Adalbert Stifter
Witiko
Adalbert Stifter

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Heinrich aber sprach nach einer Weile: »Witiko, jetzt höret mich an. Von dem alten Randshofe, dem Eigen der Pipine und der Söhne Karls, sieht man über die Brunnenau und den Innstrom wasserabwärts einen Fels, darauf die Burg Jugelbach steht. Die Burg ist das Haus unseres Geschlechtes. Ich bin Heinrich von Jugelbach. Man nennt mich Fahrirre, weil ich die Eigen vieler Herren gesehen habe, und über Land und Meer gefahren bin. Ihr seht aber an meinem Waldhause, daß ich auch stille lebe. Mein Vater ist Werinhart von Jugelbach, meine Mutter ist Benedicta von Aschach. Mein Bruder ist Gebhart von Jugelbach, der älteste Bruder Werinhart ist gestorben. Meine Gattin ist Wiulfhilt von Dornberg. Bertha ist unser einziges Kind. Der edle Mann, Adelram von Aschach, unser Großvater und der Vater unserer Mutter Benedicta, ist gestorben, und das Erbe von Aschach mit Mauten und Gebühren diesseits und jenseits der Donau ist an unsere Mutter gekommen, weil Adelram keine anderen Kinder hatte. Da ist in dem Aschachwinkel der Ort Hilkering, der gehört den zwei edlen Brüdern von Schillingsfirst, und der ist der einzige, welcher nicht ein Teil der Erbschaft ist. Ich und mein Bruder Gebhart sind von dem Inn an die Donau nach Aschach herab gestiegen, und werden zwei Burgen bauen. Die eine werden wir auf dem Berge hinter dem Orte Hilkering bauen, und sie wird Stauf heißen, und die andere werden wir auf der Waldhöhe, die von Aschach gegen die alte Stadt Eferdingen geht, bauen, und sie wird Schauenberg heißen, weil sie in das Land über die Donau schaut, darin die Mihel fließt, und in das Land, dahin die Donau geht, und auf die Berge, die gegen die Steiermark sind. Die von Jugelbach sollen in Stauf und Schauenberg groß werden, und in die Geschicke ihrer Länder hinein wachsen. Jetzt, Witiko, kennt Ihr unser Geschlecht. Nun will ich von der Genugtuung sprechen. Ihr habt in der Schlacht die rote Waldrose auf dem weißen Schilde getragen, sehet, daß die Rose in die Geschicke Eurer Länder hinein blühet, und dann kommt. Bis dahin ist Bertha von Euch getrennt, und seid Ihr von Bertha getrennt. Ist Euch diese Genugtuung gerecht?«

»Sie ist mir gerecht«, sagte Witiko, »ich danke Euch für Eure Worte. Ich habe nie gedacht, Bertha anders zu gewinnen als so, und ich habe nie gedacht, anders zu handeln, wenn auch Bertha nicht wäre.«

»Tut so«, sagte Heinrich, »und wenn eine Burg wird, in der die Rose ist, so denke ich, daß die Burg der Rose und daß Stauf und Schauenberg in gleicher Größe und in Wohlvernehmen fortbestehen mögen. Ihr seid als Gast in meinem Hause immer willkommen. Jetzt muß ich den Frauen verkünden, was wir gesprochen haben. Beurlaubet mich.«

Er stand auf, Witiko stand auch auf, die Männer reichten sich die Hände, und Witiko verließ das Gemach.

Da er in den Hof gekommen war, sah er Wolf.

Wolf ging eilig zu ihm, und sagte: »Ihr seid sehr lange nicht mehr in unser Haus gekommen.«

»Ist es dir lange geworden?« fragte Witiko.

»Ja«, entgegnete Wolf, »es ist mir lange geworden.«

»Ich habe nicht anders gekonnt«, entgegnete Witiko.

»Zählt nur auf mich, ich will Euch in allen Dingen beistehen«, sagte Wolf.

»Nun, ich werde es dir sagen, wenn ich deines Beistandes bedarf«, antwortete Witiko, »und werde dir dafür danken.'

»Es ist nicht Dankes halber«, sagte Wolf, »ich tue es gerne. Unser Herr ist strenge, er hat die ganze Welt gesehen, die Leute nennen ihn Fahrirre, ich habe es ihm aber nie gesagt. Sonst ist er auch gut.«

»Ich habe es erfahren«, sagte Witiko, »er ist immer gastlich gegen mich gewesen.«

»Ja, gastlich ist er«, sagte Wolf.

Witiko verabschiedete sich von Wolf, und ging in seine Wohnung.

In derselben saß der Mann, der die braunen Kleider hatte, auf einem Stuhle, und der Knecht Raimund saß auf einem andern Stuhle. Witiko sah, daß von den Speisen und den Getränken etwas verzehrt worden war. Raimund berichtete, daß die Pflege der Pferde vorüber sei, und daß sie jetzt ruhen könnten. Witiko nahm von den Speisen und Getränken nichts, und setzte sich auf einen Stuhl.

Es dauerte noch eine Zeit, bis die Sonne unterging. Da ertönte eine Glocke in dem Hause.

Witiko erhob sich, und ging mit Raimund und dem fremden Manne in den großen Saal.

In demselben war alles so zum Speisen angeordnet, wie es Witiko gesehen hatte, da er zum ersten Male in dem Hause gewesen war. Er wurde an das obere Ende des Tisches zu Heinrich und Wiulfhilt geführt. Heinrich stand obenan, Witiko wurde zu seiner Linken gewiesen, rechts war die Mutter und dann Bertha. Es waren auch noch zwei Männer am oberen Ende des Tisches, die Heinrich Dienstmannen, Hartnit und Liutolt, nannte. Die Leute des Hauses harrten weiter unten, bei ihnen waren auch der Knecht Raimund und der Mann in dem braunen Gewande. Heinrich sprach ein lautes Gebet, in das die Leute antworteten. Nach dem Gebete setzten sich alle nieder, und die Speisen wurden von zwei Mägden gebracht. Sie wurden alle zugleich auf den Tisch gestellt. Auf dem oberen Ende waren Fische, es war gebratenes Geflügel, es war Hirschfleisch, es waren Kuchen, es war Brot und Wein. Auf dem unteren Ende des Tisches war gebratenes Hammelfleisch, Bier und Brot.

Als das Mahl geendet war, sprach Heinrich wie vorher ein Gebet. Nach demselben gingen die Leute, welche an dem unteren Ende des Tisches gesessen waren, fort.

Heinrich sagte zu Witiko: »Möge Euch als Gast mein Abendessen wohl bekommen, und weil ihr morgen mit dem Anbruche des Tages fortreiten wollt, so nehmen wir heute Abschied.«

Wiulfhilt sagte: »Lasset Euch genügen, was wir Euch in Eurer kurzen Zeit hier bieten konnten, und kommet als Gast bald wieder in unser Haus. Mein Gemahl und ich werden Euch gerne aufnehmen. Sein Wille ist der meinige.'

»Ich danke Euch, edle Frau«, sagte Witiko.

Darauf wendete er sich zu Bertha, und sprach: »Möge Bertha das Glück erfahren, das ihr die wünschen, die sie lieben.«

»Möge Witiko erreichen, was er hofft«, entgegnete Bertha.

»Er will darnach streben«, sagte Witiko, »Gott fügt das weitere.«

Er reichte Bertha die Hand, und Bertha reichte ihm die Hand.

»Ich werde Euch in Eure Stube geleiten«, sagte Heinrich.

Witiko und Bertha lösten ihre Hände auseinander. Witiko neigte sich vor Wiulfhilt, vor Bertha, und auch vor den Dienstmannen.

Diese alle gaben den Gruß zurück, und Witiko ging mit Heinrich gegen die Tür. Heinrich führte ihn in die Wohnung, die ihm zur Herberge bestimmt war.

Dort verabschiedeten sie sich.

Raimund und der Mann in dem braunen Gewande waren schon in den Stuben, und die drei Männer suchten nun die Ruhe der Nacht.

Als der Morgen noch wenig dämmerte, verließ Witiko die Gemächer. Da war in dem Gange vor denselben Heinrich, und öffnete mit einem Schlüssel das Fallgitter, und zog es empor. Dann ging er fort. Witiko ging unter dem geöffneten Fallgitter hinaus. Er ging in den Stall. Raimund kam auch sogleich herunter, und die Pferde wurden mit der Beihilfe des Knechtes Hando besorgt.

Da dieses geschehen war, aßen die drei Männer etwas von den Morgenspeisen, die in ihre Wohnung gebracht worden waren. Dann wurden die Pferde in den Hof geführt, und die Männer gingen zu ihnen.

Da kam Wolf herzu, und brachte mehrere Stricke, welche Raimund an seinem Sattel befestigte.

Darauf bestiegen die Männer ihre Pferde.

Nun kam Heinrich zu ihnen, und geleitete sie bis zu dem Tore.

Wolf öffnete die beiden Flügel des Tores, und nickte im Gruße gegen Witiko.

Heinrich geleitete die Männer durch das Tor hinaus.

Da sie außerhalb seines Hauses waren, reichte er Witiko die Hand auf das Pferd, und sagte: »Ich danke Euch für das Vertrauen, welches Ihr mir heute in der Nacht erwiesen habt.'

»Lebt wohl«, sagte Witiko.

»Lebt wohl«, sagte Heinrich.

Die Männer setzten sich in Bewegung, und Heinrich ging durch das Tor in den Hof zurück.

Witiko und seine Begleiter ritten an dem rauschenden Bache nieder zu dem tieferen Walde, und in dem Walde fort bis an die Mihel. Sie durchritten die Wasser der Mihel, und Witiko ritt mit ihnen an die Hütte des Köhlers Mathias.

Der Köhler Mathias kam von dem rauchenden Meiler herzu, und sein Weib Margaretha kam mit den Kindern aus der Hütte.

»Gib uns einen Trunk frischen Wassers, Mathias«, sagte Witiko.

»Wollet Ihr denn nicht in das Haus gehen?« fragte der Köhler.

»Wir reiten sogleich wieder fort«, antwortete Witiko.

»Ihr haltet Euch gar nicht auf?« sagte Margaretha.

»Ich komme schon wieder einmal«, entgegnete Witiko.

»Ach, nach vielen Jahren«, sagte das Weib.

Dann ging sie, und brachte in einem grünen Kruge frisches Waldwasser. Witiko trank aus dem Kruge, und auch seine Begleiter tranken.

Dann reichte er von dem Pferde dem Köhler die Hand, und reichte sie auch seinem Weibe Margaretha.

Hierauf ritten die Männer an dem Rauche der Meiler vorüber in der Richtung gegen Mittag weiter.

Sie ritten unter den hohen und alten Tannen des breiten Berges empor. Sie ritten auf dem schmalen Pfade unter den tiefen Ästen einer hinter dem andern. Als sie zu dem roten Kreuze gekommen waren, taten sie ein Gebet, und ritten wieder weiter im Walde aufwärts. Nachdem noch eine halbe Stunde vergangen war, kamen sie auf der Höhe in die Waldlichtung hinaus, vor der Witiko zum ersten Male den Dreisesselwald gesehen hatte. Sie wendeten sich jetzt auch um, und sahen die Forste und die Höhen, und sahen den Rauch, der von Heinrichs Hause empor stieg.

Darnach ritten sie wieder in einen neuen Wald auf einer Fläche sanft abwärts.

Nach einer Stunde erquickten sie, wie sie es gewöhnlich taten, an einer Waldstelle die Pferde.

Dann ritten sie wieder weiter.

Gegen den Mittag kamen sie auf einen Platz, auf dem niedriges Buschwerk auf Rasen weit dahin ging. An der Grenze waren Bäume, davon viele durch Winde gestürzt waren. Da sie auf dem Platze ritten, kam ein Bolzen gegen Witikos Seite geflogen, und prallte von dem Leder ab. Witiko blicke auf den Mann im braunen Gewande. An dem braunen Gewande desselben hing auch ein Bolzen. Sofort auch schaute Witiko in der Richtung hin, woher die Bolzen gekommen sein mochten. Da waren zwei Männer in den Gebüschen, und ragten mit dem Oberkörper über sie empor. Der eine hatte einen roten Bart, der andere einen grauen. Sie hatten beschmutzte Ledergewänder. Witiko nahm die Lanze Raimunds, und ritt in die Büsche, und in ihnen, so schnell es sein Pferd vermochte, gegen die Männer. Da die Männer dieses sahen, ergriff der graubärtige die Flucht.

Witiko rief gegen den andern: »Wenn du dich regst, und von dem Platze weichen willst, so werfe ich dir diese Lanze in den Leib, wenn du ruhig stehen bleibst, so schone ich deines Lebens.«

Der Mann blieb stehen.

Raimund kam nun auch auf dem Pfade, den Witiko in den Büschen gemacht hatte, herzu, und hinter ihm der Mann in dem braunen Gewande.

Raimund rief: »Und ich schleudere dieses Beil in deinen Körper, wenn du dich rührst.«

»Nimm ihn gefangen, Raimund«, sagte Witiko.

Raimund nestelte die Stricke, welche ihm Wolf gegeben hatte, von dem Sattel, und stieg von seinem Pferde. Dann reichte er dem Manne in dem braunen Gewande die Zügel desselben, und sagte: »Halte mir das Roß, bis ich fertig bin.«

Der Mann in dem braunen Gewande nahm die Zügel, und hielt an denselben das Pferd Raimunds.

Raimund aber näherte sich dem rotbärtigen Manne, indem er das Beil hoch in der Hand trug.

Der Mann stand ruhig.

Da Raimund zu ihm gekommen war, ließ er das Beil in das Gras fallen, nahm die beiden Hände des Mannes, legte seine Unterarme vor der Brust übereinander, umwickelte sie mit einem Stricke, und knüpfte die Enden des Strickes zusammen.

Der Mann ließ es geschehen.

Dann nahm er wieder sein Beil, nahm die Armbrust, die auf der Erde lag, und führte den Mann zu Witiko.

Dort hieb er mit dem Beile einen Ast aus dem Gesträuche, hieb aus dem Aste einen Knebel zurecht, befestigte den Knoten mit dem Knebel noch besser, und band an den Fesselstrick noch einen andern Strick als Leitseil.

Dann sagte er: »So, mein Gaurabe, jetzt bist du versorgt.«

»Führe ihn mit uns«, sagte Witiko.

Raimund gab dem Manne in dem braunen Gewande das Ende des Leitseiles in die Hand, und sagte: »Jetzt mußt du mir diesen da ein wenig halten.«

Der Mann in dem braunen Gewande tat es.

Raimund hing die Armbrust an seinen Sattel, stieg auf sein Pferd, richtete sich zurecht, nahm dem Manne in dem braunen Gewande das Ende des Leitseiles wieder ab, und sagte: »Jetzt bin ich fertig.«

»So reiten wir«, sagte Witiko.

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung.

Witiko ritt von dieser Stelle fortan schneller, als er bisher geritten war. Die andern folgten. Der Mann an dem Leitstricke mußte mit beschleunigten Schritten hinter dem Pferde Raimunds gehen.

So gelangte man endlich zu den Häusern Hauzenberg.

Die Männer stiegen von den Pferden.

Das Leitseil des Gefangenen wurde an einen der Pflöcke gebunden, die auf der Gasse zum Anhängen der Pferde in die Erde getrieben waren.

Dann wurden die Pferde mit Halftern an Pflöcken befestigt, mit Decken gut behüllt, und man begann ihre Verpflegung.

Als dieses geschehen war, setzte sich Witiko an einen der Gassentische, und der Mann in dem braunen Gewande setzte sich in kleiner Entfernung von Witiko auf eine Bank an demselben Tische.

Der Krämer, welchen Witiko vor vier Jahren auf dieser Gasse gesehen hatte, saß wieder auf der Gasse der Herberge.

Sonst war kein Gast zugegen.

»Raimund«, sagte Witiko, »führe nun den Mann an seinem Stricke zu mir.«

Raimund löste das Leitseil von dem Pflocke, und führte den Gefangenen an den Tisch Witikos.

Dort blieb er mit ihm stehen.


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