Adalbert Stifter
Witiko
Adalbert Stifter

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Als sie in das Gemach kamen, von welchem sie ausgegangen waren, sahen sie den Vater und die Mutter noch bei einander sitzen.

Sie grüßten die Eltern, die Eltern grüßten sie.

»Nun, habt ihr die Stelle besucht?« fragte Heinrich.

»Wir haben sie besucht«, antwortete Witiko.

»Wir sind auch auf den Steinen an der Sperwiese gesessen«, sagte Bertha.

»Habt ihr an dem Häuschen der heiligen Mutter ein kurzes Gebet gesprochen?« fragte Wiulfhilt.

»Wie wir vor sechs Jahren bei dem Häuschen gebetet haben«, antwortete Bertha, »so haben wir heute auch gebetet.«

»Vergiß den Himmel nicht, mein Kind, und der Himmel wird deiner nicht vergessen«, sagte Wiulfhilt, »und bei Witiko wird es auch so sein.«

»Witiko hat vor sechs Jahren am Sonntage in dem Walde gebetet«, sagte Bertha.

»Und dann habe ich mein Glück gefunden«, sprach Witiko. »Gott hat mir stets mehr gegeben, als ich verdient habe. Hoher Herr und hocherhabene Frau, ist es euch genehm, die Abbildung der Burg zu sehen, die ich baue, so lasse ich sie bringen?«

»Zeigt sie uns«, antwortete Heinrich, »laßt aber das Begabungspergament bei Seite.«

»Wie es Euer Wille ist«, sagte Witiko.

Heinrich rief durch einen Schlag auf eine Glocke einen Diener herbei. Witiko sagte ihm, er möchte sich von seinem Knechte Raimund die braune Ledertasche geben lassen, und sie bringen.

Der Diener brachte die Tasche.

Witiko öffnete ihr Schloß, und zog ein Pergament heraus, und legte es vor Heinrich und Wiulfhilt auf den Tisch. Das Pergament war schneeweiß, und auf dem weißen Grunde war das Bild einer Burg und eines Waldes an ihren Seiten in Farben.

»Wie schön«, sagte Heinrich.

»Das ist ein Bild, der Aufbewahrung wert«, sprach Wiulfhilt.

»Es wird auch aufbewahrt«, antwortete Witiko. »Diese Fenster sehen nach Mittag, diese nach Morgen, die auf den Rückseiten, welche auf dem Bilde nicht erscheinen, sehen nach Mitternacht und Abend, und innerhalb aller dieser Fenster sind rings die Gemächer des Burgherrn und der Burgfrau. Über diesen sind andere Gemächer, und unter ihnen ist die Burgkirche, der Saal, und andere Gelasse. Hier sind die Vorbauten mit Wohnungen, und zwischen dem Vorbaue und dem Hauptbaue ist der Burghof. Hier sind Ställe und Vorratsräume, und hier schließt sich die Verteidigungsmauer. In den andern Blättern sehet ihr die innere Ausdehnung und Einteilung.«

Witiko zog noch mehrere Blätter aus der Ledertasche, auf welchen Zeichnungen mit Linien waren.

Heinrich betrachtete die Blätter sehr genau, dann sagte er: »So wie ich jetzt meine, ist die Burg gut erdacht und überlegt. Hat sie der Baumeister Eppo erfunden?«

»Ich habe ihm den Platz beschrieben, auf dem die Burg stehen soll«, antwortete Witiko, »und habe ihm gesagt, wie ich mir die Burg denke. Dann hat er auf Blättern zu zeichnen angefangen, wir haben daran abgeändert, bis die Sache so wurde, wie sie ist. Dann hat er die Abbildungen verfertigt, und mir die Nachbilder auf Pergament gemacht.«

»Und er baut jetzt die Burg«, sagte Heinrich.

»Er baut sie«, antwortete Witiko.

»So sei der Segen Gottes über ihm«, sprach Heinrich.

»Er möge es sein«, sagte Witiko.

Dann reichte er das Pergament mit dem Farbenbilde an Bertha.

Bertha betrachtete es, gab es dann wieder zurück, und sagte: »Witiko, es ist ein schönes Bild und ein schönes Haus.«

»Und die drinnen wohnen werden, sollen glücklich sein«, sprach Witiko.

Dann ordnete er die Blätter wieder in die Ledertasche, schloß die Tasche, und schickte sie in sein Gemach.

Es waren hierauf noch verschiedene Gespräche zwischen Heinrich, Wiulfhilt, Bertha und Witiko.

Dann verabschiedete sich Witiko, und ging in sein Gemach.

Das Abendessen war in dem Waldhause wie in früheren Zeiten.

Des andern Morgens ging Witiko zu dem Köhler Mathias.

Der Köhler und sein Weib erhoben einen Freudenruf, als sie Witiko erblickten.

»Witiko, Witiko«, rief die Frau, »jetzt ist alles gut, jetzt hat Gott mein Gebet erhört, wir wissen es, und wissen schon alles, es ist alles gut.«

Und sie reinigte mit einem Tuche die Bank, auf welche sich Witiko setzen sollte.

»Der Himmel hat Euch gesegnet, seit Ihr an jenem Sonntage von uns fort geritten seid, und wir freuen uns des Segens«, sagte Mathias.

»Ich weiß es«, sagte Witiko, »ich habe eurer oft gedacht, und werde eurer noch denken.«

»Wollt Ihr eine Milch, sie ist die beste in dem Walde«, sprach die Frau.

»Gib mir später eine Milch, Margaretha«, sagte Witiko, »jetzt aber nenne und bringe mir einen Mann, Mathias, der sicher eine Botschaft zu meiner Mutter in unsern Hof Pric trägt.«

»Ich weiß schon«, sagte Mathias, »das muß Eure Mutter schnell erfahren, und weil meine Meiler rauchen, muß der alte Peter gehen, er geht in seinem Ledergewande in einem und unausgesetzt fort, bis er dort ist, und dann geht er wieder zurück.«

»Und bürgst du für ihn?« fragte Witiko.

»Ich bürge für ihn«, antwortete Mathias.

»So hole ihn«, sprach Witiko.

Mathias ging fort, und kam nach einer Zeit mit Peter zurück, und sagte: »Er wird nach Pric gehen.«

»Bist du des Weges kundig?« fragte Witiko den Mann.

»Wie der Diele meiner Stube«, antwortete der Mann.

»So trage den Brief, der in diesem Tuche ist, nach Pric«, sagte Witiko, »gib ihn Wentila, meiner Mutter, und bringe mir die Antwort am achten Tage nach Friedberg. Hier hast du Lohn für den Hinweg, in Friedberg erhältst du ihn für den Rückweg. Rüste dich, daß du bald fort gehen kannst. Spute dich, raste, wo du es bedarfst, und genieße deiner Nahrung.«

»Ich raste nicht viel«, sagte der Mann, »und habe meine Nahrung bei mir.«

Witiko gab ihm den Brief und etwas an Gelde. Peter nahm beides, und ging fort.

Witiko blieb noch eine Weile bei den Köhlerleuten, und trank etwas von der Milch, welche ihm Margaretha nun reichte. Die Kinder kamen von dem Walde, und Witiko beschenkte sie. Die Köhlerleute sprachen von den Dingen, die geschehen waren, und Margaretha sagte, sie habe Witiko geweissagt, da er einmal von ihnen Abschied genommen habe; denn sie habe die Worte gesagt: Erlebet recht große Dinge.

»Sie sind so groß nicht geworden«, sagte Witiko.

Nach einer Zeit verabschiedete er sich, und ging wieder in das Waldhaus Heinrichs von Jugelbach zurück.

Er lebte nun als Gast in dem Hause mit Heinrich, Wiulfhilt und Bertha. Heinrich zeigte ihm genau alle Zubehör des Hauses, und sie sprachen von der Gebarung mit Feld, Wiese, Wald und Viehstand. Einmal waren alle und drei Dienstmannen Heinrichs, die gekommen waren, auf dem Fels der drei Sessel, und ein anderes Mal waren sie bei dem schwarzen See, und wieder andere Male an verschiedenen Stellen des großen Waldes. An einem Vormittage saßen Witiko und Bertha auch auf den Steinen der Sperwiese, da die Sonne auf dieselben schien.

Am sechsten Tage, da Witiko in dem Hause Heinrichs war, ging er des Nachmittages allein im Walde auf dem Wege, der zu den Sesseln führt. Da sprang über grünbemooste Steine zwischen den Stämmen Wolf zu ihm, blieb stehen, sah ihn an, und sprach: »Ihr habt mir schon im Hauzenberge Vergunst zum Reden gegeben, gebt sie mir heute auch.«

»Die hast du immer, Wolf«, sagte Witiko, »ich habe mit dir in dem Speisesaale geredet, und du mit mir, und du hast alle Tage mit mir reden können.«

»Aber geheim und allein«, sagte Wolf.

»So rede geheim und allein«, sprach Witiko.

»Es muß so sein«, antwortete Wolf. »Ich bitte Euch, nehmet mich in Eure Dienste.«

»Willst du deinen Herrn, Heinrich von Jugelbach, verlassen?« fragte Witiko.

»Ich will ihn nicht verlassen«, antwortete Wolf, »sondern recht bei ihm bleiben, nämlich bei Bertha, seiner Tochter. Ihr werdet sie heiraten, und da werden Frauen mit ihr zu Euch gehen, ihr zu dienen, ich weiß nicht, ob auch Männer mitgehen, die ihre und Eure Diener sind; aber es soll einer mitgehen, und ich ginge mit.«

»Bist du Bertha so zugetan?« fragte Witiko.

»Freilich, und ich muß ihr ja in vielem helfen«, sagte Wolf, »sie ist hochgeistig wie ihr Vater, und hilft sich in manchem nicht, was sie will. Es wäre eine wahre Schandtat gewesen, wenn Ihr sie nicht geheiratet hättet. Und seit Ihr mit den zwei andern da gewesen seid, seid Ihr wieder gar nicht gekommen, was nicht recht ist.«

»Bertha sagt, es ist recht gewesen«, sprach Witiko.

»Sie sagt es; aber ich sage, es ist gar nicht recht gewesen«, antwortete Wolf, »da seid Ihr aber doch gekommen, und alles ist gut geworden, ich weiß es schon, alles ist mir gelungen.«

»Dir ist es gelungen«, sagte Witiko.

»Da Ihr einmal bei uns gewesen seid, und da ich mit Euch auf dem Sesselfels und auf dem Hohenstein und bei dem schwarzen See gewesen bin«, sprach Wolf, »und da Ihr fort geritten waret, und da Ihr so lange in dem oberen Plane wartet, da bin ich manches Mal in den Wacholderbüschen gelegen, wenn Ihr von dem Kreuzberge auf unseren Wald geschaut habt. Ich bin in dem Walde gelegen, wenn Ihr geritten seid, ich bin in den Kornhalmen gewesen, wenn Ihr mit den Männern auf Euren Gassenbänken gesessen seid. Ich bin in manchem Hause gewesen und in mancher Ortschaft, und habe ihnen einen Topf gebunden oder Reifen geschnitten, und da habe ich gehört, was sie von Euch sagen.«

»Du bist also mein Späher gewesen«, sagte Witiko.

»Ja«, entgegnete Wolf, »Bertha hat kein Wörtlein gesagt; aber wenn ich ihr von Euch erzählte, daß ich Euch gesehen habe, und was Ihr getan habt, blickte sie sehr freundlich. Es sind nur jetzt keine Rosen; aber da Ihr damals fort geritten waret, trug sie immer Rosen auf dem Haupte, seit Ihr sie mit den schlechten roten Rosen gesehen habt. Und bei Eurem Feste auf dem Pferdeanger bei dem oberen Plane bin ich auch gewesen.«

»Bist du bewirtet worden?« fragte Witiko.

»Ich habe Eures Bieres und Eures Bratens hinlänglich bekommen«, sagte Wolf, »und ich habe auch unserem Herrn erzählt, was Ihr getan habt, wie die Leute davon reden, und was ich selber gesehen habe, und ich bin auf den Grund gekommen, daß Ihr treu sein werdet.«

»Und du möchtest in meiner Burg leben?« fragte Witiko.

»Ja«, entgegnete Wolf, »sie wird sehr schön, ich habe sie schon bauen gesehen, und bin neulich hinein gerannt.«

»Wenn Heinrich von Jugelbach, und wenn seine Ehegemahlin Wiulfhilt von Dornberg nicht dagegen sind«, sprach Witiko, »und wenn Bertha es will, so magst du in meine Burg kommen.«

»Seht, ich habe es gewußt, daß Ihr gut seid«, entgegnete Wolf, »es wird ihnen schon genehm sein, und ich werde Euch Tag und Nacht dienen, und wir werden oft zu Herrn Heinrich und Frau Wiulfhilt kommen. Und Bertha wird mir die Befehle erteilen. Habt Ihr das schöne Pferd noch?«

»Ich habe es noch«, sagte Witiko, »aber es altert schon.«

»Gute Pferde halten lange in die Zeit«, sprach Wolf. »Unser Herr nimmt die guten von hier immer mit nach Jugelbach, und läßt die da, welche langhaarig sind. Eure Reiter auf dem Anger haben auch kleine langhaarige Pferde gehabt.«

»Diese Pferde waren in dem Kriege sehr brauchbar«, sagte Witiko.

»Ich weiß es, weil sie Waldpferde sind, und genügsam und arbeitsam, und weil sie gut klettern können«, sprach Wolf, »das Pferd, auf dem Ihr gekommen seid, ist fein.«

»Mir hat es der Herzog Wladislaw gegeben«, antwortete Witiko.

»Bei uns ist kein Krieg«, sagte Wolf, »und wenn ich bei Euch bin, werde ich mit Euch in den Krieg gehen, und mir Geschenke und Pferde erwerben.«

»Wenn du im Kriege tüchtig bist, wird es dir nicht fehlen«, sagte Witiko.

»Ich werde tüchtig sein«, antwortete Wolf.

»Und nun, Wolf, hast du noch andere Dinge an mich?« fragte Witiko; »denn sonst muß ich mich von dir verabschieden.«

»Nein, verabschiedet Euch nur, und ich danke Euch für alles, und alles wird recht werden, und gehabt Euch wohl, hoher Herr«, sagte Wolf.

»Gehabe dich wohl«, sagte Witiko.

Und Wolf sprang wieder über die Steine zwischen den Stämmen davon, wie er gekommen war. Witiko aber ging seines Weges weiter.

Am siebenten Tage verabschiedete er sich von dem Waldhause Heinrichs von Jugelbach, und ritt nach Friedberg zurück.

Zwei Tage darauf brachte ihm der alte Peter den Brief seiner Mutter.

Witiko lohnte den alten Peter, und dieser begab sich auf den Heimweg.

Nun ließ er Zeichen in Bäume seines Waldes schlagen, daß sie gefällt würden, wenn es an der Zeit wäre. Dann begann er an einer Stelle reuten zu lassen, und machte den Anfang, einen hölzernen Hof für Rinder zu bauen, und dann ritt er zu seiner Mutter nach Pric, und blieb eine Woche dort. Hierauf begab er sich wieder nach Friedberg zu dem Baue seiner Burg.

Der Bau ging schnell fort, weil immer viele Menschen daran arbeiteten, und immer neue freiwillig herzu kamen.

Und ehe die Blätter der Birken gelb wurden und die Blätter der Buchen rot, ragte der Bau mit den Gerüsten wie ein großer viereckiger Turm von dem Saume des Waldes empor, daß er weither gesehen werden konnte. Man vermochte ihn von den Berggipfeln des Landes im Mittage bis von den Höhen an den Donauufern aus zu erblicken, man vermochte ihn von den Gipfeln der Wälder an der Moldau, und von dem Tale der Moldau oberhalb Plan bis Friedberg hinunter zu erblicken, und die Mädchen von Plan stiegen auf den Kreuzberg, um den Bau Witikos recht deutlich erschauen zu können.


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