlichen Ausreißers machte, der sich seiner Freiheit nur kurze Zeit erfreuen darf, sein Eifer, Ratschläge zu erteilen und begeistert von seiner Heimatstadt zu schwärmen, war ungebrochen.

»Was hier nottäte, das wäre ein richtiges, smartes, amerikanisches Gesundheitsamt«, sagte er zu dem Portier. »Diese Gerüche zum Beispiel! Also drüben, in der Stadt, in der ich gestern war, da gab es ja überhaupt nur Gerüche. Und in Algier lief ich in einen Gestank hinein, der meiner Meinung nach alles, was ich je gerochen habe, zu Tode gehetzt, verwesend in ein Bündel gepackt und seit Jahrhunderten auf Lager gelegt hatte. Wenn in meiner Stadt ein solcher Geruch ausbrechen würde, dann würde man eine Giftgasfabrik daraus machen und ihn per Kubikfuß ans Kriegsministerium verkaufen! In meiner Stadt können Sie sich hinsetzen wo Sie wollen, und Eiscreme vom Gehsteig essen. In meiner Stadt könnten Sie einem Polizeihund fünftausend Dollar für jeden Geruch versprechen, den er im Umkreis von zwanzig Meilen aufspürt, und er würde im Armenhaus sterben und keinen Nickel hinterlassen! In meiner Stadt …«

Hier unterbrach er sich, da er Ogle herankommen sah. Er ließ den Portier stehen und ging dem jungen Mann entgegen. »Ich habe eine recht bewegte Nacht hinter mir!« rief er Ogle zu. »Haben Sie vielleicht heute morgen Bibbih irgendwo gesehen?«

»Nein.«

Tinker rieb seinen duftenden feuchtglänzenden Schädel. »Es hätte mich bloß interessiert, ob sie vielleicht mit Ihnen gesprochen hat. Zu mir hat sie jedenfalls seit gestern kein Wort gesagt. Wahrscheinlich meint sie, daß ihre Mutter ohnehin schon genug spricht. Und ich glaube, sie hat damit recht. Tod und Teufel!« Er stöhnte ein wenig und schien dann einem anderen Gedanken nachzusinnen. »Hören Sie,« begann er nach einer Weile wieder, »was ist das, ein Impresario?«

»Der Agent einer Operngesellschaft oder auch ein Konzertdirektor«, antwortete Ogle und blickte ihn sonderbar an, zeigte aber nicht, daß diese Frage einen bestimmten Gedankengang in ihm auslöste. »Wie kommen Sie darauf?«

»Oh, nur so. Das ist ein Wort, das man immer hört und von dem man nie weiß, was es bedeutet. Gestern abend hat man von einem geredet und da wollte ich Sie darum fragen.«

»Gestern abend?« fragte Ogle, und in seinen Augen blitzte es auf. »Nachdem wir uns gesehen hatten?«

»Danach?« Tinker stöhnte. »Du meine Güte, nein! Von Impresarios hat meine Frau bei Gott die ganze Nacht nicht gesprochen!« Er faßte nach Ogles Rockaufschlag. »Hören Sie, ich muß gleich wieder in unser Zimmer hinauf. Ich bin schon länger fort, als es ratsam ist. Ich habe so eine Ahnung, als würde ich in längstens einer Stunde von hier abreisen. Man hat mir allerdings noch nichts davon gesagt, und ich werde mich hüten, unter den gegenwärtigen Umständen danach zu fragen. – Himmel und Hölle! Aber wenn wir am Abend noch hier sind, dann schicken Sie um Himmelswillen zu mir hinauf und lassen Sie nachsehen, ob ich noch am Leben bin, und wenn ja, dann lassen Sie mich herunterholen! Sagen Sie zu einer geschäftlichen Besprechung oder um mir eine Feuersbrunst anzusehen oder sonst irgendetwas, was Ihnen einfallt. – Ja, noch eines. Haben Sie den versteinerten Mann im Museum von Algier gesehen, den man in Teer oder sonstwas gekocht hat? Warum hat man ihm das getan?«

»Ich glaube, er war ein christlicher Märtyrer.«

»Sonst nichts? Guter Gott! Ich dachte schon, er hätte in Gesellschaft einer Dame, die seine Frau nicht gekannt hat, von diesem arabischen Kus-kus gegessen oder sonst etwas Arges angestellt. Na, er kann von Glück sagen, er ist noch glimpflich davongekommen …«


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